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Im Juli ist es wieder so weit: Dann erscheint der Monitoringbericht zum Pakt für Innovation und Forschung. Darin beschreiben die außeruniversitären Forschungsorganisationen, wie sie die Milliarden von Euros einsetzten und was sie erreichten. Im Hinblick auf Gleichstellung zeigt sich: jämmerlich wenig. Das Brevier einer politischen Niederlage.

Fortgesetzte Inkonsequenz zieht sich seit rund zehn Jahren wie ein Webfehler durch die gleichstellungspolitischen Programme für Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Zu dem Urteil kommen längst nicht mehr nur erklärte Befürworterinnen und Befürworter von Chancengleichheit, die Diagnose lässt sich auch in unabhängigen Studien nachlesen. So kommt die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung im Februar 2014 zu folgendem Ergebnis: „Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung einer Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen beschlossen. Die Expertenkommission begrüßt diese Initiative. Für die Durchsetzung von Quoten oder Zielvereinbarungen sind allerdings klar definierte Sanktionen bei Nichterreichen der Ziele entscheidend“, heißt es im EFI-Gutachten 2014.

Ein gutes Jahr später, im März 2015, beschloss die solcherart eindeutig beratene Regierungskoalition eben jene 30¬Prozent¬Quote und setzte damit einen Punkt hinter eine jahrelange kontroverse Debatte. Ab 2016 gilt die Quote – für die Aufsichtsräte von 108 Unternehmen. Bemerkenswert ist dabei weniger die Regelung selbst, sondern: Wird bei Neubesetzung eines Postens keine Frau gewonnen, bleibt der Sitz frei. Dies stellt zum ersten Mal eine Sanktion dar, wie sie das EFI-Gutachten 2014 gefordert hatte! Eine Entscheidung, die umso bemerkenswerter ist, als die Gleichstellungspolitik ansonsten so gut wie keine Sanktionsbewehrung kennt. Ein Beispiel: Laut „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ haben sich zwar rund 3500 deutsche Unternehmen künftig Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen zu setzen. Doch Konsequenzen bei Nichterfüllung brauchen sie nicht zu fürchten. Sie müssen lediglich darüber informieren, wenn sie hinter den Zielen zurückbleiben.

In der Berichtspflicht erschöpft sich denn auch die „Sanktion“, mit der Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) die sogenannten Zielquoten im Sinne des Kaskadenmodells versehen haben, die 2007 für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeführt wurden und bis heute im Rahmen des jährlichen Monitoringberichts zum Pakt für Forschung und Innovation abgehandelt werden. Wozu die Beschränkung auf die Berichtspflicht führt, lässt sich am Pakt für Forschung und Innovation beispielhaft erkennen.

Der für die Jahre 2006 bis 2010 geschlossene Pakt sah für Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Leibniz-Gemeinschaft und DFG einen jährlichen Finanzzuwachs von mindestens drei Prozent im Rahmen der institutionellen Förderung vor. Zu den Leistungen, die die so bedachten Organisationen erbringen sollten, gehörte es, die „Teilhabe von Wissenschaftlerinnen in Leitungspositionen“ zu verbessern. Für die Jahre 2011 bis 2015 stiegen die Zuschüsse für die Pakt-Mitglieder jährlich gar um fünf Prozent, um die forschungspolitischen Ziele zu verfolgen. Wie weit sind die Organisationen gekommen?

„Die Dynamik ist nicht zufriedenstellend“

Wer sich durch die vielen hundert Seiten frisst, die die Monitoringberichte umfassen, erkennt: Es geht im Schneckentempo voran. Die hunderte Millionen von Euros, mit denen (nicht nur, aber auch) die Gleichstellung in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen vorangetrieben werden sollte, haben gerade einmal zu Zielquoten geführt, die die Organisationen bis 2017 erreichen wollen. Diese Absichtserklärungen finden sich im Monitoringbericht 2013. Sieben Paktjahre waren bis dahin bereits verstrichen. Entsprechend ernüchtert stellt die GWK im gleichen Bericht fest, dass im Ergebnis „sehr begrenzte Steigerungen des Frauen-Anteils in Führungspositionen“ erreicht wurden. „Die Dynamik der erreichten Veränderungen ist nicht zufriedenstellend. Um mittelfristig eine angemessene Repräsentanz von Frauen in der Wissenschaft zu erreichen, sind die genannten Zielquoten der Forschungsorganisationen jedoch nicht hinreichend. Bund und Länder erwarten daher eine Überprüfung der Zielquoten mit dem Ziel einer Annäherung an die vom Wissenschaftsrat verlangten Veränderungsgeschwindigkeiten.“ So klar der erhobene Zeigefinger hier auch zum Vorschein kam – wer ihn ignorierte, hatte keine Nachteile. Das Geld von Bund und Ländern floss unverdrossen weiter. Im Monitoring-Bericht 2014 immerhin wurde die GWK noch deutlicher, legte das Schlaglicht des gesamten Berichts auf die Gleichstellung, um – wenig überraschend – festzustellen: „Der Frauenanteil ist jedoch gerade in den Führungspositionen noch weit von einer angemessenen Beteiligung entfernt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das zur Verfügung stehende Potenzial.“ Die Mitglieder des Paktes werden im Bericht erneut aufgefordert, die Zielquoten so anspruchsvoll zu formulieren, dass sie rasche Effekte in der Gleichstellung auslösen können. Tatsächlich geschah das Gegenteil: Die Forschungsorganisationen, die ihre selbstgesetzten Zielquoten nicht erreichten, passten diese nach unten an. Sanktionen  gab es auch dafür – keine.

In ihrem Dokument zur Weiterführung des Paktes von 2016 bis 2020 erklären Bund und Länder, dass bei der Akzentuierung der forschungspolitischen Ziele die Auswertungen der bisherigen Monitoringberichte berücksichtigt worden seien. Das klingt verheißungvoll nach Aufbruch, läuft faktisch jedoch auf einen politischen Offenbarungseid hinaus. Die im Jahr 2015 gefundene Formulierung des forschungspolitischen Ziels (Gewährleistung chancengerechter und familienfreundlicher Strukturen und Prozesse) ist wenig ambitioniert:  „Die Wissenschaftsorganisationen sollen ihre Aktivitäten, chancengerechte und familienfreundliche Strukturen und Prozesse zu gewährleisten, deutlich weiter verstärken. Vorrangiges Ziel bleibt weiterhin, signifikante Änderungen in der quantitativen Repräsentanz von Frauen insbesondere in verantwortungsvollen Positionen des Wissenschaftssystems zu realisieren; Bund und Länder legen besonderes Gewicht darauf, dass die für 2017 festgelegten Zielquoten für Frauen auf allen Karrierestufen und insbesondere in wissenschaftlichen Führungspositionen erreicht und für einen anschließenden Zeitraum neue ambitionierte Zielquoten definiert werden. Hierzu ist es erforderlich, dass die Wissenschaftsorganisationen zweckmäßige Gesamtkonzepte etablieren, die u. a. eine chancengerechte Gestaltung von Prozessen zur Besetzung von Leitungsfunktionen, deren Dokumentation, ein chancengerechtes Karrieremanagement und familienfreundliche Organisationsmodelle umfassen. In wissenschaftlichen Führungsgremien soll ein Frauenanteil von mindestens 30 % erreicht werden.“

Formulierungen wie „Aufforderungen, etwas zu realisieren“, „Gewicht auf etwas legen, um Zielquoten umzusetzen“, „Gesamtkonzepte für erforderlich halten“ und die Postulierung nicht sanktionsbewehrter Soll-Bestimmungen können nichts gewährleisten.  Es bleibt beim Pakt also bei Absichtserklärungen auf niedrigem Niveau, die Zielsetzungen bleiben im Anspruch deutlich hinter den in den Monitoringberichten gewonnenen Erkenntnissen und den Jahr für Jahr daraus abgeleiteten Anforderungen zurück. Wozu dient das Monitoring – wenn es keine direkte Steuerungsfunktion hat? Die diversen Chancengleichheitsempfehlungen des Wissenschaftsrates, die Erfahrungen mit den DFG-Gleichstellungsstandards und dem Professorinnen-Programm oder die Ergebnisse der Begleitforschung zur Exzellenzinitiative – alles weist in die gleiche Richtung:  Ohne – ich zitiere das EFI-Gutachten 2014 – „klar definierte Sanktionen bei Nichterreichen der Ziele“, also eine erhöhte Verbindlichkeit der Programme und Instrumente, wird es zu keiner nachhaltigen strukturellen und geschlechtergerechten Veränderung in der Wissenschaftslandschaft kommen.  Leider sind verpasste Chancen in der gleichstellungsrelevanten Wissenschafts- und Forschungspolitik zu konstatieren.

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