Kein Geld, nirgends
Gekürzte Gehälter, unbesetzte Stellen und die Büroreinigung aus eigener Tasche bezahlen: Die Arbeitsbedingungen an der Athener Universität sind katastrophal. Von neuen, jungen Kollegen kann man nur noch träumen. Unterkriegen lassen sich die Profs trotzdem nicht.
Schon längst hat Professor Dr. Napoleon Maravegias sein Büro einrichten wollen. Der große Raum im historischen Gebäude der Universität Athen soll durch Trennwände geteilt werden, damit zwei selbstständige Büros entstehen. Doch nichts passiert. Die Bilder, die Maravegias mitgebracht hat, um sein Büro zu dekorieren, stehen seit Wochen in Plastikfolie verpackt auf dem Boden, und der Schreibtisch von Maravegias steht noch immer nur wenige Meter entfernt vom Tisch seiner Sekretärin. Maravegias ist stellvertretender Rektor für Verwaltungsangelegenheiten der Universität und Professor für Makroökonomische Analysen und Europäische Wirtschaftliche Integration, und ihm geht es wie allen hier: Es fehlt an Geld. Wie an allen Hochschulden des Landes.
Waren im Jahre 2009, vor dem Ausbruch der katastrophalen Schuldenkrise Griechenlands, noch 40 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt für die Universität von Athen vorgesehen, sind es heute nur noch neun Millionen. „Jedes Jahr wurde die Summe kleiner“, sagt Maravegias. Die Folgen: Dringend notwendige Wartungsarbeiten finden nicht statt, es können weder Ausrüstung noch Bücher gekauft, Zeitschriften nicht länger abonniert werden. Ganz zu schweigen von den enormen Mängeln an Sicherheits- und Reinigungskräften. Insgesamt gibt es Einbußen um die 30 bis 40 Prozent in allen Bereichen der Universität. Dies betrifft auch die Gehälter der Professoren und des Verwaltungspersonals
„Ein Professor mit 25 Jahren Berufserfahrung, der sich eigentlich am Höhepunkt seiner Karriere befindet, bekommt nur noch 1900 Euro Monatsgehalt statt der 3000, die er vor dem Ausbruch der Krise verdiente”, sagt Maravegias. Unvorstellbar aus deutscher Sicht. Die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung wirken sich auch auf die Arbeitsverträge aus. Statt Professoren einzustellen, was der Ministerrat kaum noch genehmigt, werden Lehrkräfte als freie Mitarbeiter eingestellt, die ihre hohen Versicherungsbeiträge und Steuern selber zahlen müssen.
Junge Wissenschaftler gehen ins Ausland
Der schlechten Arbeitsbedingungen wegen setzen immer mehr junge Wissenschaftler ihre akademische Karriere im Ausland fort. Mehrere Studien belegen, dass der Braindrain in Griechenland in den letzten Jahren sehr groß ist. Mehr als 150 000 Hochschulabsolventen sollen das Land bereits verlassen haben. „Es ist sehr schwer, die Studenten zu überzeugen, ihre wissenschaftliche Karriere in Griechenland zu beginnen. Und wenn man sie überzeugt, wandern sie trotzdem noch ab”, so Maravegias.
Enormer Personalmangel
Der Personalmangel an der Universität Athen ist enorm. Insbesondere, weil seit 2010 keine Professoren mehr eingestellt wurden, obwohl mehrere Professoren in den Ruhestand gingen oder, was in Griechenland öfter vorkommt, auf Regierungsposten geholt wurden. 2009 hatte die Universität Athen 2200 Professoren, jetzt sind es 1850. Sie müssten immer wieder Fächer unterrichten, die gar nicht in ihrem Spezialgebiet lägen, so Maravegias. Eine Lösung wäre, emeritierten Professoren, die schon im Ruhestand sind, zu erlauben, in Regelstudiengängen zu unterrichten. Bis jetzt ist das nur bei Aufbaustudien möglich.
Durchschnittsalter steigt
Und das Durchschnittsalter der Professorenschaft ist ohnehin bereits hoch. Dies bestätigt Professor Dr. Michail Avgoustianakis von der juristischen Fakultät: Die Universität reichere sich nicht mehr mit neuem Lernpersonal an, was eigentlich die „Seele der Universität“ ausmache. „Die akademische Gemeinschaft wird immer älter. Die Zusammensetzung des Hochschulpersonals hat sich im Laufe der Jahre geändert. Das wirkt sich auch auf den Kontakt zu den Entwicklungen in der internationalen akademischen Gemeinschaft aus“, sagt er. Trotzdem versuche das Lehrpersonal der Universität, sein Bestes zu tun.
Die juristische Fakultät habe in diesem Jahr drei internationale Auszeichnungen bekommen, sagt Avgoustianakis stolz. Und dies, obwohl die Beeinträchtigungen im Alltag der Fakultät sehr groß sind: „Es gibt keine Kopiergeräte. Die Studierenden müssen die Bücher aus der Bibliothek in einen Kopierladen bringen. Für die Reinigung unserer Büros haben wir Reinigungskräfte aus eigener Tasche bezahlt. Und der Fahrstuhl funktioniert nur noch, weil zwei Kollegen dafür gesorgt haben, dass die Rechnung für die Wartung bezahlt wird.”
Rektor Maravegias würde gerne die Selbstfinanzierung der Universität ausbauen. Etwa durch weitere gebührenpflichtige Aufbaustudien auch in englischer Sprache, durch Angebote für lebenslanges Lernen an die Bürger oder durch eine Öffnung für private Geldgeber, beispielsweise Sponsoren. Letzteres ist jedoch mit der linksgerichteten Regierung schwer vorstellbar, da sie lieber auf den Staat setzt. Im April hat sie per Dekret öffentliche Einrichtungen, darunter auch die Universitäten, verpflichtet, ihre Finanzreserven an die Zentralbank zu überweisen, um mehr Liquidität zu schaffen. Die Rektoren wehren sich dagegen und fordern, die Hochschulen von dieser Maßnahme auszunehmen. „Die Universitäten befinden sich in einer desolaten finanziellen Lage aufgrund der ständigen Verringerung der Budgets und der Nichtzahlung von Zuschusstranchen im Jahre 2015“, heißt es in einer Mitteilung der Hochschulrektoren im April.
Wenn es mit den Kürzungen so weitergehe, werde man in ein paar Jahren Verhältnisse wie in Entwicklungsländern haben, fürchtet Maravegias. „Es geht schon seit fünf Jahren so. Bis jetzt haben wir es noch ausgehalten. Aber wie wird es sein, wenn wir durchgehend zehn Jahre diese Situation erleben müssen?”, fragt er. Dass die Universität noch funktioniere, sogar internationale Auszeichnungen bekomme und positive Ergebnisse bei externen Bewertungen erziele, habe damit zu tun, dass das Personal flexibel und mit großem Einsatz mit der schwierigen Situation um¬gehe, meint er. Griechenland befinde sich die letzten Jahre in einem Zustand kontinuierlicher Unsicherheit. Im Alltag herrsche ständige Unruhe. „Das Einzige, was die Lage erleichtert“, sagt Maravegias, „ist, dass wir uns allmählich an die Ungewissheit gewöhnen.“
Die Uni Athen
Die Uni Athen
Größe Die „Nationale und Kapodistrias-Universität Athen“ ist die zweitgrößte Uni Griechenlands. Sie hat acht Fakultäten, 50 000 Studierende und 3500 Mitarbeiter. 5000 Wissenschaftler forschen hier temporär.
Alter Die Uni wurde 1837 gegründet und ist die älteste neuzeitliche Universität nicht nur in Griechenland, sondern auf der gesamten Balkaninsel und des östlichen Mittelmeerraums.
Budget Der Haushalt der Universität aus öffentlichen Mitteln ist in den letzten sechs Jahren von 40 auf neun Millionen Euro geschrumpft.
Internet: http://en.uoa.gr
DUZ Magazin 06/2015 vom 29.05.2015