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Black Studies entfachen Debatte

Kann man qualitativ hochwertig forschen, ohne Betroffene im Wissenschaftlerteam zu haben? Ja klar, wäre der erste Reflex. Doch so einfach ist das alles nicht. Das lehrt die Geschichte der Forschungsgruppe Black Knowledges an der Universität Bremen.

Die Universität Bremen kennt Streit nicht nur, sie wurde gleichsam aus Protest gegründet – als linke Reformuniversität, in der Konflikte mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Programm gehören sollten; es gab Zeiten, da wurde jeden Mittwoch demonstriert statt studiert. Viel hat sich geändert, die Diskussion gesellschaftlich relevanter Fragestellungen ist geblieben. Nun hat sich –  erstaunlicherweise weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – wieder einmal ein Vorfall ereignet, der Konflikte in Wissenschaft wie Gesellschaft sichtbar macht. Eine Forschungsgruppe hat sich nach Kritik von außen selbst aufgelöst – mit der Begründung, die Kritik sei „so radikal wie richtig“, man selbst „eher Teil des Problems als der Lösung“.

Was war geschehen? Eine Gruppe Doktoranden und Habilitanden, überwiegend aus der Amerikanistik, hatte sich den Black Studies verschrieben. Zunächst nannten sie die Gruppe Bremen Black Studies, dann Black Knowledges Research Group. Schon damit, erklärt Dr. Carsten Junker, eines der Mitglieder und Mitherausgeber der Bremer Black Studies Papers, habe man deutlich machen wollen, dass es „zu keinem Zeitpunkt unser Ziel war, uns ‚schwarzes‘ Wissen anzueignen oder schwarze Menschen auf ethnografische Weise zu beforschen“. Im Internet stellte sich die Forschungsgruppe vor als Gruppe „weißer (Post)Doktorand_innen“, die „selbstverständlich kein weißer Raum bleiben“ wolle. Und: die sich bewusst sei, angesichts ihrer Zusammensetzung, in die „anti-schwarze Gewalt der weißen Vernunft“, die sie kritisiere, selbst eingebunden zu sein.

Sturm der Entrüstung

Es nützte nichts. Als die Professorin Dr. Sabine Broeck, aus deren Doktoranden und Habilitanden sich die Gruppe vor allem zusammensetzte, einen Antrag auf Gelder aus der Exzellenzinitiative stellte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Mit weiteren – weißen – Wissenschaftlern hatte Broeck eine Creative Unit zur Erforschung der „literarischen und visuellen Praxen und Diskurse der Black Diaspora in den deutschen Geistes- und Kulturwissenschaften“ gründen wollen. Statt Geld – der Antrag wurde abgelehnt – erreichte die Antragsteller ein nahezu hundertfach unterstütztes Community Statement (s. Infokasten). In harschem Tonfall wird der Vorgang als „ungeheuerlich“ bezeichnet; schwarze Wissenschaftler sollten als „Token“ verwendet, die Black Studies „in Dienst“ genommen und das „koloniale Modell der Enteignung“ bekräftigt werden. Unterzeichnet haben Wissenschaftler und Aktivisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, aber auch aus den USA, Südafrika und Martinique.

„Es gibt systematischen Ausschluss“

Was sich liest, als sei weltweit mobilisiert worden, stellt sich nach Angaben von Dr. Maisha-Maureen Eggers, Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der Hochschule Magdeburg-Stendal, anders dar: Viele Unterzeichner hätten ihre wissenschaftliche Karriere in Deutschland begonnen, dann aber angesichts der gläsernen Decke, die ihr Weiterkommen behindert habe, das Land verlassen. Eggers, eine der wenigen Unterzeichnerinnen aus Deutschland, sagt, schwarze Wissenschaftler würden hierzulande regelmäßig nicht nur nicht beteiligt: „Es gibt systematischen Ausschluss.“ So gehe es auch in dem Statement stärker um den Zugang zu Ressourcen als um die Frage, wer welche Forschung betreiben dürfe. Richtig sei aber auch: „Ich bringe eine Erfahrungsqualität mit, die weiße wissenschaftlich Tätige nicht mitbringen“, sagt Eggers, „meine Existenzweise und die Barrieren, gegen die ich ankämpfen muss, gehören zur gesellschaftlichen Situation rassistisch markierter Personen. Diese Qualität von Erfahrungen wird im deutschen Wissenschaftssystem kaum wahrgenommen und nicht repräsentiert.“

Tatsächlich wurden die Black Studies in den USA, aus denen sie stammen, von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung über Jahrzehnte erkämpft. Eine Vorkämpferin ist Angela Davis. In San Francisco entstand 1969 der erste Studiengang; viele folgten. Ihr Auftrag war von Beginn an dreifach: Menschen, die jahrhundertelang Objekt und nicht Subjekt der Geschichte waren, wollten auch auf wissenschaftlicher Ebene die Geschichte der Welt endlich selbst erzählen und so neue Narrative schaffen. Zudem sollten schwarze Lehrende Role Models für afroamerikanische Studierende sein und, drittens, dem Rassismus in der akademischen Welt etwas entgegensetzen.

Nicht allgemein akzeptiert

Die Mitglieder der Bremer Gruppe verweisen darauf, dass sich die Frage in ihrem Fall anders stelle. Es gäbe nur wenige schwarze Wissenschaftler in Deutschland. „Und auch die Black Studies sind nicht allgemein akzeptiert“, sagt Carsten Junker. An letzterem habe die Gruppe etwas ändern wollen – offensichtlich „in einer so nicht handlungsfähigen Konstellation“. Allerdings: unter der Führung einer Professorin, die seit 30 Jahren zu Themen rund um Gender und Blackness lehrt, in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland. Und die nicht zuletzt dafür gesorgt hat, dass die Hansestadt Bremen sich mittlerweile mit der Frage befasst, warum neben der Stadthalle ein steinerner Elefant steht; an einer Straße, die den Namen eines Zuckerhändlers trägt, dessen Reichtum auf Sklavenarbeit basierte. Man würde gern mit Sabine Broeck darüber sprechen, wie sie den Konflikt erlebt; sie will sich allerdings zurzeit nicht äußern. Carsten Junker, der hörbar auch enttäuscht ist von dem Vorgang, sagt: „Wenn die Debatte etwas Gutes haben kann, dann, dass Auswirkungen von weißen Mehrheitsverhältnissen in der deutschen Wissenschaft zur Diskussion gestellt werden können.“

Das werden sie nun auch. Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Konrektorin für Interkulturalität und Internationalität der Uni Bremen, hat den Verfassern des Community Statement eine Debatte über „diskriminierende und rassistische Strukturen“ an der Uni zugesichert. Einen Ort dafür gibt es bereits: die Ringvorlesung „Diversity@Uni Bremen: exzellent und chancengerecht?“. Sie hat ebenjenen Zweck, regelmäßig die Frage nach Beteiligung und Ausschluss in der Wissenschaft zu stellen.

Dass rassistische Strukturen Teil der Wissenschaft – wie auch der Gesellschaft – sind, steht für die Erziehungswissenschaftlerin ebenso außer Frage wie die Verpflichtung von Universitäten und jeder anderen „steuerfinanzierten Bildungsinstitution“, die Gesellschaft zu repräsentieren. „Wenn uns das nicht gelingt, müssen wir darüber nachdenken, warum“, sagt Karakasoglu. „Ist ein Bewerbungsverfahren, das nur nach wissenschaftlichen Verfahren auswählt, wirklich gerecht?“, laute die Frage. Mit Hinweis auf bereits etablierte Maßnahmen der Frauenförderung an Hochschulen fordert Konrektorin Karakasoglu – die auch die 2012 verabschiedete Diversity-Strategie der Uni Bremen maßgeblich vorangebracht hat – eine Diskussion über eine Ausweitung auf andere Diversitätsdimensionen. Vorbild könnte das US-amerikanische Prinzip positiver Diskriminierung sein, die sogenannte Affirmative Action.

„Wissenschaftler können nicht objektiv sein“

Die Gründe dafür, die Karakasoglu anführt, sind auch wissenschaftlicher Natur: „Von Mitgliedern, die zu verschiedenen Diversitätsdimensionen unmittelbare eigene Erfahrungen einbringen, können wir nur profitieren“, erklärt sie. „Objektiv“, sagt Karakasoglu, könne Wissenschaft nämlich insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften nicht sein: „Welche Items Sie definieren, welche Fragen Sie stellen; das hat immer einen Blickwinkel und steht in einem sozio-kulturell geprägten, gesellschaftlichen Kontext.“ Welcher das sei, müsse allerdings im Forschungsprozess als „Beitrag zur Objektivierung für andere erkennbar mitreflektiert werden“

Öffentliche Stellungnahme

Öffentliche Stellungnahme

Eine Gruppe von überwiegend afrodeutschen Persönlichkeiten sowie von US-amerikanischen Forscherinnen und Forschern hat einen offenen Brief der Empörung über das Verhalten der Bremer Forschergruppe Black Knowledges verfasst. Den Brief hat auch die US-Bürgerrechtsikone Angela Davis unterzeichnet.

Offener Brief zum Download: http://tinyurl.com/kc2olt2

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