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Sollen Profs im Bachelor lehren?

Viele Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter sind genervt von der Lehre. Sie frisst Zeit, die für die eigene Forschung dringend nötig wäre. So flammt die Idee neu auf, Lehrstuhlinhaber erst in Master-Studiengängen zur Lehre heranzuziehen. Was dafür spricht und was dagegen, erfahren Sie auf diesen Seiten.

PRO

Wolfram Koepf, Professor am Institut für Mathematik an der Universität Kassel: „Auf jeden Fall“

Sollen Professorinnen und Professoren in Bachelor-Studiengängen weiterhin lehren oder sich auf die Lehre in Master- und Promotionsprogrammen konzentrieren? Für mich ist die Antwort denkbar einfach: Selbstverständlich sollen sich Professorinnen und Professoren in der Lehre der Bachelor-Studiengänge engagieren!

Bologna-Idee funktioniert gut

Zum einen hat sich für mich de facto gar nicht so viel geändert bei der Umstellung der Studiengänge von Diplom und Magister auf Bachelor und Master, außer dass für Studierende eine neue Möglichkeit verankert wurde, die Universität bereits nach etwa drei Jahren mit einem Abschlusszeugnis zu verlassen.
Dieser neue Studienabschluss Bachelor ist naturgemäß nicht hochwissenschaftlich, das Studium in dieser ersten Phase ist in der Regel auch verschulter als bisher. Aber der erfolgreiche Bachelor-Abschluss ist die Voraussetzung für ein Weiterstudium in einem Master-Studiengang, sodass die Studierenden nach einer Gesamtstudienzeit von fünf Jahren mit dem Master einen dem Diplom oder Magister gleichwertigen wissenschaftlichen Studiengang abschließen können. Das ist jedenfalls die Idee, die meines Erachtens bislang oft auch ganz gut umgesetzt werden konnte. Die Studierenden zu diesem ersten Studienabschluss zu führen, sollten Professorinnen und Professoren nicht Lehrbeauftragten alleine überlassen.

Erfahrung mit Studienanfängern eicht den Dozenten

In meinem Fachgebiet, der Mathematik, ist es üblich, dass die Professorinnen und Professoren keine festen Zuordnungen zu den Vorlesungen unserer Studienordnungen haben. Dies trifft insbesondere auf die Studieneingangsphase zu. So wechseln sich beispielsweise auch die Dozentinnen und Dozenten der Bachelor-Vorlesungen für die Studienanfänger der ersten Semester regelmäßig ab.

In Anbetracht der Umstellung auf kürzere Schulzeiten (G8) und damit auch auf jüngere Studierende sowie reduzierte Stundentafeln im Fach Mathematik der Sekundarstufen I und II wird bundesweit beobachtet, dass der Übergang von der Schule zur Hochschule in allen MINT-Fächern schwieriger geworden ist.
Der Umgang mit Studienanfängern ist eine wichtige Erfahrung, die ich in meiner Tätigkeit nicht missen möchte und die mich als Dozenten auch immer wieder aufs Neue eicht. Diese Erfahrungen prägen auch die Neuerungen unserer Studiengänge. Ich denke, bei anderen Studiengängen ist es ebenfalls hilfreich, wenn sich Studierende und Professorinnen und Professoren frühzeitig in Lehrveranstaltungen begegnen.

Verantwortung auch für zukünftige Studierende

Zum anderen sind Lehre und Forschung die beiden akademischen Säulen, die nach meiner Ansicht für Professorinnen und Professoren denselben Stellenwert haben sollten, auch wenn dieser Grundsatz möglicherweise nicht bei jedem Berufungsverfahren vollständig zur Geltung kommt. Meiner Meinung nach ist Forschung nicht „wertvoller“ als Lehre, unsere Studierenden haben einen Anspruch auf die bestmögliche Ausbildung.

In meinem Fach gehört hierzu nicht nur die Ausbildung der Bachelor- und Master-Studierenden sowie der Doktoranden, sondern gleichzeitig (zum Teil in denselben Veranstaltungen) auch die Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer, die wiederum für die schulische Ausbildung unserer zukünftigen Studierenden sorgen müssen. Darum sollten sich natürlich die Professorinnen und Professoren kümmern.

Lehre und Forschung sind eins an einer Universität

Wenn die Lehre in den Bachelor-Studiengängen hauptsächlich von Lehrbeauftragten geleistet würde, führte dies unweigerlich bei den Professorinnen und Professoren zu einer Verschiebung ihrer Tätigkeit in Richtung Forschung, denn natürlich sind die Veranstaltungen in den Master-Studiengängen wesentlich forschungsnäher. Dies halte ich allerdings für völlig falsch.

Worin würden sich dann Universitäten noch von außeruniversitären Forschungseinrichtungen unterscheiden? Die Trennung von Lehre und Forschung mag an außeruniversitären Forschungseinrichtungen angebracht sein, an Universitäten hat sie meines Erachtens nichts zu suchen. So weit sollten wir es nicht kommen lassen!

Professor Dr. Wolfram Koepf
Fachbereich Mathematik und Naturwissenschaft Uni Kassel
E-Mail: koepf@mathematik.uni-kassel.de
Internet: www.mathematik.uni-kassel.de

 

CONTRA

Volker Haucke, Direktor des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie: „Auf keinen Fall“

Katja Knecht tritt aufs Gaspedal, ihr läuft die Zeit davon. Kaum hat sie die letzten Studenten abgefertigt, bleiben nur noch wenige Stunden bis zum Abholen der Tochter von der Kita. Zeit, die reichen muss für ein Laborexperiment, das hoffentlich den Durchbruch für die dringend benötigte Veröffentlichung liefern wird – und die Chancen auf eine Vertragsverlängerung verbessert.

Humboldts Bildungsideal existiert längst nicht mehr

Katja Knecht ist keine Fantasiefigur: Ihr Spagat zwischen Lehre, Forschung und Privatleben findet so oder ähnlich tagtäglich an deutschen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen statt. Die prekäre Lage des akademischen Mittelbaus wurde bereits vielfach beklagt, ebenso wie die gravierenden Mängel in der Lehre. Doch eine eigentlich naheliegende Lösung, wie sie die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes von 2011 auch vorsieht, lehnen die Universitäten kategorisch ab: Die Einstellung von Hochschuldozenten, deren Hauptaufgabe nicht in der eigenen Forschung, sondern in erstklassiger Lehre für Bachelor-Studenten liegt. Warum? Weil durch „Lehrknechte“ die Einheit von Forschung und Lehre in Gefahr sei, heißt es, das humboldtsche Bildungsideal beschwörend.

Hochschuldozenten für Lehre

Doch von einer Einheit von Bildung und Forschung kann schon lange keine Rede mehr sein, zumindest die unteren Semester betreffend. Das humboldtsche Ideal entstand zu einer Zeit, in der Professoren mit einer kleinen Schar Auserwählter am Kaminfeuer lehrreiche Dispute führen konnten; heute drängen sich Hunderte von Erstsemestern in einen Hörsaal. Sie kommen aus Schulen, an denen vielleicht 50 Prozent aller Schüler die Hochschulreife erlangt haben und bei denen man das Rüstzeug für ein Studium oft nicht erwarten darf.

Ein Professor, der als Molekularbiologe forscht, soll beispielsweise die Einzelheiten der Nukleotidbiosynthese darstellen – was sinnvoll ist, mit seiner aktuellen Forschung allerdings kaum etwas zu tun hat. Ihm zur Seite steht Katja Knecht, bei der die Einheit von Forschung und Lehre oftmals als unfaire Doppelbelastung stattfindet: Sie soll Seminare geben, Praktika organisieren, Studenten betreuen, sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln und wird am Ende doch nur an der Zahl ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen gemessen. Humboldt würde sich im Grabe umdrehen.

Einen Weg aus der Misere böten festangestellte Dozenten, deren Hauptaufgabe die Lehre sein müsste. Sie könnten die Ausbildung vom ersten bis zum vierten Semester übernehmen. Professoren sollten vom fünften Semester an Forschungspraktika und Bachelor-Arbeiten betreuen. Idealerweise würden die Stellen mit ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern besetzt werden, die die Lehre als Berufung erkannt haben. Realistischerweise würde man auch diejenigen einstellen, die das selbstgesteckte Ziel einer Professur nicht erreicht haben, aber Engagement in der Lehre zeigen.

Perspektive für den Mittelbau

Nicht nur die Studenten würden profitieren, es entstünden zusätzliche und benötigte Karriereperspektiven für den akademischen Mittelbau. Unbefristete Stellen im Sinne hervorragender Forschung sind nicht sinnvoll und werden auch in Zukunft nur einer kleinen Gruppe vorbehalten bleiben; doch die vielen guten und engagierten Leute, die nicht alle an die Spitze gelangen können, haben Besseres verdient, als mit Anfang vierzig auf der Straße zu stehen. Professoren könnten verstärkt Master-Studenten betreuen – und das unterrichten, was sie selbst begeistert, in einer echten Einheit von Forschung und Lehre. Auch Wissenschaftler außeruniversitärer Einrichtungen sollten noch stärker eingebunden werden.

Umgestaltung nicht zum Nulltarif

Die Stellen für Hochschuldozenten müssten zusätzlich geschaffen werden, keinesfalls dürften Forschungsprofessuren eingespart werden. Die neuen Dozenten sollten an der universitären Selbstverwaltung beteiligt werden und damit als Experten einer Kernaufgabe. Wie jede Reform wäre eine solche Umgestaltung der Lehre nicht zum Nulltarif zu haben. Doch kosteneffektiv könnte man drei Probleme zugleich angehen: Studenten würden besser ausgebildet, exzellente Forschung hätte den nötigen Freiraum, wissenschaftliche Mitarbeiter würden entlastet und erhielten neue Perspektiven. Und Humboldt könnte wieder in Frieden ruhen.

Professor Dr. Volker Haucke
Direktor des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie
E-Mail: haucke@fmp-berlin.de
Internet: www.fmp-berlin.de

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