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Wer soll das bezahlen?

Wer die Diskussion zu Studienbeiträgen in Deutschland für tot hält, irrt. Während Experten nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand für eine Neuauflage plädieren, weiten die Länder die Spielräume der Hochschulen für Gebühren aus. Geschaffen werden sie dort, wo der geringste Widerstand besteht: bei den Berufstätigen.

Die Front der Befürworter von Studiengebühren kippte in den vergangenen Jahren Land für Land; als letztes Bundesland schaffte Niedersachsen sie zu Beginn des laufenden Wintersemesters ab – und zwar von politischer Seite erstaunlich geräuschlos. Nicht ganz sang- und klanglos wollte der Präsident der Technischen Universität (TU) Braunschweig, Professor Dr. Jürgen Hesselbach, sie verabschieden: Pünktlich zum Tag ihrer Abschaffung forderte er ihre Wiedereinführung. Nun weiß Hesselbach auch, dass das die nächsten Jahre nichts werden wird. Für die Zukunft aber prophezeit er: „Für die Ewigkeit abgeschafft sind Studiengebühren nicht. Spätestens im übernächsten Wahlkampf werden sie wieder Thema.“

Doch schon viel schneller sind sie wieder auf dem Tisch, und zwar durch die Hintertür. Eine Gesetzesreform im grün-rot regierten Baden-Württemberg macht das Bezahlstudium von einer anderen Seite zum Thema: Mit dem vor genau einem Jahr geänderten Landeshochschulgesetz dürfen die dortigen Hochschulen auch weiterbildende Bachelor-Studiengänge anbieten, und zwar kostendeckend. Und auch wenn Ministerin Theresia Bauer (Grüne) dementiert, dass künftig jeder gelernte Kfz-Mechaniker später für sein Ingenieurstudium aufkommen soll (siehe Interview S. 36), bleibt: Der Weg dafür wäre wohl bereitet.

Angesichts dessen überrascht ein bisschen, wie geräuschlos auch diese Einführung über die Bühne ging. Lediglich ein paar Fachschaftskonferenzen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg warnten vor „sozialer Ausgrenzung“ und davor, dass die Aufnahme nicht allen ermöglicht würde. Tatsächlich stellt das Modell – und zwar an Hochschulen, Gesellschaft und Politik gleichermaßen – die Frage nach sozialer Gerechtigkeit ein bisschen anders als allgemeine Studiengebühren: Wie gerecht ist ein Bildungssystem, in dem, wer seit Jahren Steuern zahlt, für sein Studium tausende Euro hinblättern muss, wer just von der Schule kommt, hingegen nichts? So ist, weitgehend unangefochten, die Lage: Das grundständige Studium ist laut Landeshochschulgesetzen nun allerorten gebührenfrei; der Bereich der Weiterbildung muss ebenso allerorten kostendeckend angeboten werden.

Bemängelt hat das bereits vor mehr als zehn Jahren eine vom Deutschen Bundestag eingesetzte Expertenkommission zur Zukunft des lebenslangen Lernens: Auch nachgeholte Hochschulabschlüsse, fordert deren Abschlussbericht aus dem Jahr 2004, sollten gebührenfrei sein und zudem sollten auch Erwachsene Anspruch auf Bafög haben. Die Forderungen verhallten, wie die so vieler Kommissionen, ungehört. Richtig sei, resümiert der Bildungsökonom Prof. Dr. Dieter Timmermann, der dieser Kommission einst vorsaß, die Forderung nach wie vor. Und zwar nicht nur aus sozialen Gründen, sondern auch, um überhaupt erst einmal mehr Menschen für das Lernen im Erwachsenenleben zu begeistern: „Auch die Nachfrage nach Weiterbildung könnte größer sein“, konstatiert Timmermann.

Und: Die Angebote könnten mehr sein. Seit 1998 ist Weiterbildung laut Hochschulrahmengesetz Kernaufgabe der Universitäten. Dennoch verläuft die Entwicklung eher schleppend. „Zu 80 Prozent bieten deutsche Universitäten nach wie vor klassische Präsenzstudiengänge für Menschen, die gerade von der Schule kommen“, bemängelt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Weiterbildung, Dr. Beate Hörr (siehe auch duz MAGAZIN 9/2014, S. 19). Das, so Hörr, werde weder dem steigenden Bedarf an Kompetenzerwerb im Verlauf eines Erwerbslebens gerecht noch dem Bologna-Prozess. Der nämlich fordert nicht nur Bachelor und Master und ein europaweit vergleichbares Punktesystem zwecks Schaffung von mehr Durchlässigkeit und Mobilität. Sondern auch die Öffnung der Hochschulen für Berufstätige und die Möglichkeit, sich dort, Modul für Modul, ein Leben lang zu bilden und weiterzubilden. „Wenn wir damit ernst machen“, erklärt Hörr, „dann gibt es gar keine Weiterbildung mehr – jeder könnte jederzeit an der Uni einsteigen.“ Spätestens dann wäre die Trennung zwischem gebührenfreiem und kostenpflichtigem Studium perdu.

Solange die Hochschulen das nicht recht ernst nahmen und ihr Angebot auf teure Master-Studiengänge für Menschen, die schon einen Hochschulabschluss haben, beschränkten, fiel all das nicht weiter auf. Doch die Zeiten ändern sich zurzeit aufgrund der Förderung durch den Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung“. Denn es gibt Geld: Eine Viertelmilliarde Euro stehen bis 2020 bereit (s. S. 26ff.). Ein Blick auf die Modelle macht deutlich, wie sehr Universitäten sich ändern würden, wenn sie das erst nehmen. So plant die Technische Universität (TU) Ilmenau in Thüringen Module, die nicht nur Ingenieure mit Bachelor- oder Master-Abschluss weiterbringen, sondern auch „Absolventen von Fachhochschulen und Berufsakademien, Meistern und Facharbeitern mit und ohne Abitur offenstehen“. Um erfolgreich zu sein, erklärt der Prorektor für Bildung, Professor Dr. Jürgen Petzoldt, solle jeder „ein Angebot, das auf seine Vorbildung zugeschnitten ist, und die Betreuung, die er braucht“, bekommen. 2,7 Millionen Euro hat die TU Ilmenau dafür eingeworben. Irgendwann wird das Geld alle sein. Am Ende gelte, gibt Petzoldt unumwunden zu: „Was wir an Zusatzleistungen bringen, wird kostenpflichtig sein müssen.“

Einen weiterbildenden Bachelor wie in Baden-Württemberg plant Ilmenau bisher nicht; zurzeit gibt das thüringische Landeshochschulgesetz das auch nicht her. Vor Baden-Württemberg hat lediglich Bayern 2011 den „berufsbegleitenden Bachelor“ ins Leben gerufen – der allerdings im Wortlaut deutlicher macht, dass er neben dem Beruf studierbar sein muss. Weitere neue Landeshochschulgesetze stehen an. Weiterbildungsbefürworter wie Beate Hörr haben sich ohnehin längst entschieden: „Solange es den weiterbildenden Bachelor nicht gibt, ist das keine Hochschule des lebenslangen Lernens. Die Zeiten der Bildung von der Stange sind vorbei.“ Und Gebührenbefürworter wie Jürgen Hesselbach wittern bereits Morgenluft: Ein Modell weiterbildender Bachelor „könnte sich als Einfallstor für die Wiedereinführung von Studiengebühren herausstellen“.

Das gilt insbesondere, weil sich eine zweite Front formiert: jene, die fordern, von denjenigen Gebühren zu verlangen, die zwecks Studium nach Deutschland kommen und nicht dem Gleichbehandlungsgebot unterliegen: internationale Studierende aus Nicht-EU-Ländern. Auch hier ließ das grün-rote Baden-Württemberg 2013 die Debatte wiederaufleben; damals philosophierte die Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann in der Stuttgarter Presse über bis zu 1000 Euro pro Semester; und darüber, dass „diejenigen, die aus den USA oder Asien zu uns kommen, nicht aus den ärmsten Elternhäusern“ stammen.

Jürgen Hesselbach attestiert eine „gewisse Logik“ und fragt: „Warum sollte man jene, die für eine gute Ausbildung nach Deutschland kommen, nicht auch zur Finanzierung heranziehen?“ Kollege Professor Dr. Wolfgang Herrmann, Präsident der Technischen Universität München, springt schnell bei: „Wir dürfen den Wettbewerb, in dem wir stehen, nicht mit Einrichtungen im Sozialwesen verwechseln: Warum sollte jemand, der später unter Umständen in der Schweiz Arzt wird, in Deutschland für eine hervorragende Ausbildung keine Gebühren bezahlen?“ Das gelte erst recht, weil man den Studierenden etwas bieten müsse: „Eine Wohnmöglichkeit, Sprachkurse, umfassende Betreuung. Passgenaue Dienstleistungsangebote müssen etwas kosten – wie soll es sonst gehen?“

Darüber, ob es zulässig ist, internationale Studierende anders zu belasten als deutsche, wird mittlerweile auch juristisch debattiert: Während der Münsteraner Verwaltungsrechtler Wilhelm Achelpöhler jüngst zu einem „Nein“ kam, kommt ein von Baden-Württemberg beauftragtes Gutachten des Mannheimer Völkerrechtlers Prof. Dr. Eibe Riedel nun zu dem gegenteiligen Schluss. Den Praxistest macht die Hochschule für Musik und Theater Leipzig, die 2013 im Alleingang Gebühren für internationale Nicht-EU-Studierende einführte: 1800 Euro pro Semester. Auch deren Einführung verlief erstaunlich geräuschlos.

Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg

„Passgenaue Angebote zu entwickeln, kostet Zeit und Geld“

Stuttgart Theresia Bauer ist Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg. Seit 2001 sitzt die studierte Politikwissenschaftlerin, Volkswirtin und Germanistin für die Grünen im Stuttgarter Landtag. Der verabschiedete im März 2014 das neue Landeshochschulgesetz. Mit der duz spricht sie über über ihre Idee von offenen Hochschulen, Gerechtigkeit und Gebühren.

duz: Mit dem weiterbildenden Bachelor hat Baden-Württemberg einen Abschluss erfunden, den nicht einmal die Kultusministerkonferenz kennt. Was ist das?

Bauer: Wir wollen beruflich Qualifizierten ohne Studium einen neuen Weg zum Hochschulabschluss – nämlich zum Bachelor – ebnen. Das ist nicht nur wichtig, um die Hochschulen zu öffnen, sondern auch, um die duale Ausbildung attraktiver zu machen. Dafür begehen wir Neuland.

duz: Und es bringt Geld! Kostendeckend sollen die Gebühren sein; schnell sind einige tausend Euro im Jahr zusammen.

Bauer: Man muss sehen, dass sich der private Weiterbildungsmarkt bei nicht immer bester Qualität höchst dynamisch entwickelt. Die Hochschulen könnten hier hervorragende Qualität bieten – allerdings nicht nebenbei. Passgenaue Angebote zu entwickeln, kostet Zeit und Geld; es braucht zeitlich ebenso wie inhaltlich flexible Arrangements: Ein gelernter Elektrotechniker zum Beispiel, der an die Uni kommt, weiß berufsbezogen sehr viel, in Mathe und Physik vielleicht weniger. Um Elektrotechnik erfolgreich zu studieren, braucht er ein ganz anderes Programm als sein Kommilitone im grundständigen Studium.

duz: Nur schließt „weiterbildend“ nicht aus, dass jeder, der irgendwann eine verwandte Ausbildung absolviert hat, bald Gebühren zahlt: Bankkaufleute im BWL-Studium, Kfz-Mechaniker im Ingenieurstudium.

Bauer: Der Gedanke ist ein ganz anderer. Der weiterbildende Bachelor ist ein zusätzliches Angebot für eine zusätzliche Zielgruppe. Und er muss berufsbegleitend studierbar sein.

duz: Der eine Bachelor kommt von der Schule und studiert umsonst; der andere zahlt jahrelang Steuern und nun auch noch sein Studium. Wo bleibt die soziale Gerechtigkeit?

Bauer: Diese Frage stellt sich für die gesamte Weiterbildung. Wir sind der Überzeugung: Die Hochschulen müssen sich für neue Zielgruppen öffnen. Die Angebote hierfür kann der Staat nicht komplett umsonst vorhalten. Dass die Studierenden das allein finanzieren, ist wiederum nicht der Plan. Wir gehen davon aus, dass Arbeitgeber einen Teil der Gebühren übernehmen. In jedem Fall gilt: Die Bereitschaft zur Weiterbildung ist unter Arbeitnehmern hoch und wird von Arbeitgebern unterstützt.

duz: Autokonzerne mögen sich beteiligen. Aber die Freie Wohlfahrtspflege oder Sozialvereine? Was ist mit der freiberuflichen Hebamme, die studieren möchte?

Bauer: Das sind sensible Fragen; wir werden die Entwicklung genau im Auge behalten. Aber auch im sozialen und im Pflegebereich gibt es Fachkräftemangel und ein wachsendes Interesse der Arbeitgeber, ihren Beschäftigten attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten.

duz: Es ist nicht das erste Mal, dass die Grünen in Baden-Württemberg mit Studiengebühren bekannt werden. Vor gut einem Jahr forderte die Fraktionsvorsitzende ein Bezahlstudium für Nicht-EU-Ausländer.

Bauer: Ganz so war es nicht. Der Landesrechnungshof hatte empfohlen, Gebühren an den Musikhochschulen einzuführen, wo der Anteil der internationalen Studierenden besonders hoch ist. Daraufhin haben wir die rechtliche Möglichkeit prüfen lassen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es zulässig sein kann, bei Nicht-EU-Ausländern Gebühren zu erheben – wenn sie zum Zweck des Studiums nach Deutschland einreisen und nicht schon hier leben, zum Beispiel als Flüchtlinge. Auch könnte erlaubt sein, an einer Hochschulart Gebühren zu erheben und an der anderen nicht, also etwa an Musikhochschulen anders zu verfahren als an Fachhochschulen. Dies allerdings erfordere eine plausible Begründung und bringe daher ein besonderes Klagerisiko mit sich. Sachsen verfolgt dieses Modell bereits – da dort eine Klage anhängig ist, warten wir jetzt erst einmal die Gerichtsentscheidung ab.

duz: Und wenn die Klage in Sachsen abgewiesen wird?

Bauer: Meine Haltung ist da sehr reserviert. In jedem Fall gehört die Debatte in einen größeren und bundesweiten Kontext: Wir wollen Internationalität an Hochschulen – und diese nicht erschweren. Dazu gehört vieles: attraktive Angebote, eine gute Betreuung, englischsprachige Studiengänge, ein bundesweites Stipendiensystem. Allein darauf, dass es in Deutschland keine Studiengebühren gibt, wird sich Attraktivität auf Dauer nicht begründen lassen. In der Frage der Gebühren haben wir nun eine weitere Diskussionsgrundlage geschaffen und öffentlich zugänglich gemacht. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Fragen stellte Jeannette Goddar.

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