Wenn ein Nein kein Nein ist
Unablässige Anrufe, unerwünschte Geschenke, Drohungen per E-Mail, ständige Angst. All das macht Stalking aus.Das Opfer fühlt sich meist hilflos, denn der Täter akzeptiert Grenzen nicht. Was aber ist, wenn sich die Belästigung auf den Arbeitsplatz ausweitet? Dann sind Arbeitgeber und Kollegen gefragt.
Ein Jahr lang hielt die Beziehung. Dann trennte sich Frau R. von ihrem Lebensgefährten. Doch der konnte sich damit nicht abfinden, schrieb ihr immer wieder E-Mails, in denen er ihr seine Liebe beteuerte. Obwohl Frau R. in mehreren Gesprächen deutlich gemacht hatte, dass die Beziehung für sie beendet war, setzte er seine Kontaktversuche fort, fing sie auch vor ihrer Wohnung ab, klemmte ihr Rosen unter die Scheibenwischer ihres Autos, hinterließ Geschenke im Briefkasten. An manchen Tagen bekam sie zu Hause ununterbrochen Anrufe von ihm. Dann erzählten Freunde Frau R., dass ihr Ex-Partner sie angerufen hatte, um zu erfahren, wie es ihr gehe. Abends stand er mehrere Stunden lang vor ihrem Haus, erschien immer wieder an von ihr besuchten Orten. Frau R. schränkte ihren gewohnten Tagesablauf ein, ging nicht mehr ins Fitnessstudio und suchte andere Supermärkte auf. Die Kontaktversuche wurden immer massiver, er drohte ihr in E-Mails, dass sie schon sehen werde, was sie davon habe, wenn sie sich nicht bei ihm melde. Auch im Büro klingelte der Ex öfter an. Wenn sie nicht abhob, bekamen Kollegen den Anruf, um zu ihr weiterzuverbinden. Das Arbeitsumfeld bekam deutlich mit, dass Frau R. ängstlicher wurde und sich immer mehr zurückzog.
Dieses Beispiel schildert einen typischen Fall von Stalking. Für die Betroffenen bedeutet es, dass sie schnell an die eigenen psychischen und körperlichen Belastungsgrenzen kommen. Mit dem üblichen Verhaltensrepertoire gegenüber Belästigungen scheitern sie. Es fällt ihnen oft schwer zu verstehen, warum ein Stalker auf solche Art und Weise handelt und welche Motive dahinterstecken. Doch nicht nur der oder die unmittelbar Betroffene muss damit umgehen. In vielen Fällen ist das persönliche Umfeld involviert – und auch das berufliche. Kollegen wie Arbeitgeber sind in einer solchen Situation besonders gefordert.
Das Wort Stalking kommt ursprünglich aus der Jägersprache und bedeutet wörtlich so viel wie „sich anpirschen“ oder „anschleichen“. In vielen Studien zeigt sich, dass Stalking ein weit verbreitetes Phänomen ist. In Deutschland geht man davon aus, dass circa zwölf Prozent der Bevölkerung einmal in ihrem Leben von Stalking betroffen sind (1). Zudem handelt es sich vorwiegend um weibliche Opfer und überwiegend männliche Täter, die zumeist vor Beginn des Stalking eine Vorbeziehung hatten. Es ist aber auch möglich, dass dem späteren Stalking¬Opfer der Täter so gut wie unbekannt ist oder es nur einen kurzen Kontakt gegeben hat (2). Näher definiert handelt es sich bei Stalking um „das willentliche und wiederholte Verfolgen und Belästigen einer anderen Person, deren physische und / oder psychische Unversehrtheit und Sicherheit oder Sicherheitsempfinden dadurch bedroht wird. Darunter fallen Handlungen, die eine Schädigung der betroffenen Person oder ihres Umfeldes zur Folge haben, die von dieser als unerwünscht wahrgenommen werden und die in der Regel Angst, Sorge oder Panik bewirken“ (3).
Um Empfehlungen für den Umgang mit Stalking am Arbeitsplatz zu geben, ist es zunächst wichtig, zu verstehen, aus welchen Motiven heraus ein Stalker handelt. Einheitliche Erklärungsmodelle gibt es zwar nicht. Die praktische Arbeit jedoch zeigt, warum Stalker nicht von einer Person lassen können: Das primäre Ziel der stalkenden Person ist es, eine Beziehung, einen Kontakt zu dem Opfer herzustellen. Dazu zählen die im Eingangsbeispiel genannten Verhaltensweisen, das ständige Anrufen oder Beob¬achten beispielsweise. Ein entscheidender Faktor ist auch die fehlende Empathie für das Opfer. Stalker fühlen sich vielmehr selbst belastet, geben oft dem Opfer die Schuld für ihr Verhalten, können sich, wenn überhaupt, nur ungenügend in dessen Situation hineinversetzen und stellen somit auch ihr eigenes Verhalten nicht in Frage. So deuten sie jede Verhaltensweise des Opfers als Kontaktversuch, selbst wenn die betroffene Person beispielsweise wütend auf einen erneuten Telefonanruf reagiert.
Für die Betroffenen gilt somit als wichtigste Regel: keinen Kontakt aufnehmen und auf Kontaktversuche nicht reagieren. Das ist oft eine besondere Herausforderung, da eine normale Reaktion darin besteht, sich aktiv gegen Belästigungen und ungewollte Kontaktversuche zu wehren. In den allermeisten Stalking-Fällen führt das aber zum gegenteiligen Resultat. (4) Professionelle Begleitung ist für die Opfer deshalb sehr wichtig. Beratungsstellen helfen dabei, mit den Problemen klarzukommen, sowie rechtliche und polizeiliche Unterstützung zu erhalten. Sie zeigen, wie man etwa am besten die Stalkinghandlungen dokumentiert oder welche Schutzmaßnahmen möglich sind. Doch Stalking hinterlässt Spuren. Besonders häufig haben die Betroffenen Gefühle der inneren Unruhe, Angst, Schlafstörungen oder Misstrauen. (5) All dies wirkt sich auch auf die Arbeitsfähigkeit aus, besonders wenn die Belästigungen auf den Arbeitsplatz ausgeweitet werden. Was also können Kollegen und Arbeitgeber tun?
1. Ansprechpartner für das Opfer sein und es bestärken, Hilfe einzuschalten
Arbeitgeber oder Kollegen können von Stalking betroffene Mitarbeiter dabei unterstützen, die Hilfe von Beratungsstellen oder der Polizei zu suchen. Auch wenn die stalkende Person durch eine Ansprache des Opfers nicht erreichbar ist, gibt es doch Möglichkeiten, ihr Grenzen aufzuzeigen. Eine frühe polizeiliche Intervention ist die sogenannte Gefährderansprache. Sie bietet die größten Erfolgswahrscheinlichkeiten, um Stalking nachhaltig zu beenden. Die Gefährderansprache ist eine milde Maßnahme, um dem Stalker zu verdeutlichen, dass seine Handlungen von staatlicher Seite nicht toleriert werden. Denn auch, wenn der Stalker sich nicht in das Opfer einfühlen kann und sich berechtigt sieht, seine Belästigungen auszuführen, reagieren viele doch auf Interventionen von Autoritätspersonen. Eine solche Ansprache kann kaum bewirken, dass der Stalker sein Fehlverhalten einsieht, sie kann aber klar vermitteln, dass das Verhalten strafrechtliche Konsequenzen (6) nach sich ziehen kann.
Man kann einen Stalker nicht davon überzeugen, dass er falsch handelt
2. Kollegen informieren und um Hilfe bitten
Es kann, wie im oben beschriebenen Fall, zur Ausweitung des Stalking an den Arbeitsplatz kommen, etwa indem ein Mitarbeiter ständig Anrufe bekommt, Geschenke geliefert werden oder der Stalker vor oder im Gebäude auftaucht. Ebenso kann es sein, dass Kollegen des Opfers angerufen werden, von denen der Stalker Informationen erhalten will. Mitunter sollen sie Botschaften übermitteln oder müssen sich Diffamierungen des Opfers anhören. Für den von Stalking Betroffenen ist es deshalb wichtig, den Arbeitsbereich über dieses Problem zu informieren. Die Kollegen müssen wissen, dass sie im Fall einer Kontaktaufnahme nicht reagieren dürfen. Auch sie können einen Stalker nicht davon überzeugen, dass er falsch handelt. Wichtig ist für alle Beteiligten: Sie dürfen dem Stalker gegenüber nicht emotional werden. Sie müssen sachlich bleiben und dürfen keine Auskünfte erteilen. Besonders wirkungsvoll erweisen sich sogenannte Boomerang-Sätze wie: „Ich kann Ihnen dazu keine Auskunft geben“. Dadurch lassen sie sich nicht in Diskussionen verstricken, können den emotionalen Abstand zu der Person wahren. Unabhängig davon, wie der Stalker darauf reagiert, kann der Satz wiederholt werden und eignet sich dazu, ein Gespräch schnell zu beenden.
3. Die Führungskraft schaltet sich direkt ein
Weiterhin hat es sich als wirksam erwiesen, wenn der Vorgesetzte des Opfers oder eine andere Führungskraft dem Stalker klare Grenzen aufzeigt. So sollte der belästigenden Person vermittelt werden, dass sie durch ständige Besuche oder Anrufe den Betriebsablauf stört und dies nicht geduldet wird. So können Arbeitgeber etwa ein Hausverbot aussprechen. Mit dem Aufzeigen solcher Grenzen wird dem Opfer zugleich signalisiert, dass sein Problem ernst genommen wird. Das ist eine wichtige mentale Unterstützung. Vorgesetzte können Arbeitsplätze eventuell auch umstrukturieren, etwa neue Telefonnummern vergeben. Das entlastet das Opfer ebenfalls und ist ein wichtiger Beitrag für die subjektive Sicherheit am Arbeitsplatz. Stalking verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Konsequenz, da dem Stalker meist über einen längeren Zeitraum verdeutlicht werden muss, dass sein Verhalten unerwünscht ist. Der gesamten Belegschaft muss deutlich gemacht werden, dass das Opfer Unterstützung braucht, dass dazu jeder Einzelne bei den gesetzten Grenzen bleiben muss, dass keine Kontaktaufnahme zum Stalker erfolgt, dass keine Diskussionen geführt werden.
4. Auch als Führungskraft externe Beratung in Anspruch nehmen
Stalking bringt alle Beteiligten an Grenzen. Das gilt auch für Vorgesetzte. Eine externe Unterstützung ist deshalb immer wichtig, um Handlungen zu vermeiden, die das Stalking eventuell noch verstärken. So versuchen viele Beteiligte, Konflikte über das Verständnis für das Opfer zu lösen und den Täter dadurch zum Aufgeben seiner Handlungen zu bewegen. Das hat allerdings in diesen Fällen keinen Erfolg. Vielmehr geht es darum, gemeinsam mit professionellen Kräften eine wirksame Strategie zu entwickeln, um das Opfer sowie die Arbeitskollegen vor anhaltenden Repressalien zu schützen. Der Weiße Ring etwa ist eine gemeinnützige Organisation für Kriminalitätsopfer und von Gewalt betroffene Personen sowie deren Angehörige. Neben rechtlichem Beistand bietet sie Beratung an und hat einen guten Überblick über lokale Unterstützungsangebote.
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Fußnoten:
1) Dressing, H., Kühner, C. & Gass, P. (2005): Prävalenz von Stalking in Deutschland. Psychiatrische Praxis, 32(2), S. 73–78.
2) Voß, H.-G.W. & Hoffmann, J. (2006): Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking. In: J. Hoffmann & H.-G.W. Voß (Hrsg.): Psychologie des Stalking: Grundlagen – Forschung – Anwendung. Frankfurt/ M.: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 9-26.
3) Handlungsleitlinien Stalking, HLKA, S. 2-3, zitiert nach Voß, H. W., Hoffmann, J. (Hrsg.): Themenheft Stalking. Polizei und Wissenschaft (4/2002).
4) Voß, H.-G.W., Hoffmann, J. & Wondrak, I. (2006): Belästigung – Bedrohung – Gefährdung. Stalking aus Sicht des Stalkers. In: J. Hoffmann & H.-G.W. Voß (Hrsg.): Psychologie des Stalking: Grundlagen – Forschung – Anwendung. Frankfurt/ M.: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 93-104.
5) Wondrak, I., Meinhardt, B., Hoffmann, J. & Voß, H.-G.W. (2006): Opfer von Stalking – Ergebnisse der Darmstädter Stalkingstudie. In: J. Hoffmann & H.-G.W. Voß (Hrsg.): Psychologie des Stalking: Grundlagen – Forschung – Anwendung. Frankfurt/ M.: Verlag für Polizeiwissenschaft, S. 45-61.
6) Der Straftatbestand von Stalking ist in § 238 BGB (Nachstellung) geregelt, hier sind Freiheitsstrafen von 3 Monaten bis 5 Jahren ausgewiesen.
Weiterführende Infos
Literatur
Hoffmann, J. / Voß, H.-G.W. (Hrsg.) (2005): Psychologie des Stalking. Frankfurt a.M.
Internet
www.stalking-nrw.de (Info-Seite mit nützlichen Hinweisen, auch außerhalb von NRW)
www.weisser-ring.de
DUZ Magazin 11/2014 vom 24.10.2014