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Wie weit die Loyalität reicht

Soll man bei Missständen einfach an die Öffentlichkeit gehen? Den Schritt überlegen sich Angehörige von Hochschulen genau, zeigt eine Studie der Universität Münster. Doch die Verschwiegenheit gilt nicht bedingungslos.

Sie hatte es sich offensichtlich ganz einfach vorgestellt. Im März 2007 verhängte Prof. Dr. Monika Auweter-Kurtz, damals Präsidentin der Uni Hamburg, ihren Professoren einen Maulkorb. Sie möchte daran „erinnern“, schrieb sie in einem Brief an die Dekane, dass die Außenvertretung der Hochschule allein der Präsidentin vorbehalten sei, Professoren mögen an die Pressestelle verweisen, wenn sie von Journalisten um eine Stellungnahme gebeten werden. In der Vergangenheit hätten sich nicht alle daran gehalten, heißt es weiter: „Sie werden verstehen, dass dies im Interesse einer einheitlichen und professionellen Darstellung der Universität nach außen leider kontraproduktiv ist.“ Wenige Wochen zuvor hatte eine Dozentin in einem Fernsehmagazin über die prekäre Beschäftigungssituation von Lehrbeauftragten gesprochen, recht allgemein, ohne die Uni Hamburg direkt zu erwähnen. Das war der Präsidentin wohl zu viel der schlechten Presse – und entsprechend rabiat reagierte sie.

Der Maulkorb der umstrittenen Uni-Chefin ist ein krasses Beispiel für einen sich wandelnden Umgang der Hochschulen mit den Medien. Dr. Andres Friedrichsmeier führt es regelmäßig an, wenn er vor Hochschulvertretern referiert: „Die Direktive von oben kam bei den Kollegen nicht gut an“, sagt der Kommunikationswissenschaftler aus Münster. Er hat untersucht, wann sich Hochschulmitarbeiter an die Presse wenden, den Hörer in die Hand nehmen, um einen Journalisten anzurufen, auspacken, Interna weitergeben – zu sogenannten Whistleblowern der Medien werden. Und warum sie manchmal allem Ärger zum Trotz doch lieber ihren Mund halten.

Das Fazit der Forscher: Die meisten Mitarbeiter stehen – anders als der Hamburger Maulkorb-Erlass es nahelegen könnte – äußerst loyal zu ihren Hochschulen. Sie scheuen grundsätzlich davor zurück, sich mit Kritik am Präsidenten an die Medien zu wenden. Allerdings: Dieses Tabu bröckelt.

„Die Öffentlichkeit spielt eine immer größere Rolle“

Über die Medien wird Politik gemacht

Seit 2009 arbeiten Friedrichsmeier und seine Kollegen an dem Thema. Sie haben 60 ausführliche Interviews mit Hochschulentscheidern, Professoren und Dekanen geführt, dazu Befragungsdaten erhoben. Die Medien, so viel ist festzuhalten, sind für Hochschulen heute wichtiger denn je. Rektoren versuchen mit ihren Einrichtungen in Zeitungen, Magazinen und Onlinediensten erwähnt zu werden, um sich einen guten Namen zu machen, Fördergelder zu akquirieren, die besten Forscher, die besten Studierenden für sich zu gewinnen – und um Druck auf die Politik auszuüben. „Im Zuge der Reformpolitik, der neuen Autonomie und der größeren Unabhängigkeit von den Ministerien spielt die allgemeine Öffentlichkeit für die Hochschulen eine immer größere Rolle“, erklärt Friedrichsmeier. „Jüngstes Beispiel für öffentliche Kritik an einem Ministerium ist das Hochschulzukunftsgesetz in Nordrhein-Westfalen.“ Der Widerstand gegen das Gesetz, mit dem sich die Düsseldorfer Landesregierung wieder mehr Mitsprache in der Hochschulpolitik sicherte, war laut – und wurde zu einem erheblichen Teil über die Medien ausgetragen. Es gab Presseerklärungen von namhaften Forschungseinrichtungen, einen Brandbrief der Landesrektorenkonferenz, viele Berichte in den Medien. Und der Gang an die Öffentlichkeit hatte Erfolg: Die Gesetzesnovelle wurde geändert.

Die Münsteraner Wissenschaftler gehen davon aus, dass nicht einmal eine tatsächliche Berichterstattung in den Medien stattfinden muss. Es reicht schon aus, wenn Entscheider einen diffusen Mediendruck wahrnehmen. Bereits das veranlasse sie zum Handeln. Es könnte ja jederzeit was in der Zeitung stehen. Zumindest für Hochschulmanager ist Medienarbeit damit zu einem strategischen Instrument geworden. Doch gilt das auch für Wissenschaftler in der zweiten und dritten Reihe?

Wenn Hochschulmanager so stark auf die Medien setzen, dann, so die Vermutung der Münsteraner Forscher, werden auch Professoren offener – auch offener mit öffentlicher Kritik. Immer weniger Professoren und Dekane scheuen davor zurück, Informationen nach außen zu geben, wenn in ihrem Haus etwas schiefläuft: 36 Prozent der Professoren, so das Ergebnis der Untersuchung, stehen öffentlicher Kritik an der Hochschulleitung aufgeschlossen gegen¬über und unterscheiden sich damit nur minimal von Rektoren und Präsidenten. Unter den Hochschulleitern halten es 39 Prozent für legitim, die Medien einzuschalten, um Kritik am Ministerium zu äußern. Doch es gibt immer noch Grenzen, sagt Friedrichsmeier.

Nach wie vor ein Tabu ist es, als Professor mit Streitigkeiten im eigenen Fachbereich an die Öffentlichkeit zu gehen, ergaben die Umfragen. Unter Kollegen gelte man dann schnell als Nestbeschmutzer. Wer dieses Tabu breche, habe zwar meist keine „harten“ Sanktionen durch den Dienstvorgesetzten zu befürchten, und direkte Auswirkungen auf die wissenschaftliche Karriere scheint es in der Regel nicht zu geben. Zu rechnen habe man wohl aber mit Konsequenzen durch die Kollegen. Man stehe im Team da wie jemand, auf den man sich nicht vollkommen verlassen kann, sagt einer, der dieses Tabu gebrochen hat.

Unproblematischer erscheint es, wenn die Kritik auf eine höhere Ebene zielt, wenn Kollegen also Entscheidungen öffentlich kritisieren, die oberhalb ihres eigenen Fachbereichs getroffenen wurde, im Rektorat oder im Ministerium. Nur knapp jeder achte Professor hält es heute für ein absolutes Tabu und unter keinen Umständen für angemessen, mit seiner Unzufriedenheit mit der eigenen Hochschulleitung an die Öffentlichkeit zu gehen. Gegen öffentliche Kritik am Ministerium habe fast niemand mehr etwas einzuwenden.

Aber auch hier agieren die wenigsten leichtfertig: Bevor sich Hochschulmitarbeiter dazu entschließen, versichern sie sich oft der Unterstützung von Kollegen oder Studierenden, gaben sie in den Interviews an. „Man muss dann schon sehen, dass eine ganze Fakultät sich vielleicht über die Entscheidung einer Universitätsspitze aufregt“, sagt ein Professor, den die Forscher befragt haben.

„Flucht in die Öffentlichkeit“

Prof. Ulf Pallme König hat Erfahrungen mit Whistleblowing. Der Jurist war 22 Jahre Kanzler an der Uni Düsseldorf und ist heute Vorsitzender des Vereins zur Förderung des deutschen und internationalen Wissenschaftsrechts. Als die Düsseldorfer Uni die Doktorarbeit der damaligen CDU-Bildungsministerin Annette Schavan auf Plagiate überprüfte, sickerten Teile des internen Gutachtens an die Presse; weitergegeben hatte sie möglicherweise ein Mitglied des Promotionsausschusses. Die undichte Stelle wurde bis heute nicht gefunden.

„Das war ein Fall für den Staatsanwalt“

„Das war ein Fall für den Staatsanwalt, der dann auch ermittelt hat“, sagt Pallme König. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Wäre der Täter erwischt worden, hätten ihm als Beamten ein Disziplinarverfahren und gegebenenfalls eine Entfernung aus dem Dienst gedroht. Für einen Angestellten wäre das ein möglicher Kündigungsgrund gewesen.

„Flucht in die Öffentlichkeit“ nennt Pallme König es, wenn Mitarbeiter Interna publik machen, um so auf Missstände hinzuweisen. Dabei gebe es genügend andere Wege, um Konflikte zu lösen. Mitarbeiter können sich zum Beispiel an Vorgesetzte oder den Personalrat wenden. Gehe es um die Verschwendung von Steuergeldern im eigenen Haus, sei die oberste Dienstbehörde Ansprechpartner, bei illegalen Machenschaften wie Korruption das Innenministerium.

Die Indiskretion im Plagiatsverfahren ist für Pallme König allerdings ein Ausnahmefall; für repräsentativ hält er das Beispiel nicht. Dass immer mehr Wissenschaftler sich mit ihrer Kritik direkt an die Medien wenden, entspreche nicht seiner Erfahrung, sagt er: „Ein solches Verhalten wäre ein Verstoß gegen die Loyalität, zu der jeder Mitarbeiter einer Hochschule gegenüber seinem Arbeitgeber verpflichtet ist“, sagt er. Jeder Mitarbeiter habe sich uneingeschränkt in den Dienst der Hochschule zu stellen und zu ihrem Wohl und Gelingen beizutragen – vom Hausmeister bis zum Präsidenten. Daraus folge auch die Verschwiegenheitspflicht.

„Wissenschaftler sollten Anfragen von Journalisten direkt beantworten können, wenn es um Fachliches geht – ohne bei der Pressestelle anklingeln zu müssen“, meint der Experte für Public Relations, Prof. Dr. Thomas Pleil, von der Hochschule Darmstadt. Hochschulpolitisches, Verwaltungsfragen, Finanzfragen und Krisen wiederum seien bei der Pressestelle besser aufgehoben.

Doch auch für Pleil gibt es Grenzbereiche, in denen Professoren von diesem Weg abweichen dürfen. Etwa bei Verstößen gegen die sogenannte Zivilklausel, mit der sich viele Wissenschaftseinrichtungen verpflichten, nicht für militärische Zwecke zu forschen. Oder wenn die Schließung des gesamten Fachbereiches einer Hochschule droht. „Solche  Themen betreffen die Gesellschaft. Dabei sollten auch Wissenschaftler öffentlich mitdiskutieren“, sagt er.

Die Hamburger Uni-Präsidentin Auweter-Kurtz verließ zwei Jahre nach dem Maulkorb-Brief die Uni, drei Jahre vor dem eigentlichen Ende ihrer Amtszeit. Die heutige Hochschulführung in Hamburg sieht die Öffentlichkeitsarbeit gelassener. In der Regel sei die Pressestelle die erste Anlaufstelle für Publikumsmedien. „Die Presse kann sich bei Fachfragen aber auch direkt an die Wissenschaftler wenden“, sagt die Referentin des Präsidenten für Presse¬ und Öffentlichkeitsarbeit, Christiane Kuhrt.
In Münster läuft es offenbar ähnlich. Andres Friedrichsmeier muss seine Zitate aus diesem Artikel nicht der Pressestelle der Uni Münster vorlegen.

Pflicht zur Loyalität

Pflicht zur Loyalität

Ein Hochschulmitarbeiter ist zur Loylität gegenüber seinem Arbeitgeber verpflichtet. Das gilt für Beamte wie für Angestellte. Was das heißt, erklärt der Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Dieter Kugele von der Universität Leipzig.

Verschwiegenheitspflicht
Ein Hochschulmitarbeiter darf in der Regel keine Informationen aus einem laufenden oder noch nicht genehmigten Verfahren veröffentlichen. Er darf zum Beispiel einem Journalisten kein Projekt vorstellen, das noch nicht genehmigt ist, und keine Infos zu eventuellen Stelleneinsparungen weitergeben.

Korruptionsverdacht
Eine Ausnahme besteht nur im Falle eines Korruptionsverdachts, den der Hochschulmitarbeiter unmittelbar zum Beispiel bei der Staatsanwaltschaft melden darf.

Ehrenrührige Behauptung
Ein Mitarbeiter darf keine ehrenrührigen und unwahren Behauptungen über Kollegen in die Welt setzen. Und er darf keine Beleidigung aussprechen.

Grenzbereiche

Grenzbereiche

Die Macht der Professoren
„An Hochschulen herrscht eine viel größere Freiheit als in Unternehmen oder Behörden. Die Hierarchien sind viel geringer“, sagt der Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Dieter Kugele von der Uni Leipzig. „Wie soll eine Hochschule zum Beispiel einem 55-jährigen weltbekannten, gefragten Lehrstuhlinhaber, der seine Loyalitätspflicht verletzt hat, begegnen? Sie wird nur ungern auf ihn verzichten und daher nur in besonders schwerwiegenden Fällen mit rechtlichen Konsequenzen reagieren.“

Informieren oder taktieren?
„Die Grenzen sind fließend, wenn es um die Verschwiegenheitspflicht geht“, sagt der Verwaltungsrechtler Ulf Pallme König. Wie bei dem Fall an einer deutschen Uniklinik: Ein Journalist hatte dort nachgefragt, ob die Isolierstation für Ebolafälle gut ausgerüstet und vorbereitet sei. Der zuständige Arzt bejahte das, wies aber auch auf noch bestehende Mängel hin. Das konnte der Verwaltungschef dann am nächsten Tag wenig erfreut in der Zeitung lesen. „Was wiegt hier mehr? Das öffentliche Recht auf Information, das Interesse des Arztes an besserer Ausstattung, seine Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder die Reputation der Uniklinik?“

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