Mit einem Fuß in der Tür
Vor einem halben Jahr haben die Schweizer für eine Zuwanderungsbegrenzung gestimmt – und damit auch den Wissenschaftleraustausch gestört. Jetzt hat die Politik die Tür ein Stück weit öffnen können. Ein Unileiter und ein Forscher beschreiben, was das praktisch heißt.
RALPH EICHLER, Präsident der ETH Zürich: „Wie es ab 2017 weitergehen wird, wissen wir nicht. Die Folgen spüren wir“
Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich ist eine naturwissenschaftlich-technische Hochschule, die in der Schweiz verankert und mit der weltweiten Wissenschaftsgemeinde vernetzt ist. Sie pflegt die internationale Zusammenarbeit und misst sich mit den führenden Universitäten der Welt. Der Austausch mit Forschenden in Europa und die europäischen Forschungsrahmenprogramme haben deshalb eine große Bedeutung für uns: Allein zwischen 2007 und 2013 hat sich die ETH Zürich an rund 550 Forschungsprojekten beteiligt, bei 27 davon als führende Institution in der Rolle der Projektkoordinatorin.
Darum ist es für die ETH Zürich – und für die Schweizer Hochschulen – wichtig, dass sich die Schweiz und die EU auf eine Teilassoziierung am europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 geeinigt haben. Für unsere Forschenden heißt das, dass sie sich provisorisch seit dem 15. September wieder als gleichberechtigte Partner an den Aktivitäten des sogenannten Ersten Pfeilers von Horizon 2020 beteiligen können. Das entsprechende Abkommen unterzeichnen die Schweiz und die EU voraussichtlich im Dezember. Es gilt vorerst bis Ende 2016.
Für die ETH Zürich und die Schweizer Hochschulen ist das ein erfreulicher Fortschritt: Seit nämlich im vergangenen Februar eine sehr knappe Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten für eine begrenzte Zuwanderung stimmte, konnten unsere Studierenden und Forschenden nicht mehr uneingeschränkt an allen EU¬Programmen teilnehmen.
Nun stehen unseren Forschenden die Türen zu den ERC-Grants, den Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen, den Future and Emerging Technologies (FET), den Forschungsinfrastrukturen und zum Programmteil Spreading Excellence and Widening Participation wieder als gleichberechtigten Partnern offen. Bei allen übrigen Ausschreibungen von Horizon 2020 bleibt die Schweiz jedoch im Drittstaatmodus, und wie es ab 2017 weitergehen wird, wissen wir derzeit nicht. Die Folgen spüren wir …
... in der Internationalisierung und Mobilität.
Die ETH Zürich ist ein Magnet für ausgezeichnete Forschende aus aller Welt: Zwei Drittel der Professorinnen und Professoren und rund die Hälfte des Personals stammen aus dem Ausland – die meisten aus Deutschland und anderen EU-Ländern. Eine Basis dafür waren die Assoziierungsabkommen zwischen Bern und Brüssel. Ohne Abkommen erfordern Austausch und institutionelle Partnerschaften Zusatzanstrengungen: Bei Erasmus+ muss die ETH Zürich die bilateralen Austauschverträge mit den Partnerhochschulen jeweils einzeln aushandeln. Zudem zahlt sie die Austauschaufenthalte der eigenen und der ausländischen Studierenden selber. Bei den Verbundprojekten innerhalb von Horizon 2020 bezahlt die Schweiz die Teilnahme ihrer Forschenden ebenfalls direkt.
... im Wettbewerb und bei den Karrierechancen
Besonders wichtig für die Forschenden der ETH Zürich und der Schweiz ist, dass sie sich am internationalen Wettbewerb um die Exzellenzstipendien des Europäischen Forschungsrats (ERC) beteiligen können: Die ERC Grants haben sich seit ihrer Einführung 2007 europaweit als Vergleichsmaßstab und Gütesiegel für Spitzenforschung durchgesetzt. International sind sie die Währung für wissenschaftliche Qualität. Die hohe Erfolgsrate von rund 30 Prozent, die Forschende der ETH Zürich bei den Stipendien des Forschungsrats von 2007 bis 2013 erzielten, zeigt: Für Forschende am Beginn einer wissenschaftlichen Laufbahn ist die ETH Zürich eine Topadresse, und die ERC Grants sind ein wichtiger Gradmesser dafür. Sollte die Assoziierung ab 2017 langfristig ausbleiben, stellen wir uns darauf ein, dass der Wettbewerb um exzellente Forschende für uns härter wird.
... in der Attraktivität der Universität
Ohne Vollbeteiligung sind die Schweizer Hochschulen als Gastinstitution für Forschende mit ERC Grants ausgeschlossen. Dasselbe gilt für Postdocs, die ein Stipendium im Rahmen der Marie-Skłodowska-Maßnahmen erhalten. Ein Ausschluss aus den wichtigsten Karriereförderinstrumenten der EU kann sich deshalb nachteilig auf die Attraktivität der Schweiz und der ETH Zürich für exzellente junge Forschende auswirken.
Was wäre das Ideal?
Dass sich die Studierenden und Forschenden der ETH Zürich und in der gesamten Schweiz auch ab 2017 gleichberechtigt an Erasmus+ und Horizon 2020 beteiligen können.
Kontakinformationen:
Prof. Dr. Ralph Eichler
Präsident der ETH Zürich
Kontakt: Dr. Norbert Staub
E-Mail: norbert.staub@hk.ethz.ch
Internet: www.hk.ethz.ch
TOBIAS ERB, Nachwuchsgruppen-Leiter an der ETH Zürich: „Ich habe schweren Herzens die Konsequenzen gezogen.“
Dass die Schweiz bei den EU-Programmen Erasmus+ und Horizon 2020 teilweise weiter als Drittstaat behandelt wird, berührt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauso empfindlich wie Hochschule und Forschung insgesamt. Nämlich ...
... in der Internationalisierung und Mobilität
Die Schweiz liegt im Herzen Europas und hat einen extrem hohen Anteil an ausländischen Forschern. Fast 70 Prozent (!) der Professuren an der ETH sind international besetzt. Dies führt automatisch zu einer guten Vernetzung mit dem Ausland, die sicher erhalten bleiben wird. Dennoch ist der Schweizer Teilausschluss ein Rückschlag. Bei den EU-Programmen geht es nicht nur um großzügige finanzielle Mittel, sondern für Nachwuchsforschende vor allem auch um die persönliche Freizügigkeit, ein Forschungsprojekt an einem Ort ihrer Wahl durchführen zu dürfen. Viele Nachwuchskräfte befinden sich zum Zeitpunkt ihrer Erstförderung in befristeten Verhältnissen, wobei die Aussichten auf eine Berufung für diejenigen deutlich steigen, die mit einem Stipendium des Europäischen Forschungsrates (ERC) ausgezeichnet werden. Sicher ist, dass es in der momentanen Lage für Schweizer Hochschulen kompliziert wird, bereits erfolgreiche sowie potenzielle zukünftige ERC¬Bewerber zu berufen. Dabei war es gerade die Schweiz, welche die Idee der europäischen Mobilität bisher am konsequentesten umsetzte und davon profitieren konnte.
... im Wettbewerb und bei den Karrierechancen
Die Tatsache, dass die Schweizer Regierung alles daran gesetzt hat, zumindest eine Teilassoziierung bis Ende 2016 zu erreichen, zeigt, wie wichtig Exzellenzförderung in der heutigen Zeit im Kampf um die besten Köpfe geworden ist. Ich bin erleichtert, dass diese kurzfristige Lösung zumindest Wissenschaftlern, die bereits in der Schweiz verankert sind (zum Beispiel Assistenzprofessoren und Senior-Postdocs), weiterhin die Chance bietet, herausfordernde Projekte verfolgen zu können.
Ob diese Übergangslösung ausreicht, um herausragende Nachwuchswissenschaftler aus dem Ausland zu gewinnen, bleibt abzuwarten, denn: Warum sollte man sich an ein zwar exzellentes, aber dennoch limitiertes nationales Wissenschaftsumfeld binden, wenn die längerfristigen Aussichten, in diesem System unterzukommen, doch eher gering sind und der zukünftige Verbleib im EU-Förderprogramm nicht garantiert ist? Ich selbst habe schweren Herzens die persönlichen Konsequenzen aus der unsicheren Lage im Frühjahr 2014 gezogen und mich wissenschaftlich an einem Land orientiert, das mir zu diesem Zeitpunkt sicheren Zugang zur EU-Förderung bieten konnte, um mit meiner Nachwuchsgruppe weiterhin konkurrenzfähig forschen zu können. Ab November werde ich eine unabhängige Forschergruppe am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg leiten.
... in der Attraktivität der Universität
Um die ETH Zürich mache ich mir erst einmal keine Sorgen. Dieser Ort wird ein internationaler Wissenschaftsmagnet bleiben, denn die Rahmenbedingungen und die Anzahl herausragender Persönlichkeiten in Zürich sind einzigartig. Allerdings bleibt fraglich, wie sich Spitzenforschung in Zürich bzw. in der Schweiz über das Jahr 2016 hinaus darstellen wird. Wird man dann verstärkt bereits in der Schweiz etablierte Kräfte fördern oder ist die Schweiz bis dahin wieder vollständig mit den EU-Förderprogrammen assoziiert, sodass sie weiterhin exzellenten Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit bietet, für eine befristete Zeit in einem stimulierenden Umfeld zur kreativen und innovativen Atmosphäre beizutragen? Letzteres wird meiner Meinung nach extrem wichtig für den Erhalt der vibrierenden Atmosphäre, wie ich sie in Zürich erlebe, sein, denn es ist eine Tatsache, dass die Konkurrenz in kleineren nationalen Programmen natürlich eine ganz andere ist als in einem europaweiten Selektionsverfahren.
Was wäre das Ideal?
Spitzenforschung funktioniert in Europa nur, wenn Wissenschaft grenzüberschreitend organisiert ist und wenn es einen Wettkampf um die besten Ideen gibt, der uns zu neuen Höchstleistungen stimuliert. Die Schweiz braucht uneingeschränkten Zugang zu den EU-Programmen, um weiterhin kompetitiv und vernetzt zu bleiben, und die EU-Programme brauchen die Schweiz als Partner mit hohem Innovationspotenzial, um ihren hohen Standard weiterhin halten zu können. Dabei muss aber die persönliche Freizügigkeit als Schlüssel zu einer erfolgreichen Fortsetzung der EU-Förderprogramme garantiert bleiben. Dies sage ich nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als überzeugter Europäer.
Kontakinformationen:
Dr. Tobias Erb
Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich
E-Mail: toerb@ethz.ch
Internet: www.micro.biol.ethz.ch/people/toerb
DUZ Magazin 10/2014 vom 26.09.2014