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Dresden beschreitet Neuland

Erst die Stelle beschreiben, dann den Prof suchen: So läuft das an Unis in Deutschland. Die Technische Universität Dresden machte es einmal anders und konnte sich vor Bewerbern kaum retten.

Davon träumen viele Wissenschaftler: Von einer Berufung und einer Stelle, die sich ganz an ihrem eigenen Profil orientiert. Doch das ist selten. Meist haben Bewerberinnen und Bewerber auf eine Professur nur eine Chance, wenn sie exakt in die fachliche Lücke passen, die ihre Vorgänger reißen. In Dresden ist das nun nicht mehr überall so. Vor einem Jahr schrieb die Technische Universität (TU) bei ihrer Suche nach zehn klugen Köpfen kein Fach und keine Disziplin vor. Kriterien waren Exzellenz, Innovation und die Interdisziplinarität in Forschung und Lehre. Das Echo war überwältigend. 1300 Bewerbungen trafen ein, 500 davon aus dem Ausland.

„Wir bekommen zehn völlig neue Arbeitsgebiete, die wir im klassischen Verfahren nicht aufgegriffen hätten“

„Wir haben Spitzennachwuchswissenschaftler gesucht und bekommen mit ihnen zehn neue Themenfelder, völlig neue Arbeitsgebiete, die wir im klassischen Berufungsverfahren wahrscheinlich nicht aufgegriffen hätten“, erklärt Rektor Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen. Mit den sogenannten Open Topic Tenure Track-Professuren strebt die TU Dresden gezielt nach Erneuerung. Professuren ohne inhaltliche Vorgaben auszuschreiben, ist ein Luxus, den sich Unis in der Regel nicht leisten können. Die TU Dresden finanzierte das Programm mit 20 Millionen Euro aus der Exzellenz-Initiative.

Den Spielraum gibt es zumeist nicht. Gerade an mittleren oder kleinen Universitäten müssen die Löcher in Forschung und Lehre unmittelbar gestopft werden, die bei der Pensionierung von Professoren entstehen. Deshalb werde man sich dort mit einem solch offenen Konzept schwer tun, meint Dr. Cornelis Menke, Mitglied der Jungen Akademie und Forscher an der Abteilung Philosophie der Universität Bielefeld. Menke verfolgt die bundesdeutsche Berufungspraxis bereits seit Längerem mit kritischem Blick.

Stellenangebote deutscher Hochschulen läsen sich neben Ausschreibungen in den USA zumeist wie „Steckbriefe“. Von ungefähr kommt das nicht. So wollen und müssen bestehende Forschungs- und Lehrprofile an Hochschulen längerfristig verfolgt und angeboten werden. Hochschulen prägen Profile aus, die über einzelne Stelleninhaber hinweg Bestand haben müssen. Und doch bieten offene Ausschreibungen immer auch Chancen. Sie sind ein Weg für alle Hochschulen, die ihre Forschung und Lehre erneuern – und eben nicht einfach nur die Nachfolge in der Professorenschaft geregelt wissen wollen.

„Unser Modell ist keines, mit dem man einen großen Teil an Professoren berufen kann“

Wer sich für den Schritt entscheidet, muss sich auf ein aufwendiges Auswahlverfahren gefasst machen. Die TU Dresden nutzte dafür interne und externe Kräfte (siehe Interview). „Unser Modell ist auch auf andere deutsche Universitäten übertragbar, aber es ist kein Berufungsmodell, mit dem man einen großen Teil an Professoren berufen kann. Bei uns sind dies zehn von 500 Professoren“, schränkt Rektor Müller-Steinhagen ein.

Denn natürlich gilt es auch in Dresden, etablierte Forschungs- und Lehrprofile nicht mit einem Personalwechsel zu gefährden, sondern fortzuführen und weiter auszubauen. Mit den Open Topic-Professuren wollte die TU ihr Profil weiten und schärfen zugleich. Sie suchte Talente, die an interdisziplinären Schnittstellen arbeiten und Fachbereiche verbinden, die vorher keine Anknüpfungspunkte hatten; Forschende, die auf Feldern aktiv sind, die sich für die Verbundforschung eignen oder für eine Förderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Sonderforschungsbereich in Betracht kommen könnten.

Ob die Rechnung aufgeht, ist nicht ausgemacht. Fünf Jahre haben die Neuen an der TU Dresden jetzt erst einmal Zeit, sich zu bewähren, dann entscheidet sich, ob sie eine Dauerprofessur bekommen. Dabei geht der Rektor davon aus, dass dann das Land Sachsen entsprechende Mittel bereitstellen wird. Sicher ist das nicht.

Open Topic Tenure Track-Professuren

Idee und Finanzierung
Bei den sogenannten Open Topic Tenure Track-Professuren der Technischen Universität Dresden sind die Stellen thematisch offen ausgeschrieben worden. Damit verbunden ist die Hoffnung auf die Erschließung neuer Forschungsfelder und damit Lehrgebiete. Insgesamt zehn solcher offenen Professuren hat die TU Dresden jetzt geschaffen. Die Stellen sind zunächst auf fünf Jahre befristet. Die Entfristung soll bei entsprechender Leistung möglich sein. Finanziert werden die Stellen zunächst mit 20 Millionen Euro aus der Exzellenz-Initiative.

Berufungsverfahren
Das Ausschreibungs- und Auswahlverfahren hat rund ein Jahr in Anspruch genommen. Eine zwölfköpfige externe Findungskommission hat aus den 1300 eingegangenen Bewerbungen 50 Bewerber ausgewählt, die sie zum Gespräch einlud. Daraus erstellte sie eine Liste mit 25 Bewerbern, die nach Dresden eingeladen wurden. Als Kriterien galten Exzellenz, Innovationskraft, Internationalität. Gefordert war auch ein Konzept zur Integration der eigenen Arbeit in die Forschungslandschaft der TU Dresden. Zu den 25 Bewerbungen wurden jeweils  sechs unabhängige Gutachten eingeholt. Eingebunden waren in das Verfahren auch alle Fakultäten.

Fazit
Die Vorteile liegen auf der Hand: Mit externen Talenten lassen sich  am leichtesten neue, inter- und transdisziplinäre Themenfelder erschließen. Das allerdings wird mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzliche Personalkosten nach sich ziehen, wenn bisherige Professuren nicht umgewidmet werden können.

Sabine Müller-Mall

„Das gibt es andernorts nicht“

1.300 Bewerbungen, 500 aus dem Ausland, zehn werden genommen. Die Juristin Sabine Müller-Mall, Jahrgang1979, ist eine von ihnen. Seit diesem Sommer forscht und lehrt sie in Dresden, interdiszipilär zwischen Philosophie, Rechts- und Politikwissenschaft.

duz: Sie haben sich unter mehr als tausend Bewerbern durchgesetzt. Verraten Sie Ihr Erfolgsgeheimnis?

Müller-Mall: Schwer zu sagen, weil man nur die eigene Perspektive hat. Vermutlich hat es neben der fachlichen Kompetenz viel mit dem Konzept zu tun, das man ausgearbeitet hat, ob es innovativ ist und wie es zur Universität passt. Ich forsche in einem neuen Gebiet, der Verbindung von Rechts- und Verfassungstheorie, insbesondere in Bezug auf die Transnationalisierung des Rechts. Wie kommt es etwa, dass das deutsche Verfassungsgericht den kanadischen Supreme Court zitiert? Oder: Welche Folgen hat die transnationale Migration verfassungsrechtlicher Konzepte? Im globalisierten Diskurs stellen sich Fragen nach der Legitimation, nach der Rechtserzeugung, nach der Entstehung von Rechtsnormativität auf ganz neue Weise. Daran arbeite ich unter anderem.

duz: Und wo knüpfen Sie in Dresden an?

Müller-Mall: Ich habe eine Professur für Rechts¬ und Verfassungstheorie, also für Bereiche, die in Deutschland zwischen der Rechts- und Politikwissenschaft und der Philosophie angesiedelt sind. Hier will ich versuchen, Brücken zwischen den Disziplinen zu schlagen. In Dresden gibt es bereits einen verfassungstheoretischen Schwerpunkt – hier kann ich anknüpfen und die Verbindung zur Rechtstheorie einbringen. Außerdem werde ich die Anknüpfung etwa zur Literatur- und Geschichtswissenschaft suchen.

duz: Was können Sie in Dresden tun, was woanders nicht ginge?

Müller-Mall: Ich kann hier eine Professur aus der eigenen Forschung entwickeln. Das ist reizvoll. Diese Möglichkeit, interdisziplinäre Grundlagenforschung an Recht und Verfassung zu betreiben, gibt es in Deutschland andernorts nicht dauerhaft.

duz: Wie fanden Sie das Bewerbungsverfahren?

Müller-Mall: Sehr viel umfangreicher als andere Verfahren. Ich wurde von der Findungskommission in einen Raum am Frankfurter Flughafen geladen, weil viele Bewerber aus dem Ausland kamen. Dann war ich mehrere Tage in Dresden, wo ich einen Vortrag und eine Probevorlesung hielt und mit den Fakultäten sprechen konnte.

Das Interview führte Susanne Rytina.

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