Handy aus!
Schnell den Projektbericht abschließen, letzte Masterarbeiten korrigieren, Absprachen treffen – Stress bis zur letzten Sekunde, das kennen viele Wissenschaftler. Wie man sich im Urlaub wirklich erholt und den gut gefüllten Wohlfühl-Akku mit in den Alltag nimmt, weiß Michael Sadre Chirazi-Stark.
duz: Herr Professor Stark, warum brauchen wir Urlaub?
Stark: Weil wir in unserem Alltag zu sehr fremdgetaktet sind. Das fängt bei den Arbeitszeiten an, geht über den Ort der Arbeit bis hin zur Basis, unseren Persönlichkeitsstilen. Urlaub bedeutet, rückschwingen zu können in unseren eigenen Rhythmus.
duz: Sie haben zusammen mit einem Persönlichkeitsforscher einen Test entwickelt, um verschiedene Persönlichkeitsstile zu ermitteln und die dazugehörigen Stress- und Erholungsfaktoren. Was ist für wen der richtige und vor allem erholsame Urlaub?
Stark: Zum Beispiel gibt es diejenigen Menschen mit hohem Altruismus- und Fürsorglichkeitswert, die womöglich noch in einem sozialen Beruf arbeiten, wo sie sich dann wahrscheinlich in der Richtung auch verausgaben. Diese Menschen brauchen genau das Gegenteil im Urlaub, nämlich dass sie sich selbst versorgen lassen und nicht mit der Familie ein Apartment mieten, wo sie dann unter erschwerten Bedingungen in fremder Umgebung einkaufen und kochen und die Familie versorgen. Ein anderer Persönlichkeitsstil sind sehr kontaktfreudige und extrovertierte Menschen, die die Fähigkeit haben, schnell mit anderen in Kontakt zu treten und Ideen für Neues haben. Diese sollten sich im Urlaub eher ein Buch schnappen und mal von keinem gestört werden, mal nicht reden und sich auf andere einstellen müssen. Ebenso diejenigen, die einen Managerposten innehaben mit hoher Verantwortung. Sie sollten die Verantwortung im Urlaub einmal abgeben. Ich erinnere mich an einen Klienten mit Manager-Alltag. Er erzählte mir, dass sein schönster Urlaub war, auf einem Boot als Smutje anzuheuern und nur die Bratkartoffeln zu schälen.
duz: Das klingt so einfach und doch kommen so viele Menschen unerholt aus dem Urlaub zurück. Wieso?
Stark: Es ist eigentlich auch einfach. Die These lautet: Schau, wer du bist und wie dein Alltag aussieht, und entwickle Fantasie, was dir gut täte als Kontrasterlebnis – sowohl körperlich als auch psychisch. Wichtig ist, die Zusammenhänge zu verstehen. Wer sie versteht und sich und seine Bedürfnisse ernst nimmt, kann seine Selbstheilungskräfte in Gang setzen. Ich veranschauliche es gerne mit einem Seelenenergietank, den wir alle haben, vergleichbar mit einem Autobenzintank. Wenn wir nicht nachtanken, bleiben wir irgendwann liegen. Das Auto hat die rote Lampe am Armaturenbrett, die uns darauf hinweist, nachzutanken – was jeder Autofahrer automatisch macht. Unser Seelenenergietank hat auch dieser rote Lampe – das sind all die Stresszeichen, die wir kennen, aber sie dann nicht ernst nehmen, sondern sie lästig finden: Erschöpfung, zunehmende Müdigkeit, Gereiztheit, Schlaflosigkeit, dass wir abends das Glas Rotwein mehr brauchen, um überhaupt noch zur Ruhe zu kommen. Das alles sind Stresszeichen, die für eine Dauerüberlastung des Körpers sprechen. Wir lassen sie zwar behandeln, aber wir handeln nicht, beugen dem selten vor.
duz: Ist das auch ein Grund, weshalb Menschen mitunter prompt am ersten Urlaubstag krank werden?
Stark: Ja, das liegt daran, dass wir bis zur letzten Sekunde im 120-prozentigen Tempo durcharbeiten. Kaum ist Urlaub, ist der Körper nicht gewohnt, dass er von der einen auf die andere Sekunde nichts mehr zu tun hat. Unser Körper ist in der Lage, sich zusammenzureißen, ganz viele Energien lange zu mobilisieren. Wenn er dann aber merkt, jetzt ist keine lebenswichtige Aufgabe mehr zu erledigen, nimmt er sich sein Recht, aber übertreibt es dann, indem er die Reißleine zieht und krank wird.
duz: Außer, dass man vor dem Urlaub nicht bis zum Anschlag arbeitet – wie sollte man sich noch darauf vorbereiten?
Stark: Wenn Menschen aus einem sehr hoch getakteten Arbeitsalltag kommen, bietet es sich an, in der ersten Urlaubswoche keinen Leerlauf zu haben, sondern sich was vorzunehmen. Sei es einen alten Sport aufzufrischen mit ein paar Trainerstunden oder sich ein kleines Programm zu machen, was man besichtigen möchte. So fährt man langsam runter und kann in der zweiten Woche alle Viere von sich strecken.
duz: Wie wichtig ist es für die Erholung, das Handy auszuschalten?
Stark: Urlaub funktioniert nur, wenn das Gehirn wirklich abschalten kann. Und das kann es nicht, wenn das Handy an ist. Es muss nicht mal ständig klingeln. Unser Hirn ist so strukturiert, dass wenn wir ein berufliches Handy auch nur anlassen, dass wir das nie ganz ausblenden. Wenn es denn unbedingt notwendig ist, das Handy anzulassen, rate ich, dass man vorab eine Vereinbarung mit den Mitarbeitern und Freunden trifft. Beispielsweise: Um 19 Uhr schalte ich mein Handy ein und bin eine Stunde erreichbar oder höre Nachrichten ab und gegebenenfalls rufe ich zurück – ansonsten ist das Handy aus.
duz: Wie kann man seine Abwesenheit im Büro vorbereiten?
Stark: Viele Führungskräfte haben Angst, dass wichtige Dinge liegenbleiben, während sie im Urlaub sind. Dann muss man delegieren lernen. Man guckt sich eine Vertrauensperson aus – was auch zur Teamentwicklung dazugehört – und überträgt ihr die Verantwortung für die Urlaubszeit. Man sagt: Ich bin jetzt weg und möchte eigentlich nicht gestört werden, Sie entscheiden – und nur wenn Sie meinen, es geht nicht anders, rufen Sie mich an. Zum Delegieren gehört auch, vorherzusehen, was in den nächsten Tagen oder Wochen an Schwierigkeiten und Terminen auftreten könnte. Die sollte man dann vorbesprechen. Das sollte wie das Kofferpacken mit zur Urlaubsplanung gehören.
duz: Jetzt haben wir alle Tipps befolgt und kommen erholt aus dem Urlaub zurück. Wie schafft man es dann, nicht gleich wieder in Stress zu versinken, sondern die Erholung so lange wie möglich beizubehalten?
Stark: So wie ich mir vor dem Urlaub zwei Tage Zeit nehme, um wichtige Sachen in der Arbeit abzuschließen und dann in Ruhe Koffer zu packen, genauso mache ich es nach dem Urlaub. Ich erscheine erstmal zwei Tage nicht im Büro – dank Internetzugang überall kann ich auch von Zuhause E-Mails abfragen und sichten. Wenn ich doch ins Büro gehe, mache ich noch keine Termine, sage, die Tür ist noch zu, um mir in Ruhe einen Überblick über das Angefallene zu verschaffen. Oder ich mache eine Teamkonferenz und frage nach, was war und was jetzt anliegt – sodass man langsam wieder reinrutscht.
duz: Die ersten zwei Tage nach dem Urlaub mag das in den meisten Fällen vielleicht noch gehen. Aber wie sieht es damit nach einem Monat aus?
Stark: Das Wichtigste ist, dass man aus dem Urlaub ein Gefühl dafür mitbringt, was der eigenen Seele und dem Körper gut getan hat. Dem kann man dann auch im Alltag einen Platz einräumen. So kann man sich auch im Alltag kleine Fluchten schaffen. Sonst verblasst das Wohlfühlgefühl rasend schnell. Wenn der Familie beispielsweise Spieleabende im Urlaub Spaß gemacht haben, kann man sich einen festen Tag in der Woche dafür freihalten. Aber das geht nur, wenn man es ritualisiert. Oder man hat rausgefunden, dass es schön ist, im Restaurant essen zu gehen. Also kann man versuchen, Rezepte aus dem Urlaubsland regelmäßig nachzukochen oder alle 14 Tage ein Restaurant in der Stadt zu testen.
duz: Warum fällt es denn vielen Menschen so schwer, das, was ihnen im Urlaub gut getan hat, anschließend mit in den Alltag zu nehmen?
Stark: Wir sind eine sehr leistungsorientierte Gesellschaft. Auch ist der Urlaub mittlerweile zum Statussymbol verkommen. Wenn mich Leute nach dem Urlaub fragen und ich erzähle, dass ich als Hamburger in der Lüneburger Heide oder an der Ostsee war, kommt oft die Bemerkung: Was, gar nicht so weit weg und nicht im Ausland? So kriegen wir auch bezüglich unseres Urlaubs Druck. Das ist ein Dilemma und erzeugt häufig zusätzlichen Stress.
duz: Sie haben sicherlich auch einen hohen Stressfaktor im Alltag. Wie sieht Ihr erholsamer Urlaub aus?
Stark: In den letzten Jahren haben wir immer da Urlaub gemacht, wo unsere Kinder auch zufrieden waren. Als sie noch kleiner waren, sind wir in Familienclubs gefahren. Das traut man sich ja als Intellektueller kaum zu sagen, aber da waren die Kinder aufgehoben und hatten ihren Spaß. Seit einigen Jahren fahren wir nach Südfrankreich in ein Ferienapartment, wo auch andere Familien mit Kindern wohnen. Die kennen unsere Kinder mittlerweile und wissen genau, was dort Spaß macht. So haben wir Eltern auch unsere Freiheiten, eigene Sachen zu unternehmen. Wir kennen uns dort schon aus – das ist erholsam.
Michael Sadre-Chirazi-Stark
Michael Sadre-Chirazi-Stark
Der Professor für klinische Sozialpsychiatrie, geboren 1952, leitete die Klinik für Psychiatrie des Asklepios Westklinikums in Hamburg. 2013 gründete er sein Institut für innovative Behandlungsformen, Diagnostik und Beratung. Das von ihm entwickelte Energiefassmodell als Grundlage des Burnout-Präventionstrainings veranschaulicht das psychologische Energiereservoir. Es soll Alarmsignale der Psyche zeigen, die dabei helfen können, etwas für die psychische Gesundheit zu tun.
Internet: www.prof-stark-institut.de
DUZ Magazin 08/2014 vom 25.07.2014