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Wer delegieren will, muss auch loslassen können

Ohne Arbeitsteilung ist Wissenschaft heute nicht mehr denkbar. Führungskräfte sollten das Delegieren aber nicht mit Diktieren verwechseln. Denn wer anderen Aufgaben überträgt, ist gut beraten, auch Kompetenzen und Verantwortung weiterzugeben. So motiviert man Mitarbeiter und entlastet sich selbst.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diese Lebensweisheit wird gemeinhin Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt unter dem Namen Lenin, zugeschrieben. Sicheren Quellen zufolge taucht sie nirgendwo in seinen vielfältigen Schriften auf, allenfalls in der verkürzten Übersetzung einer Aussage, die da lauten soll: „Nicht aufs Wort glauben, aufs strengste prüfen – das ist die Losung der marxistischen Arbeiter“.

Die Konnotation dieses Satzes ist mittlerweile durchaus positiv. Gemeint ist damit doch, sich nicht vom diffusen Vertrauen leiten zu lassen, sondern alles und jedes akribisch zu kontrollieren. Aber ist das auch vernünftig und was hat das mit Wissenschaft oder mit Wissenschaftsmanagement zu tun?

Humboldts und Schelkys „Einsamkeit und Freiheit“ haben im Hinblick auf die Freiheitlichkeit der Wissenschaft noch heute große Aktualität. Freiheitlichkeit stellt für den Einzelnen im Wissenschaftssystem einen großen komparativen Vorteil dar. Diesen aufzugeben, wäre ein fundamentaler Fehler. Das muss insbesondere betont werden, da derzeit Versuche unternommen werden, die in den letzten 10 Jahren errungenen Freiheiten wieder in Frage zu stellen. Aber Einsamkeit? Abgesehen davon, dass es auch zu Humboldts und gerade zu Schelskys Zeiten üblich war, Erkenntnisse und Ergebnisse dem wissenschaftlichen Diskurs auszuliefern und zur Verfügung zu stellen, ist der moderne wissenschaftliche Erkenntnisprozess kaum noch in Einsamkeit zu leisten. Er zeichnet sich vielmehr durch Differenzierung, Segmentierung und zunehmend internationale Interaktion aus, findet in größer werdenden Teams statt und wird arbeitsteiliger. Dies erfordert Organisation und damit kommt auch in der Wissenschaft die Frage einer sinnvollen Delegation von Arbeiten und Aufgaben ins Spiel.

Das AKV-Prinzip: Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung an weitere Personen übergeben

Zunächst ist ganz allgemein festzuhalten, dass eine Führungskraft, ein Chef, ein Projektleiter, niemals die Illusion haben sollte, er sei gleichzeitig auch der beste Sachbearbeiter – das muss schiefgehen. Also wird eine Übertragung von Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung an weitere Personen erforderlich (AKV-Prinzip). Dies ist nichts anderes als Delegation, wobei deren Ausgestaltung im Einzelnen durchaus unterschiedlich sein kann.

Delegation ist das umfassende Übertragen von Verantwortung für Ziele. Sie schließt die Übertragung der Kompetenz mit ein, über den Weg zum Ziel eigenständig zu entscheiden und mit Hindernissen autonom umzugehen. Delegieren ist etwas grundlegend anderes als diktieren („mache Aufgabe x bis zum Zeitpunkt y und setze dafür die Mittel z ein“). Delegation kann bestehen in der vollständigen Übertragung eines Sachgebietes oder einer Aufgabe, sie kann Budgetverantwortung einschließen, sie kann bestimmte definierte Berichtspflichten enthalten, sie kann Ausnahmen von der Delegation oder Budgetgrenzen enthalten, sie kann zeitlich begrenzt (ein Projekt) oder unbegrenzt sein.  Allerdings: Delegation ist kein Allheilmittel. Was delegierbar ist, ergibt sich immer auch aus Fähigkeiten und Dispositionen der Mitarbeiter und deren individuellem Leistungsprofil. Wer sich nicht sehr aufmerksam darauf bezieht, riskiert Überforderung und Frustration. Und: Jeder Führungskraft muss klar sein, dass es Dinge gibt, die sich nicht delegieren lassen. Sie behält die Letztverantwortung – und sie wird Dinge, die für sie unangenehm und belastend sind, selbst in Angriff nehmen.

Als Ziel der Delegation von Aufgaben können mindestens drei Funktionen unterschieden werden:

• Entlastung der Führungsebene
• Verlagerung an diejenige Ebene, die  über die beste  Kompetenz verfügt (Effektivität)
• Beteiligung der Mitarbeiterebene an Zielen  der Organisation (Motivation).

Auf jeden Fall empfiehlt es sich, die Kompetenzen sachlicher und finanzieller Natur schriftlich zu definieren. Dabei muss der Fehler vermieden werden, diese allzu eng festzulegen, um dem Mitarbeiter einen ausreichenden Handlungsspielraum zu gewähren: Derjenige, der immer erst nachprüfen muss, ob er auch darf, was er will, wird nur schwer Selbstständigkeit und Initiative entwickeln. Zudem wird damit das Ziel der Entlastung auf der Führungsebene konterkariert.

Neben diesen funktionellen Zielen müssen aber für eine erfolgreiche Delegation wesentliche „kulturelle“ Voraussetzungen erfüllt sein oder erfüllt werden, um die Vorteile voll wirksam werden zu lassen. Das sind vor allem:

1. Personalentwicklung
2. Freiheit
3. Vertrauen und Fehlertoleranz.

Ad 1: Personalentwicklung
Noch stärker als in jeder anderen Organisation gilt für wissenschaftliche oder wissenschaftsnahe Organisationen, dass die Köpfe die wichtigsten Faktoren sind, durchaus auch ökonomisch gesehen. Das bedeutet gleichzeitig, dass Maßnahmen zur Personalentwicklung gleichsam als Selbstverständlichkeit innerhalb der Organisation gelten und somit zum betrieblichen Standard gehören. Ein Mitarbeiter auf jedweder Ebene kann die Aufgaben, die man ihm übertragen hat, nur dann erfolgreich erfüllen, wenn er ihnen sozial und intellektuell gewachsen ist. Dies erfordert eine ständige Anpassung an neue Umstände, an neue Erkenntnisse und damit eine betriebliche Aus¬ und Weiterbildung.

Ad 2: Freiheit
Aufgaben zu delegieren heißt, so hat es Bruce Forbes formuliert, „nicht mehr Personen oder Tätigkeiten zu überwachen, sondern Ergebnisse“. Derjenige Vorgesetzte, der über jeden Schritt, den er delegiert hat, informiert sein will, der jeden Brief und jede E-Mail vor Abgang sehen will, kann die Aufgabenerledigung auch gleich selbst vornehmen. Das geht wahrscheinlich sogar schneller. Er gefährdet aber die anderen Ziele und erreicht niemals sein eigenes Ziel, Zeit für die strategischen Aufgaben zu gewinnen. Delegation kann nur erfolgreich sein, wenn man dem Mitarbeiter die Chance gibt, seine eigene Kompetenz und eigene Ideen einzubringen und zwar auch dann, wenn diese nicht oder nicht immer mit den eigenen Vorstellungen im Einklang stehen. Gerade in wissenschaftlichen Organisationen müssen abweichende Meinungen oder Erkenntnisse nicht nur möglich sein, sie sind geradezu erforderlich, will man den Prozess der wissenschaftlichen Produktion erfolgreich gestalten – was dort richtig ist, kann bei Organisation von Wissenschaft nicht falsch sein.

Ein Mitarbeiter, der verantwortlich arbeiten kann, wird engagierter sein

Die Arbeit an dieser Kultur der Verantwortung ist alles andere als Selbstzweck. Ein Mitarbeiter, der sich einem hohen Maß an Kontrolle ausgesetzt sieht, wird passives Arbeitsverhalten entwickeln und Verantwortung wie Initiative eher ablehnen. Er wird damit die Annahme bestätigen, die Ausgangspunkt des Führungshandelns war: Kontrolle ist notwendig, weil Mitarbeiter Verantwortung eher ablehnen, Initiative scheuen und grundlegende Fähigkeiten vermissen lassen. Natürlich greift diese Dynamik selbsterfüllender Prophezeiungen auch in umgekehrter Richtung: Ein Mitarbeiter, der verantwortlich arbeiten kann und über Handlungsspielraum verfügt, wird engagierter sein und Initiative wie Verantwortung eher suchen. Er oder sie wird auch damit die Annahme bestätigen, die dem Handeln der Führungskraft zugrunde liegt: Mitarbeiter arbeiten gerne, suchen Verantwortung und sind in der Lage, adäquate Lösungen für auftretende Probleme zu entwickeln und zu verfolgen. Delegation wird damit zur veritablen Führungsaufgabe. Und: Über Delegation sprechen heißt, über Führungsstile sprechen. Damit rückt das Menschenbild der Führungskräfte in den Blickpunkt – und damit die Kultur der Organisation, deren Teil und Ausdruck dieses Menschenbild ist.

Ad 3: Vertrauen und Fehlertoleranz
Geradezu verheerend für jede Kultur von Organisationen ist es, wenn vom Mitarbeiter getroffene Entscheidungen kommentarlos kassiert oder einschneidend verändert werden. Natürlich ist es im Sinne einer prinzipiell möglichen Kontrolle getroffener Entscheidungen auch möglich, diese zu modifizieren oder eine völlig andere Entscheidung zu treffen. Dies sollte aber mit großer Vorsicht geschehen, niemals ohne vorherige Rücksprache und immer mit einer plausiblen Begründung dafür, warum eine Entscheidung korrigiert werden musste.

Von der bloßen Korrektur zu unterscheiden ist nochmals die Toleranz gegenüber eindeutigen Fehlern im Entscheidungsprozess oder bei der Entscheidung selbst. Dabei hilft die Erkenntnis, dass Fehler auch bei der besten Organisation, den besten Führungskräften und den besten Mitarbeitern immer vorkommen. Der schlechteste Weg der Fehlerkorrektur ist der, als erstes einen Verantwortlichen festzustellen und diesen zu sanktionieren. Die Folge wird sein, dass der Mitarbeiter sich in Zukunft routiniert und schemahaft verhalten wird, um Fehler zu vermeiden. Der Mut zur riskanten Eigeninitiative wird verschüttet. Wichtiger ist es, auf den Fehler und sein Entstehen hinzuweisen, das Geschehene zu analysieren und so dazu beizutragen, dass jedenfalls dieser Fehler zukünftig vermieden werden kann.

Das setzt eine Fehlerkultur voraus, die aus dem Mut besteht, Fehler einzugestehen und nicht zu vertuschen. Diese Kultur muss top down ermöglicht und gelebt werden. So verinnerlichen alle Beteiligten: Fehler werden nicht als Tribunal für einen Einzelnen benutzt. Sie dienen dazu, alle und alles etwas besser zu machen.

Die Autoren

Die Autoren

Prof. Dr. Hanns H. Seidler
ist Geschäftsführender Vorstand des Zentrums für Wissenschaftsmanagement (ZWM) Speyer.

Dr. Thorsten Mundi
ist dort seit 2009 Geschäftsführer.

Kontakt: www.zwm-speyer.de

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Wichtig

Nicht jede Aufgabe lässt sich abgeben. Was delegierbar ist und was nicht, ergibt sich immer auch aus den Fähigkeiten und Dispositionen der Mitarbeiter und deren individuellem Leistungsvermögen.

Literatur/Buchtipps:

HERSEY, Paul / BLANCHARD, Kenneth H., Dewey E. Johnson: Management of Organizational Behaviour. Leading Human Resources. Prentice Hall, 2008

NIEDER, Peter: Erfolg durch Vertrauen. Abschied vom Management des Misstrauens. Wiesbaden: Gabler, 1997

PINNOW, Daniel F.: Führen.Wiesbaden: Springer, 2012.

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