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Vereint verlieren

Wissenschaft findet häufig im Team statt. Das hat Vorteile – lädt aber auch zum Schlendrian ein: In der Gruppe gibt der Einzelne weniger, sagt der Ökonom Michael Neugart. Belegen kann er das mit Erkenntnissen aus dem Schwimmsport.

Einzelgänger hin oder her – in der Wissenschaft wie in der Wirtschaft ist heutzutage Teamarbeit angesagt. Je komplexer eine Aufgabe, umso wichtiger scheint eine Mannschaft, in der Menschen mit unterschiedlichem Wissen und unterschiedlichen Fertigkeiten versammelt sind. Damit verbunden ist die Erwartung, dass durch den Austausch kreativere Lösungen für die Produktion, die Entwicklung oder das Treffen von Entscheidungen zustandekommen.

So zählt die optimale Nutzung des insgesamt vorhandenen Wissens – nicht allein das Expertenwissen eines jeden Einzelnen. Positiver Nebeneffekt: Die Mitglieder einer Gruppe lernen die Arbeitsfelder der anderen besser kennen, samt deren Methoden und Fachvokabular. Ganz praktisch gedacht gibt es einen weiteren Vorteil. Ist einer aus der Gruppe krank oder im Urlaub, stagniert nicht gleich das ganze Projekt. Nicht zuletzt, weil hierarchisches Denken und Arbeitsanweisungen von oben als nicht mehr zeitgemäß gelten, ist Teamarbeit weit verbreitet. So sehr, dass Kritiker sie schon als Mode abtun. Allzuoft würde in Teams gearbeitet, ohne zu prüfen, ob diese wirklich effektiv und effizient seien.

Dass Skepsis gegenüber Teamarbeit durchaus angebracht ist, belegen Studien aus der Sozial- und Organisationspsychologie sowie der Arbeitsökonomie seit Jahren. Bekannt ist beispielsweise das Phänomen des Gruppendenkens. Hier trifft eine Gruppe eine schlechtere Entscheidung, als sie angesichts der Kompetenz und des Wissens der einzelnen Mitglieder eigentlich möglich wäre – weil einzelne ihre Meinung an die erwartete Gruppenmeinung anpassen (vgl. duz Karriere LETTER, K04/14, S. 2f.). Auch auf das sogenannte soziale Faulenzen weisen Wissenschaftler immer wieder hin. Sobald Einzelne gemeinsam mit anderen beispielsweise in einem Forschungsprojekt arbeiten und ihr persönlicher Anteil am Gesamtergebnis nicht messbar ist, zeigen sie weniger Engagement. Die Folge: Die Teamleistung liegt häufig unter der Summe der Einzelleistungen.
Eine Studie der TU Darmstadt hat diese Erkenntnisse jetzt um einen wesentlichen Aspekt bereichert. Das Phänomen des sozialen Faulenzens gilt nämlich selbst dann, wenn ein Team in Konkurrenz zu anderen steht. Der Wettbewerbsdruck spornt also wider Erwarten nicht alle Gruppenmitglieder gleichermaßen dazu an, für die Gemeinschaft ihr Bestes zu geben.

Die Studie „Sequentielle Teamarbeit unter Wettbewerbsbedingungen“ stützt sich auf Daten aus dem Leistungssport. Prof. Dr. Michael Neugart vom Fachgebiet Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik der TU Darmstadt hat mit seinen Mitarbeitern die Ergebnisse von 7000 Schwimmwettkämpfen aus den Jahren 1972 bis 2009 ausgewertet. Sie verglichen, ob die Sportler unterschiedlich schnell schwammen, wenn sie alleine oder wenn sie als Mannschaft antraten. Das Ergebnis: Selbst ein Star wie Michael Phelps schwimmt in der 100¬Meter¬Staffel langsamer als im Einzelwettbewerb.

Die Forschungsergebnisse hält Neugart für übertragbar auf Arbeitsprozesse in anderen Bereichen – sei es am Fließband in der Automobilindustrie oder beim Schreiben eines wissenschaftlichen Artikels. Überall dort, wo Menschen nacheinander ihre Leistung erbringen, besteht die Gefahr, dass sie auf die Endkontrolle vertrauen, darauf, dass der Letzte noch das Beste rausholt. „An einem Artikel arbeiten mehrere Autoren. Sie reichen das Dokument in dem Bewusstsein weiter, dass noch andere darüberschauen werden“, erläutert Neugart. „Die meiste Arbeit hat der Letzte in der Reihe, der den Artikel den wissenschaftlichen Standards entsprechend fertigstellen muss.“

Die Wissenschaft hält Neugart noch aus einem weiteren Grund für anfällig für „Trittbrettfahrertum“ (so bezeichnet er das bei den Psychologen als „soziales Faulenzen“ bekannte Verhalten): Wissenschaft ist ein kreativer Prozess, weil hier Erklärungen und Lösungen gesucht werden – und kreative Tätigkeiten sind schwer messbar.
Interessant an der Studie ist auch, dass nicht alle Mitglieder einer Gruppe gleichermaßen Trittbrettfahrer sind. Manche mehr, manche weniger, manche gar nicht. So haben die Forscher für die Vierer-Staffel beim Schwimmen herausgefunden, dass der Schwimmer auf Position zwei langsamer schwimmt als der auf drei, und dass Position drei langsamer schwimmt als der Vierte in der Reihe.

Die Entscheidung, Schwimmer unter die Lupe zu nehmen, traf Neugart aus pragmatischen Gründen. Weil hier die Leistung messbar ist und empirische Daten vorliegen. Eine Fußballmannschaft wäre – aufgrund der Spieler, deren unterschiedliche Stärken sich ergänzen – zwar näher an der Realität heterogener Teams gewesen. Doch: Welche Einzelleistung misst man hier? Die gespielten Pässe, die gelaufene Strecke?

Würde man einen „Trittbrettfahrer“ gegen einen anderen Schwimmer – oder Forscher – in der Hoffnung auf bessere Leistung austauschen, würde dies nach Neugarts Auffassung am Grundproblem nichts ändern: „Es fehlt der Anreiz. Warum soll ich mein Bestes geben, wenn ich den Preis oder das Lob am Ende doch mit anderen teilen muss?“ Zumal umgekehrt die Kritik an einer Gruppe auf jeden Einzelnen zurückfällt, egal ob dies berechtigt ist oder nicht.
Mit den richtigen Rahmenbedingungen (siehe Kasten rechts), lässt sich das Trittbrettfahren erschweren. Verhindern lässt es sich nicht – schließlich ist kaum nachweisbar, ob sich jemand nicht anstrengt oder einfach nicht mehr leisten kann. Auf Teamarbeit zu verzichten, ist jedenfalls keine Lösung. „Sie können nun mal nicht ein Auto alleine bauen oder ein Forschungsprojekt durchführen“, bilanziert Neugart.

Tipps für die Praxis

Tipps für die Praxis

Die beiden Psychologen Rolf van Dick und Michael West geben in ihrem Buch „Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung“ (Hogrefe 2013) Tipps für erfolgreiche Teamarbeit:

  • Teammitglieder sollten möglichst unterschiedliche Qualifikationen und Fähigkeiten besitzen, damit sie sich optimal ergänzen.
  • Trotz des Gruppengedankens sollten die Wünsche und Ambitionen der einzelnen Teammitglieder berücksichtigt werden, um ihre Motivation zu steigern.
  • Die Gruppenleitung sollte Regeln für die Zusammenarbeit aufstellen. Beispiele: regelmäßige Treffen, Pünktlichkeit, Einhaltung von Deadlines, klare Tagesordnung mit Start- und Endzeiten bei Meetings.
  • Das Team muss sich klare Ziele stecken. Dabei sollten die Beiträge der einzelnen Mitglieder identifizierbar sein. Ist dies nicht möglich, sollte umso deutlicher gemacht werden, warum jeder Einzelne für das Team wichtig ist.
  • Für die Gruppe sollten Anreize geschaffen oder Belohnungen in Aussicht gestellt werden. Das kann ein Teamausflug mit anschließendem Essen sein, aber auch ein finanzieller Bonus für jedes Teammitglied in Abhängigkeit vom Erreichen der Teamziele.
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