So manipulieren Sie richtig
Schwarze Koffer mit Geld, heimliches Frisieren von Daten: Zu solchen Mitteln müssen Firmen gar nicht greifen, um die Wissenschaft zu manipulieren. Die Einflussnahme läuft viel subtiler – und dafür umso nachhaltiger. Die Schritte der Übernahme.
Warum werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beeinflussbar? Nicht unbedingt aus Verschlagenheit, Geltungssucht oder Habgier. Gerade der Wunsch, als „guter Forscher“ Anerkennung zu finden, kann sie in die Beeinflussbarkeit locken. Das damit verknüpfte Selbstbild kann nämlich dazu beitragen, Fehlverhalten vor der eigenen Person zu rechtfertigen – und das ist die erste, entscheidende Prüfinstanz. Welche Mechanismen können sich Einflüsterer dabei zunutze machen?
Das Forum: Wissenschaftsdisziplinen sind „communities“, ihre Inhalte und Methoden geben ihnen Selbstverständnis und Entwicklungsdynamik. Der Einflüsterer präsentiert sich als Teil dieser Gemeinschaft: Er bietet folglich Foren fachlicher Verständigung an – und steuert unauffällig deren Ausrichtung. Wer als Forscher Geld einwirbt oder Veröffentlichungen vorlegt, gilt als Leistungsträger. Unterstützt ein Einflüsterer also Outputs, die zum Kern wissenschaftlichen Leistungsverständnisses gehören, so kann er mit freundlichem Interesse rechnen.
Dazu kommt, dass externe Partner der Wissenschaft ein Sinnangebot machen: Wenn wissenschaftliche Arbeiten verwendet werden, wenn sie Praxis und Leben beeinflussen, dann nützen sie doch den Menschen. Das verleiht der Wissenschaft Würde und Kraft. Der Einflüsterer suggeriert zu diesem Zweck eine Nutzungs- und Sinngemeinschaft, etwa durch Qualifikationsangebote, transferbezogene Fachveranstaltungen oder Handreichungen.
Die Vorleistung: Wer Zuwendung erhält, möchte seinerseits wiederum etwas Gutes beitragen, dem anderen weiterhelfen – ein Merkmal gerade auch moralisch sensibler Menschen. Der Einflüsterer schafft deshalb mit Vorleistungen ein Gefühl der Verpflichtung zu einer Sache, einem gemeinsamen Vorhaben und dessen Partnern. In der Sozialpsychologie ist dieser Mechanismus als Reziprozität bekannt: Vorleistungen lösen beim Beschenkten fast automatisch das Gefühl aus, zu einer Gegenleistung verpflichtet zu sein, damit die Bilanz des Gebens und Nehmens fair bleibt.
Die Zusammenarbeit: Korruption beginnt langsam und schleichend, mit dem „Anfüttern“, mit unaufwendigen, unauffälligen Hilfestellungen. Wünsche und Vorschläge des Einflüsterers folgen später ganz unauffällig in kleinen Schritten, sobald die Gewohnheit der Zusammenarbeit und die Vorstellung gemeinsamer Interessen fest verinnerlicht sind. Der Einflüsterer bindet seine Adressatinnen und Adressaten dafür über Jahre in Netze symbiotischer Zusammenarbeit ein.
Kaum jemand erlebt sich gern als beeinflussbar. Es erzeugt eine unangenehme Spannung, eine sogenannte kognitive Dissonanz, wenn das eigene Selbstbild als unabhängiger Forscher mit dem Dienst für den Einflüsterer kollidiert. Es tut dem Selbstbild folglich gut, von selbst und von vornherein die Sichtweisen wichtiger Kooperationspartner zu antizipieren und zu übernehmen. Der sozialpsychologische Mechanismus der Reduktion kognitiver Dissonanzen macht direkte Beeinflussung und Absprache gänzlich unnötig. Der Einflüsterer wird also einen Rahmen strategischer Kooperation anbieten und dann Geduld haben.
Fehlverhalten, Beeinflussbarkeit und Fälschungen entwickeln so eine Eigendynamik, die schwer umkehrbar ist. Wie will man im Kollegium plausibel machen, dass man eine spektakuläre Versuchsreihe oder eine ertragreiche Kooperation unvermittelt abgebrochen hat? Die Reduktion kognitiver Dissonanzen schützt zudem die eigene Person beim Weitermachen vor unerfreulichen Einsichten.
Die Sozialisation: Schon Studis betrügen in nennenswertem Umfang. Untersuchungen der Alltagskriminalität zeigen, dass die individuelle Einstellung zu Normen einer der stärksten Vorhersagefaktoren abweichenden Verhaltens ist. Ethik führt dennoch ein Schattendasein in Ecken des Curriculums, sie wird nicht vorgelebt. Die meisten Professorinnen und Professoren haben mittlerweile die Schule der Drittmittelakquise vollständig durchlaufen: Projekteinwerbung ist ein zentrales Ausschreibungskriterium und schafft gute Bedingungen für zahlreiche Veröffentlichungen. Erfolg bleibt in der Wissenschaft ein unangefochten machtvoller Lehrer.
Eine Neigung zu beißender Selbstkritik hilft gewiss, subtilere Beeinflussung im eigenen Leben zu erkennen. Aber sie belastet das Selbstwertgefühl, damit den Erfolgsoptimismus, und der wiederum motiviert zu neuen Anstrengungen. Wer Nachsicht mit sich selbst übt, gestattet sich mehr Chancen. Es ist also keine triviale Leistung, moralisch zu handeln, wenn der Erfolg anderswo lockt.
DUZ Magazin 06/2014 vom 23.05.2014