Den Blick aufs Lernen richten
Vorlesungsnotizen, Präsentationen, To-do-Listen – und vielleicht auch der eine oder andere Schmierzettel: Wie Studierende lernen, bleibt Dozenten oft verborgen. In Lernportfolios sammeln Studierende solche Dokumente dagegen systematisch. Davon können auch Lehrende profitieren – wenn sie ihre Kursteilnehmer gut anleiten.
Lehre so zu gestalten, dass das Lernen in den Blick gerät und unterstützt werden kann – das ist die Idee sogenannter Lernportfolios. Was wissen Sie über den Lernfortschritt Ihrer Studierenden? Was folgern Sie und die Studierenden aus Erkenntnissen darüber wie, was und wozu gelernt wurde? Um diese Fragen beantworten zu können, werden in Lernportfolios (von lat. ‚portare‘ – ‚tragen‘ und ‚folium‘ – ‚Blatt‘) sogenannte Artefakte gesammelt.
Was die Studierenden tun, wird Teil des Lernportfolios – um so das Lernen zu verbessern (assessment for learning) oder um das Lernen zu zertifizieren (assessment of learning). Lernportfolios können dabei in verschiedenen Phasen des Studiums eingesetzt werden: in der Studieneingangsphase, in einzelnen Lehrveranstaltungen, in einem Modul, als übergreifendes Projekt, zur Praxisbegleitung oder über den gesamten Studienverlauf. (siehe Fußnote 1)
Inhalt eines Lernportfolios
Was beinhaltet ein Lernportfolio? Zahlreiche Dokumente, Objekte, Prozessdokumentationen und Überlegungen können Teil eines Lernportfolios werden. Wichtig ist die Kontextualisierung und Reflexion: Was soll mit den Artefakten gezeigt bzw. belegt werden? Was zeigt meine Präsentation, mein Essay, das Inhaltsverzeichnis meiner Hausarbeit, meine Vorlesungsmitschrift, meine To-do-Liste? Vor allem: Was zeigt sie im Hinblick auf formulierte Lernziele? Antworten hierauf unterstützen Studierende, tiefer in die Materie einzudringen und zu erkennen, was sie gelernt haben.
In einem Lernportfolio kann vieles gesammelt werden – nicht alles davon ist sinnvoll
Schritte bei der Portfolio-Arbeit
Die Portfolio-Arbeit, deren Anleitung und Begleitung umfassen verschiedene Tätigkeiten, die geplant sein wollen (2):
- 1. Definieren des Kontextes
- 2. Sammeln von Artefakten
- 3. Selektion der Artefakte
- 4. Feedback auf das Lernportfolio
- 5. Überarbeitung des Lernportfolios
- 6. Einreichen des Lernportfolios.
Betrachten wir die Schritte der Reihe nach.
1. Den Kontext erläutern – möglichst transparent
Den Studierenden sollte transparent gemacht werden, was sie erwartet: Welche Lernziele bzw. Lernergebnisse werden angestrebt? Welche Artefakte können in welcher Form verwendet werden? Welche Gestaltungsspielräume werden vereinbart? Wann erfolgt von wem in welcher Form Feedback? Wie lauten die Kriterien für eine erfolgreiche Portfolio-Arbeit? „Verkünden“ Sie diese Vorgehensweise nicht nur, stimmen Sie sie mit den Studierenden ab. Die Dokumentation des Abstimmungsprozesses kann schon ein Teil des Lernportfolios sein: Man prüft, wie man sich mit den Lernzielen identifizieren kann.
2. Artefakte sammeln – zunächst ungewohnt
Materialien (Artefakte) für das Lernportfolio zu sammeln, ist zunächst ein ungewohnter Vorgang. Produkte, die Studierende ohnehin während des Studiums erstellen (zum Beispiel Planungsskizzen, Textzusammenfassungen, Gegenüberstellungen von Theorien) finden sonst eher selten den Weg zu den Lehrenden. Studierende haben (zunächst noch) keine konkrete Vorstellung davon, mit welchen Tätigkeiten und dabei entstehenden Artefakten sie Lernziele erreichen können.
Identifizieren Sie deshalb mit den Studierenden mögliche Artefakte und entwickeln Sie Aufgabenstellungen und Hinweise dazu, wie Probleme bearbeitet oder Inhalte durchdrungen werden können. Bewährt hat es sich, Leitfäden zu verwenden, die eine Orientierung geben, aber abgewandelt und ausgebaut werden dürfen. (3) Zur Beantwortung der Fragen in den Leitfäden können bzw. sollten Studierende dann verschiedene Dokumente als Belege anfügen.
3. Auswählen, strukturieren, reflektieren
Mit einer begründeten Auswahl der Artefakte soll dem „over-acting“ entgegengewirkt werden, d. h. die Studierenden sollen davon abgehalten werden, „Unmengen an Objekten zu horten und aneinander zu reihen, ohne sich viel dabei zu denken“.(4). Bei der Auswahl helfen Fragen wie: Warum zeigt dieses Artefakt besonders gut, dass ich das Lernziel erreicht habe oder wie ich vorgegangen bin, um das Lernziel zu erreichen?
Bezogen auf eine projektorientierte Veranstaltung können unter anderem die folgenden Fragen bearbeitet und Dokumente als Belege zugeordnet werden (5): Was ist seit dem letzten Treffen passiert? Wie stufe ich den aktuellen Stand ein? Wie stufe ich die aktuelle Vorgehensweise ein? Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten erwarte ich? Auf welche Aktivitäten hat man sich geeinigt?
Versuchen Sie die Reflexion zeitnah zu thematisieren, zum Beispiel, indem Studierende während der Lehrveranstaltung Zeit dafür erhalten.
4. Feedback geben – konkret, kurz, knapp
Feedback ist ein Kernelement der Portfolio-Arbeit. Dazu gehört, dass die Lernenden Zeit haben, das Portfolio zu überarbeiten – zum Beispiel bevor es als Prüfungselement für eine Benotung herangezogen wird. Nützliches Feedback bezieht sich auf eine konkrete Leistung/Darstellung/Reflexion, ist nicht ausschweifend und zeigt konstruktiv Handlungsalternativen auf – und sei es implizit durch Fragen.
Ein erstes mündliches Feedback mit konkreten Beispielen aus den Lernportfolios und einem zusammenfassenden Eindruck im Plenum der Lehrveranstaltung kann den Studierenden die Orientierung erleichtern. Portfoliogespräche in einer 1:1-Situation zwischen Lehrenden und Studierenden ermöglichen es, auf einzelne Aspekte tiefer einzugehen. Kombinationen der Feedbackvarianten helfen, den Lernprozess der Studierenden mit Blick auf die Ziele erfolgreich zu unterstützen.
5. Portfolio überarbeiten und einreichen
Das Feedback berücksichtigen die Studierenden bei der Überarbeitung und reichen das Portfolio danach ein. Je nach Ausrichtung dient die Einreichung dann dem Zertifizieren des Lernens (assessment of learning). Für die Bewertung der Portfolios sollten Sie wieder auf die Kriterien zurückgreifen, die Sie am Anfang entlang der erwarteten Lernergebnisse definiert und im Verlauf für das Feedback verwendet haben.
Elektronische Lernportfolios
Viele Portfolio-Arbeiten werden mittlerweile auch elektronisch verfasst. Das hat den Vorteil, dass sie jederzeit und schnell verfügbar sind. Möglicherweise müssen Studierende ihre Artefakte dafür aber auch erst digitalisieren.
Für den Einsatz von ePortfolios gibt es verschiedene Lernplattformen mit Portfoliofunktionen, zum Beispiel die Open-Source-Lernplattformen ILIAS und OLAT (Funktion integriert) oder Moodle (Funktionen über Anbindung an die weit verbreitete spezielle Portfolio-Software Mahara oder über ein Plugin wie Exabis). Oder es werden mehrere Online-Tools eingesetzt, um ein persönliches Lernportfolio zu erstellen (Blogs und Literatursysteme, Bilddatenbanken, Wikis) und auf ein persönliches Lern-Netzwerk (PLE – Personal Learning Environment) auszuweiten.
Risiken und Chancen
Die Arbeit mit Lernportfolios unterstützt Kompetenzentwicklung im Studium, indem verschiedene Formen der Leistungsdarstellung sowie der Prozess auf dem Weg dorthin dokumentiert, reflektiert und mit Feedback gefördert sowie geprüft werden.
Weitere Chancen sollen Portfolios bei Bildungsübergängen bieten, wo sie als Bewerbungs- oder Einstiegsinstrument dienen. (6). Kompetenzen, die in informellen Bildungsprozessen außerhalb der Institutionen gewonnen wurden, lassen sich berücksichtigen. Allerdings wird auch die Frage, inwieweit das Portfolio Selbstvermarktungstendenzen fördert und Lernprozessen zuwiderlaufen kann, ausgiebig diskutiert. (7)
Zunächst ist es aber ein Instrument, das Lernenden und Lehrenden den Blick auf das Lernen ermöglicht, um Bildungsprozesse zu fördern. Austausch auf dem Weg dahin unterstützt das European Network of ePortfolio Experts & Practitioners. (8) Zahlreiche Beispiele für Lernportfolios mit Screenshots und möglichen Aktivitäten haben Bauer und Baumgartner (9) gesammelt.
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Fußnoten:
1) Vgl. auch Hornung-Prähauser, Veronika; Geser, Guntram; Hilzensauer, Wolfgang; Schaffert, Sandra (2007). Didaktische, organisatorische und technologische Grundlagen von E-Portfolios und Analyse internationaler Beispiele und Erfahrungen mit E-Portfolio-Implementierungen an Hochschulen. Salzburg. Online verfügbar unter: http://www.fnm-austria.at/fileadmin/user_upload/documents/Abgeschlossene_Projekte/fnm-austria_ePortfolio_Studie_SRFG.pdf [21.01.2014].
2) Vgl. Himpsl-Gutermann, Klaus (2012): E-Portfolios in der universitären Weiterbildung. Studierende im Spannungsfeld von Reflexivem Lernen und Digital Career Identity. Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch. Zugleich Dissertation. Univ. Klagenfurt.
3) Vgl. Spelsberg, Karoline (2013): Diversität als Leitmotiv. Handlungsempfehlungen für eine diversitäts- und kompetenzorientierte Didaktik.
4) Reinmann, Gabi; Sippel, Silvia (2010): Königsweg oder Sackgasse? E-Portfolios für das forschende Lernen. In: Thorsten Meyer, Kerstin Mayrberger, Stephan Münte-Goussar, Christina Schwalbe (Hrsg.): Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von E-Portfolios in Bildungsprozessen. Preprint online unter: http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2009/11/Artikel_Hamburg_CampInnovation_final.pdf [21.1.2014].
5) Vgl. Sporer, Thomas; Sippel, Silvia; Meyer, Philip (2009): Using E-Portfolio as an Assessement Instrument within the Study-Program ‚Problem-Solving Competencies‘. In: Peter Baumgartner (Hrsg.): Potential of e-portfolios in higher education. S. 107-119..
6) Vgl. Miller, Damian; Volk, Benno (Hrsg.) (2013): E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf. Waxmann, Münster u. a. sowie Szczyrba, Birgit; Gotzen, Susanne (2012) (Hrsg.): Das Lehrportfolio - Entwicklung, Dokumentation und Nachweis von Lehrkompetenz an Hochschulen. Bildung -: LIT Verlag.
7) Meyer, Thorsten; Mayrberger, Kerstin; Münte-Goussar, Stephan; Schwalbe, Christina (Hrsg.) (2011): Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von E-Portfolios in Bildungsprozessen.
8) http://www.europortfolio.org/ [22.1.2014]
9) Bauer, Reinhard; Baumgartner, Peter (2012): Schaufenster des Lernens. Eine Sammlung von Mustern zur Arbeit mit E-Portfolios.
Lernportfolios
Netzwerk - Das europäische Netzwerk Europortfolio vereint knapp 250 Experten und Praktiker aus fast 50 Ländern. Auf der Homepage finden sich Praxisbeispiele zum Thema.
Internet: www.europortfolio.org
Wichtig -Was soll ins Lernportfolio, was nicht? Beim Auswählen helfen Leitfragen, etwa: Was ist seit dem letzten Treffen passiert? Wie stufe ich den aktuellen Status ein? Wie stufe ich die aktuelle Vorgehensweise ein? Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten erwarte ich? Auf welche Aktivitäten hat man sich geeinigt?
Fazit - Elektronische Lernportfolios haben Vor- und Nachteile: Sie sind jederzeit online verfügbar – Studierende müssen dafür aber Dokumente unter Umstände erst digitaliseren.
DUZ Magazin 04/2014 vom 21.03.2014