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Geschlossene Gesellschaft

Er geht arbeiten, sie kümmert sich um Haus und Kinder: In Japan herrscht die klassische Rollenverteilung. Das spiegelt sich auch in den Hochschulen wider. Nicht einmal jeder fünfte Studierende an der Universität Tokio ist weiblich, es gibt nur 14 Prozent Forscherinnen. Das soll sich durch Förderung und Auslandsstipendien ändern.

Mit den Liebesabenteuern des Prinzen Genji muss sich fast jeder japanische Schüler irgendwann herumschlagen. Die Erzählung ist das älteste Standardwerk der japanischen Literatur. Geschrieben hat es um das Jahr 1000 die kluge Hofdame Murasaki Shikibu. Dann ist da die sagenumwobene Kriegerin Tomoe Gozen, die im 12. Jahrhundert wilde Pferde geritten und zahllose Männer besiegt haben soll. Oder Dr. Masako Egawa: Die heutige Vizepräsidentin der prestigeträchtigen Universität von Tokio war zuvor Investmentbankerin und Direktorin des Japan-Zentrums der Harvard Business School.

Es ist also nicht so, dass starke Frauen in Japan unbekannt wären. Aber sie sind selten. Die japanische Gesellschaft funktioniert mit der klassischen Rollenverteilung. Das zeigt auch der Gender Gap Report. Jedes Jahr werden dafür 136 Länder auf den Grad der Gleichstellung von Mann und Frau untersucht. 2013 landete Japan auf Platz 105. Deutschland belegt Platz 14. Im Vergleich zu anderen Industrienationen klafft also eine enorme Lücke zwischen den Geschlechtern in Japan.

An der Universität Tokio ist nur jede zwanzigste Professur von einer Frau besetzt

Das wirkt sich auch auf Hochschulen aus. Es gibt lediglich 14 Prozent japanische Forscherinnen. An der Universität von Tokio ist nur jede zwanzigste Professur von einer Frau besetzt, und nicht einmal jeder fünfte Studierende ist weiblich. „Deshalb glaube ich nicht, dass Frauen ihr Potenzial in der japanischen Forschung ausschöpfen“, sagt Masako Egawa.

Die Universität Tokio versucht das zu ändern. Seit 2006 hat sie ein Gleichstellungsbüro, das sich um Frauen bemüht: Auf dem Campus werden vier Kindertagesstätten aufgebaut, Frauen sollen künftig Beratung und Unterstützung erhalten, schon an Gymnasien wird um Mädchen geworben. Aber eine Gesellschaftskultur lässt sich nicht von heute auf morgen ändern: Mehrere Frauen hätten schon eine Professur an der Universität abgelehnt, weil sie keine Lust hatten, die einzige Frau am Institut zu sein, heißt es an der Uni Tokio.

Karriere ist für die wenigsten Japanerinnen eine Option. Selbst unter denen mit Uniabschluss arbeiten nur 65 Prozent. Und zwei von drei Japanerinnen bleiben nach dem ersten Kind dauerhaft Zuhause. Dabei sind die Gesetze eigentlich recht familienfreundlich. Ähnlich wie in Deutschland haben Mütter und Väter nach der Geburt eines Kindes Anspruch auf ein Jahr Elternzeit.

Tatsächlich nehmen nur wenige Väter eine Auszeit für ihre Kinder. Und viele Mütter geben die Arbeit ganz auf, sagt auch Masako Egawa: „Es ist sehr schwer, sich um Kinder zu kümmern, wenn man Vollzeit arbeitet und noch Überstunden macht.“
Letzteres aber ist in Japan der Regelfall: Der durchschnittliche Angestellte arbeitet dort mehr als 1700 Stunden im Jahr. In Deutschland sind es rund 1400 Stunden.

„In Japan ist noch immer vieles auf den männlichen Alleinverdiener ausgelegt, es wird erwartet, dass man ständig Überstunden macht“, sagt Prof. Dr. Annette Schad-Seifert, Japanologin an der Universität Düsseldorf. „Hinzu kommt, dass Professuren an Japans Unis meistens intern besetzt werden – Hausberufungen sind dort nicht verboten, sondern üblich“, sagt sie. Auch das benachteilige Frauen. Eine Bestenauslese nach einigermaßen objektiven Kriterien sei fast unmöglich. Stattdessen würden – an Unis wie in Unternehmen – oft eher Männer vorgeschlagen. Bei Frauen gingen viele davon aus, dass sie ohnehin irgendwann Kinder bekommen und ausfallen.

Japans Premier Shinzo Abe möchte das ändern. Er hat Frauenförderung zu einer seiner Prioritäten erklärt. Gleichzeitig will er die international kaum konkurrenzfähigen Unis verbessern, vor allem mit einer stärkeren Ausrichtung auf das Ausland. Mehr Japaner sollen jenseits der Landesgrenzen studieren oder forschen, mehr Ausländer sollen japanische Unis besuchen. Noch vor zehn Jahren gingen 83 000 japanische Studenten ins Ausland. Vergangenes Jahr waren es nur noch 58 000, trotz Förderprogramm der Regierung. Das dürfte vor allem daran liegen, dass japanische Studenten in wirtschaftlich schlechten Zeiten keine Lust auf Experimente haben, sagt Dr. Holger Finken vom Tokioter Büro des Deutschen akademischen Austauschdienstes (DAAD). „Die Einstellungspraktiken sind immer noch so rigide, dass man sich gar nicht erlauben kann, zum entscheidenden Zeitpunkt nicht in Japan zu sein“, sagt er. Denn japanische Firmen suchen ihre Mitarbeiter an der Uni aus. Wer dann nicht da ist, hat Pech gehabt. Auch wird Auslandserfahrung von Arbeitgebern nur wenig gewürdigt.

Das Bewusstsein wächst, dass sich etwas ändern muss an den  japanischen Hochschulen

Anders als die Internationalisierung steht die Frauenförderung erst seit Kurzem auf der Agenda des Premiers. „Theoretisch ist es angekommen, dass sich etwas ändern muss, das ist unbestritten“, sagt Finken, „aber die Umsetzung von Reformen ist sehr schleppend.“ Annette Schad-Seifert hat große Zweifel, ob es der Regierung gelingt, an den Unis eine Strukturreform durchzusetzen. Ohnehin sind die meisten Unis in Japan private Körperschaften. „Wie wollen Sie da eingreifen?“, fragt sie. Und überhaupt: Vor allem müssten Universitäten Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie einführen, sagt Schad-Seifert, „aber das sagt sich leicht. Die Realität sieht ganz anders aus.“ Trotz allem ist sie vorsichtig optimistisch. „Es gibt mittlerweile das Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss“, sagt auch sie, „das wird nicht einfach, aber der politische Wille ist da.“

Für Masako Egawa gehört beides ohnehin zusammen: „Internationalisierung und stärkere Frauenbeteiligung führen beide zu mehr Diversität und damit zu mehr Produktivität“, sagt sie. Das ist vermutlich auch die Motivation für die Bemühungen des Premiers. Japans Wirtschaft stagniert. Würden aber mehr Frauen arbeiten, könnte es aufwärts gehen. Kathy Matsui, noch eine Powerfrau, die als Tochter eines japanischen Blumenzüchters in Kalifornien aufwuchs und heute Japan-Strategiechefin des Investment-Unternehmens Goldman Sachs ist, hat schon 1999 den Begriff „Womenomics“ geprägt: Würde Japan das Potenzial der Frauen ausschöpfen, könnte die Wirtschaft ihrer Schätzung nach kräftig wachsen, weil Frauen als Arbeitskräfte und Konsumentinnen in die volkswirtschaftliche Rechnung eingehen würden.

Von einer Entwicklung hin zu Womenomics ist Japan allerdings noch weit entfernt. Die Probleme verschärfen sich derweil eher noch: Die Bevölkerung schrumpft, bis 2055 soll es nur noch halb so viele Japaner im arbeitsfähigen Alter wie heute geben, aber doppelt so viele Rentner.

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