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Worauf Professoren achten sollten

Rund 25.000 Promotionen werden jährlich in Deutschland abgeschlossen. Ihren wissenschaftlichen Wert beurteilen und begründen Professoren zuvor in schriftlichen Stellungnahmen, den Dissertationsgutachten. Worauf ist dabei zu achten? Lesen Sie hier, wie ein erfahrener Geisteswissenschaftler vorgeht.

Wer mehrfach Mitglied von Promotionskommissionen gewesen ist, hat gewiss die Erfahrung gemacht, dass es unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie Gutachten über Dissertationen aufgebaut und welche Fragen dort beantwortet sein sollten. Manche dieser Variationen sind mit fachspezifischen Argumentations- und Darstellungsweisen zu erklären. Nicht selten aber darf man auch vermuten, dass sich in einem wenig standardisierten Bereich individuelle Gewohnheiten eingeschliffen haben, über deren Angemessenheit oder Unangemessenheit nachzudenken man kaum Anlass hat. Vor diesem Hintergrund kann man die Konfrontation mit dem, was andere offenbar für angebracht halten, als willkommene Chance ergreifen, seine eigene Praxis zu überdenken.

Die folgenden Ausführungen sind Resultat solcher Irritationen und der daran anschließenden Überlegungen, was man daraus für die eigenen Gutachten lernen könnte. Sie beruhen auf langjährigen Beobachtungen als Vorsitzender eines an der Universität Bremen für alle Promotionen zum Dr. phil. zuständigen Ausschusses. Deswegen sind sie von den Üblichkeiten geistes- und sozialwissenschaftlicher Verfahren geprägt. Es bleibt aber zu hoffen, dass zumindest die allgemeinen Teile cum grano salis auch für andere Wissenschaftskulturen hilfreich sind.

Funktion, Ziel und Aufgabe

Gutachten über Dissertationen werden zusammen mit diesen Arbeiten in der Regel fakultäts-öffentlich ausgelegt. Alle Mitglieder der Fakultät haben so einerseits die Möglichkeit, sich unmittelbar über neueste Forschungsergebnisse zu informieren, und zugleich andererseits die Aufgabe und Pflicht, im Rahmen der eigenen Expertise darauf zu achten, dass die Standards guter Wissenschaft eingehalten werden. Das kann bis zu Einreden oder Stellungnahmen reichen. An vielen Fakultäten ist es guter Brauch, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die selbst noch nicht promoviert sind, Dissertationen und Gutachten einsehen dürfen. Wer von ihnen diese Chance regelmäßig nutzt, kann Wesentliches darüber lernen, welche Anforderungen gestellt werden und worauf im Hinblick auf die Qualität des eigenen Vorhabens zu achten ist.

Gutachten müssen die Dissertation für benachbarte Disziplinen erschließen

Unabhängig vom Promotionsverfahren im engeren Sinn spielen die Gutachten also eine wichtige Rolle dabei, die Erwartungen an gute wissenschaftliche Arbeit und die dabei zu beachtenden Regeln bewusst zu machen und wachzuhalten. Im Hinblick auf die Gutachten stellt das hohe Anforderungen. Denn diese müssen die Dissertation eben nicht nur für das unmittelbare Fachkollegium, sondern auch für die Angehörigen benachbarter Disziplinen erschließen. Wenn das gelingt, dürfen sie als wichtiger Beitrag zum lebendigen wissenschaftlichen Austausch innerhalb der Fakultät gelten, bei dem sich die Bedeutung der jeweiligen Fächer und ihrer Zusammengehörigkeit unter Beweis stellen.

Für die Autorin oder für den Autor der Dissertation sind die Gutachten zumindest in doppelter Hinsicht sehr wichtig: Die dort formulierten Einschätzungen und Kritiken dienen zum einen dazu, für Disputation oder Kolloquium die eigenen Positionen und Thesen zu überdenken, zu verteidigen oder zu schärfen. Nach Abschluss des Verfahrens sind sie zum anderen eine Hilfe bei der Vorbereitung für die Publikation. Für beide Zwecke ist es notwendig, sowohl inhaltlich als auch formal Stärken und Schwächen präzise und konkret zu benennen. Dabei ist es eine Frage nicht nur wissenschaftlichen Taktes, alle wichtigen Beobachtungen zu nennen, ohne sich in beckmesserischer Pedanterie zu üben. Insbesondere bei guten Arbeiten gilt es zu bedenken, dass die Gutachten nicht selten auch dann beizulegen sind, wenn Vorschläge für wissenschaftliche Preise oder Druckbeihilfen eingereicht werden.

Vorsicht, Bestnote!

Für die Entscheidung in der jeweiligen Prüfungskommission sind die Gutachten von höchstem Belang. Hier geht es nicht nur um ein Votum darüber, ob promoviert wird oder nicht, sondern man muss auch nachvollziehbar darlegen, welches Prädikat vergeben werden soll. Es versteht sich von selbst, dass die Bestnote summa cum laude einer besonderen Begründung bedarf. Diese kann eigentlich nur darin bestehen, dass die Ergebnisse und Thesen der Dissertation mit einem noch einmal zusammenfassend genau zu bestimmenden wichtigen Erkenntnisgewinn verbunden sind und dass sich so gut wie keine Fehler und Mängel in Inhalt und Form aufzeigen lassen.

Im Unterschied zu vielen anderen Beurteilungen erreichen Gutachten zu Dissertationen eine vorab nicht genau abzugrenzende wissenschaftliche Öffentlichkeit. Dort tragen sie nicht nur zur Einschätzung der in Rede stehenden Dissertation bei, sondern sie werfen umgekehrt auch ein Licht auf die wissenschaftliche Expertise und Persönlichkeit der Gutachterin oder des Gutachters. Wie die aktuellen Diskussionen um die vermeintlichen oder wirklichen Plagiatsfälle zeigen, können Dissertationen und Gutachten auch lange Zeit nach den Verfahren Gegenstand von Untersuchungen und Debatten sein. Dabei kann auch das wissenschaftliche Renommee der Gutachter gefährdet sein. Sorgfalt in der Ausarbeitung und in der Formulierung bietet dagegen den besten Schutz.

Im Extremfall können Gutachten sogar Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein. Dort räumt man der wissenschaftlichen Urteilsfreiheit zwar grundsätzlich einen weiten Spielraum ein. Umgekehrt aber muss man dem damit zugebilligten Vertrauen durch die Qualität des Gutachtens gerecht werden. Oft interpretiert man dieses Gebot als Verpflichtung zu Objektivität. Doch ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass Entscheidungen in Promotionsverfahren niemals auf nur ein Gutachten gestützt werden, dass das eine unangemessene Erwartung ist: Wie sonst in der Wissenschaft auch sind Urteile notwendig standortgebunden, dürfen aber gleichwohl nicht beliebig sein.

Voraussetzung für die Übernahme von Gutachten

Dem Dilemma kann man nur entkommen, wenn man den eigenen Standort und den der Dissertation plausibel verdeutlicht. Dazu gehört, klar zu benennen, wo die eigene Expertise liegt. Niemand kann von einer Gutachterin oder einem Gutachter erwarten, alle Verästelungen des Faches oder gar seine interdisziplinären Verflechtungen gleichermaßen zu überblicken. Aber die Übernahme eines Gutachtens setzt voraus, dass man für wesentliche Aspekte der Dissertation zu einem selbstständigen Urteil in der Lage ist. Diese Fähigkeit zeigt sich insbesondere darin, dass man die wissenschaftliche Ausgangslage für die Dissertation, ihr Forschungsdesign einschließlich der theoretischen Grundlagen und methodischen Konsequenzen und die Durchführung des Vorhabens sowie die wichtigsten Ergebnisse und Fortschritte präzise und knapp beschreiben und dann bewerten kann. Damit wird zugleich auch die wissenschaftliche Relevanz der Arbeit bestimmt. Es mag sein, dass die Fragen oder die Ergebnisse über die Wissenschaft hinaus von allgemeinerer Bedeutung sind: Im Gutachten sollte das allenfalls einleitend oder abschließend erwähnt, für ein Urteil über die Arbeit aber darf es sonst nicht weiter herangezogen werden.

Was zählt, sind allein die vorgelegten und begründeten Ergebnisse

Auch die Persönlichkeit der Doktorandin oder des Doktoranden, ihr Bildungsweg oder ähnliches sind grundsätzlich irrelevant. Was zählt, sind allein die vorgelegten und begründeten Ergebnisse. Allerdings ist zu überprüfen und darzulegen, ob und in welchem Maße eigene Vorarbeiten der Doktorandin oder des Doktoranden eingeflossen sind. Die meisten Promotionsordnungen erlauben es inzwischen, solche Vorstudien bei der Bewertung des Ergebnisses angemessen zu berücksichtigen.

Es gehört zu den Aufgaben eines Gutachtens, über den Aufbau und den Gang der Argumentation zu informieren. Hierfür hat es sich bewährt, einen Überblick über die Gliederung insgesamt mit einer kurzen Darstellung der einzelnen Abschnitte zu kombinieren. Es kann sehr hilfreich sein, sich in diesem Abschnitt eines Urteils möglichst zu enthalten und vielmehr zu versuchen, das Anliegen und die Stärken der Arbeit pointiert herauszustellen. In allen wesentlichen Aspekten und sonst zumindest beispielhaft sollte man dartun, wo und wie bisherige Positionen in der Forschung in Frage gestellt oder überwunden werden wollen. Dabei ist es wichtig, im Auge zu behalten, dass es ein Fortschritt ist, bisherige Selbstverständlichkeiten aufzulösen, auch wenn diese noch nicht durch neue Positionen ersetzt werden können: Der Weg aus der Sackgasse hilft, weil er zur Neuorientierung zwingt.

Als Überleitung bietet es sich an darzulegen, inwiefern die Argumente überzeugend ineinander greifen und ob die Gewichtung generell angemessen ist. Keinesfalls fehlen darf eine gut begründete Stellungnahme zu sachlichen Irrtümern, Versäumnissen und Fehlern. In der Regel ist es hier wenig hilfreich, Errata und Gravamina nur aufzulisten. Vielmehr sollte man sich auf deutliche Beispiele beschränken und zugleich erläutern, ob und inwiefern es sich um typische und den Gesamteindruck prägende Unzulänglichkeiten handelt. Besonders sollte markiert werden, wenn wichtige Aspekte der Forschung nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Man kann erwägen, ob man der Doktorandin oder dem Doktoranden ergänzend eine Aufstellung all der Auffälligkeiten zukommen lässt, derer man beim Studium der Arbeit gewahr wurde.

Was tun bei formalen Schwächen?

Nicht fehlen darf eine Beschreibung und Bewertung der formalen Qualität der Arbeit. Dabei sollten sprachliche Korrektheit und Vollständigkeit in den Nachweisen und in Quellen-, Abbildungs- und Literaturverzeichnissen selbstverständlich sein. Sind diese Anforderungen grundsätzlich erfüllt, genügt eine summarische Feststellung. Wenn aber schwere Versäumnisse zu konstatieren sind, sollte man diese gleichwohl besser exemplarisch und nicht pedantisch in allen Einzelheiten anführen. Dasselbe gilt für eine den Fachtraditionen entsprechende und vor allem einheitliche Zitierpraxis einschließlich der Verwendung angemessener und üblicher Abkürzungen und Siglen. Längere fremdsprachige Abschnitte aus Quellen oder Literatur müssen im Gutachten vor allem dann, wenn es sich um Sprachen handelt, deren selbstverständliche Beherrschung durch die meisten Mitglieder der Fakultät nicht vorausgesetzt werden kann, darauf überprüft werden, ob sie korrekt und vollständig in die Argumentation aufgenommen worden sind: Hier haben die Gutachten eine besondere Verantwortung.

Do‘s and dont’s

Für das Gesamturteil sind Vorzüge und Schwächen der Arbeit gegeneinander abzuwägen. Das bedeutet auch, dass man explizit darlegt, warum man welchem Aspekt welches Gewicht zuweist. Außerdem muss nachvollziehbar bestimmt werden, wie tief die Arbeit in die Komplexität disziplinären oder interdisziplinären Fragens eingedrungen ist und welchen allgemeinen Erkenntnisfortschritt sie dabei erzielt hat. Unverzichtbar sind eindeutige Aussagen dazu, ob die Anforderungen an eine Dissertation – also neue Gedanken oder Zusammenhänge selbstständig zu erarbeiten und zu formulieren – erfüllt sind und welche Note vergeben werden sollte. Völlig unzureichend wäre es, sich anderen Gutachten lediglich anzuschließen. Transparenz bei den Kriterien ist vor allem dann hilfreich, wenn Gutachten zu sehr verschiedenen Einschätzungen kommen. Denn sie ermöglicht es den Kommissionsmitgliedern, sich leichter ein Urteil darüber zu bilden, ob ein weiteres Gutachten anzufordern ist.

Die Länge des Gutachtens kann nicht allgemein bestimmt werden. Allerdings bleibt es schwer vorstellbar, dass für eine Dissertation durchschnittlichen Umfangs in den Geisteswissenschaften eine angemessene Auseinandersetzung auf weniger als sechs bis acht Standardseiten möglich ist.

Tipps und Downloads

Handlungstipp
In der Kürze liegt die Würze! Auch wenn es für die Länge von Gutachten keine festen Vorgaben gibt: Zumindest in den Geisteswissenschaften sollte die Auseinandersetzung mit der Arbeit nicht mehr als acht Standardseiten betragen müssen.

Fazit
Gutachten über Dissertationen spiegeln nicht nur die Qualität der jeweiligen Arbeit, sie lassen auch Rückschlüsse auf die Expertise des Gutachers zu. Höchste Sorgfalt bei der Beurteilung ist angebracht, Pedanterie dagegen völlig fehl am Platz.

Download: Promotionen in Deutschland – Ergebnisse aus dem Promovierendenpanel
Hauss, Kalle et. al, 2012: Promovierende im Profil: Wege, Strukturen und Rahmenbedingungen von Promotionen in Deutschland. Ergebnisse aus dem ProFile-Promovierendenpanel. iFQ-Working Paper No.13, Berlin
http://www.forschungsinfo.de/Publikationen/Download/working_paper_13_2012.pdf

Online-Informationstool zu den Promotionsnoten
www.forschungsinfo.de/promotionsnoten

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