Spanische Forscher helfen sich in der Fremde
Viele spanische Wissenschaftler verlassen wegen der Wirtschaftskrise ihre Heimat und gehen nach Deutschland. Dort wartet ein Netzwerk spanischer Forscher auf sie. Es will mehr sein als nur eine Hilfe im Alltag.
München Für das Netzwerk der spanischen Wissenschaftler in Deutschland Cerfa (La Sociedad de Científicos Españoles en la República Federal de Alemania) war es eine Premiere. Die Organisation hatte Mitte Oktober zu ihrer ersten Konferenz unter dem Titel „Erfahrungen und Perspektiven der spanisch-deutschen Forschungskooperation“ nach Berlin geladen. Rund 100 spanische Forscher und deutsche Vertreter aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen nahmen daran teil. Raúl Delgado-Morales (PhD) ist zufrieden: „Wir wollen nicht nur ein Netzwerk für spanische Forscher in Deutschland, sondern auch Kontakte zu deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufbauen.“
In Deutschland ist die Zahl spanischer Forscher ist auf rasant gestiegen.
Delgado-Morales ist Cerfa-Präsident. Er hat die Gesellschaft auch im Juni vorigen Jahres gegründet. Immer mehr Spanier verlassen ihre Heimat. Alleine nach Deutschland zog es im vorigen Jahr mehr als 10 000 Spanier, rund 120.000 leben mittlerweile hier. „Die Zahl spanischer Forscher ist auf rund 1300 rasant gestiegen", sagt der Cerfa-Chef, der seit drei Jahren am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie forscht. Für spanische Wissenschaftler soll Cerfa zur Anlaufstelle werden.
Die wesentliche Ursache für den Exodus ist die Finanzkrise: Spaniens Forschungsförderung liegt am Boden. Nach Angaben des Europäischen Hochschulverbands EUA (European University Association) hat Spaniens Regierung die Mittel für die Hochschulen zwischen 2008 und 2012 um knapp zehn Prozent gekürzt. Der Dachverband der spanischen Wissenschaftsvereine Cosce (Confederación de Sociedades Científicas de España) beklagt gar ein Minus von 40 Prozent bei den Forschungsausgaben seit Beginn der Finanzkrise. Als eine „verlorene Generation“ sehen sich bereits viele spanische Wissenschaftler, die ihre Forschungsprojekte stoppen müssen oder kaum noch Stellen finden.
In Deutschland hat Cerfa mittlerweile vier Landesverbände aufgebaut: In Bayern, Berlin-Brandenburg, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Weitere Verbände sollten bald hinzukommen, hofft Delgado-Morales. Die meisten der rund 360 Cerfa-Mitglieder sind Studenten, Doktoranden und vor allem Postdocs, quer durch alle Wissenschaftsdisziplinen. Momentan überwiegen Lebens- und Ingenieurwissenschaftler, weil für sie Deutschland besonders attraktiv ist. Die Landesverbände bilden das Herzstück von Cerfa. Sie organisieren Workshops, auf denen sie beispielsweise erklären, wie das Wissenschaftssystem in Deutschland funktioniert, wie und wo man Drittmittel beantragen kann oder sie veranstalten Seminare zu Themen wie erneuerbare Energien oder Ozeanographie.
In Heidelberg, München oder Bonn laden die Verbände monatlich ein, um sich über das Leben in Deutschland auszutauschen. „Mit unserer Erfahrung wollen wir Ankömmlinge bei der Ankunft unterstützen, die Bürokratie zu bewältigen“, sagt Delgado-Morales. Das gelte etwa bei der Suche nach einer Wohnung, beim Gang zum Einwohnermeldeamt oder beim Ausfüllen von Steuer- oder Versicherungsformularen. Zwar seien die internationalen Büros der Hochschulen oft eine sehr gute Hilfe, doch im Alltag tauchten wegen der Sprachbarrieren immer wieder Probleme auf.
Helfen will Cerfa auch bei der Karriereplanung. „Wir bekommen immer wieder Mails aus Spanien, in denen Wissenschaftler nach Jobs und nach den Bedingungen, in Deutschland zu arbeiten, fragen oder sich erkundigen, wie gut sie die Sprache können müssen“, sagt er. Über ein Online-Forum geben die Spanier hier in Deutschland ihre Tipps an die Kollegen. Die Nachfrage ist groß: Viele, sagt Delgado-Morales, würden gerne nach Deutschland kommen.
Ähnliche Ziele wie Cerfa haben auch andere Netzwerke in Europa. In Großbritannien beispielsweise sammelten sich Wissenschaftler aus Italien, Spanien und Portugal in jeweils eigenen Organisationen. In Deutschland, wo sich die Zahl der ausländischen Wissenschaftler zwischen 2001 und 2011 von 19.000 auf mehr als 32.000 erhöht hat, treffen sich beispielsweise Wissenschaftler aus Argentinien als Red de Científicos Argentinos en Alemania (www.rcaa.de); Forscher aus Chile sind unter Red de Investigadores Chilenos en Alemania vernetzt (http://www.redinveca.de/inicio.html).
Dem spanischen Verein Cerfa geht es aber nicht nur darum, in Deutschland aktiv zu sein. Die Verbindung in die Heimat soll aufrechterhalten werden. „Über soziale Netzwerke zeigen wir unseren Landsleuten, woran wir forschen und welchen Nutzen das für die Gesellschaft haben kann", sagt der Cerfa-Präsident. In Spanien wüssten viele Menschen nicht, was die Wissenschaftler in den Laboren eigentlich machen. Das solle sich ändern. Und er hofft auch auf einen Lerneffekt: In Spanien gebe es für Master-Studierende und Doktoranden zu wenig Unterstützung, für die Postdocs zu wenig Stellen, und die Hochschulen seien zu wenig international. „Wir wollen Ideen aus Deutschland nach Spanien bringen, davon könnte das spanische Hochschulsystem profitieren“, sagt Delgado-Morales.
An eine baldige Rückkehr denken seiner Beobachtung nach derzeit nur die wenigsten: „Im Moment sind viele skeptisch, weil der spanischen Regierung eine langfristige Strategie fehlt, wie die Zukunft der Wissenschaft aussehen soll."
Internet: www.cerfa.de
Dr. Sandra Haseloff
Internationalisierung
„Hochschulen könnten Stammtische anbieten“
Die Serviceangebote für ausländische Wissenschaftler sind noch ausbaufähig. Hochschulen, sagt Dr. Sandra Haseloff, könnten sie beispielsweise auf Ämter begleiten.
duz: Ausländische Wissenschaftler in Deutschland organisieren sich selbst ihre eigenen Netzwerke. Machen die Hochschulen etwas falsch im Umgang mit den internationalen Gästen?
Haseloff: Nein, die deutschen Hochschulen bieten in den Welcome Centres und den Euraxess-Servicezentren eine sehr gute Betreuung. Allerdings klagen die Welcome Centres, mit denen wir zu tun haben, oft über chronischen Mangel an Ressourcen. Die sind finanziell und personell begrenzt. Viele würden gerne noch sehr viel mehr tun.
duz: Was denn zum Beispiel?
Haseloff: Ein Service, den noch nicht so viele Hochschulen leisten, ist die persönliche Begleitung auf Ämter. Dadurch könnten die Wissenschaftler Formulare leichter ausfüllen, man könnte auch mal ein Gespräch mit dem Verwaltungsbeamten übersetzen. Zudem könnten noch mehr Hochschulen länderspezifische Stammtische für ausländische Wissenschaftler anbieten.
duz: Wie könnten die Hochschulen mit den Netzwerken kooperieren?
Haseloff: Bei Euraxess haben wir zweimal im Jahr Workshops zum Erfahrungsaustausch der Welcome Centres. Da überlegen wir, Organisationen wie Cerfa einzuladen, um nachzudenken, wie Kooperationen mit Hochschulen aussehen könnten. Vielleicht lassen sich so gemeinsame Forschungsprojekte initiieren. Die internationalen Wissenschaftler haben in ihren Heimatländern sicherlich sehr gute Netzwerke, von denen deutsche Forscher in Deutschland profitieren können.
Internet: www.euraxess.de
Das Interview führte Benjamin Haerdle
DUZ Europa 10/2013 vom 06.12.2013