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Mörder, Intriganten, Wissensautomaten

Da kann einem das Messer in der Tasche aufgehen: In der Krimireihe „Tatort“ werden Wissenschaftler im Kampf um Fördergelder, Professorenstellen und Patente zu Intriganten und Mördern. Oder sie fristen ein trostloses Dasein als namenlose Informanten. Dabei steckt viel mehr in ihnen.

Wohlhabend, eitel, intelligent, berechnend, konservativ bis aristokratisch. So lassen sich die klischeehaften Attribute auflisten, mit denen Wissenschaftler oftmals in der Krimireihe „Tatort“ ausgestattet sind. Das liest sich wie die Charakterisierung des Gerichtsmediziners Professor Karl-Friedrich Boerne, den Kommissar Thiel in der Folge „Eine Leiche zuviel“ wie folgt beschreibt: „Eigenwillig, geschwätzig, egoistisch.“ Boerne vereint überspitzt diverse Klischees der akademischen Welt als pseudoaristokratischer Elfenbeinturm: „Ich habe Examen bei ihm gemacht. Das können Sie als normaler Mensch gar nicht verstehen.“

Der Blick auf die Wissenschaft  in der Krimi-Reihe „Tatort“  ist verzerrt.

Jedoch wird erst mit der Figur Boerne die Universität als Raum beziehungsweise das universitäre Umfeld Boernes für Ermittlungen im „Tatort“ regelmäßig nutzbar gemacht. In den Jahrzehnten zuvor ist die Erkundung des universitären Bereichs im „Tatort“ eher rar. Öfter schon geraten Forschungsinstitute und Unternehmen ins Visier der Ermittler. Das mag auch damit zu tun haben, dass es im „Tatort“ immer etwas zu morden geben muss: Die eine oder andere tote Studentin führt die Ermittler schon mal zur Befragung an die Uni. Doch das Mordmotiv findet sich in der Regel im Privaten – Eifersucht oder Rache –  oder in kriminellen Verstrickungen im Drogen-Milieu oder Erpressung. Forschungsinstitute und Firmen bieten den „Tatort“-Autoren offenbar mehr Raum für Intrigen, Korruption, Betrug und was einem sonst noch als Motiv für einen Mord einfällt. Der Blick auf die Wissenschaft ist daher im „Tatort“ verzerrt.

Abgesehen von den oft negativ gezeichneten und mit Doktortiteln behängten Juristen sind die meisten Akademiker im „Tatort“ Mediziner; dem Genre geschuldet vorzugsweise Gerichtsmediziner. Gerade Medizin und Naturwissenschaften bieten sich dem „Tatort“ offenbar als Tathintergrund an, weil die dramaturgische Fallhöhe besonders hoch ist. In der Folge „Tödliche Tagung“ (2002) beispielsweise geht es um das mörderische Wettrennen in der Entwicklung eines Medikamentes. Illegale Medikamententests oder andere Formen des Medizinbetrugs spielen immer wieder eine Rolle – seit Jahrzehnten wie in den Folgen „Rechnen Sie mit dem Schlimmsten“ (1972), „Ausgeklinkt“ (1988), „Medizinmänner“ (1990), „Experiment“ (1992), „Quartett in Leipzig“ (2000) und „Fettkiller“ (2007). Der Prototyp des forschenden „Tatort“-Mediziners ist dabei vor allem eines: amoralisch.

Welche Hintergründe und Motive sollte es dagegen bei Geisteswissenschaftlern geben, außer den Klassikern wie Eifersucht und persönliche Verfehlungen? In „Veras Waffe“ (2003) wird zwar auch die Macht der kommunikationswissenschaftlichen Demoskopie thematisiert. Aber erst die Rotlicht-Vergangenheit der Tatverdächtigen bringt die Handlung auf Trab. Und in der Folge „In Winterschach“ (1988) steht zwar ein Literaturprofessor im Mittelpunkt. Das aber auch nur, weil er von einer lateinamerikanischen Militärjunta als Symbolfigur des Widerstandes instrumentalisiert werden soll. Sein Beruf bleibt unwichtig.

Zurück ins Kommissariat: Wenn das Fachwissen der studierten Kollegen nicht mehr ausreicht, werden externe Experten von Astrologen bis hin zu Zoologen befragt. Diese Spezialisten werden in der Regel als Informanten genutzt. Nur in seltenen Fällen werden ihnen persönliche Eigenschaften zugesprochen; so wie Eberhard Feik als Professor Sternebeck in der Folge „Bienzle und die Feuerwand“ (1995), der einen begeisterten Ethnologen darstellt. Meist sind die Experten eher flache Figuren: Kittel tragende Neutrums. So stehen die Toxikologen in der Folge „Die Blume des Bösen“ (2007) vor der Staffage eines Labors mit dampfenden Reagenzgläsern und klären emotionslos Kommissar Ballauf über Gifte auf.

Erst wenn der Wissenschaftler persönlich in den Fall involviert ist, wird die Figur differenzierter gezeichnet. Dann entsteht die Chance, filmisch das Milieu der Wissenschaft zu betreten. Doch diese Chance wird nicht immer genutzt. Zwar ermittelt Kommissar Piper in der Folge „Streifschuss“ (1980) im Todesfall eines Theologieprofessors und Landespolitikers. Doch letztlich versucht dessen Witwe alles, um das Ansehen ihres Verblichenen zu erhalten, der angeblich während eines Bordellbesuchs gestorben sei. Sie lässt sich um das gesamte Erbe erpressen, nur um den bürgerlichen Schein zu wahren. Anders ist dies in dem Kölner Fall „Mördergrube“ (2001). Darin wird das universitäre Milieu einer juristischen Fakultät erkundet. Die Dozenten sind alle als gut betucht und eitel inszeniert. Die Studierenden wähnen sich als Elite und geben sich arrogant. So erschießt der Sprössling eines erfolgreichen Anwalts scheinbar ohne Motiv eine Kommilitonin, nur um seine Fertigkeiten zu erproben. Er will den perfekten Mord begehen. Überheblichkeit wird den wie Aristokraten inszenierten angehenden Akademikern zum Verhängnis. Kommissar Max Ballauf, bescheiden wie er ist, ist ihrer Arroganz moralisch überlegen.

Im Fall „Auskreuzung“ (2011) bekommt es Ballauf abermals mit mordenden Wissenschaftlern zu tun. Die Folge zeigt den extremen Leistungsdruck – euphemistisch vom Institutsleiter als „kreative Konkurrenz“ bezeichnet –, unter dem junge Naturwissenschaftler stehen. Sie werden hier nicht als Aristokraten, sondern als Geschäftsleute inszeniert. Was sie wohl sein müssen. Denn, wie Professor Kaltenbruch in der Folge sagt: „Wissenschaft in Deutschland ist chronisch unterfinanziert.“ Hier geht es um Fördergelder in Millionenhöhe und um lukrative Patente. Vor allem geht es um die eigene Karriere, für die der eine Ergebnisse manipuliert und der andere zum Erpresser wird. Das Ziel: eine Juniorprofessur. Ob dies ein plausibles Mordmotiv darstellt? Alle Projektleiter sind hier vermögend dargestellt und selbst die Assistentin hat ein teures Appartement vom Projekt gestellt bekommen.

Das Problem prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft wird völlig ausgeblendet.

Das Problem prekärer Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft wird völlig ausgeblendet. Es wird kein realistisches Bild von der Bandbreite universitärer Forschung in Deutschland vermittelt; fokussiert werden vor allem gewinnbringende Felder der Medizin und Naturwissenschaft. Dies suggeriert, die Juniorprofessur sei der letzte Schritt der Karriereleiter, der mit Prestige und hohem Einkommen verbunden ist. Der Wissenschaftler, der hart um seine Existenz kämpfen muss, rückt kaum in einen differenzierten Fokus. So ist Boernes Assistentin Silke Haller seit 2003 trotz des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ohne Existenzsorgen und Zukunftsangst – so etwas gibt es nur im „Tatort“.

Ebenso gibt es nur wenige „Tatort“-Folgen, in denen ein Wissenschaftler in einer verklärten Idealisierung von Wissenschaft altruistisch für den Fortschritt forscht und dabei zuweilen zum Mörder („Freiwild“, 1984) oder zum Opfer („Eiskalt“, 1997) wird. Der „Tatort“-Blick verweilt lieber auf den Villen der Professoren und Chefärzte. Sie versuchen einander Ehrungen streitig zu machen oder Fehltritte zu vertuschen. Auf diese Weise bestätigt die „Tatort“-Reihe konservative Wissenschafts-Klischees eher, als dass sie einen realistischen Einblick in dieses Milieu böte.

Zu den Autoren

Zu den Autoren:

Björn Lorenz
(links) ist wissenschaftliche Hilfskraft im Teilprojekt „Formen und Verfahren der Serialität in der ARD-Reihe ‚Tatort‘“. Daran arbeitet die Forschungsgruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Sitz an der Universität Göttingen.

Christian Hißnauer
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der DFG-Forschungsgruppe und zuständig für das Teilprojekt zur ARD-Reihe „Tatort“.

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