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Verleugnet, verniedlicht, geschönt

Offenheit und Kreativität im Umgang mit Konflikten sind selten. Gerade im Wissenschaftsbetrieb wird der Wert der Auseinandersetzung verkannt, sagen Experten. Denn oft ist es der Streit, der Durchbrüche ermöglicht. Ein weites Feld für Wissenschaftsmanager, von Referenten und Kanzlern bis hin zu Rektoren.

Am Anfang standen gute Vorsätze. Als die Auseinandersetzung an der Hochschule Hannover aber aus dem Ruder lief, war selbst mit externer Hilfe keine Rettung mehr möglich. Der bundesweit wohl spektakulärste Hochschulkonflikt des Jahres reicht bis in den Sommer 2011 zurück. Damals machte sich ein neues Präsidium unter der Regie von Prof. Dr. Rosemarie Kerkow-Weil an weitreichende Neuerungen. Wie sich später zeigen sollte, tat das Präsidium dies offenbar, ohne seine Hochschule auf die Reise mitzunehmen. Als es darum ging, Lehrverpflichtungen und Leistungszulagen für Professoren neu zu verteilen, war Schluss mit lustig. Der Konflikt geriet aus den Fugen. Der Präsidentin, als Frau des niedersächischen Ministerpräsidenten Stephan Weil sowieso exponiert, wurde vorgeworfen, sie verbreite eine „Kultur der Angst“. Im Januar dieses Jahres wählte der Senat das komplette Präsidium mit Drei-Viertel-Mehrheit ab. Das wiederum weigerte sich zurückzutreten, weil es den externen Hochschulrat an seiner Seite hatte. Im März kam der Rücktritt der Hochschulleitung einer zweiten Abwahl zuvor. Seitdem hat ein Abgesandter des Wissenschaftsministeriums kommissarisch das Sagen.

Organisierte Anarchie

Konflikte an Hochschulen laufen selten so krass aus dem Ruder wie in diesem Fall. Aber sie zeigen, wie Forscher wissen, oft auch nur die Spitze eines Eisbergs: Unterhalb des schönen Scheins, demzufolge die Wissenschaft einen Dissens kraft Einsicht in Argumente selbst zu lösen imstande ist, wabert reichlich Stoff für heftigste Auseinandersetzungen. Und das in unheilvoller Komposition. Denn, so formuliert es Dr. Justus Lentsch, Mediator und Leiter der Stabsstelle Forschung an der Universität Frankfurt, auch Wissenschaft ist ein soziales System, in dem Konflikte unvermeidlich sind. Obendrein seien Hochschulen besondere Organisationen, oft als „organisierte Anarchien“ beschrieben, in denen sich komplexe Strukturen, Interessen, Werte, Arrangements und Entscheidungsprozesse verbinden oder aber im Wege stehen. In dieser Gemengelage machen Forscher vor allem soziale Konflikte an den Hochschulen aus.

Diese sehen zunächst ähnlich aus wie andernorts auch: Streit zwischen Mitarbeitern oder im Team, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Bei einem von der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) organisierten Treffen von Konfliktmanagern stellte Anne Schwarz von der Uni Hannover voriges Jahr eine Studie vor, wonach über Leistungskritik, Arbeitsverteilung, mangelnde Kommunikation und Hierarchieprobleme bei den Anlaufstellen vom Personalrat bis zur Gleichstellungsbeauftragten am häufigsten geklagt werde.

Die Eisberg-Theorie

Allerdings machte die Suchtbeauftragte Schwarz in ihrer Studie auch hochschulspezifische Faktoren aus, insbesondere Belastungen durch in sich widersprüchliche Rollenbündel in Forschung, Lehre und Verwaltung beim wissenschaftlichen Nachwuchs, ungeklärte Zuständigkeiten, schwierige Betreuungs- und Abhängigkeitsverhältnisse oder prekäre Zeitverträge mit häufigem Personalwechsel. Hinzu kommen Vorgesetzte, zwar kompetent als Wissenschaftler, aber kaum ausgebildet, um Personal zu führen und Konflikte anzugehen.
Soziale Konflikte verweisen, so das „Eisberg-Modell“ der Konfliktforscher, häufig auf darunter liegende Interessenskollisionen oder Strukturprobleme. Daran mangelt es an keiner Hochschule: Animositäten zwischen Statusgruppen, unterschiedlichen Fachkulturen oder hochschulpolitischen Interessen, Identifizierungsprobleme zwischen der Wissenschaft und der eigenen Hochschule, Verteilungskonflikte um Ressourcen, Machtkämpfe oder Streitereien zwischen Verwaltung und Wissenschaft. Das Centrum für Hochschulentwicklung bietet deshalb regelmäßig Kurse zum Konfliktmanagement an, den nächsten Mitte November (www.hochschulkurs.de).
Trotzdem sind Auseinandersetzungen im Wissenschaftsbetrieb oft tabu.

Diese Erfahrung machte zumindest Dr. Wolfgang Grunwald, lange Jahre Professor für Arbeits- und Betriebspsychologie an der Universität Lüneburg und Berater für Organisationsentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung. Konflikte zu vermeiden sei generell verbreitet, besonders aber an Hochschulen, sagt er. Nur selten würden sie angegangen. „Offen schon gar nicht“, sagt Grunwald. Zu tun habe dies teils mit allgemeinem Harmoniebedürfnis, teils auch mit typisch deutschen Haltungen: der Hang zum Gutmenschentum als Reflex auf schlecht verarbeitete Vergangenheit, übertriebene politische Korrektheit, der Wunsch nach Sicherheit. Zudem finde sich an Hochschulen oft ängstliches Personal ein, das nach Beamtentum suche, darunter viele Individualisten und Eigenbrödler. Die Persönlichkeit spiele im Konflikt eine wichtige Rolle (siehe Infokasten). Im Ergebnis höre der Organisationsberater jedenfalls oft: Wir haben keinen Dissens, nur Probleme. Und: Wir haben keine Probleme, nur Herausforderungen. So werde Realität häufig verleugnet, verniedlicht, geschönt und weggeredet. Dem stünden dann wieder notorische Schwarzseher gegenüber, die alles zum Konflikt machen. Grunwald: „Das eine ist so falsch wie das andere.“

„Es gibt keinen Wandel, keine Erneuerung ohne Konflikt.“

Erstarrt in Harmonie

Grunwald plädiert deshalb vehement dafür, auch an Hochschulen mit Konflikten angstfreier umzugehen und im Streit mutig auch die Chance zu erkennen: „Wir wissen es aus der Wissenschaft seit der Antike, aber genauso gut aus unserem eigenen Leben – es gibt keinen Wandel und keine Erneuerung ohne Konflikt.“ Ein harmonisches System erstarre in Regression. Und es sei auch kein Weg, Konflikte mit einschlägigen Sozialtechniken technokratisch steuern zu wollen. Freier Wille und sozialer Zusammenhang seien so nicht zu erfassen. Vielmehr komme es im „optimalen Konflikt“ darauf an, Unterschiede und Spannungen auszubalancieren und im Dialog faire Kompromisse zu erreichen. Grunwald: „Das ist eine Führungsaufgabe.“

Damit zählt das Konfliktmanagement auch zu den ureigensten Aufgaben der Kanzler an Universitäten und Fachhochschulen, die sich zu ihren jeweiligen Jahrestagungen Mitte September an der Universität Erlangen-Nürnberg und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin treffen.

Zugleich aber versorgt diese Aufgabe eine ganz neue Berufsgruppe mit Arbeit, nämlich Wissenschaftsmanager und Mediatoren. Eine, die dafür Kompetenzen vermittelt, ist Dr. Birgit Keydel, Mediatorin und selbst Ausbilderin für Mediation. Sie bietet im Zentrum für Wissenschaftsmanagement in Speyer Workshops für Ombudsleute und Führungskräfte an Hochschulen an und kennt den Mythos des „Wir haben uns alle lieb“-Gefühls in der Wissenschaft. Aber dem sei nicht so. Zum Konflikt komme es auf allen Ebenen, von der Poststelle bis zur Hochschulleitung, vom Studenten bis zum Professor. Die Abhängigkeitsverhältnisse seien in der Wissenschaft besonders stark, der Konkurrenzdruck sei in den vergangenen Jahren immer größer geworden: „Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Ethos hat das Züge eines knallharten Geschäfts angenommen“, sagt sie. Häufig würden Konflikte deshalb zu spät angegangen und eskalierten.

Folgt man den Eskalationsstufen des österreichischen Konfliktforschers Dr. Friedrich Glasl (siehe Infokasten), ist es nach Keydels Erfahrungen noch bis zur Stufe 3 durchaus möglich, Konflikte selbst zu klären. Ab Stufe 4 bis Stufe 6 verbrenne man sich daran die Finger und brauche professionelle Hilfe von außen. Ab Stufe 7 sei auch Mediation am Ende und es komme – wie in Hannover – zum externen Machteingriff. Das bestätigt auch Dr. Oliver Locker-Grütjen, der an der Universität Duisburg-Essen das Science Support Center leitet: „Rechtzeitige Hilfe durch externes Coaching ist absolut hilfreich. Dafür hätten wir gar nicht das Werkzeug.“

Problematisch ist der Mediatorin Keydel zufolge aber, dass für externe Konfliktlösungen oft kein Geld da sei, obwohl die Folgekosten erheblich höher wären. Positiv sieht sie, dass viele Hochschulen wie beispielsweise die Humboldt-Universität Berlin, die Uni Hannover oder die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Konzepte und Projekte entwickeln, um mit Konflikten kreativer und produktiver umzugehen: von Konfliktsprechstunden und Konfliktlotsen bis hin zu hochschulübergreifenden Konfliktmanagementsystemen.

Unter dem wachsenden Konkurrenz- und Profilierungsdruck werden sich neue Spannungen auftun. Zum einen in der internen Governance zwischen Hochschulleitung, Fachbereichen und akademischer Selbstverwaltung wie an der Hochschule Hannover, zum anderen extern etwa in Auseinandersetzungen über Zielvereinbarungen oder in der Forschung, wenn Wissenschaftler in Verbundprojekten zwischen Teamarbeit und Wettbewerb schwanken. Das jedenfalls erwartet der Frankfurter Mediator Lentsch und sieht deshalb auch das Wissenschaftsmanagement vor neuen Herausforderungen: Die klassische Hochschulverwaltung könne die geforderte Moderatoren- und Mediatorenrolle nicht wahrnehmen.

Ob Wissenschaftsmanager dazu in der Lage sind, ist fraglich. Denn deren Professionalisierung steckt in den Anfängen. Möglicherweise wird der Berufskodex für Wissenschaftsmanager dafür Perspektiven zeigen. Er soll bei der Jahrestagung des Netzwerks Wissenschaftsmanagement Ende September in Hamburg beschlossen werden und sieht Wissenschaftsmanager über Hierarchien und Disziplinen hinweg als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Gesellschaft.
Ob Brückenbau auch einen neuen Umgang mit Konflikten verheißt, wird sich zeigen. Fest steht, dass sich bereits ein neues Netzwerk gebildet hat: Zum nächsten Treffen der Konfliktmanager und Mediatoren wird die HIS GmbH voraussichtlich Ende November einladen.

Neun Stufen der Eskalation

Neun Stufen der Eskalation

  • Eins: Verhärtung. Standpunkte prallen aufeinander. Spannungen erzeugen zeitweilige Ausrutscher und Verkrampfungsphasen.
  • Zwei: Debatte und Polemik. Polarisation im Denken, Fühlen und Wollen: In der Kommunikation kommt es zu verbalen Attacken, zu Tribünenreden und gegenseitigen Abwertungen.
  • Drei: Taten statt Worte. Strategie der vollendeten Tatsachen: Kommunikation wird zunehmend eingeschränkt, Empathie geht verloren, Gruppen bilden sich. 
  • Vier: Gerüchte und Koalitionen. Mit Imagekampagnen und Gerüchten wird die Gegenseite in Negativrollen und Feindbilder gedrängt und bekämpft. Anhänger werden geworben, Koalitionen geschmiedet. Wahrnehmung verengt sich zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
  • Fünf: Gesichtsverlust. Öffentliche und direkte Angriffe: Bloßstellungen, Vorwürfe von Ehrverlust und Verrat, inszenierte Rituale der Demaskierung. Ausstoßen, Verbannen, Isolieren wird Verhaltensmaxime.
  • Sechs: Drohstrategien. Drohungen, Gegendrohungen, Erpressungen, Sanktionen und Ultimaten beschleunigen und verschärfen den Konflikt.
  • Sieben: Begrenzte Vernichtungsschläge. Denken verdinglicht sich, menschliche Qualität geht verloren: begrenzte Vernichtungsschläge als „passende Antwort“. Werte verkehren sich: Eigener Schaden wird als Gewinn betrachtet, wenn er nur kleiner ist als der des Feindes.
  • Acht: Zersplitterung. Das feindliche System wird systematisch paralysiert und desintegriert, dessen Exponenten isoliert, seine vitalen Faktoren zerstört. Das gegnerische System zerfällt.
  • Neun: Gemeinsam in den Abgrund. Kein Weg mehr führt zurück: totale Konfrontation, Vernichtung des Feindes um den Preis der Selbstvernichtung, Lust am Selbstmord, auch wenn der Feind zugrunde geht.

Quelle: Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater, Verlag Haupt Freies Geistesleben, Stuttgart 2004

Typen des Streits

Typen des Streits

Jeder Mensch geht anders mit Konflikten um. Die Mediatoren Fritz Riemann und Christoph Thomann haben vier Charaktere ausgemacht.

Der Distanz-Typ ist eigenständig, sachlich und diskret, aber dafür ziemlich unnahbar. Emotionen will er möglichst nicht zeigen.
Der Dauer-Typ ist verlässlich, organisiert, verantwortungsbereit und mag Macht. Er kann aber auch stur und kalt reagieren.
Der Wechsel-Typ ist spontan, offen für neue Ideen und Veränderung und mit viel Temperament, ist aber auch unstet.
Der Nähe-Typ braucht Harmonie im Team, kann gut zuhören, ist empathisch. Er ist jedoch konfliktscheu.

Das Riemann-Thomann-Modell im Internet: www.shaxmax.at/itwo/trainerwiki/index.php?title=Riemann-Thomann-Modell#Quellen

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