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Kompromiss: Messerscharf am Streit vorbei

Für die einen sind sie immer nur die zweitbeste Lösung. Für die anderen sind sie das Lebenselixier, ohne das keine Hochschule bestehen könnte. Die Frage nach dem guten Kompromiss beschäftigt Philosophen, Hochschulforscher, Führungskräfte und Konfliktmanager.

Angeblich ist er faul und stinkt. Jedenfalls ist sein Image denkbar schlecht in Deutschland – wo man das Grundsätzliche mag, einer Eiche gleich zu seinen Prinzipien steht, sich selbst und seinen Idealen stets treu ist. Die Rede ist vom Kompromiss. Sein fader Beigeschmack ist verwunderlich. Denn im wirklichen Leben kommt ohne ihn niemand aus. „Was wir sind, entscheidet sich eigentlich nicht an den Idealen, die wir haben, sondern vielmehr daran, welche Kompromisse wir eingehen in unserem Leben.“ Das sagt der israelische Philosoph Prof. Dr. Avishai Margalit, der im vergangenen Jahr für seine Studie (s. Kasten) zum Thema mit dem Philosophischen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Auch der Hochschulalltag funktioniert nicht ohne Zugeständnisse. „Ich bin hier schon jede Menge Kompromisse eingegangen“, sagt Prof. Dr. Rudolf Schüßler, Soziologe und Philosoph an der Uni Bayreuth. Sein Philosophie-Kollege Prof. Dr. Rüdiger Bittner von der Universität Bielefeld bestätigt: „Hochschulleben hat nicht so viel mit Prinzipien zu tun. Man wurschtelt sich irgendwie durch. Und das geht nicht ohne Kompromisse.“

Man begegnet ihnen überall: persönlichen Abmachungen, wenn beispielsweise familiäre Bedürfnisse gegen Berufspflichten stehen. Oder arbeitsethischen zwischen Sorgfalt und Schnelligkeit, Kollegialität und Eigennutz. Oder wissenschaftsethischen Einigungen zwischen Erkenntnisinteresse und Drittmittelerfolg. Oder Kompromissen in der Hochschulsteuerung zwischen effizientem Management und akademischer Selbstverwaltung. Und ebenso lang ist die Liste der Interessenskonflikte, die permanent Übereinkommen verlangen: Konflikte zwischen Statusgruppen oder Fachkulturen, widerstreitenden Planungen, auseinanderlaufenden Arbeitnehmer¬ und Arbeitgeberinteressen, gegensätzlichen Prioritäten.

„Wir sollten uns nicht einbilden, dass wir das Beste noch in der Hinterhand haben.“

Wenn also auch Hochschulen ohne Kompromisse nicht bestehen können, warum ist ihr Image dann so schlecht? Warum gilt als kompromisslerisch, wer nach Konfliktlösungen sucht? Und warum können diese kompromittieren? Bittner, der im vergangenen Jahr erstmals moralische Kompromisse zusammen mit seiner Bielefelder Kollegin Prof. Dr. Véronique Zanetti zum Grundsatzthema einer interdisziplinären Tagung machte, erklärt das so: „Es gibt eine Sichtweise, die Kompromisse wesentlich als zweitbeste Lösung betrachtet.“ Dieser Logik nach verfehle jedes Zugeständnis die eigentlich richtige Lösung. Jedes Entgegenkommen verlange also, sich bloß mit dem Zweitbesten zufriedenzugeben.

Prinzipiengeleitet nennt Bittner diese Sicht. Und tadelt sie zugleich. Denn für jede Entscheidung sei, jedenfalls in der Demokratie, die Zustimmung vieler erforderlich. Kompromisse seien deshalb „kein sekundärer Notbehelf, sondern Substanz des politischen Prozesses“. Der Prinzipienreiterei setzt er Pragmatismus entgegen: „Wir sollten uns nicht einbilden, dass wir das Beste noch in der Hinterhand haben.“

Fair oder faul, das ist die Frage

Also stelle sich weniger die Frage, ob es ohne Kompromisse geht, sondern ob sie gut sind oder schlecht, fair oder faul. „Gute Kompromisse halten“, sagt Soziologe Rudolf Schüßler, „weil sie als akzeptable Lösungen tragfähig sind und später nicht bereut werden müssen.“ Man erreiche sie durch integratives Verhandeln, indem man versuche, sich in die Interessenslage der anderen Seite hineinzudenken, und zum beiderseitigen Vorteil Win-win-Situationen herstelle. Als klassische Verhandlungstechnik gilt das Harvard-Konzept Es ist das Ergebnis des Harvard Negotiation Project der Harvard-Uni, in dem Wissenschaftler erfolgreiches Verhandeln untersuchen.

Im Idealfall einigt man sich nicht bloß, sondern findet gemeinsam einen Konsens. Für Prof. Dr. Andrea Budde, Professorin für Arbeitsrecht und Konfliktmanagement an der Berliner Alice Salomon Hochschule, ist der Konsens der Königsweg. Weil er nicht nur Akzeptanz, sondern Kooperation ermögliche. Manchmal könne auch externe Moderation helfen, sich vom eigenen Tunnelblick zu lösen, um zu Lösungen zu kommen. „Das ist viel häufiger möglich, als wir denken, aber oft fragen wir gar nicht so weit“, sagt Budde. Bei hochschulpolitischen Konflikten sei allerdings meistens eher der Kompromiss als der Konsens das angesagte Lösungsmodell. Denn in der Hochschule laufe viel über Gruppenzwänge, sagt sie. „Eine Struktur, die sich für Konsenslösungen schlecht eignet.“

Wie stark sich Entscheidungsprozesse in den Hochschulen verändert haben, beobachtet die Kasseler Hochschulforscherin Prof. Dr. Barbara Kehm. Sie diagnostiziert eine Machtverschiebung hin zu starken Hochschulleitungen, externen Stakeholdern und zu mehr Wettbewerb. Eng damit verbunden seien betriebswirtschaftliche Methoden des New Public Management. Dass deren Rationalität aber zum einzig noch gültigen Paradigma erhoben werde, könne in Universitäten nicht funktionieren. Kehm sagt: „Änderungen funktionieren nur, wenn alle Beteiligten einbezogen werden und Dialoge stattfinden.“

Ob und wie es dabei zu Zugeständnissen kommt, hängt offensichtlich stark von der jeweiligen Organisationskultur einer Hochschule ab. Das fand jedenfalls Dr. Ute Symanski heraus, lange Jahre Wissenschaftsmanagerin und mittlerweile als Hochschulberaterin tätig. In ihrer Studie zur Organisationskultur von drei Universitäten stieß sie auf unterschiedliche Strategien: Hing es in einem Fall stark von der Macht und Reputation von Platzhirschen ab, ob sich ein Kompromiss durchsetzte, bewirkte das Spielen der Machtkarte im anderen Fall das genaue Gegenteil, weil man sich hier nur der Sache verpflichtet sehen wollte.

Entscheiden ist etwas ganz anderes

Sobald Macht eine Rolle spielt, wächst die Gefahr, dass ein Kompromiss zu faulen beginnt. Das kennt Dr. Joachim Selter, Psychologe und Trainer, aus seiner Arbeit mit Führungskräften von Hochschulen im Fortbildungsprogramm des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). „Dann ist es kein wirklich ausgehandelter Kompromiss mehr, sondern eine Entscheidung“, sagt er. Es gebe Verlierer und Defizitgefühle. Befragt nach Erfolgsfaktoren, nennt Selter den prinzipiellen Grundrespekt für die Haltung der Gegenseite. Alles Weitere sei Aufgabe von Moderation und Verhandlungskunst durch Zerlegen komplexer Themen in handliche Teile, das Schaffen von Vertrauen und das Entwickeln von Sachkriterien. Selter sagt: „Ich erlebe Persönlichkeiten in meinen Seminaren, die dabei sehr erfolgreich sind. Die Hardliner scheitern, weil sie nur ihren eigenen Willen durchsetzen wollen“.

Literatur zum Kompromiss

Literatur zum Kompromiss

Möglich
Berlin: Wohin führt uns der Mittelweg? Wann ist er möglich, wann soll, wann muss man ihn eingehen? Und wann nicht? Eine Studie, die mit dem Philosophischen Buchpreis 2012 ausgezeichnet wurde, gibt Antwort.

  • Margalit, Avishai: Über Kompromisse – und faule Kompromisse. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag Berlin 2011,  251 Seiten, 22,90 Euro.

Fair
Harvard: Faire Lösungen für alle Beteiligten müssen ausgehandelt werden. Das Standardwerk dafür ist das Harvard-Konzept: an Interessen statt an Positionen orientiert, den gegenseitigen Nutzen im Blick, nach klaren Kriterien und mit gegenseitigem Respekt.

  • Fisher, Roger; Ury, William; Patton, Bruce:  Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik. Campus Verlag Frankfurt/New York 2009, 272 Seiten, 27 Euro.

Faul
Berlin: Die Politik steht oft im Ruf, auf faule Kompromisse hinauszulaufen.  Es geht auch anders, lehrt die Praxis. Nämlich mit Verhandlungskompetenz.

  • Schranner, Matthias:  Faule Kompromisse. Wie gut verhandeln unsere Politiker? Econ Verlag Berlin 2013, 224 S., 18 Euro.
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