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Lehre wird digital

Massive Open Online Courses (Moocs) liegen im Trend. Die kurzen Videos sollen die Lehre revolutionieren und irgendwann Geld einspielen. Doch die Abbrecherquoten sind hoch und die Prüfungen nicht fälschungssicher. Die Rufe nach mehr Qualität in der Onlinelehre werden lauter.

Deutschland erlebt dieses Jahr sein „Year of the Mooc“ (Massive Open Online Courses). Vor einem Jahr nahm die Flut der Onlinekurse, für die sich Tausende Studierende aus der ganzen Welt einschreiben, in den USA ihren Lauf. Jetzt erreicht sie die deutsche Hochschullandschaft. Gerade wurden die zehn besten Konzepte für digitale Lehrformate vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem Berliner Unternehmen iversity gekürt (https://moocfellowship.org). Beworben hatten sich über 200 Teilnehmer – nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den USA, China oder Neuseeland. Das Interesse ist groß.
Klar ist, der Trend scheint nicht aufzuhalten zu sein, und das Internet wird die Hochschullehre nachhaltig verändern. Allein die enormen Teilnehmerzahlen belegen, dass es ein Zurück in die reine Offlinelehre nicht mehr geben wird. Es sei denn, es gibt einen globalen Stromausfall.

Skepsis in den USA wächst

In die Euphorie mischen sich jedoch immer mehr skeptische Stimmen. So zeigten sich etwa bei einer Umfrage in den USA die meisten Unipräsidenten ernüchtert. Sie sehen Moocs nicht als nachhaltige Lösung für die angespannte Finanzsituation der Hochschulen. Dass sie den Unis als einträgliches Geschäftsfeld dienen könnten, ist derzeit kaum belegbar. Die Hoffnung steht gleichwohl dahinter und dürfte mit ein Grund dafür sein, dass ganz Nordamerika seit vorigem Jahr im Mooc-Wahn ist. Die Unipräsidenten zeigten sich wenig überzeugt, dass Moocs die Lernfähigkeiten der Studierenden verbessern (duzMAGAZIN 06/2013, S. 26).

Kritikerin Prof. Irene Ogrizek, die am Dawson College in Montreal Englische Literatur lehrt, sagt, Moocs würden den öffentlichen Hochschulsektor unterwandern, weil sie privaten Plattformanbietern wie Coursera oder Udacity eine weit größere Rolle einräumen würden als je zuvor. Prof. Dr. Robert Meister, Präsident des kalifornischen Fakultätenverbandes, sieht den Moocs-Hype in einer Zu-schön-um-wahr-zu-sein-Phase. Und der Biochemiker Prof. Dr. Steven Caplan von der Universität Nebraska rief in der britischen Zeitung The Guardian dazu auf, unbedingt akademische Standards in den Moocs zu sichern.

Auch in Deutschland gibt es Kritiker. Der bekannteste in der Szene ist Pädagogikprofessor Dr. Rolf Schulmeister von der Uni Hamburg. Auf der Konferenz „Campus Innovation 2012“ zeigte er im Dezember, warum das neue Lehrformat die Hochschullehre nicht verbessern oder gar revolutionieren wird, wie viele behaupten. Er hat Didaktik und Lehrqualität einzelner Kurse, die auf den US-amerikanischen Moocs-Plattformen Udacity und Cousera angeboten werden, analysiert: http://lecture2go.uni-hamburg.de/konferenzen/-/k/14447.

Sein Fazit: Die Lehr- und Übungshäppchen sind oft viel zu kurz. In vielen Fällen werden sie dem Anspruch einer Hochschule nicht gerecht. Mitunter wird sogar das Prüfungsniveau abgesenkt, um die Teilnehmer bei der Stange zu halten. „Wenn man das tut, eröffnet man Tür und Tor für die Verbilligung der Ausbildung“, kritisierte Schulmeister. In anderen Fällen dagegen seien Moocs so speziell, dass nur Studierende mit fachlichen Vorkenntnissen dem Kurs folgen könnten und gerade keine Massen.

Der Knackpunkt bei der Qualitätsfrage ist für Schulmeister, dass von Tausenden Teilnehmern nur ein Bruchteil den Kurs wirklich zu Ende bringt und mit einer Prüfung abschließt. Die Abbruchquoten liegen bei rund 90 Prozent, mitunter sogar noch höher. Für Schulmeister ist das nicht weniger als „pädagogischer Darwinismus“. Prominente Vorreiter der Onlinelehre stimmen ihm faktisch zu, kommen aber zu anderen Schlussfolgerungen. So sagte Prof. Dr. Jörn Loviscach, der als Deutschlands bekanntester Internetprofessor gilt: „Es gibt viele Moocs, die man sich als Volkshochschulkurse vorstellen kann.“ Der Mathematikprofessor der FH Bielefeld bietet einen Kurs auf Udacity an. Angemeldet haben sich dafür rund 20.000 Teilnehmer. Seine Vorlesungsvideos auf YouTube wurden über 9,6 Millionen Mal abgerufen. In den unterschiedlichen Lehrniveaus von Onlinekursen sieht Loviscach kein Qualitätsproblem: „Wichtig ist, etwas zu lernen. Nur sollten die Anbieter nicht alles als Hochschulniveau verkaufen.“ Skeptisch ist er, wenn er sieht, wie stark Lehrstoff manchmal verknappt wird. Wenn eine Veranstaltung, die sich über ein Semester erstreckt, an das Verhalten der Onlinenutzer angepasst und in einen halb so lange dauernden Mooc gepackt wird, „dann muss inhaltlich etwas über Bord gegangen sein“, sagt Loviscach.

Qualitätssicherung ist eingebaut

Der Medieninformatiker Prof. Dr. Oliver Vornberger von der Uni Osnabrück, dessen Vorlesungen bei iTunes zu finden sind, räumt ein: „Es wird eine Unmenge von grottenschlechten Moocs angeboten. Die Bandbreite der Qualität schwankt zwischen ungenügend und hervorragend.“ Die Transparenz des Internets sowie die hohe Teilnehmerzahl bei Moocs wirkten sich allerdings im Gegensatz zur klassischen Präsenzlehre prinzipiell eher qualitätsverbessernd aus. „Wenn man als Professor weiß, da schauen einem Tausende Studenten im Internet zu, dann wird man sich einfach mehr anstrengen“, sagt Vornberger. Und so wie sich bei einem Online-Shoppingportal das Feedback der Käufer herumspricht, würden qualitativ schlechte Onlinekurse schnell ihren Ruf verlieren und nicht viele interessierte Studierende an sich binden können.

Von diesem Prinzip ist auch Dr. Malte Persike von der Uni Mainz überzeugt: „Die Qualitätssicherung ist in Moocs eingebaut.“ Für ihn führt die Tatsache, dass sich jeder Internetnutzer den Kurs anschauen kann, dazu, dass Inhalte ansprechend aufbereitet werden müssen. Persikes Statistikkurs zur Wahrscheinlichkeitstheorie wird auf der deutschen Plattform iversity als Best Practice präsentiert. Persike weiß: Ein qualitativ gut gemachter Mooc auf Hochschulniveau erfordert enorme Ressourcen. Allein die technische Umsetzung kann Kameraaufnahmen, Multiple-Choice-Übungen, die Programmierung eines softwaregesteuerten Bewertungssystems, die Moderation von Diskussionsforen bis hin zur Nachbereitung umfassen: „Für einen klassischen Präsenzkurs brauchte ich früher etwa zwei Stunden Vorbereitung, für die Mooc-Version sind es 30 Stunden“, sagt Persike.

Zentrale Fragen bei Prüfungen

Schulmeister führt einen weiteren Schwachpunkt ins Feld. Wenn es um Prüfungen geht, sind Onlinekurse alles andere als fälschungs- und plagiatssicher. Der Student, der allein vor seinem Computer sitzt und sich durch die Testaufgaben arbeitet, kann dafür natürlich jede Menge Hilfsmittel verwenden. „Um Kreditpunkte zu erhalten, die von einer Universität anerkannt werden, müssen sich Onlinenutzer nach wie vor physikalisch an einen Ort begeben, wo sie sich unter Aufsicht einer Prüfung unterziehen“, sagt Oliver Vornberger.

Udacity etwa arbeitet dazu mit dem US-Anbieter Pearson zusammen. Das Unternehmen unterhält Testcenter an mehreren Orten, wo sich Onlinekursteilnehmer anmelden und hinfahren, um unter realen Prüfungsbedingungen eine Abschlussarbeit zu absolvieren. Dafür zahlen sie rund 75 Euro aus eigener Tasche. Wer besteht, erhält ein Zertifikat. Allerdings gibt es bislang kaum renommierte Hochschulen, die diese Belege als anrechenbare Studienleistung akzeptieren. Weil die Häppchenlehre offenbar doch nicht ertragreich ist, hat Udacity Mitte Mai zum ersten Mal einen kompletten Mooc-Studiengang mit Master-Abschluss gemeinsam mit dem Georgia Institute of Technology in Atlanta angekündigt. Studiengebühr: 5300 statt 30 000 Euro. Es wäre das erste Beispiel, dass Studenten mit Moocs Gebühren sparen.

„Prüfung, Zertifizierung und Anerkennung von Moocs sind zentrale Fragen, die mit Blick auf das deutsche Hochschulsystem noch beantwortet werden müssen“, sagt Dr. Andrea Frank, Projektleiterin des Mooc-Fellowship-Programms beim Stifterverband. Die Akzeptanz des neuen Lehrformats werde deshalb ganz wesentlich von der Qualitätssicherung abhängen. Wie genau sie gewährleistet werden könne, sei derzeit noch unklar. „Wege der Qualitätssicherung werden sich im Zuge der Entwicklung von Moocs konkretisieren“, sagt Frank.

Medieninformatiker Oliver Vornberger sagt: „Ich gehe davon aus, dass es bald Akkreditierungsagenturen geben wird, die sich speziell um Moocs kümmern.“ Ohne Qualitätssicherung dürften Onlinekurse kein revolutionäres Erfolgsmodell werden. Jenseits der Qualitätsfrage gibt es noch ein Problem: den Datenschutz. Bei Mooc-Kursen fallen jede Menge persönlicher Informationen an. Aus der Bedienung der Lernsoftware lassen sich Rückschlüsse auf den Nutzer ziehen. Etwa: Wie lange braucht er, um eine Aufgabe zu bearbeiten? Wie viele Rechtschreibfehler produziert er? Wie oft beantwortet er eine Frage falsch? Mit sogenannter „Learning Analytics“-Software können solche Daten gemessen und etwa an potenzielle Arbeitgeber, an Verlage oder die Werbeindustrie verkauft werden. In den USA soll das teilweise schon der Fall sein. „Der gläserne Student, den darf es nicht geben“, warnt Schulmeister.

Achtung: der gläserne Student

Panikmache ist das nicht. Mooc-Teilnehmer verzichten mit der Anmeldung auf viele Rechte an ihren Daten. So betont auch Internetprofessor Prof. Dr. Jörn Loviscach: „Die Profile zu Nutzung und Erfolg sind für die Durchführung der Kurse oft wenig hilfreich, erlauben aber punktuell tiefere Einblicke, als einigen Teilnehmern lieb sein dürfte. Bei Moocs sollte man den Datenschutz im Blick behalten.“

Online zuletzt aktualisiert am 1. Juli 2013

Moocs: Grundtypen und Geschäftsmodelle

Moocs: Grundtypen und Geschäftsmodelle

Die Grundtypen: Experten teilen Mooc-Kurse in zwei Grundformen: xMoocs und cMoocs. xMoocs stehen derzeit im Fokus der Öffentlichkeit. Sie bestehen aus Videovorlesungen, Testübungen oder Lesetexten. Oft werden sie durch Diskussionsforen begleitet. Das „x“ steht für „extension“. cMoocs verlangen die aktive Mitarbeit der Teilnehmer, die sich über soziale Netzwerke oder Blogs ins Kursgeschehen einbringen. Die Kurse sind meist nach Wochenabschnitten und Themen gegliedert. Wissen wird rezeptiv und diskursiv erschlossen. Das „c“ steht für „connectivism“.

Die Geschäftsmodelle: Noch bieten die meisten Hochschulen ihre Mooc-Kurse umsonst an. Doch die Diskussion um die Geschäftsmodelle, mit denen Geld zurückfließt, läuft längst. Ein Forscherteam aus Berlin und Graz hat 20 verschiedene Moocs großer US-Unis untersucht. In einer detaillierten Auswertung kristallisieren sich im Wesentlichen fünf empirisch identifizierbare Geschäftsmodelle heraus.

  • Paid Model: Bei diesem Modell zahlt der Lernende direkt für eine Leistung, also vor allem für die Teilnahme. cMooc Model: Durch die intensive Interaktion der Kursteilnehmer entstehen Kosten vor und während des Kurses. Sie werden refinanziert durch Förderungen oder Sponsoring von Dritten, etwa Werbung von E-Learning-Plattformen. Der enge Kontakt zu den Teilnehmern führt zu weiteren Kontakten, die Folgefinanzierungen auslösen können.
  • Lure Model: Bei diesem „Köder-Modell“ werden besonders hochwertige Kurse erschaffen, mit denen Unis Reputation aufbauen sowie Lernende an die anbietenden Personen, die Institution und/oder an eine technische Plattform binden sollen. Indirekte Erlöse kommen von Studenten, die sich wegen eines Mooc einschreiben und Gebühren zahlen.
  • Freemium Model: Ein kostenloser Kurs mit zusätzlichen Angeboten (Free + Premium = Freemium). Geld fließt über Leistungen wie Lehrbücher oder Zertifikate zurück.
  • Experience Model: Mit diesem Modell sammeln die Hochschulen primär Erfahrungen mit den neuen Kursformaten. Investititonen und Budgets werden typischerweise zunächst sehr begrenzt. Mit steigender Expertise differenzieren sich dann häufig verschiedene Folgemodelle, die den vier zuvor genannten Modellen entsprechen. 

Literatur: Rothe, H., Ebner, M., Gersch, M., Kopp, M. (2013), „MOOC – is there a Business Model?“, eingereicht und angenommen beim Journal of Online and Teaching (JOLT), erscheint im Dezember. Siehe http://jolt.merlot.org

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