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Bauen ohne Nebenwirkungen

Im Hochschulbau sind neue Ideen gefragt, um weniger Ressourcen zu verschwenden. Die gute Nachricht ist: Es gibt Lösungen – Von Manfred Curbach und Gunter Henn

Die Zahlen sind erschreckend und aufrüttelnd zugleich: Nach einem Bericht von Jan-Martin Wiarda vom 31. Januar 2025 schätzt die Finanzbehörde der Hansestadt Hamburg auf Basis der Hamburger Zahlen den Bau- und Sanierungsbedarf an deutschen Hochschulen auf circa 141 Milliarden Euro. Verteilt man diesen Betrag auf 20 Jahre und rechnet eine Baukostensteigerung von vier Prozent ein, wird daraus ein Bedarf von 218,2 Milliarden Euro. Außerdem verursacht das Bauen einen im Vergleich zum Anteil zur Wirtschaftsleistung exorbitanten Beitrag zum Klimawandel. Je nach Statistik ist das Bauen für mindestens 25 Prozent des globalen CO2-Ausstosses verantwortlich und verbraucht außerdem etwa 50 Prozent aller Ressourcen.

Nach einem kurzen Moment mit Schnappatmung (oder sind wir bereits abgestumpft, was derartige Zahlen angeht, egal, ob wir an die Kosten in Euro oder in CO2-Mengen denken?) müssen wir feststellen, dass wir in Zukunft eher mehr bauen werden, sei es beim Neubau oder bei der Instandsetzung, und deshalb müssen wir klimaneutral und ressourceneffizient bauen. Wenn wir dann an die langen Prozesse denken, die im Bauwesen üblich sind, was die Verwendung neu entwickelter Materialien anbelangt, wird klar, dass wir nur begrenzt die Hoffnung darauf setzen dürfen, dass nächste Woche die eine geniale Idee veröffentlicht wird, die uns rettet. Vielmehr müssen wir erstens akzeptieren, dass wir Hunderte von Ideen benötigen und diese nach erfolgreicher Erforschung so schnell wie möglich in die Praxis überführen müssen. Gleichzeitig müssen wir bereits existierende und vielversprechende Materialien verwenden, auch wenn der Konservatismus in der Baubranche dem vielleicht entgegensteht.

Ein vielversprechender Mosaikstein, vielleicht sogar ein großer, besteht in der Verwendung von Carbonbeton, und zwar sowohl in der Instandsetzung als auch im Neubau. Carbonbeton ist ein Verbundwerkstoff aus zwei Materialien, nämlich eine Kombination von Carbonfasern in Form von Gelegen oder Stäben mit Feinbeton. Der Vorteil von Carbonbeton ist, dass sich damit sowohl Material als auch CO2 einsparen lässt. Es kann auf all den Beton verzichtet werden, der sonst nur für den Schutz des korrosionsgefährdeten Stahls eingebaut wird. Ohne großes Nachdenken kann man so auf mindestens 50 Prozent Beton verzichten. Da auch der Alkali-Gehalt des Betons nicht mehr für den Schutz des Stahles erforderlich ist, können andere Bindemittel statt des sonst erforderlichen Portlandzements verwendet werden, sodass die CO2-Reduktion bei circa 75 Prozent liegt.

Ein großer Teil der im vergangenen Jahrhundert erstellten Universitäts- und Hochschulgebäude wurde in der Stahlbetonbauweise errichtet. Diese zeigt Alterungserscheinungen in Form von korrodierender Bewehrung und die Hochschulverwaltungen und staatlichen Bauämter stehen vor der Frage, ob diese Gebäude vielleicht noch gerettet werden können oder ob Abriss und Neubau angesagt sind. Das Aufbringen einer Schicht Carbonbeton mit einer Dicke von 1 bis 1,5 Zentimetern ermöglicht es, die Tragfähigkeit einer alten Stahlbetonkonstruktion wieder herzustellen oder sogar (bei Nutzungsänderungen) zu vergrößern. Die Materialien stehen zur Verfügung, viele Bauunternehmen sind geschult, die Dauerhaftigkeit dieser Lösung ist gewährleistet und es gibt bereits eine nennenswerte Anzahl von Bauwerken, die auf diese Weise gerettet wurden. Insbesondere durch den bereits bestehenden Wettbewerb sind derartige Verstärkungen auch finanziell eine attraktive Lösung. Besonders erfreulich ist aus Sicht des Denkmalschutzes, dass sich die Geometrie der verstärkten Konstruktion nur marginal von der alten Geometrie unterscheidet.

Ebenso gibt es auch baurechtlich keine Hindernisse: Für viele Anwendungen liegt eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung vor, für Spezialfälle sind Zustimmungen im Einzelfall mittlerweile schnell erlangt. Besonders interessant ist die Verwendung von Carbonbeton auch im Neubau. Abgesehen von den Vorteilen der Materialersparnis und der CO2-Reduktion sind durch die Flexibilität der Carbonbewehrung neue architektonische Formen möglich, die deutlich eleganter sind und die sogar für eine neue Architektursprache die Basis bilden können. Der Grad der Vorfertigung ohne die Gefahr eines neuen Einerlei steigt an, wie Beispiele der unterschiedlichsten Fertigteilwerke zeigen.

Es wurde auch bereits der Nachweis erbracht, dass Bauwerke aus Carbonbeton nicht teurer sein müssen als handelsübliche Stahlbetonbauwerke, dafür aber den weiteren Vorteil aufweisen, wesentlich dauerhafter zu sein. Eine Lebensdauer von 200 Jahren gilt als realistisch. Die baurechtlichen Voraussetzungen sind gegeben: Es existiert bereits eine Richtlinie für das Bauen mit Carbonbeton. In 16 Ländern gibt es bereits Beispiele für die Anwendung von Carbonbeton und Deutschland ist mit dieser Technologie weltweit führend. Für den Hochschulbau bietet Carbonbeton eine einzigartige Chance: Durch seine hohe Dauerhaftigkeit, seine Verfügbarkeit, seine preisliche Attraktivität und seine inspirierende Architektur kann er die immer drängenderen Herausforderungen an den Universitäten und Hochschulen meistern. Was es braucht, sind Bauverwaltungen, die das Neue nicht scheuen, sondern begrüßen, und Kanzler, die möglichst schnell zu Lösungen für ihre Probleme kommen wollen.

Fazit: Carbonbeton schafft eine Win-win-Situation: Die Universitäten und Hochschulen können ihren baulichen Bestand retten und erweitern, wir bauen immer klima- und ressourceneffizienter und schaffen eine neue Architektur. Insgesamt heißt die Zukunft:
Bauen ohne Nebenwirkungen. //

Weiterführende Informationen und viele Beispiele unter: www.carbocon.de

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. em. Manfred Curbach

ist Seniorprofessor an der TU Dresden.
Foto: Ulrich van Stipriaa

Prof. Dr. Gunter Henn

betreibt Architekturbüros in München, Berlin und Shanghai, die ein breites Spektrum an Projekten und Bauten u.a. für Forschung und Lehre, Produktion und Entwicklung sowie an Bürogebäuden, Hochhäusern und Kulturbauten realisieren.
Foto: Heinz von Heydenaber

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