
Beispiel am Grundgesetz nehmen
Der Rechtswissenschaftler Volker Epping plädiert für schlanke Landeshochschulgesetze und Grundordnungen, um die Governance von Hochschulen zu erleichtern
Herr Prof. Epping, wenn es um die Governance von Hochschulen geht, hört man von den Hochschulleitungen immer wieder Klagen über die Landeshochschulgesetze. Wie beeinflussen diese Gesetze die Governance?
Die Landeshochschulgesetze sind für die Governance gar nicht so entscheidend. Die eigentlich wichtige Aufhängung ist eine verfassungsrechtliche, nämlich die Wissenschaftsfreiheit, die in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes verwirklicht ist. Über diesen Artikel hat das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen die Governance für alle Bundesländer vergleichbar festgelegt. In Artikel 5 Absatz 3 steht: „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Es ist für Laien erst einmal schwer nachvollziehbar, was das mit der Governance zu tun hat. Forschungsfreiheit bedeutet eben auch, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Hochschule diese grundgesetzlich geschützte Freiheit auch haben – die Governance muss das gewährleisten. Dieser Grundgedanke spiegelt sich in allen Landeshochschulgesetzen wider. Allerdings gibt es schon Unterschiede, was die Ausgestaltung angeht. In einigen Landeshochschulgesetzen gibt es Nachbesserungsbedarf, weil dort überreguliert wird und das die Hochschulen in der Autonomie einschränkt.
Können Sie mir dafür ein Beispiel nennen?
In unserem niedersächsischen Landeshochschulgesetz zum Beispiel ist noch festgelegt, dass wir Studiengangszielvereinbarungen mit dem Ministerium schließen müssen. Das ist eine Feinsteuerung, die uns lähmt und uns die Autonomie nimmt. Wir können nicht so schnell reagieren, wie wir müssten. Wir können zum Beispiel nicht schnell einen Studiengang ins Leben rufen, von dem wir wissen, dass er woanders gut angenommen wird. Wir können auch nicht so schnell Studieninhalte verändern, was zum Beispiel nötig ist, um neue Entwicklungen wie die Künstliche Intelligenz im Studienprogramm zu berücksichtigen. Darüber hinaus haben wir ein paar Bereiche im Gesetz identifiziert, in denen wir zu eng gesteuert werden. Ich bin mir aber sicher, dass wir mit der nächsten Novellierung auch eine Freiheit erlangen, die Hochschulen in anderen Bundesländern schon haben.
Das heißt, im Kern sind die Landeshochschulgesetze doch alle sehr ähnlich?
So ist es. Wenn Sie zum Beispiel die Abwahlregelung für Mitglieder von Präsidien oder Rektoraten anschauen. Hier haben sich die Länder Unterschiedliches einfallen lassen. Aber wenn man auf den Kern zurückgeht, dann sieht man, dass es im Wesentlichen immer um das Austarieren der Kompetenzen geht, also um Checks and Balances im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz.
Lassen Sie uns mal auf die Abwahlregelungen für Präsidenten schauen. Von diesen Abwahlen gab es ja in den letzten Monaten gerade in Ihrem Bundesland ein paar. Ist das Zufall?
Auch bei den Abwahlregelungen spielen die Landesgesetze, so unterschiedlich sie sind, keine große Rolle. Hier ist wieder das Grundgesetz entscheidend, wieder die Wissenschaftsfreiheit. Wissenschaftsfreiheit bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Hochschule Freiräume haben müssen. Man könnte es auch so formulieren: Weil sie frei sind, müssen sie auch bestimmen können, wo der Weg hingeht. Das heißt, sie müssen einen tragenden Einfluss auf die Governance haben, und das spiegelt sich in der letzten Konsequenz darin wider, dass die Senate grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich von Mitgliedern des Präsidiums/Rektorats zu trennen. Die Hürden dafür sind sehr hoch gesetzt – je nach Bundesland braucht man dafür eine Dreiviertel- oder eine Zweidrittelmehrheit. Da die Hürde so hoch ist, ist für so eine Abwahl dann auch keine Begründung nötig, da das Erreichen dieser hohen Mehrheiten indiziert, dass das Vertrauen so zerstört ist, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Die „Häufung“ der Abwahlen von Präsidentinnen und Präsidenten in Niedersachsen – es sind zwei – halte ich für zufällig und sie sind meines Erachtens nicht in der gesetzlich festgelegten Governance begründet.
Wie wirkt die Hochschulautonomie sich darauf aus, wie man eine Hochschule leitet?
Mit der seit etwa 2000 im Zuge der Implementierung des New Public Management angewachsenen Hochschulautonomie wurden viele Kompetenzen von den Senaten zu den Präsidien verlagert. Davor hatten die Hochschulleitungen nicht so viel Verantwortung und nicht so viele Aufgaben. Man konnte sich immer schön als nachgeordnete Behörde fühlen und hat das dann mehr oder weniger „durchverwaltet“. Die Präsidien sind jetzt stark und haben viele Kompetenzen, müssen ihre Entscheidungen aber vor dem Senat rechtfertigen. Und sie können abgewählt werden. Das heißt, man kann nicht wie in einer hierarchischen Organisation einfach sagen: „So wird es gemacht.“ Die Herausforderung für jede Hochschulleitung, insbesondere Rektorin oder Rektor und Präsidentin oder Präsident, besteht deswegen darin, die Hochschulmitglieder mitzunehmen. Man kann den Riesentanker Hochschule nur mit Überzeugung irgendwo hinlenken, mit Top-down ist da wenig zu machen. Man muss viel kommunizieren und die Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, dass der Weg, den man ihnen vorschlägt, der richtige ist. Und man muss pragmatisch sein, nicht dogmatisch.
Neben den Landeshochschulgesetzen gibt es ja auch noch die Grundordnungen der Universitäten. Wie wirken die sich auf die Governance aus?
Die Landeshochschulgesetze geben den Hochschulen manche Bereiche zur näheren Ausgestaltung. Das wird dann in der Grundordnung abgebildet. Die Hochschulen werden quasi vom Gesetzgeber aufgefordert, bestimmte Dinge durch die Grundordnung näher zu bestimmen.
Wenn man in die Grundordnungen reinschaut, stellt man fest, dass die sehr unterschiedlich sind. Teilweise wird in blumiger Sprache dargestellt, welche großen Ziele sich die Hochschule steckt, andere – zum Beispiel die der Leibniz Universität Hannover – sind relativ nüchtern. Woran liegt das?
Das ist durch die Kultur der jeweiligen Hochschule bedingt. Man kann das noch weiter runterbrechen, zum Beispiel auf die Prüfungsordnungen. Die sind von Fakultät zu Fakultät unterschiedlich. Das liegt daran, dass alle Fakultäten, die für die Prüfungsordnungen zuständig sind, irgendwo mal einen pathologischen Fall hatten, der dann opulent aufgearbeitet wurde und sich in der Prüfungsordnung wiederfindet. Das führt zu Unwuchten. Auch in der Grundordnung muss man immer wieder überlegen, wie man bestimmte Themen angeht. Eigentlich sollten dort nur ganz wesentliche Dinge geregelt werden wie: Wie viele Vizepräsidenten möchte eine Hochschule haben? Wie sind die Verfahrensregeln in der Hochschule? Wie geht man mit Ehrungen um? Ich finde, dass man zwei Dinge nicht tun sollte: Man sollte in der Grundordnung nicht das Landeshochschulgesetz abschreiben und man sollte dort nicht das Leitbild der Universität ablegen. Wenn man das Gesetz abschreibt, ist man gezwungen, die Grundordnung zu ändern, wenn sich das Gesetz ändert. Wenn man das Leitbild der Universität dort ablegt, muss man die Grundordnung ändern, wenn man am Leitbild nachsteuern will. Und das erfordert immer eine Zweidrittelmehrheit im Senat und die Genehmigung des Ministeriums. Das macht es kompliziert.
Heißt das im Umkehrschluss, dass einem eine schlanke Grundordnung Handlungsspielräume gibt?
Insbesondere wir in Deutschland neigen zur Überreglementierung in dem Glauben, dass dies alles vereinfachen würde. Ich plädiere immer dafür, davon wegzukommen und nur die wichtigen Dinge dort zu regeln. So hat man immer Freiraum, um auf unterschiedliche Konstellationen zu reagieren, die man heute noch nicht vorhersagen kann. Da können wir uns ein Beispiel an unserem Grundgesetz nehmen. Unsere Verfassungsväter und Verfassungsmütter haben in der Nachkriegszeit ein fantastisches Gesetz gebaut, was heute noch tragende Regelungen vorhält. Denken Sie an die Vertrauensfrage, an das Misstrauensvotum oder etwa an die Gesetzgebung in Notzeiten. Es ist ein schlankes Gesetz mit vielen Handlungsoptionen. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Viele Grundordnungen der Hochschulen und auch die Landeshochschulgesetze sind das Gegenteil davon, sie sind überreglementiert. //
Prof. Dr. Volker Epping
ist Rechtswissenschaftler und Präsident der Leibniz Universität Hannover. Er ist Vizepräsident der Universitätsallianz TU9 und stellvertretender Sprecher der Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz.
DUZ Magazin 06/2025 vom 20.06.2025