
Machtmissbrauch strukturell begegnen
Gemobbt, ausgebeutet, psychisch unter Druck gesetzt oder gar sexuell belästigt – zunehmend werden gravierende Fälle von Machtmissbrauch in der Wissenschaft öffentlich. Woran das liegt und was zu tun ist – skizziert der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller
Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind alles andere als hierarchiefreie Räume. Wie in anderen Institutionen und Unternehmen gibt es Weisungsbefugnisse von Vorgesetzten gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hinzu kommen Abhängigkeiten von Prüfenden und Betreuenden, aber auch informelle und subtile Statusunterschiede. Macht wird dann zum Problem, wenn die Strukturen den Missbrauch von Macht begünstigen. Das ist in der Wissenschaft in besonderer Weise der Fall, wie Berichte über Machtmissbrauch zeigen – von der Aneignung geistigen Eigentums über das Einfordern unbezahlter Mehrarbeit bis hin zu Demütigungen, rassistischen oder sexistischen Beleidigungen, verbalen und körperlichen Übergriffen.
In der wissenschaftlichen Qualifizierung fallen die Betreuung der Qualifizierungsarbeit, die Bewertung ihres Ergebnisses und die Vorgesetztenfunktion im Arbeitsverhältnis in einer Person zusammen. Hinzu kommen befristete Beschäftigungsverhältnisse mit zumeist kurzen Laufzeiten, die wiederholt verlängert werden müssen. Das führt zu einer besonderen Abhängigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an ihrer Promotion oder Postdoc-Qualifizierung arbeiten. Hinzu kommt, dass trotz hochkomplexer, arbeitsteiliger Forschungsprozesse das Meister-Schüler-Verhältnis zwischen Professorin/Professor und dem „wissenschaftlichen Nachwuchs“ nach wie vor prägend ist, an den Universitäten feiert das Lehrstuhlprinzip fröhliche Urstände.
Die strukturelle Lösung des Problems liegt daher auf der Hand. Übertriebene Machtkonzentrationen bei einzelnen Personen gilt es, zu überwinden, extreme Abhängigkeitsverhältnisse aufzulösen. Berechenbare Karrierewege, Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestvertragslaufzeiten für Zeitverträge stehen seit Langem auf der wissenschaftspolitischen Agenda. Darüber hinaus geht es um die Trennung von Begutachtung, Betreuung und dienstlicher Vorgesetztenfunktion in der Qualifizierungsphase und die Reform der Personal- und Governancestruktur – weg von Lehrstühlen hin zu Department-Modellen. Eine derartige Reform würde die systemischen Risiken für Machtmissbrauch mindern.
>> Zu jedem Schutzkonzept gehört auch Prävention. Die Wissenschaftseinrichtungen müssen Personen in Machtpositionen sensibilisieren und fortbilden sowie Beschäftigte und Studierende empowern. <<
Zudem geht es um ein wirksames Beschwerdesystem an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Schon heute gibt es Ansprechpartnerinnen und -partner sowie Beschwerdestellen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, aber auch Betriebs- und Personalräte, Frauen-, Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte oder Ombudspersonen für die wissenschaftliche Integrität und gegen wissenschaftliches Fehlverhalten. Doch häufig sind die Stellen und ihre Zuständigkeiten nicht bekannt oder es gibt kein ausreichendes Vertrauen in ihre Unabhängigkeit.
Wir brauchen eine unabhängige, bekannte und niedrigschwellig ansprechbare Instanz an jeder Hochschule und Forschungseinrichtung, die Fällen von Machtmissbrauch nachgeht, Betroffene berät und unterstützt und ihnen Anonymität zusichert. Sie muss auch in der Lage sein, im Bedarfsfall Sanktionen in die Wege zu leiten. Zu jedem Schutzkonzept gehört auch Prävention. Die Wissenschaftseinrichtungen müssen Personen in Machtpositionen sensibilisieren und fortbilden sowie Beschäftigte und Studierende empowern. Benachteiligte und vulnerable Personen gilt es dabei, besonders zu unterstützen. Über ein wirksames Beschwerdesystem hinaus brauchen wir einen Kulturwandel in der Wissenschaft, in dem Wachsamkeit gegenüber Machtmissbrauch ebenso selbstverständlich ist wie gegenseitige Wertschätzung. //
Dr. Andreas Keller
Der Politikwissenschaftler ist seit 2007 Vorstandsmitglied für Hochschulen und Forschung, seit Juni 2013 auch stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Foto: Kay Herschelmann / GEW
DUZ Magazin 06/2025 vom 20.06.2025