
// editorial: governance //
Zum Start möchte ich Sie heute dazu einladen, ein Kunstwerk des österreichischen Bildhauers Peter Sandbichler zu betrachten: Sein „Portal“ – ein dreidimensionales Relief ...
... aus Grundbausteinen – bildet den Eingangsbereich des Neubaus der Geistes- und Naturwissenschaften der Universität Innsbruck. Sandbichler ist dafür bekannt, dass er Strukturen, Ornamente und Raster zerlegt und daraus neue Ordnungen schafft. Mit seiner Arbeit trägt er dazu bei, gewohnte Muster zu hinterfragen und für die Komplexität von gesellschaftlichen und politischen Prozessen und ihrer Wahrnehmung zu sensibilisieren.
Und ist es nicht genau das, was wir in diesen unsicheren und ungemütlichen Zeiten, in denen so unendlich Vieles auf dem Kopf steht, dringend benötigen? Perspektiven und Diskursangebote, die es wagen, den Blick zu weiten und uns dazu bringen, über unsere reflexartigen Verhaltens- und Denkmuster hinauszuwachsen?
Ein Blick auf die Schieflage, in die die aktuellen politischen Diskussionen immer weiter abdriften, spiegelt wider, wie dringend notwendig das ist. Und die von einem erschreckenden Schwarz-Weiß-Denken geprägten Debatten zeigen, wie wichtig es ist, dass sich die Wissenschaft und ihre Vertreter mehr Gehör verschaffen, sich aktiv einmischen und ein Zurück zu einem maßvolleren und multiperspektivischeren Weg aufzeigen. Zwei Beispiele, wo mir das gelungen zu sein scheint: Der Appell von HRK-Präsident Walter Rosenthal, das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel nicht auszusetzen: „In diesen herausfordernden Zeiten sollten Institutionen der Zivilgesellschaft, wie Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen es sind, Solidarität erfahren und in ihrer spezifischen Rolle und Autonomie gestärkt werden“ – so Rosenthal. Dass er damit den Zorn bestimmter Kreise auf sich zieht, die irrtümlicherweise meinen, dass sie damit den geschundenen Palästinensern helfen, wird ihm bewusst gewesen sein. Doch der HRK-Präsident hat das als Führungspersönlichkeit in Kauf genommen.
Als ebenso mutig, verantwortungsbewusst und richtig stellt sich für mich das Engagement von Potsdams Uni-Präsident Oliver Günther für eine offene Gesprächskultur dar. Sein Plädoyer, mit AfD-Wählern zu sprechen, statt sie zu ächten, schmeckt vielen Gut-und-Böse-Denkern nicht. Oliver Günther hat mit seinem Vorstoß reflexartig Empörung auf sich gezogen. Doch was ist so falsch daran, zumindest zu versuchen, mit der „anderen“ Seite ins Gespräch zu kommen? Und was ist so verwerflich an seiner an die eigene Community gerichteten Forderung: „Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern besser erklären, was wir tun und warum wir es tun“? Als ein Versuch, der Wissenschaftsfeindlichkeit Einhalt zu gebieten.
Dazu zum Schluss noch ein Zitat aus dem Philosophie Magazin (04/2025), wo der Philosoph Martin Krohs unter dem Titel „Und wenn beides wahr wäre?“ schreibt: „Wir leben in einer Zeit der Ungewissheit. In einer Welt der offenen Szenarien, der konkurrierenden Hypothesen, der schwankenden Wahrheiten (...). Aber anstatt uns gewandt und elastisch in ihr zu bewegen, stehen wir stocksteif da und schreien einander an (...). Was für eine traurige Täuschung, der wir da aufsitzen. Und eine verhängnisvolle. Nicht nur für unseren Umgang miteinander, sondern vor allem auch für unsere Fähigkeit, wirkungsvoll zu handeln.“//
DUZ Magazin 06/2025 vom 20.06.2025