POLITIK & GESELLSCHAFT

FORSCHUNG & INNOVATION

STUDIUM & LEHRE

KOMMUNIKATION & TRANSPARENZ

ARBEIT & PSYCHOLOGIE

WISSENSCHAFT & MANAGEMENT

75 JAHRE DUZ

 Login

Starkes Coaching

Was als Unterstützung für junge Wissenschaftlerinnen begann, ist heute ein wichtiges Werkzeug für Hochschulen und Forschungseinrichtungen geworden. Coaching stärkt individuelle Karrieren und fördert strategische und ethische Entwicklungen

Coachingangebote für unterschiedliche Beschäftigtengruppen sind heute an den meisten Universitäten, vielen Fachhochschulen sowie den großen Forschungsgemeinschaften ein wichtiger Bestandteil institutioneller Personal- und Organisationsentwicklung. Während Coaching als Beratungsformat zur gezielten Personalentwicklung in der Industrie bereits Anfang der 2000er Jahre verankert war und sich rasant professionalisierte, dauerte es an Hochschulen und Forschungsinstituten überraschend lange, bis sich dort Coachingangebote etabliert hatten. Dies deutet auf einen Prozess organisationalen Lernens hin, der aus unserer Sicht maßgeblich durch wissenschaftspolitische Maßnahmen auf Bundesebene und strukturelle Reformen gefördert wurde. Zugleich lassen sich an dieser Entwicklung Veränderungen im Verständnis der organisationalen Rolle von wissenschaftlich Beschäftigten an Hochschulen ablesen.

2000 – 2010: Etablierung und Legitimierung – Coaching zur Karriere- und Kompetenzentwicklung

Das 2001 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte und in einer Public-Private-Partnership mit der Firma L’Oréal durchgeführte Programm „Anstoß zum Aufstieg“ des CEWS (Center of Excellence Women and Sciences – Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung von GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften), war eine entscheidende wissenschaftspolitische Initiative. Es zielte darauf ab, hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen durch Trainings und erstmals auch individuelles Coaching in ihrer Karriereentwicklung zu fördern und für Berufungsverfahren zu stärken, um den Frauenanteil in Führungspositionen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen nachhaltig zu erhöhen. Durch das Programm wurden über fünf Jahre hinweg rund 700 Wissenschaftlerinnen gefördert. Parallel dazu bauten Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an Universitäten Mentoringprogramme auf, um den strukturellen Barrieren einer Karriere in der Wissenschaft für Frauen entgegenzuwirken.

Als eine Folge der 2002 vom Wissenschaftsrat veröffentlichten Empfehlungen zur Doktorandenausbildung wurde vor allem von hochschuldidaktischer Seite die Unterstützung von Promovierenden als Schwerpunkt für Coachingangebote adressiert. Unter dem Oberbegriff Promotionscoaching wurden unterschiedliche Formate zur Bewältigung des Promotionsprozesses, dem Umgang mit Krisen, Isolation, Unsicherheiten und Leistungsdruck entwickelt. Gemeinsam ist diesen frühen Initiativen, dass Coaching primär als Mittel zur individuellen Kompetenzentwicklung und Karriereförderung verstanden und eingesetzt wurde.

Mit der Etablierung von Coaching als Beratungsformat im Wissenschaftskontext rückte auch die Frage nach der Qualifikation und den Qualitätsstandards der Coaches in den Fokus – zumal die Berufsbezeichnung Coach nach wie vor nicht gesetzlich geschützt ist. Zudem zeigte sich, dass für Unternehmen entwickelte Coachingansätze aufgrund struktureller und kultureller Unterschiede nur bedingt auf den Wissenschaftsbereich übertragbar sind. Vor diesem Hintergrund gründete sich 2005 das Coachingnetz Wissenschaft – das erste Netzwerk im deutschsprachigen Raum, das Coaches vereint, die auf professionsspezifische Herausforderungen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich spezialisiert sind.

Im Verlauf der 2000er-Jahre wurde das deutsche Hochschulsystem umfassend reformiert, mit dem Ziel, makroinstitutionelle Veränderungen herbeizuführen. Universitäten sollten international wettbewerbsfähiger, flexibler und leistungsorientierter werden. Neben der tiefgreifenden Umstellung im Zuge des Bologna-Prozesses wirkten die Einführung der Juniorprofessur als alternativer Karriereweg zur Professur und die leistungsorientierte W-Besoldung mit der Möglichkeit zu Zielvereinbarungen als wichtige Treiber. Auf nationaler Ebene intensivierte die 2005/2006 gestartete Exzellenzinitiative des Bundes den Wettbewerb zwischen Universitäten um finanzielle Ressourcen, indem substantielle Fördermittel an messbare Leistungsindikatoren geknüpft wurden. Außerdem wurde in nahezu allen Bundesländern die Autonomie der Hochschulen erweitert. Diese Entwicklungen führten an vielen Universitäten schrittweise zu einem neuen organisationalen Selbstverständnis: Angesichts eines zunehmenden staatlichen Rückzugs aus den Hochschulen und wachsender Konkurrenz untereinander standen nicht länger dezentral organisierte, partizipative Selbstverwaltungsstrukturen im Vordergrund, sondern vertikal ausgerichtete Leitungsmodelle galten zunehmend als entscheidend für den institutionellen Erfolg.

"Coaching etabliert sich zunehmend als strategisches Instrument der Organisationsentwicklung"

Während der wachsende Erfolgsdruck auf individueller Ebene verstärkte Unsicherheit und erhöhten Leistungsdruck erzeugte, wurden auf institutioneller Ebene erste Projekte zur systematischen Personalentwicklung ins Leben gerufen – einschließlich gezielter Coaching-Programme. Diese Initiativen richteten sich bewusst an wissenschaftliche Führungskräfte, da die beteiligten „Vorreiter-Universitäten“ akademische Personalentwicklung von Beginn an als integralen Bestandteil einer strategisch ausgerichteten Hochschulentwicklung verstanden. Im Kontext einer zunehmenden Ökonomisierung und Wettbewerbsorientierung von Hochschulen wurden Personalentwicklung und Coaching auch als ein Mittel interpretiert, um auf vormals weitgehend autonome wissenschaftliche Akteure steuernd einzuwirken. An den meisten Hochschulen traf dies zunächst auf Skepsis. Doch im Verlauf des Jahrzehnts erfuhr die akademische Personalentwicklung an Hochschulen und damit zugleich der Einsatz von Coaching als Beratungsformat eine deutliche Aufwertung – auch weil entsprechende Maßnahmen als Exzellenzkriterium galten und durch Programme wie etwa des Stifterverbandes sichtbar gemacht und ausgezeichnet wurden.

In der ersten Dekade etabliert sich Coaching in der Wissenschaft als Instrument zur individuellen Begleitung im Kontext von Karriere- und Kompetenzentwicklung. Weitere Impulse gehen dabei von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Coaching im Hochschul- und Forschungskontext aus. In der Fachzeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching (OSC) (Heft 2/2009) veröffentlichen Mitglieder des Coachingnetzes Wissenschaft (CNW) sowie andere im Wissenschaftskontext tätige Coaches Beiträge zu Coaching in der Wissenschaft, die ein breites, thematisches Spektrum und vielfältige Zielgruppen adressieren. Die Ansätze der Coaches markieren zentrale Themenfelder und Zielgruppen, die in den folgenden Jahren an Relevanz gewinnen und zunehmend institutionelle Aufmerksamkeit erfahren werden.

2010 – 2020: Integration und Professionalisierung

Ab etwa 2010 nehmen Akzeptanz und Professionalisierung von Coaching in der Wissenschaft deutlich zu. Erkennbar wird dies an der fortschreitenden institutionellen Verankerung von Coachingprogrammen in Gleichstellungsbüros, in der hochschulischen Personalentwicklung, in Graduiertenakademien sowie im Bereich der Forschungsförderung. Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bauen eigene Coaching-Pools auf und in regelmäßig erscheinenden Coachingkolumnen werden Fragen verschiedener Zielgruppen aufgegriffen.

Einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung von Coaching in der Wissenschaft leistete das Coachingnetz Wissenschaft (CNW) mit zwei deutschlandweiten Befragungen in den Jahren 2010 und 2016. Diese quantitativen Studien erhoben systematisch Daten zu Einsatzbereichen, Zielgruppen, Qualitätsstandards und institutionelle Rahmenbedingungen von Coaching an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Ergebnisse wurden auf vom CNW organisierten Fachtagungen vorgestellt, mit Teilnehmenden aus Wissenschaftsmanagement, Gleichstellung, Personalentwicklung und Coaching diskutiert und trugen maßgeblich zur Vernetzung, Qualitätsentwicklung und Positionierung von Coaching im Wissenschaftssystem bei.

Ende 2009 erscheint eine erste Studie, die das professorale Führungsverständnis systematisch in den Blick nimmt. Mit dem starken Zuwachs befristeter Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Drittmittelprojekten nehmen auch die Anforderungen auf der Ebene der Professuren deutlich zu: Führungsverantwortung, Betreuung, Management, Teamaufbau und Konfliktbewältigung gewinnen an Bedeutung. Coaching wird nun insbesondere für neu berufene Professorinnen und Professoren zu einem strategischen Führungsinstrument, mit dem gezielt überfachliche Kompetenzen aufgebaut und gestärkt werden sollen. Mit der dritten Runde der Exzellenzinitiative 2011/12 rücken auch Postdocs als besonders zu fördernde Zielgruppe stärker ins Blickfeld.

Lag in den ersten beiden Runden der Schwerpunkt auf der Finanzierung von Promotionsstellen, wird Coaching nun vermehrt als Instrument zur Karriereförderung von Postdocs nachgefragt. Während von institutioneller Seite auch Bedarf zur Unterstützung bei der Entwicklung alternativer Karrierewege erkannt wird, streben viele Postdocs weiterhin einen Verbleib in der Wissenschaft an. Damit gewinnen – angesichts des hohen Konkurrenzdrucks und der geringen Zahl unbefristeter Stellen – Themen wie Entscheidungsunsicherheit über den weiteren Verbleib im Wissenschaftssystem, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie psychische Belastungen und Erschöpfung an Bedeutung. Coaching für Postdocs dient damit nicht nur der Karriereförderung, sondern auch der emotionalen Entlastung und Klärung beruflicher Perspektiven.

Zusätzlich werden Coachingangebote für weitere bislang wenig berücksichtigte Zielgruppen entwickelt: Internationale Forscherinnen und Forscher erhalten Unterstützung zur Orientierung und Integration in das deutsche Wissenschaftssystem. Ebenso werden kollektive Coachingformate relevant: Forschungsgruppen und Teams, Cluster und Fachbereiche nutzen Coaching für Themen wie gelingende Kommunikation, gemeinsame Zielentwicklung und strategische Ausrichtung – häufig auch in Vorbereitung auf externe Begutachtungen und Evaluationen. Diese Entwicklungen markieren den Übergang von punktuellen Pilotprojekten zu einer breit angelegten, strategisch ausgerichteten und professionell gestalteten Coachinglandschaft im Wissenschaftssystem.

Seit 2020: Coaching als geschützter Raum und institutioneller Katalysator

Seit etwa 2020 befindet sich Wissenschaftscoaching in einer weiteren Phase der Transformation. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie und verstärkt durch gesellschaftliche und wissenschaftspolitische Diskurse – etwa im Rahmen der #IchBinHanna-Debatte – gewinnen Themen wie Resilienz, Burnout-Prävention, mentale Gesundheit und institutionelle Unsicherheiten deutlich an Relevanz. Promovierende, Postdocs und auch Juniorprofessoren bringen verstärkt Fragen nach Sinn, Zugehörigkeit und beruflicher Identität in Coachingprozesse ein. Eine berufliche Laufbahn im deutschen Wissenschaftssystem wird als zunehmend unattraktiv wahrgenommen, und individuelle Erwartungen stehen teils in deutlichem Kontrast zu strukturell eingeschränkten Handlungsräumen.

Hier wird ein Wandel in der Rolle von Coaching sichtbar: Während Coaching in der Wissenschaft zunächst vorrangig als Reaktion auf wissenschaftspolitische Impulse etabliert wurde, lässt sich seit etwa zehn Jahren eine zunehmende Eigeninitiative vor allem von jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beobachten. Sie setzen eigene thematische Schwerpunkte, bringen machtkritische Perspektiven ein und nutzen Coaching gezielt zur Reflexion struktureller Rahmenbedingungen und institutioneller Kulturen. Damit wird Coaching auch zu einem Raum für systemkritische Auseinandersetzung und individuelle Positionierung im Spannungsfeld zwischen akademischer Praxis und persönlichem Wertekompass.

Auch Hochschulleitungen, Dekanate und Führungskräfte im Wissenschaftsmanagement nutzen Coaching verstärkt als geschützten Reflexionsraum, um strategische und ethische Fragen zu bearbeiten – etwa im Zusammenhang mit Diversität, Inklusion, Antisemitismus oder Nachhaltigkeit. Aus dieser Perspektive ist Coaching in der Wissenschaft längst mehr als nur ein individuelles Unterstützungsformat: Es etabliert sich zunehmend als strategisches Instrument der Organisationsentwicklung. Je nach institutioneller Verankerung lässt es sich heute an der Schnittstelle zwischen Personalentwicklung, Leadership Development und Diversity Management verorten. Coaching trägt sowohl zur individuellen Stärkung als auch zur Gestaltung kollektiver Veränderungsprozesse bei – und kann damit als institutioneller Katalysator in Zeiten von Wandel und Krisen wirken. //

Link

www.coachingnetz-wissenschaft.de

Literatur

  • Coaching für Wissenschaftler/innen. Themenschwerpunkt OSC 16. Jg., Heft 2/2009.
  • Schmidt, B./Richter, A.: Zwischen Laissez-Faire, Autokratie und Kooperation: Führungsstile von Professorinnen und Professoren. In: Beiträge zur Hochschulforschung, 31. Jg., 4/2009, S. 8-35.
  • Hubrath, M./Schmidt, B.: „Praxis Coaching“ (Ergebnisüberblick aus der deutschlandweiten Befragung des Coachingnetz Wissenschaft e.V. zu Coaching in Hochschule und Wissenschaft 2016). In: DUZ 3/2017, S. 68-79.

Die Autorinnen

Dr. Margarete Hubrath

ist seit 2001 selbständig als Trainerin, Beraterin und Coach in der Wissenschaft. 2005 Co-Gründerin von „Coachingnetz-Wissenschaft“

Foto: Annette Koroll

Prof. Dr. Anja Frohnen

ist seit 2001 selbständig als Trainerin, Beraterin und Coach in der Wissenschaft. 2005 Co-Gründerin von „Coachingnetz-Wissenschaft“. Leitung impulsplus Qualitätsnetzwerk Kompetenzentwicklung Wissenschaft, Professorin für Coaching (Internationale Universität)

Foto: Ellen Bornkessel​

 
Diese Cookie-Richtlinie wurde erstellt und aktualisiert von der Firma CookieFirst.com.

Login

Der Beitragsinhalt ist nur für Abonnenten zugänglich.
Bitte loggen Sie sich ein:
 

Logout

Möchten Sie sich abmelden?

Abo nicht ausreichend

Ihr Abonnement berechtigt Sie nur zum Aufrufen der folgenden Produkt-Inhalte: