
Zwischen Experiment und Systemwechsel
Künstliche Intelligenz (KI) spielt in Studium und Lehre eine immer größere Rolle. Allerdings gibt es noch viele Unsicherheiten. Doch indem viel experimentiert wird, entstehen ganz neue Realitäten, erläutert Grit Würmseer
Nun also auch hier: das omnipräsente Thema Künstliche Intelligenz. Und damit die Frage, wie der Stand beim Einsatz von KI-Tools in Studium und Lehre eigentlich ist – und wie generative KI-Anwendungen genutzt werden, um Lernprozesse zu gestalten und Inhalte zu generieren.
Die Forschungslage dazu ist – angesichts der rasanten Dynamik in Entwicklung und Verbreitung – noch dünn. Daher haben wir beim HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. (HIS-HE) im Auftrag des Hochschulforums Digitalisierung (HFD) selbst einen genaueren Blick gewagt: mit einem Call for Use Cases, der zahlreiche Rückmeldungen aus der Hochschulpraxis erbracht hat. So ist ein vielfältiger Fundus an Beispielen entstanden, den wir systematisiert und ausgewertet haben – nicht mithilfe von KI, aber mit viel menschlichem Einsatz.
Was zeigt sich? In vielen Hochschulen wird derzeit mit generativer KI in der Lehre experimentiert. Anwendungsbeispiele finden sich über Fachgrenzen hinweg – besonders häufig in der Informatik, den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in den Geisteswissenschaften. Auch die Einsatzbereiche sind breit gefächert: KI wird etwa genutzt, um die eigene Lehrveranstaltung zu überarbeiten oder innovative Lehrformate zu entwickeln. Sie unterstützt das individualisierte Lernen der Studierenden durch adaptive Aufgaben, personalisierte Lernmedien und maßgeschneidertes Feedback. In der Studienberatung und Studienverlaufsplanung kommen KI-gestützte Assistenzsysteme zum Einsatz. Und nicht zuletzt rückt die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit KI selbst immer stärker in den Fokus.
Dabei sind die Herausforderungen groß. Und doch lohnt sich ein Rückblick: Haben wir nicht ähnliche Diskussionen bereits im Zuge der Digitalisierung der Lehre – etwa während der Corona-Pandemie – geführt? Tatsächlich lassen sich Parallelen ziehen: Auch damals ging es um Unsicherheiten, Kompetenzaufbau auf Seiten der Lehrenden, aber auch der Studierenden und um strukturelle Fragen etwa hinsichtlich technischer Ausstattung und Zugang. Dennoch gibt es entscheidende Unterschiede, denn der Einsatz von KI ist für viele Beteiligte vollkommen neu. Lehrende und Studierende bewegen sich in einem Feld voller technischer, didaktischer und rechtlicher Ungewissheiten. Die nötigen Kompetenzen im Umgang mit KI müssen – auf beiden Seiten – erst aufgebaut werden. Dazu gehört nicht nur ein Verständnis der Potenziale, sondern auch ein kritisches Bewusstsein für Limitationen und Risiken.
Bemerkenswert ist: Der Kompetenzaufbau erfolgt vielfach gemeinsam – in einem experimentellen Modus, der an Hochschulen bislang eher untypisch war. Nicht selten ist die Entwicklung von KI-Kompetenzen ein Prozess, den Lehrende und Studierende zusammen vollziehen. Sie erproben gemeinsam neue Wege, reflektieren Prozesse und lernen von- und miteinander.
Die Geschwindigkeit und Dynamik, mit der sich KI-Tools weiterentwickeln, stellt zusätzliche Anforderungen. Anders als bei früheren Bildungsinnovationen zwingt uns KI dazu, vom Prototypen direkt in die Anwendung zu springen – und dabei ständig Anpassungen vorzunehmen. Und hier zeigt sich vielleicht der gravierendste Unterschied: Während die Digitalisierung der Lehre – etwa durch die Pandemie – vor allem einen medialen Shift bedeutete (mit der Verlagerung der Vorlesungen und Seminare von Präsenzformaten in virtuelle Räume), geht es bei KI um einen qualitativen Wandel. Dieser Wandel ist doppelt zu verstehen:
- Didaktisch: Es geht um die Frage, wie guter Unterricht in einer hybriden Konstellation gestaltet werden kann – im Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Nicht die bloße Integration von KI in bestehende Szenarien ist gefragt, sondern die kritische Überprüfung von Lehrzielen unter den Bedingungen einer KI-geprägten Gesellschaft. Auch diese Ziele selbst werden damit zum Gegenstand digitaler Transformation.
- Kompetenzbezogen: Welche Fähigkeiten brauchen Studierende künftig in einer Welt, in der KI zentrale Aufgaben übernimmt? Wie unterscheiden sich menschliche Kompetenzen qualitativ von denen der Maschine? Und wie können wir sicherstellen, dass Studierende nicht nur die Potenziale nutzen, sondern auch die Grenzen von KI reflektieren?
Antworten darauf zu entwickeln, ist Aufgabe der Lehrenden und Hochschulen – und das in einem hochdynamischen, offenen Lernmodus. Wie das gelingen kann, zeigen zahlreiche Pilotprojekte und experimentelle Lehrkonzepte.
Auch wenn belastbare Evaluationen aktueller Anwendungsfälle in der Regel noch ausstehen, ist ein zentrales Muster erkennbar: Erfolgreiche Projekte schaffen Räume des gemeinsamen Ausprobierens und Erprobens von Studierenden und Lehrenden – mit Freiraum für studentische Mitgestaltung, für technologische Impulse von außen und für kreative didaktische Experimente. Es gilt, die mit KI verbundenen dynamischen Entwicklungen und Unsicherheiten aufzugreifen und zum Thema zu machen. Es gilt, Tools und technologische Werkzeuge einzubringen und ihre Anwendungsszenarien auszuprobieren und darüber Strategien zu erproben, um mit und durch KI-Anwendungen einen didaktischen Mehrwert entstehen zu lassen.
Doch damit dies nachhaltig wirken kann, braucht es mehr: Neben persönlichem Engagement und Expertise der Lehrenden ist vor allem eine belastbare technische Infrastruktur notwendig – ebenso wie der Zugang zu datenschutzkonformen KI-Systemen. Eine innovationsfreundliche, kooperative Hochschulkultur wirkt dabei als Katalysator. Und nicht zuletzt gilt: Die Qualität KI-generierter Inhalte muss geprüft und reflektiert werden – als Grundlage für eine qualifizierte Nutzung im Studium. Nur so kann KI nicht nur Instrument, sondern auch Gegenstand akademischer Bildung sein. //
Die Autorin
Dr. Grit Würmseer
ist seit Oktober 2023 geschäftsführende Vorständin beim HIS-Institut für Hochschulentwicklung e.V. Ihre Schwerpunkte liegen in der strategischen Hochschulentwicklung und der Organisationsberatung.
Homepage: https://his-he.de
DUZ Wissenschaft & Management 05/2025 vom 06.06.2025