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Form follows function

Vision, Funktion und Form – diesen Dreiklang fordert der Projektentwickler Joachim Heintze für den Hochschulbau ein. Im Interview erläutert er, wie unklare Zuständigkeiten die Hochschulbauentwicklung lähmen

Herr Heintze: Sie haben mit Ihrem Team den Zustand von über 20 Prozent aller Flächen und Gebäude von Hochschulen in Deutschland unter die Lupe genommen und bewertet. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Analysen für den Hochschulbau?

Es herrscht zu wenig Klarheit darüber, wer eigentlich in Deutschland die Verantwortung für den Hochschulbau hat. Die Wissenschaftsfreiheitsgesetze, die wachsende Autonomie der Hochschulen, die Abschaffung der Bundesmitfinanzierung und des Hochschulbauförderungsgesetzes sowie die einzelnen landesspezifischen Gesetze zum Hochschulbau tragen jedenfalls nicht zu mehr Transparenz und Klarheit bei. Ganz im Gegenteil. Die Zuständigkeiten und Aufgaben sind sehr disloziert und auf zu viele verschiedene Institutionen verteilt. Darauf hat auch der Wissenschaftsrat hingewiesen.

Welche Auswirkungen hat das?

Das führt dazu, dass die Prozesse des Miteinanders sowohl in der Entwicklung als auch in der Planung, Ausführung und Realisierung des Hochschulbaus nicht wirklich gut geregelt sind. Sie sind fehleranfällig, schwerfällig und dauern zu lange. 

Wie machen sich diese verteilten Zuständigkeiten in der Praxis bemerkbar?

Verkürzt könnte man den Prozess so beschreiben: Für Hochschulleitungen ist es zunächst eine sehr komplexe Aufgabe, angesichts der vielen unterschiedlichen Disziplinen und Bedarfe an ihren Hochschulen eine einheitliche Meinung zu möglichen Bauvorhaben herzustellen. Nach diesem Schritt folgen meist langwierige Abstimmungsprozesse mit den Wissenschaftsministerien, in denen Finanzierungsmöglichkeiten, Bedarfe und Zielsetzungen sowohl aus Hochschul- als auch aus Ministeriumssicht geklärt werden. Hinzu kommen weitere Abstimmungsprozesse mit Finanz-, Bau-, Innenministerien und anderen Ressorts, bevor eine Baugenehmigung erteilt werden kann. Erst danach ergehen Aufträge an Bauverwaltungen oder Liegenschaftsbetriebe, die die Bauprojekte vorantreiben. Auf all diesen Ebenen sind zudem unterschiedliche Akteure und Institutionen mit unterschiedlichen Rollen, Verantwortlichkeiten und Aufgaben involviert. Von daher sind Projektlaufzeiten von über zehn Jahren keine Ausnahme, sondern die Regel.

Was sind Ihren Erfahrungen zufolge die größten Hürden für einen gut funktionierenden Hochschulbau?

Als Haupthindernisse für einen optimalen Hochschulbau sehe ich: erstens fragmentierte Entscheidungsstrukturen, zweitens den Mangel an Fachpersonal und Expertise an den entscheidenden Schnittstellen zwischen den Institutionen und verantwortlichen Personen. Und drittens fehlt es an Transparenz über die einzusetzenden Ressourcen, Finanzen und Konsequenzen des Handelns. Erschwerend kommen von den verschiedenen Parteien gepflegte Klischees hinzu: So unterstellen die finanzierenden Institutionen der Länder Wissenschaftlern zum Beispiel, dass diese reine Wunschlisten schreiben hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Bedarfs und nicht an die Folgen denken, da sie schließlich keine Verantwortung für die Konsequenzen daraus tragen. Und die Nutzergruppen des Hochschulbaus wiederum beklagen, dass sie kein Wissen darüber hätten, welcher Finanzrahmen wirklich zur Verfügung steht und es zu wenig Transparenz gäbe. Um diese verschiedenen Sichtweisen, Bedarfe und Erfahrungen abzugleichen, braucht man optimierte Verfahren und Klärungsprozesse. 

Was könnte und müsste man besser machen?

Regelmäßig gibt es quer durch die Republik immer wieder Initiativen zur Optimierung dieser Prozesse. Diese werden sehr gut beschrieben, wie etwa vom Wissenschaftsrat. Trotzdem wird das Grundübel nicht angegangen. Die Hochschulen sollten die Verantwortung haben für die inhaltliche, strukturelle, organisatorische und strategische Entwicklung des Hochschulbaus, was ihnen in einigen Bundesländern ansatzweise auch gegeben ist. Es bedarf eines Corporate Real Estate Managements, wie dies in Unternehmen üblich ist. 

Warum, was würde das ändern?

Eine Immobilienstrategie muss dem Unternehmenszweck dienen. Das gilt auch für die Hochschulen. Wir von rheform verstehen uns als Interessensvertretung der Hochschulen und vertreten die Position: Ein Hochschulbau, der nicht funktioniert, ist überflüssig und eine Verschwendung von Steuergeldern. Für die Festlegung von Zielen und die Umsetzung von Hochschulbauten sollte als erste Priorität die angestrebte Funktion des Baus definiert werden. Diese gilt es, in eine Form zu bringen und effizient zu realisieren.

Also „Form follows function“?

Genau. Dieser Gestaltungsgrundsatz des amerikanischen Architekten Louis Henry Sullivan, der übrigens in Deutschland erstmals vom Bauhaus konsequent angewandt wurde, sollte auch unbedingt im Hochschulbau stärker berücksichtigt werden. Architektur und Städtebau sollten als formgebende Disziplinen die Funktionalität gewährleisten. Dazu muss die Funktionalität aber auch beschrieben sein. Je besser und präziser das passiert, desto eher können Architektur und Städtebau dafür die passende Gestalt finden. Zugleich müssen die Interessen, die die Politik mit den von ihr für den Hochschulbau zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln verbindet – wie zum Beispiel auch die Verfolgung von Klimaschutzzielen – mit eingebettet werden in die Planungen und in den Betrieb. Ebenfalls berücksichtigt werden muss für ein zukunftsfähiges Bauen die Zielkomponente Nachhaltigkeit mit ihren drei Säulen Soziologie, Ökologie und Ökonomie. 

Welche organisatorischen Veränderungen sind notwendig, um Hochschulbau und Standortentwicklung zu optimieren? 

Als Erstes müsste die politische Entscheidung fallen, dass die Hochschulen die führende Rolle in der Entwicklung ihrer eigenen Immobilienstrategien übernehmen. Diese Forderung ist nicht neu – auch der Wissenschaftsrat hat sie klar formuliert. Wenn die zuständigen Landesinstitutionen einen klaren finanziellen Rahmen vorgeben, können Hochschulen die Standort- und Projektentwicklungen eigenverantwortlich initiieren und innerhalb dieses Rahmens gut durchdachte Konzepte erarbeiten. Die einzubindenden Institutionen müssten solche Vorschläge nicht genehmigen, sondern nur bei gut begründeten Einwänden ablehnen. Damit entstünde ein konsentorientierter Prozess, in dem Verantwortung und Entscheidungskompetenz stärker bei den Hochschulen liegen. Diese Vorgehensweise sollte gestärkt werden durch die Bereitstellung entsprechender Ressourcen, was durch eine Umverteilung von Aufgaben und Mitteln möglich wäre.

Wie müssten sich die Hochschulen darauf einstellen? 

Damit eine solche Verlagerung funktioniert, müssten die Hochschulen nachweisen, dass sie interne Strukturen schaffen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Diese Veränderungen gehen bis in die Hochschulleitungsebene. Ein gutes Beispiel dafür ist die Universität Zürich. Dort wurde eine neue Position und Stelle im Rektorat etabliert, die die Immobilienverantwortlichkeit als gleichwertiges, eigenständiges Mitglied im Rektorat dauerhaft vertritt. Diese Position ist kein wechselndes Wahlamt, sondern eine langfristige Stellenbesetzung mit Vetorecht. Das heißt, die Entscheidungen des Rektorats berücksichtigen auch die mit den Landesinstitutionen abgestimmte Immobi-lienstrategie. An deutschen Hochschulen ist das Thema Immobilien, Bau und Infrastruktur meist beim Kanzler oder einem Vizepräsidenten angesiedelt, mit einer Stelle, die meist nur für eine beschränkte Dauer angelegt ist.

Sie setzen sich dafür ein, dass die Planung und der Bau von Hochschulbauten geprägt werden von Vision, Funktion und Form. Warum? 

Das ist meine zentrale Botschaft an die Verantwortlichen in Städtebau und Architektur. Wir müssen uns bereits heute damit beschäftigen, wie die Funktionen des Hochschulbaus in ein paar Jahren aussehen sollten und was wir künftig überhaupt unter Funktionen verstehen werden. Sprich: Wie könnten die Nutzerinnen und Nutzer der Gebäude, des Campus oder der Infrastruktur in zehn oder zwanzig Jahren lehren, lernen, arbeiten und miteinander interagieren? In welchem sozialen Gefüge werden sie sich künftig darüber verständigen müssen, wie sie Räume, Flächen, Gebäude oder den Campus nutzen? Wir brauchen eine klare Beschreibung dieser Funktionen. 

Das hört sich erst einmal nicht allzu kompliziert an. Was steht dem entgegen?

Wir können solche Funktionen erst dann präzise beschreiben, wenn wir vorher eine Vision darüber entwickelt haben, mit welchem Profil und mit welcher Identität die Hochschulen insgesamt, aber dann auch jede einzelne Hochschule für sich selber, in die nächsten 30 Jahre gehen werden und wie sie sich in diesem Prozess transformieren werden. Wir brauchen also zuerst eine Vision und davon abgeleitet klare funktionale Anforderungen: für die gesamte Campusentwicklung, für einzelne konkrete Baumaßnahmen sowie für die Nutzung und Konzeption einzelner Flächen und Räume. Diese Funktionsbeschreibungen beinhalten dann die belastbare Planungsgrundlage für die Formfindungen in Städtebau und Architektur. //

Zehn Forderungen für eine nachhaltige Baupolitik

225 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern von der neuen Bundesregierung eine Bauwende. Das sind die zentralen Forderungen:

  1. Bedarfsgerechtes und flächeneffizientes Bauen: Umbau statt Neubau
  2. Abrissmoratorium: Transformation des Gebäudebestands
  3. Hinterfragen von Standards: Lowtech-Bauen
  4. Angemessene Sanierungen im Bestand: CO2-Bilanzierung im GEG
  5. Kreislaufgerechtigkeit: regionale Bio-Bauökonomie
  6. Durchmischte Quartiere: hybrid nutzbare Gebäude
  7. Klimaresilienz: Biodiversität
  8. Sprunginnovationen: Reallabore und Transferforschung
  9. Wertschöpfung Bauwende: Bildungsoffensive Bauschaffende
  10. Forschungsförderung: Vernetzung Bauwende in den Ministerien

Quelle: https://idw-online.de/de/news847621

Zukunftsfähige Hochschulbauprojekte

Sieben Regeln für ein erfolgreiches Agieren (Kurzfassung). Die vollständige Version können Sie beim Autor direkt anfragen: joachim.heintze[a]rheform.de

1. Strategische Standort- und Projektentwicklung in der Verantwortung der Hochschulen
Wichtig ist ein Systemwechsel: weg von diffuser Steuerung, hin zu akademisch getragener Planungshoheit. Hochschulen übernehmen die Verantwortung für ihre bauliche Entwicklung und verknüpfen sie eng mit ihrer wissenschaftlichen Strategie.

2. Zielorientierte Bedarfsplanung innerhalb eines realistischen Finanzrahmens
Zukunftsfähige Hochschulbauprojekte beginnen nicht mit dem Entwurf, sondern mit einer frühzeitigen, strukturierten Bedarfsplanung, die alle Interessensgruppen einbezieht. 

3. Partizipation als Prinzip: klare Projektprofile und hohe Qualität durch frühzeitige Nutzerbeteiligung
Frühzeitig abgestimmte Entscheidungen und nachvollziehbare Argumentationen sind Voraussetzung für den Projekterfolg. Gemeinsam definierte Ziele und klare Vorgaben sorgen für Verlässlichkeit und verhindern zeit- und kostenintensives Änderungsmanagement.

4. Kommunikation und Wissensvermittlung als Managementaufgabe
Planungsprozesse sollten für alle Beteiligten nachvollziehbar sein, auch für Entscheiderinnen und Entscheider ohne fachspezifische Vorkenntnisse.

5. Zukunftsfähigkeit als Entwurfsmaxime
Zukunftsfähige und damit nachhaltige Hochschulgebäude zeichnen sich dadurch aus, dass sie lange Zeit ohne Umbau flexibel nutzbar sind – für verschiedene Tätigkeiten und Arbeitsweisen.

6. Integrale Vergabe: Planung, Bau und Betrieb gemeinsam denken
Eine integrale Vergabe von Planungs-, Bau- und Betriebsleistungen reduziert Schnittstellen, minimiert Risiken und schafft Planungssicherheit – insbesondere bei gedeckelten Budgets und engen Zeitvorgaben. 

7. Nachhaltigkeit als integrale Anforderung verankern
Der Hochschulbau muss ökologisch und wirtschaftlich tragfähig sein. Energieoptimierte Konzepte und niedrige Lebenszykluskosten sind mehr als ein Trend. Sie sind notwendige Zukunftsstandards.

Im Interview

Joachim Heintze

Der Dipl.-Ing. Architektur ist einer der beiden Geschäftsführenden Gesellschafter der rheform GmbH. Er beschäftigt sich seit 1995 u. a. mit Strategie- und Organisationsberatung, zielorientierter Bedarfsplanung und nachhaltiger Immobilienentwicklung speziell von Hochschulen.
Info: www.rheform.de

Foto: rheform GmbH 

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