
Studieren ohne Angst
Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg hat sich für ein Handlungskonzept gegen Rechts entschieden. Dafür gibt es viele Gründe
Wir sehen seit mehreren Jahren einen nationalen und globalen Aufschwung der extremen Rechten. Diese Entwicklung zeichnet sich auch in den jüngsten Wahlergebnissen ab. Auch Universitäten und Hochschulen sind von diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und rechtsextremen Dominanzbestrebungen betroffen. Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) nimmt diese Entwicklungen ernst und hat in Auftrag gegeben, auf Grundlage der bestehenden Bedarfe Handlungsempfehlungen für die Universität auszuarbeiten.
Als international ausgerichtete und gut vernetzte Einrichtung hat die BTU Cottbus-Senftenberg eine hohe Anziehungskraft für zukünftige Fachkräfte in die Lausitzer Region. Laut David Freches schätzen Studierende das Bildungsangebot und gute Betreuungsverhältnisse an einer vergleichsweise kleinen Universität (vgl. Freches, 2025). Zugleich aber mobilisieren (extrem) rechte Bewegungen in der Region und fordern die demokratische Zivilgesellschaft heraus. Die offene Atmosphäre der Stadt wird neben der Abwanderung vor allem junger, gut ausgebildeter Menschen bereits seit den frühen 1990er-Jahren wiederholt durch völkisch autoritäre, aber auch extrem rechte Akteure bedroht. Es entsteht eine Diskursverschiebung innerhalb der Stadtgesellschaft, wodurch tendenziell öfter (extrem) rechte Provokationen im Alltag auftreten und häufiger als andernorts unwidersprochen bleiben. Das ergaben Recherchen des Brandenburgischen Vereins Opferperspektive. Diese Situation birgt die Gefahr, dass Angriffe gegen Menschen, die aufgrund von Rassismus, Antisemitismus, LSBTQI+-Feindlichkeit, Sozialdarwinismus oder als politische Gegner und Gegnerinnen abgewertet werden, als normal empfunden werden könnten.
Als Teil der Stadtgesellschaft ist auch die Universität von diesen Entwicklungen betroffen. Allerdings sind diese Entwicklungen nicht allein ein Lausitzer oder Brandenburger Phänomen. Auch an anderen Universitätsstandorten und auch in Westdeutschland gibt es diese Herausforderungen durch extrem rechte Akteure, wie ein Interview mit der Prorektorin der Ruhr Universität Bochum Prof. Dr. Isolde Karle zeigt (vgl. Hundt, 2025). Die BTU hat erkannt, dass sie mit der hohen Anzahl internationaler Studierender und Mitarbeitenden und der Situation vor Ort eine besondere Verantwortung für diese trägt. Das Verschweigen von Vorfällen geht auf Kosten der Betroffenen und ihr Sicherheitsgefühl. Letztlich kann sich dies negativ auf die Lernmöglichkeiten von Studierenden auswirken.
Erfahrungen von Diskriminierung schränken den Bildungserfolg ein und können zu gesundheitlichen Problemen führen. Auch daher ist eine deutliche Positionierung für demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus von Seiten der Leitung und der verschiedenen Ebenen der Institution wichtig. Das war und ist an der BTU von Beginn an gegeben: Das Präsidium hat die Entwicklung des Handlungskonzeptes und der Monitoringstelle begleitet und unterstützt, ein deutliches Signal für demokratische Kultur nach innen und nach außen. Die BTU nimmt mit diesem Handlungskonzept eine Vorreiterposition unter den Universitäten und Hochschulen ein.
Was das Handlungskonzept beinhaltet und welche Empfehlungen es gibt Da es noch keine konkreten Erfahrungen oder Vorlagen gab, sind wir empirisch forschend gestartet: Wir haben im Sinne qualitativer Forschung innerhalb der Institution offen gefragt, auf welchen Ebenen in den vergangenen Jahren rechte Einflussnahmeversuche und Vorfälle an unserer Universität bekannt geworden sind. Die verschiedenen Situationen haben wir ausgewertet und typisiert. Das Handlungskonzept enthält in einem ersten Teil eine Analyse der gesellschaftlichen Entwicklungen a) überregional, b) mit Bezug auf Cottbus und Senftenberg und c) den Bereich der Wissenschaften. In einem zweiten Teil entwickelten wir auf Basis dichter Beschreibungen dessen, was konkret vorgefallen ist und wie interveniert wurde, möglichst mehrperspektivische Antworten und entsprechende Empfehlungen. Es geht hierbei um Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt in der Stadtgesellschaft, in der Institution oder im Kontakt mit Behörden, extrem rechte Mobilisierungsversuche auf dem Campus, zum Beispiel durch Kleidungsmarken und Symbole, auf öffentlichen Veranstaltungen, durch das Anmieten von Räumen der Universität oder durch digitale Versuche der Einflussnahme und Herausforderungen in der Lehre.
Daraus ergeben sich Handlungsempfehlungen für die Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Vorfällen. Ziel ist, die Handlungsfähigkeit in den Bereichen der Lehre, Forschung und Verwaltung zu stärken und partizipative Strukturen zu fördern.
Für den Kontext der Lehre haben wir eine Handreichung entwickelt, die eine Orientierung im Umgang mit (extrem) rechten Positionierungen in der Lehre bieten soll. Für das pädagogische Handeln stellt der „Beutelsbacher Konsens“, der in den 1970er-Jahren in der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung formuliert wurde, eine Orientierungsgrundlage in Richtung Kontroversität und dialogische Bildungsprozesse dar. Es ist die Aufgabe von Lehrenden, diskriminierenden Aussagen und Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten und sich nicht an der Normalisierung politisch rechter Aussagen zu beteiligen. Um Lehrende in dieser Aufgabe zu unterstützen, entwickeln wir Weiterbildungsangebote und kollegiale Fallberatungen zur Sensibilisierung und Erweiterung von Handlungsfähigkeit im Umgang mit herausfordernden Situationen.
Im Wintersemester 2024/25 wurde an der BTU eine Monitoring- und Dokumentationsstelle für Mitarbeitende und Studierende eröffnet. Sie ist eine Empfehlung aus dem Handlungskonzept, um die Wahrnehmung für die entsprechenden Phänomene auf allen Ebenen der Institution zu sensibilisieren, sodass Vorfälle und Situationen eingeordnet und analysiert sowie entsprechend schnelle, wirksame und angemessene Interventionen entwickelt werden können. Die Monitoringstelle betreibt unter anderem eine Homepage, die über die verschiedenen Ebenen von Diskriminierung und rechten Einflussnahmeversuche informiert und Studien zum Thema sowie Hinweise auf mögliche Prävention und Wege der Auseinandersetzung an Hochschulen bereitstellt. Zudem gibt es die Möglichkeit, einen Vorfall anzuzeigen, indem eine selbst erlebte oder beobachtete Situation beschrieben und den datenschutzrechtlichen Bestimmungen entsprechend gemeldet werden kann.
Darüber hinaus sind wir als Institution in der Lage, die potenziell betroffene Person möglichst schnell zu unterstützen und gegebenenfalls an Fachberatungsstellen zu verweisen, Prozesse innerhalb der Institution anzustoßen oder anderweitig zu intervenieren. Bisher nehmen Angehörige der Universität das Angebot der Mitteilungsmöglichkeit gut und verantwortungsbewusst an. Neben der Mitteilung über (extrem) rechte Raumnahme, wie rechtsextreme Graffitis und Sticker, sowie Störungen von Veranstaltungen gab es Mitteilungen zu Vorfällen von rechtsextrem motivierter Gewalt, insbesondere im Freizeitbereich. Anhand der Dokumentation entsteht eine Sensibilisierung für die Lage in der Region, den sich daraus ableitenden Bedarfen und Schutzlücken innerhalb der Institution.
Mit dem Handlungskonzept entscheidet sich die BTU für a) ein proaktives Vorgehen, b) eine parteiliche Positionierung auf Seiten der Betroffenen von Diskriminierung und (extrem) rechter Gewalt sowie c) eine partizipative Umsetzung gemeinsam ausgehandelter (Präventions-)Maßnahmen. Diese Frage der Haltung – proaktiv, parteilich und partizipativ – ist zentral: Oft werden Vorfälle verschwiegen, das Problem nicht angesprochen, weil die Befürchtung besteht, damit könne eine Rufschädigung, ein Imageschaden einhergehen. Die Forschung zur Wirksamkeit von Maßnahmen der Rechtsextremismusprävention zeigt jedoch: Erst eine unmittelbare, verständliche und verlässliche Positionierung der Institution gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus sowie eine nachhaltige Intervention gibt potenziell Betroffenen Sicherheit. Mit solch einer Positionierung ändert sich die Atmosphäre an der Institution: Sie klärt, welche Werte und Standards die Basis unserer Zusammenarbeit an der Universität sind und wo deren Grenzen liegen. Die Zwischenbilanz zeigt, dass das von dieser institutionellen Haltung ausgehende Signal das Verantwortungsbewusstsein, das Vertrauen und das Interesse an Beteiligung innerhalb der Institution fördert. //
Literatur
Freches, D. (2025): Cottbus – Wie internationale Studierende die Stadt sehen. In: Deutschlandfunk Nova, 06.02.2025. Verfügbar unter: https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_4102C2C2E46611EF7E4BB883034AF4D0, zuletzt geprüft am 26.02.2025.
Hundt, H. (2025): Was die RUB gegen rechtsextreme Aktivitäten auf dem Campus unternimmt. Online verfügbar unter: https://news.rub.de/hochschulpolitik/2025-01-14-interview-was-die-rub-gegen-rechtsextreme-aktivitaeten-auf-dem-campus-unternimmt, zuletzt geprüft am 06.03.2025.
Die Autorinnen
Dr. Heike Radvan
ist Professorin für Rechtsextremismusforschung mit den Schwerpunkten Politische und kulturelle Bildung an der Universität Tübingen. Bis September 2024 lehrte und forschte sie an der BTU Cottbus-Senftenberg am Institut für Soziale Arbeit zu den Schwerpunkten Gemeinwesenarbeit und Rechtsextremismusprävention.
Foto: Fotostudio Neukölln
Susanne Dyhr, M.A.
ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Soziale Arbeit an der BTU Cottbus-Senftenberg. Sie hat an der Erstellung des Handlungskonzepts gegen (extrem) rechte Einflussnahme und Gewalt mitgewirkt und koordiniert seit dem Wintersemester 2024/25 die Arbeit der Monitoringstelle. |
Foto: Fotostudio Kreuzberg
DUZ Wissenschaft & Management 04/2025 vom 09.05.2025