Wissenstransfer ist mehr als Technologietransfer
Über Mechanismen und Formen von Wissenstransfer am Beispiel der Förderlinie „Forschung zum Wissenstransfer“ des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI
Transfer an Universitäten wird seit etwa dem Beginn der 1990er-Jahre als Technologietransfer diskutiert, wobei Patente, Lizenzen und Spin-offs im Vordergrund stehen. Seit 2015 gibt es aber auch ein zunehmendes Interesse am Wissenstransfer in nichttechnischen Fächern. Der Wissenschaftsrat hat sich mehrfach mit dieser Frage befasst, der Stifterverband hat das sogenannte Transferbarometer zur Erfassung des Wissenstransfers an Universitäten entwickelt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat eine Förderlinie zum Wissenstransfer aufgesetzt, in der aktuell 25 Projekte gefördert werden und nach zwei Jahren erste Zwischenergebnisse vorliegen.
Wissenstransfer wird häufig als dritte Mission neben Lehre und Forschung gesehen. Es geht darum, das Wissen aus Universitäten an die Gesellschaft weiterzugeben, als Gegenleistung für die Finanzierung der Universitäten durch den Steuerzahler. Angesichts der erheblichen Belastungen in Lehre und Forschung sehen viele Universitätsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen allerdings Probleme, dieser zusätzlichen Aufgabe gerecht zu werden.
Es bestehen bei genauerer Betrachtung verschiedene Auffassungen, was Wissenstransfer konkret bedeutet. In der Literatur werden öffentlichkeitswirksame Transferleistungen, transferbasierte Forschungsleistungen und Beratungsleistungen genannt, darüber hinaus werden personelle Mobilität oder Fortbildung von Externen aufgeführt. Oft steht die Wissenschaftskommunikation im Vordergrund, also die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse in verständlicher Form an die Gesellschaft etwa über Artikel in Publikums-Zeitschriften, Radiosendungen oder Bücher für Laien.
Um hier Klarheit zu bekommen, ist es sinnvoll, sich die grundlegende Definition von Wissenstransfer anzusehen. Wissenstransfer ist danach der Transfer von akademischem Wissen zu nichtakademischen Personen oder Einrichtungen (Externe) oder die Interaktion von Akademikern mit Externen. Wenn man sich in dieser Perspektive mögliche Transfermechanismen anschaut, ergeben sich fünf Formen von Wissenstransfer:
1. Direkte Interaktion: Das ist Auftragsforschung für Externe oder Kooperationsforschung mit Externen, informeller Wissensaustausch mit Externen, gemeinsame Nutzung von Infrastruktur, Teilnahme an Gremien und Arbeitsgruppen von Externen, Beratung von Externen.
2. Lehre für Externe: Neben Fortbildung fallen darunter Schüleruniversitäten oder öffentliche Fortbildungsveranstaltungen zu aktuellen Themen, etwa zu Corona.
3. Wissenschaftskommunikation: Darunter fällt die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse in verständlicher Form an die Gesellschaft über verschiedene Medien. Wichtig sind aber auch Artikel, Broschüren oder Bücher von Akademikern für Laien oder Praktiker etwa zu Kindererziehung, Gartenbau, Mietrecht, Computertechnik oder Fachbücher für Rechtsanwälte, Richter, Steuerberater oder Lehrer und Lehrerinnen.
4. Wissensverwertung: Diese Form bezieht sich vor allem auf Technologietransfer über Patente, Spin-offs, aber auch auf Umsetzung von Wissen in Produkte oder kommerzielle Dienstleistungen ohne Patentschutz.
5. Personalaustausch: Im engeren Sinne ist das der Wechsel von Akademikern zu externen Einrichtungen oder umgekehrt, aber auch Praktika oder Examensarbeiten bei Externen oder Vorlesungen von Externen.
Es geht also um eine Vielzahl unterschiedlicher Formen des Transfers. Eine breite Online-Umfrage (WIDEN, Wissenstransferprofile im deutschen Hochschulwesen) im Frühjahr 2023 bei Professoren und Professorinnen mit 2250 gültigen Antworten hat gezeigt, dass Wissenstransfer in allen Fachgebieten stattfindet, nicht nur in technischen. Dabei beziehen sich etwa 40 Prozent der Transferaktivitäten auf Kooperations- oder Auftragsforschung, das heißt die Überschneidung von Forschung und Wissenstransfer ist erheblich. Das gilt vor allem auch, weil die Teilnahme an Gremien oder Arbeitsgruppen oder der informelle Wissensaustausch rekursiv sind, also nicht nur Transfer an Externe, sondern Input für die eigene Forschung erreicht wird.
Diese starke Überlappung von Wissenstransfer und Forschung resultiert daraus, dass sich alle Fachgebiete mehr oder weniger ausgeprägt mit Problemen der Gesellschaft beschäftigen. So ist Technik eine zentrale Fragestellung der Gesellschaft, bei den Sozialwissenschaften sind gesellschaftliche Strukturen Gegenstand der Forschung, auch die juristischen Fragen der Rechtswissenschaften haben einen gesellschaftlichen Charakter, Gleiches gilt für die Wirtschaftswissenschaften, die Erziehungswissenschaften, die Medizinwissenschaften oder die Agrarwissenschaften. Transferpartner sind Unternehmen, Politik, NGOs, technische und nichttechnische Einrichtungen und Gremien, kulturelle und Erziehungseinrichtungen, nichtakademische Fachleute und Bürger. Während der Transfer in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik einen überwiegend kommerziellen Charakter hat, leisten die anderen Fächer wichtige Beiträge zur Funktion der Gesellschaft, die nichtkommerziell sind, etwa bei Recht, Erziehung, Politik oder Gesundheit. Die Agrar- und Medizinwissenschaften stehen zwischen technischem und nichttechnischem Transfer, etwa bei der Entwicklung neuer Anbauformen versus Beratung von Agrarbetrieben in organisatorischen Fragen oder bei der Entwicklung neuer Medikamente und medizinischer Geräte versus der Beratung von Ärzten und Patienten. In dieser Perspektive entspricht der Wissenstransfer ohne die Forschung für oder mit Externen und ohne die Lehre für Externe der dritten Mission, also den Aktivitäten zusätzlich zu Lehre und Forschung.
Insgesamt ist schon jetzt der Wissenstransfer ein wichtiger Bestandteil der Aktivitäten an Universitäten. Auch die nichttechnischen Fächer leisten wesentliche Beiträge für die Gesellschaft. Zusätzliche Aktivitäten zum Normalbetrieb sind die Wissenschaftskommunikation und neue Formen der Interaktion mit Bürgern wie die Unterstützung von sozialen Innovationen oder die Durchführung von Reallaboren. Die Projekte in der oben erwähnten Förderlinie des BMBF befassen sich unter anderem mit der Verbesserung des Wissenstransfers in spezifischen Gebieten wie der Vermittlung von Ergebnissen der Wissensschafts- und Hochschulforschung an das Hochschulmanagement und an Wissenschaftsministerien, Beispiele sind:
- „TransForM“ – Transfer von Erkenntnissen aus der Hochschul- und Wissenschaftsforschung in das Management von Hochschulen, Prof. Dr. Frank Ziegele, CHE – Centrum für Hochschulforschung,
- „AGICA“ – Agiler Campus – Universitätsinterner Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Verwaltung, Prof. Dr. Susan Harris-Huemmert, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, oder
- „WiaQM“ – Wissenstransfer in das und aus dem Qualitätsmanagement von Studium und Lehre, Prof. Dr. Bettina Langfeldt, Universität Kassel, und Prof. Dr. Isabel Steinhardt, Universität Paderborn.
Des Weiteren befassen sich Projekte mit der Unterstützung bei der Realisierung von nachhaltiger Produktion, zum Beispiel:
- „TRAFO2“ – Transformativer Wandel durch Transfer nachhaltigkeitsorientierter Forschung und universitäre Nachhaltigkeitsprofilierung?, Prof. Dr. Guido Bünstorf, Universität Kassel
- „RENEW“ – Regulatorische Experimente für Nachhaltige Entwicklung im Wissenstransfer, Prof. Dr. Kilian Bizer, Universität Göttingen, und Prof. Dr. Martin Führ, Hochschule Darmstadt,
oder der praktischen Unterstützung bei der Kindertagesbetreuung oder in der Schulpraxis, wie etwa:
- „BIPWissTransKITA“ – Bildungspläne als Instrumente des Wissenstransfers in die Kindertagesbetreuung, Dr. Annett Maiwald / Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
- „PaTH“ – Partizipativer Wissenstransfer zwischen Hochschule und Schulpraxis, Dr. Raphaela Schlicht-Schmälzle, DIPF – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation,
oder auch der Verbesserung der Wissenschaftskommunikation bei gesellschaftlich kontroversen Themen wie Corona:
- „WISDOM“ – Wissenstransfer als Wicked Problem. Eine Analyse am Fall Corona, Prof. Dr. Simone Rödder, Universität Hamburg.
Eine Betrachtung der Entwicklung seit 1990 mit Indikatoren wie Patentanmeldungen von Universitäten, Finanzierung der Universitätsforschung durch Unternehmen, Anmeldung von Dienstleistungsmarken durch Universitäten oder Anteil von angewandten Publikationen von Universitäten zeigt, dass in den letzten Jahren der Wissenstransfer stetig zugenommen hat.
Ein letztes Ergebnis der oben erwähnten WIDEN-Befragung bei Professorinnen und Professoren ist, dass rund 50 Prozent der Befragten keinen relevanten Wissenstransfer leisten. Das liegt vor allem daran, dass in allen Fächern grundlegende Forschung durchgeführt wird, die den Kontakt zur Gesellschaft nicht braucht. Beispielsweise gibt es in den Wirtschaftswissenschaften intensive Interaktionen mit produzierenden Unternehmen, Banken oder Versicherungen, gleichzeitig ist der Praxiskontakt in der Ökonometrie begrenzt. Auch die Botanik oder Mechanik haben kaum gesellschaftliche Verbindungen. Wenn hier der Wissenstransfer intensiviert werden soll, geht es vor allem um Wissenschaftskommunikation. Die hohe Quote mit geringem Transfer legt nahe, darüber nachzudenken, welche grundlegenden Bereiche mit schwachem Transfer für die Wissenschaft notwendig sind und wo Ergebnisse besser für die Gesellschaft fruchtbar gemacht werden können. //
BMBF-Förderlinie „Forschung zum Wissenstransfer“
Laufzeit: September 2022–Dezember 2025
- Förderung im Rahmen der Wissenschafts- und Hochschulforschung, insbesondere des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis
- Die Förderung richtet sich an Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und erfolgt in Form von Zuwendungen
WIDEN-Befragung
Schmoch, U.; Berghäuser, H.; Heyen, N.; unter Mitarbeit von Barkowski, F., Beyersdorf, J.; Eglin, T.; Komaromi, P.; Stephan, M. (2023): Auswertung der Umfrage unter Professorinnen und Professoren deutscher Universitäten zum Wissenstransfer. Zwischenbericht zum Projekt Wissenstransferprofile Im Deutschen Hochschulwesen (WIDEN), Projekt im Auftrag des BMBF (Förderkennzeichen 16WIT016A). Karlsruhe: Fraunhofer ISI.
www.isi.fraunhofer.de/de/competence-center/politik-gesellschaft/projekte/widen.html
Prof. Dr. Ulrich Schmoch
arbeitet als Senior Researcher am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und beschäftigt sich mit dem Transfer an Hochschulen. Er unterstützt als wissenschaftlicher Berater in der Förderlinie „Forschung zum Wissenstransfer“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Koordination zwischen den Projekten.
Foto: ISI
DUZ Wissenschaft & Management 10/2024 vom 29.11.2024