Systemische Veränderung
„Zukunftsmission Bildung“ – so lautet der ambitionierte Titel, unter dem der Stifterverband seit Anfang des Jahres seine inhaltliche Neujustierung fasst und die von ihm beanspruchte Rolle als Impulsgeber für Bildung, Forschung und Innnovation auch künftig behaupten will. Ein Einblick in den strategischen Blickwechsel von der stellvertretenden Generalsekretärin des Stifterverbandes Andrea Frank
Frau Frank, seit 2023 positioniert sich der Stifterverband neu in den Handlungsfeldern Bildung und Kompetenzen, Kollaborative Forschung und
Innovation. Warum?
Wir wollten die Veränderungen in unserer Geschäftsführung und in unserem Präsidium vor zwei Jahren dafür nutzen, um einen Schritt zurückzutreten und uns die Frage zu stellen: Welchen wirkungsvollen Beitrag können wir als Stifterverband leisten, um unser Bildungs- und Wissenschaftssystem weiterzuentwickeln und zu fördern? Diese Auseinandersetzung hatte Konsequenzen für Inhalte und Arbeitsweise. Im Dialog mit unserem Vorstand, Programmverantwortlichen, Partnern, Unternehmen und Förderern entstanden diese für uns wichtigen Handlungsfelder – und damit verbunden zwei übergreifende Herausforderungen, an denen wir mit all unseren Initiativen arbeiten wollen: Wie können wir neue Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft ins Bildungssystem und in die Hochschulen bringen? Und: Wie können wir die Gesellschafts- und Innovationsorientierung von Hochschulen stärken?
Die Bildungs- und Kompetenzanforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich schneller und grundlegender als früher. Der Stifterverband wiederum versteht sich traditionell als Impulsgeber für unser Bildungs- und Wissenschaftssystem. Wodurch unterscheidet sich Ihre „Zukunftsmission Bildung“ von Ihren früheren Aktivitäten?
Die Zukunftsmission Bildung ist Teil unseres Handlungsfeldes „Bildung und Kompetenzen“. Der Stifterverband hat festgestellt, dass seine bisherigen Vorgehensweisen nicht mehr ausreichen, um nachhaltige Veränderungen im System zu erreichen. Pilotprojekte zu fördern, ist schnell gemacht; Erkenntnisse ins System zu übertragen, ist die eigentliche Herausforderung. Hier hat ein Umdenken bei uns eingesetzt. Durch Analyse, Förderung, Kooperation und Meinungsbildung möchten wir vor allem systemische Veränderungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem erreichen. Hochschulen sollten dauerhaft in der Lage sein, neue Kompetenzanforderungen schnell anzunehmen. Wir wollen eine evidenzbasierte Meinungsbildung in den Fokus unserer Aktivitäten rücken und im gemeinsamen Dialog mit politischen Entscheidungsträgern herausfinden, wie unser Bildungssystem flexibler auf Veränderungen reagieren kann. Aus diesen Überlegungen heraus hat der Stifterverband Anfang des Jahres die Zukunftsmission Bildung initiiert. Damit will er ein Bildungssystem für eine Welt im Wandel gestalten, das schnell mehr Menschen mit den notwendigen Kompetenzen aus- und weiterbildet. Dabei konzentrieren wir uns auf vier Herausforderungen. Ziel ist es, systemische Lösungen zu finden, um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen, Bildungspotenziale zu heben, MINT-Fachkräfte zu sichern und die Vermittlung von Future Skills zu fördern.
Nennen Sie uns bitte ein Beispiel für die veränderte Herangehensweise.
Ein gutes Beispiel ist die Allianz für Lehrkräfte, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Lehrkräftelücke zu halbieren. Wir setzen an der Flexibilisierung des Lehramtsstudiums an. Hier brauchen wir keine neuen Pilotprojekte, denn es gibt kein Erkenntnisproblem, was man tun könnte. Wir wollen – gemeinsam mit den relevanten Akteuren und im Rahmen von Umsetzungsworkshops in den Ländern – Wege identifizieren, dieses Ziel zu erreichen. Gemeinsam mit Hochschulen, dem Wissenschaftsministerium und mit Blick auf die jeweiligen Rahmenbedingungen des Landes erarbeiten wir mögliche Umsetzungsschritte, um Handlungsmöglichkeiten konkret zu machen. Das wollen wir versuchen und wir werden in ein bis zwei Jahren sehen, ob so eine relevante Anpassung der Rahmenbedingungen gelingt.
Es verändert sich also auch die Projektarbeit des Stifterverbandes?
Ja. Mit diesem Fokus auf systemische Veränderung und abgeleitet aus den übergreifenden Herausforderungen versuchen wir wirkungsorientiert unsere Programme zu entwickeln – und auch Erfolge zu überprüfen. Diese Wirkungsüberprüfung hat vor allem zwei Ziele: Als lernende Organisation wollen wir unsere Programmarbeit immer weiterentwickeln: Erreichen wir die richtigen Menschen und unsere Ziele? Nutzen wir dafür geeignete Maßnahmen? Aber auch die Kommunikation von Erfolgen an Partner und Stakeholder wird dadurch leichter.
Sie wollen in Ihrem zweiten Handlungsfeld kollaborative Forschung und Innovation fördern und den „Impact of Science“ stärken. Wie werden Sie
das konkret angehen?
Als Stifterverband haben wir schon immer die Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft im Blick. Es gibt sehr viele gute und exzellente Forschung in Deutschland, aber die Überführung von Forschungsergebnissen in die Anwendung stockt. Hier müssen wir unbedingt besser werden – und nicht nur im Sinne von Wertschöpfung für Unternehmen, sondern auch für den gesellschaftlichen Wandel und Fortschritt. Daran wollen wir arbeiten. Unser Anspruch ist, Hochschulen darin zu unterstützen, diese wichtige Aufgabe gut bewältigen zu können. Hier konzentrieren wir uns auf Themen wie Science Entrepreneurship und die Frage: Wie können wir die unternehmerische Kultur an Hochschulen stärken? Das ist nicht nur eine Frage von Strukturen, Prozessen und Strategien an den Hochschulen.
Was braucht es denn dafür noch?
Wir würden uns wünschen, dass es zum Selbstverständnis der Forschenden gehört, Bedarfe, Wissen und Erkenntnisse aus der Gesellschaft aufzugreifen sowie Wissen und Erkenntnisse aus der Forschung in die Gesellschaft zu transportieren. Transferstellen können unterstützend wirken, aber sie sind nicht Voraussetzung dafür, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich dieser Aufgabe annehmen. So fördern wir mit Projekten wie dem Transformationslabor Hochschule die Zusammenarbeit von Hochschulen mit Akteuren aus der Region. Hier gibt es noch viel Potenzial, wenn es darum geht, Lösungen für die Region oder eine Stadt zu entwickeln.
In Ihrem mit McKinsey & Company 2023 herausgegebenen Diskussionspapier „Eine Beschleunigungsformel für Deutschland“ springt folgende Aussage ins Auge: „Vor dem Hintergrund zunehmend komplexer Rahmenbedingungen – gesteigerte Volatilität, wachsende Unsicherheit, geopolitische Herausforderungen und Ambiguität – fehlen Deutschland an vielen Stellen die Entschlossenheit und die richtige Herangehensweise, um die Veränderungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Deutschland benötigt einen neuen Beschleunigungsansatz für seine Zukunftsmissionen, der gleichzeitig Wirkung und Risikomitigation berücksichtigt.“ Wie könnte ein solcher Beschleunigungsansatz denn aussehen?
Bei dem Diskussionspapier geht es um Roadmapping als Methode: So werden, ausgehend von einem definierten Ziel, Veränderungshebel identifiziert, auf die man sich konzentriert, um das Ziel zu erreichen. Und es werden gezielt alle relevanten Akteure und Personen eingebunden. Die Entwicklung eines solchen Prozesses wird bis zur Zielerreichung zentral orchestriert von einem legitimierten Akteur. Das Beispiel in der genannten Publikation war die digitale Gesundheit. Ein wichtiger Veränderungshebel hier ist die digitale Gesundheitskarte.
Warum gelingen denn diese Beschleunigung und die Ausrichtung auf gemeinsame Ziele bei uns nicht?
Bleiben wir mal bei den Forschungs- und Innovationsthemen. Meistens geht es um Zuständigkeiten und weniger um gemeinsame Zielvorstellungen, an denen die Akteure ihr Handeln ausrichten. Es müsste einen Ort geben, an dem ein Zielbild und daraus abgeleitete Veränderungsnotwendigkeiten im Forschungs- und Innovationssystem diskutiert und entschieden werden. Dies findet bei uns mit unterschiedlichen Konstellationen an verschiedenen Orten statt: Zukunftsrat, Allianz für Transformation, Forum #Zukunftsstrategie – mindestens drei von der Politik eingesetzte Gremien diskutieren die Frage, was für eine erfolgreiche Transformation notwendig ist.
Die Zentralisierung ist aber auch nicht immer zielführend, da man nicht flexibel genug agieren kann.
Es geht hier nicht um Zentralisierung. Hier kommen die Gremien – auch aufgrund ihrer begrenzten Mandate – an ihre Grenzen. Statt Diskussionen benötigen wir ein orchestriertes Handeln, das sich an gemeinsamen Roadmaps orientiert. Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hat hier einen wichtigen Vorschlag eingebracht. Sie empfiehlt in ihrem Gutachten 2023, die Verantwortung in einem ständigen Regierungsausschuss für Forschung und Innovation ressortübergreifend zusammenzuführen. Dann gäbe es einen legitimierten Ort für die Orchestrierung – für Abstimmung und Koordination, Überprüfung, Monitoring und Anpassung. Vor allem gäbe es eine gemeinsame strategische Veranwortung und Verbindlichkeit. Das gefällt mir an dem Vorschlag. Strategien könnten so wirksam zusammengeführt werden.
Ein weiteres wichtiges Thema, das das System umtreibt: Brauchen Deutschland und seine Hochschulen mehr Exzellenzförderung? Welche Aussagen können Sie dazu aus dem letzten Hochschul-Barometer zum Thema „Macht Exzellenz zufrieden?“ ableiten?
Die Hochschulen, die Exzellenzgelder erhalten haben, waren zufriedener als die ohne, weil sie damit auch über bessere Rahmenbedingungen verfügten. Kritisch diskutiert wird aber die Frage, ob sich der Aufwand, der mit der Antragstellung verbunden ist, im Vergleich zum tatsächlichen Ertrag lohnt. Natürlich brauchen wir im internationalen Wettbewerb mehr sichtbare exzellente Forschungszentren. Man sollte aber mit der Exzellenzförderung nicht noch weiter in die Breite gehen, was zunehmend passiert. Sondern es müssen wirkliche Leuchttürme für exzellente Forschung geschaffen werden – ursprünglich das zentrale Ziel der Exzellenzinitiative.
Was fehlt Ihnen noch in der Exzellenzförderung?
Heute geht es bei der Exzellenzförderung meist um die institutionelle Profilierung einer Hochschule oder einzelner Institute und selten um nationale Notwendigkeiten und Anforderungen. Das heißt, es fehlt ein Bezug zu nationalen Zielen in der Exzellenzstrategie. Die Frage, wie die verschiedenen Exzellenzstandorte unsere Gesellschaft insgesamt voranbringen können, sollte mit Blick auf die Transformation auch für die Exzellenzstrategie relevant sein. //
Mehr Info
Zukunftsmission Bildung: www.zukunftsmission-bildung.de
Handlungsfeld Bildung & Kompetenzen: www.stifterverband.org/bildung-kompetenzen
Handlungsfeld Kollaborative Forschung & Innovation: www.stifterverband.org/forschung-innovation
Andrea Frank
ist seit 2022 stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes und Mitglied der Geschäftsführung. Die Wissenschaftsmanagerin, die Regionalwissenschaften Nordamerika, Politische Wissenschaften und Soziologie studiert hat, verantwortet die programmatische Entwicklung des Stifterverbandes, für den sie seit 2006 tätig ist.
DUZ Magazin 10/2024 vom 18.10.2024