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Recht als Rahmen für Digitalisierung

Ein rechtlicher Rahmen muss Akteure keineswegs einschränken, sondern schafft auch Freiheiten, Aufgaben effizient zu erfüllen, wie eine Studie zeigt

Politik und Hochschulen tragen eine gemeinsame Verantwortung, einen (Rechts-)Rahmen für die weitere Digitalisierung in Lehre und Studium zu schaffen und ihn regelmäßig an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Hochschulen sollen sicherstellen, dass die Lehrenden über die Rechtslage informiert sind. Darauf weist auch der Wissenschaftsrat hin. Regelungslücken und unzureichende, unklare oder blockierende Regelungen können Hemmnisse darstellen, die den Einsatz digital gestalteter Lehr-, Lern- und Prüfungsformate verhindern oder unsicher machen. (1)

Wie effektiv ist der bestehende Rechtsrahmen aus Sicht der Hochschulen? Im Jahr 2019 gaben in einer Studie des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung 86,1 Prozent der Hochschulen an, dass sie einen hohen oder sehr hohen politischen Handlungsbedarf in Bezug auf rechtliche Rahmenbedingungen zu Themen wie Datenschutz, Urheberrecht, IT-Sicherheit sowie Deputatsregelungen sehen. (2) 

Die Digitalisierung von Lehr- und Lernformen an deutschen Hochschulen erhielt ab dem Jahr 2020 durch die Covid-19-Pandemie einen zusätzlichen Schub. Diese Phase war geprägt von Zeitdruck und Improvisation im Umgang mit digitalen Instrumenten und Lösungen. Die vielfältigen Potenziale der Digitalisierung für Studium und Lehre, aber auch die Herausforderungen, Gefahren und Grenzen von Onlinelehre und von digitalen Werkzeugen wurden deutlich. Die Hochschulen waren oft gezwungen, bis zum Handeln des Gesetzgebers durch eigene Satzungsregelungen die notwendigen Rechtsgrundlagen für neue digitale Angebote bezüglich Studium und Lehre zu schaffen. 

1. Ziel der Studie zu landespolitischen Rahmenbedingungen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die digitale und digital gestützte Lehre gelten als vielschichtig und komplex. Durch die fortschreitenden technologischen Entwicklungen, etwa KI-Assistenten, haben sich diese Diskussionen intensiviert. Die Fallstudie, über die hier berichtet wird, widmete sich der Frage, welche landespolitischen Rahmenbedingungen aus der Sicht von fünf Hochschulleitungen die Digitalisierung von Studium und Lehre hemmen oder behindern. Die Ergebnisse wurden mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen verglichen. So wurde deutlich, ob und inwiefern diese wahrgenommenen Hemmnisse den tatsächlichen rechtlichen Regelungen entsprechen. Abschließend wurden aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen für die Akteure abgeleitet.

Fünf explorative leitfadengestützte Interviews wurden mit für Digitalisierung zuständigen Mitgliedern der Hochschulleitungen (Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten, Prodekane und Prodekaninnen) geführt. Die Kernthemen der Interviews waren die folgenden:

  • Welche rechtlichen Rahmenbedingungen (Gesetze, Verordnungen und Erlasse) hemmen derzeit die Gestaltung von digitaler und digital gestützter Lehre?
  • Wo müsste sich noch etwas auf Landesebene tun, um die Digitalisierung in Studium und Lehre besser voranbringen zu können? Welche landesrechtliche Regelung müsste dazu wie angepasst werden?
  • Welche Veränderungen der letzten zehn Jahre haben die Digitalisierung in Studium und Lehre entscheidend vorangebracht? Welche entscheidende Reform ist dagegen ausgeblieben?
  • Wie waren die Erfahrungen der Hochschulen mit den Regelungen hinsichtlich digitaler Lehr-/Lern- und Prüfungsformate sowie entsprechender Rahmenbedingungen während der Corona-Pandemie? Was hat sich seitdem getan?

Der Begriff „Digitalisierung in Studium und Lehre“, wie er in der Studie verwendet wird, hat zwei Aspekte: zum einen bezieht er sich auf den Einsatz von digitalen Medien und Hilfsmitteln im Studienbetrieb, zum anderen auf die Umstellung auf virtuelle Formate und Lösungen im Zusammenhang mit Lehr-/Lern- und Prüfungsaktivitäten (z.B. Open Educational Resources, Learning Analytics, E-Portfolios, Onlineprüfungen). Die zunehmend digitalisierten Verwaltungsprozesse von Studium und Lehre waren nicht Teil der Studie.

2. Blitzlicht auf die Ergebnisse
Es wurde deutlich, dass die Hochschulleitungen den rechtlichen Rahmen, den Vorgaben für das Handeln der Hochschulen schaffen, zu schätzen wissen. In der Gesamtschau lässt sich sagen, dass es zumeist nicht der konkrete Wortlaut bestimmter Regelungen ist, der für die Hochschulen herausfordernd ist, weshalb sich auch keine Form von grundsätzlichem Reformbestreben erkennen ließ. Es wurden gleichzeitig erhebliche Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Digitalisierung genannt, die sich indirekt auf die rechtlichen Regelungen beziehen, beispielsweise

  • Schwer verständliche Regelungen in juristischem Fachjargon
  • Uneinheitliche Verwendung von Begriffen auf Länder- und Landesebene
  • Fehlen hochschuleinheitlicher Definitionen und Verfahrensweisen
  • Unsicherheiten in der praktischen Anwendung
  • Strikte Interpretationen der Datenschutzbeauftragten, die keine praktikablen Lösungen zulassen
  • Fehlen bundesweiter Regelungen, insbesondere im Prüfungsrecht
  • Fehlen von ermessensleitenden Richtlinien für Fakultäten und Fachbereiche
  • Aktualisierungen der Verordnungen 

Viele Unsicherheiten hängen mit den Freiheitsgraden zusammen, die gesetzliche Regelungen geben. Der Spielraum, den regelhafte Formulierungen lassen, ist in den meisten Fällen von den regelgebenden Institutionen intendiert oder zumindest mitgedacht. Nur so sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gewährleistet und gerechte Einzelfallentscheidungen möglich. Übermäßig starre Regelungen wären in vielen Fällen nicht sinnvoll und müssten zudem ständig aktualisiert werden.

Eines der wenigen Beispiele für Hemmnisse durch Formulierungen waren die Lehrverpflichtungs- sowie die Kapazitätsverordnungen, deren Wechselwirkung nicht kompatibel sei. Ein anderes Beispiel, das sich konkret auf Formulierungen bezieht, ist der Wunsch nach dem Aufgreifen bestimmter Bezüge. So sollte nach Ansicht von Befragten beispielsweise die asynchrone Lehre in manchen Ländern noch Berücksichtigung finden. 

3. Auslegungsfragen bei Datenschutz und Prüfungen
Mehrfach thematisiert wurde die Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (DGSVO). Hier wurde weniger die Verordnung an sich kritisiert, sondern dass die Auslegung seitens der Datenschutzbeauftragten auf unterschiedlichen Ebenen (Hochschule, Land) nicht einheitlich sei. Hochschulleitungen benannten Unsicherheiten hinsichtlich der praktischen Anwendung und unzureichende Möglichkeiten, Fragen schnell und mit verbindlichen und praktisch anwendbaren Informationen beantwortet zu bekommen.

Bezüglich der Regelungen zu Prüfungen wurde gesagt, sie seien in juristischer Sprache verfasst, beispielsweise im Hochschulrahmengesetz, das Aussagen zu Fernstudium und Multimediaeinsatz trifft. Innovative Aktivitäten im Bereich der Onlineprüfungen seien deshalb eine Herausforderung für Hochschulen, eine fehlende Unterstützung bei Datenschutzfragen erschwere die Umsetzung zusätzlich. Bundesweite, verständliche Regelungen oder zumindest Absprachen über die Kultusministerkonferenz könnten hier Abhilfe schaffen.

4. Was getan werden kann
Angesichts der Tatsache, dass gesetzliche Regelungen Handlungsspielräume lassen wollen und sollen, ist klar, dass eine adäquate Auslegung und Operationalisierung der Inhalte notwendig ist. Die fortschreitende Digitalisierung in der Hochschulbildung bringt zahlreiche Herausforderungen und Chancen mit sich, die eine enge Zusammenarbeit zwischen den Landesregierungen und den Hochschulen erfordern. Um eine effektive und einheitliche Handhabung digitaler Lehr- und Lernformate zu gewährleisten, scheint es unerlässlich, klare Begriffsdefinitionen und Handlungsempfehlungen auf Landesebene zu etablieren. Eine solche Vereinheitlichung erleichtert die Kommunikation zwischen Hochschulen und Aufsichtsbehörden und schafft eine gemeinsame Grundlage für die Implementierung digitaler Strategien.

Ein Beispiel für eine erfolgreiche landesweite Initiative ist die Hochschul-Digitalverordnung in Nordrhein-Westfalen. Diese Verordnung enthält klare Begriffsbestimmungen für Digitalisierungsleitlinien, Lehrveranstaltungen sowie Präsenz- und Digitallehre. Darüber hinaus regelt sie den Umgang mit digitalen Prüfungen. Solche Verordnungen bieten den Hochschulen eine verlässliche Grundlage für die Planung und Durchführung digitaler Bildungsangebote. Es ist jedoch wichtig, dass diese Regelungen regelmäßig aktualisiert werden, um den sich rasch wandelnden Anforderungen gerecht zu werden. Eine enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen ist hierbei unerlässlich, um die Aktualität und Verständlichkeit der Regelungen sicherzustellen.

Außerdem sollten Handlungsempfehlungen für die Umsetzung der Datenschutzrichtlinien und des Urheberrechts entwickelt werden. Diese Empfehlungen gewährleisten eine einheitliche Vorgehensweise in den relevanten Fragestellungen und Anwendungsbereichen. Um solche Empfehlungen auszuarbieten, sollten Expertinnen und Experten aus Disziplinen wie IT, Datenschutz, Urheberrecht, Hochschulrecht und Didaktik einbezogen werden. Dies gewährleistet eine umfassende und praxisnahe Orientierung für die Hochschulen.

Die Hochschulen selbst spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung digitaler Lernformate. Die Hochschulleitungen sollten ihren Ermessensspielraum nutzen, um interne Ordnungen zur Anrechenbarkeit digitaler Lernformate zu etablieren. Diese Ordnungen müssen klare Kriterien für die Anerkennung digitaler Formate definieren und die Vielfalt der digitalen Angebote berücksichtigen. Eine enge Kommunikation mit den Verordnungsgeberinnen und eine transparente Umsetzung der Richtlinien sind entscheidend, um eine einheitliche Anwendung und breite Akzeptanz digitaler Formate zu fördern.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Anpassung der Prüfungsordnungen an die digitalen Lehrmethoden. Um digitale Prüfungen durchzuführen, wünschen sich Hochschulen klare Richtlinien zur Authentifizierung, etwa zum Zugriff auf Prüfungsinhalte sowie zu Speicher- und Löschkonzepten. Solche Regelungen sind notwendig, um Fairness und Chancengleichheit zu gewährleisten, auch im Falle technischer Probleme während der Prüfungen wären sie hilfreich.

Weiterhin sollten Hochschulleitungen Ermessensrichtlinien für dezentrale Entscheidungsträger erarbeiten. Diese Richtlinien helfen, den Ermessensspielraum, der durch Landeshochschulgesetze und -verordnungen gegeben ist, effektiv zu nutzen. Insbesondere für Verantwortliche an Fachbereichen und Fakultäten, die oft nicht hauptberuflich tätig sind, bieten klare Leitlinien Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und fördern eine konsistente Anwendung der Regeln.

Besondere Bedeutung kommt der Definition und Anrechnung digitaler Lehrformate auf die Lehrverpflichtung zu. Hochschulen sollten digitale Lehrmethoden systematisch klassifizieren und die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung der Lehrenden berücksichtigen. Unterschiede zwischen der Ersterstellung von Lehrmaterialien und deren Folgenutzung sowie die besonderen Anforderungen asynchroner Lehrformate müssen in diesen Überlegungen einbezogen werden. Hierbei sind klare, transparente Richtlinien und eine individuelle Betrachtung notwendig, um den Einsatz digitaler Medien effektiv zu integrieren.

Schließlich ist die Kooperation zwischen Hochschulen ein zentraler Aspekt in der Bewältigung der Digitalisierungsanforderungen. Besonders kleinere Hochschulen profitieren von Kooperationen wie dem Digitalverbund Bayern, der 2023 gegründet wurde. Solche Kooperationen ermöglichen die gemeinsame Nutzung von IT-Ressourcen und -Services, fördern Synergien und bieten Unterstützung bei der Bewältigung von Datenschutz- und Urheberrechtsfragen. Die gemeinsame Beauftragung externer Datenschutzbeauftragter ist ein weiterer Schritt, um Synergien zu schaffen und eine spezialisierte, souveräne Entscheidungsfindung innerhalb eines Bundeslandes zu fördern.

Insgesamt zeigt sich, dass eine enge Zusammenarbeit und klare Regelungen auf Landes- und Hochschulebene unerlässlich sind, um die Chancen der Digitalisierung in der Hochschulbildung voll auszuschöpfen und gleichzeitig die Herausforderungen effektiv zu bewältigen. //

Literatur
(1) Wissenschaftsrat (2022): Empfehlungen zur Digitalisierung in Lehre und Studium; Köln.
https://doi.org/10.57674/sg3e-wm53
(2) Gilch, H., Beise, A. S., Krempkow, R., Müller, M., Stratmann, F., Wannemacher, K. (2019): Digitalisierung der ­Hochschulen. Ergebnisse einer Schwerpunktstudie für die Experten­kommission Forschung und Innovation. HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE). Hannover. S. 25ff.

Anna Gehlke

ist Senior Consultant mit dem Arbeitsschwerpunkt Organisationsentwicklung beim Beratungsunternehmen CHE Consult Berlin.

Foto:​ CHE

Dr. Ingeborg Lasser

führt beim Beratungsunternehmen CHE Consult unter anderem Projekte zu Strategieberatung und Organisationsentwicklung durch.

Foto: ​Karoline Wolf

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