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In Berlin herrscht Stillstand

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, unsichere Karriereperspektiven und intransparente Hierarchien schrecken den wissenschaftlichen Nachwuchs ab, während die Bundesregierung dem wenig entgegensetzt. Was zu tun ist, damit Hochschulen wieder zu attraktiven Arbeitgebern werden, skizziert GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller

Der Wissenschaftsrat mahnte jüngst die Hochschulen, individuelle Strategien zu entwickeln, um künftig elastisch auf schwankende Nachfrage und drohenden Fachkräftemangel des wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Personals reagieren zu können. Entstehen jetzt bessere Arbeitsbedingungen?

Der Arbeitsplatz Hochschule und Forschung muss attraktiver werden. Inzwischen schrecken die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen selbst intrinsisch hoch motivierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ab. Und heute finden diese, angesichts des weltweiten Fachkräftemangels, sehr gute Alternativen außerhalb der Hochschulen. Durch den demografischen Wandel werden für einige Hochschulen weniger Studierende prognostiziert. Insgesamt werden wir aber noch mehr Studierende bekommen. Das liegt insbesondere daran, dass Deutschland noch nicht den international üblichen Grad der Akademisierung erreicht hat. Wenn es uns außerdem endlich gelingt, Studierende besser zu betreuen, dann werden unsere Hochschulen weiter wachsen und nicht geschlossen. Und das bedeutet: Wir werden morgen mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen und müssen daher heute den Menschen, die sich für diesen verantwortungsvollen Beruf qualifizieren, verlässliche Perspektiven geben.

Wie könnte der Arbeitsplatz Hochschule attraktiver werden? 

Indem man attraktivere Beschäftigungsbedingungen mit Dauerstellen für Daueraufgaben, verlässlichen Karriere­wegen und flachen Hierarchien anbietet. Unsere europäischen Nachbarländer, darunter etwa die Niederlande oder die nordischen und angelsächsischen Länder, sind da deutlich weiter. Auch das in Deutschland übliche Lehrstuhlprinzip, wonach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Professur den Lehrstuhlinhabenden zu- und untergeordnet werden, ist dort nicht üblich und sollte auch bei uns überwunden werden. Auch andere Länder haben unterschiedliche Personalkategorien, die aber weniger auf Unter- und Überordnung als auf einer Arbeitsteilung beruhen. Flache Hierarchien sind auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland attraktiver, die dorthin auswandern. Dort können sie deutlich früher selbstständig forschen, lehren und berechenbare Karrierewege durchlaufen.

Würden durch die Aufhebung des Lehrstuhlprinzips den Hochschulen weniger Mittel zur Verfügung stehen?

Nein, diese würden nur umverteilt und Hochschulen könnten sich so auch als attraktive Arbeitgeber für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Professur profilieren. Wenn heute Professorinnen und Professoren eine Hochschule verlassen, führt das oft dazu, dass die mit der Professur verbundenen Mitarbeitenden auf die Straße gesetzt werden – auslaufende Zeitverträge machen das trotz Kündigungsschutz möglich. Würden aber die Stellen, die heute infolge von Berufungszusagen oder Bleibeverhandlungen Professorinnen und Professoren unterstellt werden, der Einrichtung – Fakultät, Department oder Institut – zugeordnet, dann wären die Nachhaltigkeit von Forschung und Lehre und dauerhafte Perspektiven für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Professur möglich. 

Mehr als die Hälfte aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwägt ernsthaft, den akademischen Bereich zu verlassen. Warum zögert die Bundesregierung so sehr damit, sich mit einer Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen?

Eine Vielzahl an Befragungen wie auch der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“ zeigen: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mögen ihre Arbeit in Forschung und Lehre, sind aber unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und beruflichen Perspektiven. Wir verstehen nicht, warum die Bundesregierung nichts tut, um diese seit Langem bekannten schlechten Bedingungen zu verbessern. Die GEW hat wiederholt Vorschläge gemacht, zuletzt 2022 mit einem vollständigen Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz. Wichtig ist ein klarer gesetzlicher Rahmen für Dauerstellen und Daueraufgaben, mit verbindlichen Mindestlaufzeiten sowie berechenbaren Karrierewegen insbesondere für Postdocs. Aber in Berlin herrscht Stillstand. Der im März von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf entspricht eins zu eins dem, der letztes Jahr von allen Seiten heftig kritisiert wurde. Und nun liegt der Entwurf im Bundestag auf Eis, wir warten immer noch auf den Start der parlamentarischen Beratung. Offensichtlich mauern FDP und Bundesministerium für Bildung und Forschung, ganz im Sinne der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die als großer Verbund der Arbeitgeber keine Veränderungen will. 

Welchen Grund sollte die Allianz der Wissenschafts­organisationen haben, Verbesserungen zu blockieren; ist das nicht ein wenig weit hergeholt?

Das jetzige WissZeitVG ermöglicht Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ihrer Rolle als Arbeitgeber eine größtmögliche Flexibilität auf Kosten der Beschäftigten. Diese Haltung führt aber zunehmend zu Problemen und früher oder später wird kaum jemand mehr unter diesen Bedingungen arbeiten wollen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen befürworten zwar tendenziell unsere Reformvorschläge, fürchten aber auch einen großen Gesichtsverlust, falls die Gesetzesnovelle komplett scheitert. Daher sehe ich die Gefahr, dass beide der FDP weiter entgegenkommen, als es der Stärke der Partei angemessen wäre.

Welche Alternative gäbe es, wenn die Regierung nicht in der Lage sein sollte, die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen zu verbessern?

Die GEW ist auf verschiedenen Ebenen aktiv. Auf Bundesebene wollen wir erreichen, dass Gesetzesänderungen und Reformen beschlossen werden. Zuletzt haben wir gemeinsam mit Bündnispartnern eine von über 65.000 Menschen unterzeichnete Petition an den Bildungs- und Forschungsausschuss des Bundestages übergeben. Wir erinnern die Ampelkoalition an ihr Versprechen, das auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, „Dauerstellen für Dauer­aufgaben“ zu schaffen. Aber auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen selbst können sich für bessere Beschäftigungsbedingungen engagieren und wir unterstützen sie dabei. So ist unser Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ Anstoß für viele Hochschulen, entsprechende Selbstverpflichtungen zu verabschieden und Dauerstellenkonzepte oder Mindestvertragslaufzeiten auf den Weg zu bringen. Ich wünsche mir aber noch mehr Mut der Wissenschaftseinrichtungen: Vertragsverlängerungen für Menschen, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen oder Entfristungszusagen für Postdocs.

Könnte nicht auch die GEW direkt mit den Arbeitgebern über Reformen verhandeln und diese vereinbaren?

Das könnten wir, wenn nicht das WissZeitVG die unsägliche Tarifsperre enthielte, die Arbeitgebern und Gewerkschaft untersagt, vom Gesetz abweichende Vereinbarungen zu treffen. Ich appelliere daher an die Ampelkoalition: Wenn sie sich schon nicht auf eine inhaltliche Reform des WissZeitVG verständigen kann, dann sollte sie wenigstens die Tarifsperre aus dem Gesetz streichen. Dann hätten wir Tarifpartner die Chance zu zeigen, dass wir es besser können. Dass das denkbar ist, zeigt der jüngste Tarifabschluss in Hessen, wo GEW und ver.di eine Entfristungsoffensive mit 400 zusätzlichen Dauerstellen an den hessischen Hochschulen durchsetzen konnten.

Warum gibt es die Tarifsperre überhaupt?

In den 70er- und 80er-Jahren versuchten die Arbeitgeber, großzügige Befristungsregeln in den damaligen Bundesangestelltentarifvertrag aufzunehmen. Die Gewerkschaften sahen das kritisch, die Arbeitgeber waren nicht verhandlungsbereit. Das Ergebnis: Der Staat schlüpfte von der Rolle des Arbeitgebers in die des Gesetzgebers und nahm die Regelungen ins damalige Hochschulrahmengesetz (HRG) auf. Gleichzeitig verbot er den Gewerkschaften, darüber zu verhandeln. 

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen behauptet, Dauerstellen seien zu teuer. Stimmt das?

Keineswegs. Eine Dauerstelle ist kaum teurer als ein Zeit­vertrag, lediglich die Tarifsteigerungen infolge der Berufserfahrung fallen ins Gewicht, aber die zahlen sich aus. Im Übrigen ist die GEW für einen durchdachten Mix aus Dauerstellen und Zeitverträgen.

Für welche Arbeitsbereiche sind Dauerstellen wichtig und wo könnte dies eher flexibel gehandhabt werden? 

Wir wollen Dauerstellen für Daueraufgaben. Wir sehen Daueraufgaben vor allem in der Lehre, aber auch in der Forschung und im Wissenschaftsmanagement. Um keine Daueraufgaben im engeren Sinne handelt es sich bei der Drittmittelforschung. Dennoch ermutigen wir die Hochschulen, auch dafür mehr und mehr Dauerstellen zu schaffen. Eine Hochschule, die heute erfolgreich Drittmittel einwirbt, sollte darauf vertrauen, dies auch morgen tun zu können. So könnte ein Teil der Drittmittel auch für Dauerstellen verwendet werden. Auch für eine Qualifizierung wie die Promotion fordert die GEW keine Dauerstellen, auch wenn uns das immer wieder nachgesagt wird. Die wissenschaftliche Qualifizierung ist allerdings mit der Promotion abgeschlossen und die darauf folgende wissenschaftliche Entwicklung ist keine Qualifizierung, sondern eine Weiterbildung, die keine Befristung rechtfertigt. Postdocs sollten daher entweder von Anfang an eine Dauerstelle bekommen oder einen Zeitvertrag, der entfristet wird, wenn die vorher vereinbarten Entwicklungsziele erreicht werden.

Ukrainekrieg und Wirtschaftskrise führen dazu, dass auch die Hochschulen weniger Geld bekommen. Was könnten sie dagegen tun?

Es geht letztendlich um eine politische Prioritätensetzung. Im Vergleich mit anderen Industrieländern gibt Deutschland für Bildung und Wissenschaft zu wenig Geld aus. Um uns in einer globalen Wissensgesellschaft zu behaupten, Antworten auf Zukunftsfragen wie etwa die Bewältigung der Klimakrise oder die Sicherung des Weltfriedens zu finden, brauchen wir eine bestmögliche Bildung, Ausbildung und Forschung. Schon heute fehlen uns dafür die akademischqualifizierten Fachkräfte. Bei Projektgeldern für Exzellenzwettbewerbe geizen Bund und Länder nicht, aber die Grundfinanzierung der Hochschulen bleibt auf der Strecke. Hochschulen und ihre Beschäftigten sollten sich gemeinsam für einen Kurswechsel einsetzen. Die GEW ist gerne dazu bereit, die Perspektiven eines derartigen Bündnisses auszuloten, in dem nicht die üblichen Verdächtigen zusammenarbeiten. //

Dr. Andreas Keller

Der Politikwissenschaftler ist seit 2007 Vorstandsmitglied für Hochschulen und Forschung, seit Juni 2013 auch stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

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