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Die eigene demokratische Praxis reflektieren

In der DUZ-Serie „Demokratie stärken“ stellen Hochschulakteurinnen und -akteure vor, wie sie diese gesetzlich verankerte Aufgabe ausfüllen. Angelika Epple bietet einen Einblick in die Universität Bielefeld

An deutschen Universitäten werden neben der Erforschung der philosophischen, historischen und rechtlichen Grundlagen der Demokratie Kompetenzen in der Lehre vermittelt, die für den Erhalt der Demokratie unerlässlich sind: die Fähigkeit zum kritischen Denken, zum Hinterfragen von behaupteten Fakten, zum Überprüfen der empirischen Begründung von Argumenten. Neben Forschung und Lehre ist auch der Austausch mit der Gesellschaft – die third mission – ein wichtiger Beitrag der Universitäten zur Stärkung der Demokratie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen ihre Expertise den Medien zur Verfügung, sie halten Vorträge, suchen das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, machen Ausstellungen, schreiben Artikel und Aufsätze. 

Für die Universität Bielefeld hat diese Trias seit ihrer Gründung eine besondere Bedeutung. Gegründet als Reformuniversität, bezeichnete sie einer ihrer Gründungsväter, Helmut Schelsky, als „theoretische Universität“. Damit wollte er ihr eine spezifische Rolle im sich ausdifferenzierenden Universitätssystem zuschreiben: Sie sollte einerseits eine reflexive und kritische Haltung gegenüber der Produktion von Wissen in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften einnehmen, andererseits sollte sie Theo­rie und Praxis eng miteinander verzahnen. Der Praxis der theoriegeleiteten Forschung widmen wir an der Universität Bielefeld daher besonders viel Aufmerksamkeit.

Wenn wir die Demokratie stärken wollen, dann gilt es, auch die eigene demokratische Praxis kritisch zu reflektieren. Demokratie wird an Universitäten – wie übrigens auch in anderen Organisationen oder Unternehmen – selbst gestaltet und erfahrbar gemacht. In den Seminaren, in den Laboren, in den zentralen Gremien der Universität, aber auch im AStA, in studentischen Initiativen, in universitätsweiten Arbeitsgruppen wird Demokratie gelebt. Leider liegt hier – nicht nur an der Universität Bielefeld – vieles im Argen. Damit meine ich nicht nur die oft verdeckten Abhängigkeitsverhältnisse, sondern auch andere, deutlich sichtbare Demokratiedefizite: An allen Universitäten sind die Wahlbeteiligung und die Bereitschaft, sich zu engagieren, in allen Statusgruppen viel zu niedrig und teilweise sogar rückläufig. Die Krise der repräsentativen Demokratie prägt auch die Universitäten. 

Transparenz von entscheidungen verbessern

Wie wir Abhängigkeitsverhältnisse transparenter gestalten oder wie wir die Mitarbeit in der Selbstverwaltung stärken können, diskutieren wir an der Universität Bielefeld mit den Gremien und dem AStA seit vielen Jahren. Wichtige Schritte sind ein verantwortungsvoller Umgang mit Hierarchien (Academic-Tenure-Positionen im Mittelbau, Betreuungsverträge für Doktorandinnen und Doktoranden, Mentoring-Programme), Bürokratieabbau (um die Gremien nicht unnötig in Wiederholungsschleifen mit denselben Fragen zu beschäftigen), Sitzungseffizienz (Professionalisierung der Moderation, um Sitzungszeiten zu reduzieren und alle Statusgruppen zu Wort kommen zu lassen), neue Kommunikationsformate (Universitätsforen, offene Hallengespräche, Podcasts, um die Transparenz von Entscheidungen und den Informationsfluss zu verbessern) und neue Formate der Partizipation (statusübergreifende Taskforces, Mitarbeitendenbefragungen, Uni-Konferenzen). Wir probieren derzeitig viele neue Wege aus. Ein Patentrezept haben wir noch nicht gefunden.

Eine große Chance, wie Universitäten die Demokratie über die erwähnten konkreten Schritte hinaus stärken können, sehe ich im Zentrum unserer universitären Praxis. Universitäten verbinden auf einzigartige Weise zwei unterschiedliche Logiken auf engstem Raum: die wissenschaftliche und die politische. Universitäten sind Orte, an denen wissenschaftliches Argumentieren gelehrt und täglich trainiert wird. Zugleich sind Universitäten Orte, an denen strategische Entscheidungen getroffen und Alltagsprobleme gelöst werden müssen. Diese Entscheidungen und Lösungen basieren – wenn es demokratisch zugeht – auf politischen Aushandlungsprozessen. Es begegnen sich also zwei diskursive Logiken – eine wissenschaftliche und eine politische – auf engstem Raum. Darin liegt ein oft ungehobenes Potenzial der Universitäten zur Stärkung der Demokratie.

Respektvoller Umgang mit divergierenden Positionen 

Wissenschaftliches Argumentieren schult demokratisches Handeln, weil es auf der respektvollen Auseinandersetzung mit konfligierenden Perspektiven, Anliegen und Kenntnissen basiert. Kritik, Falsifizierung und die Verteidigung von Argumenten werden dabei immer wieder herausgefordert und verfeinert. Auch wenn sie die Wahrheit nie besitzen, so streben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sie immer an – methodengeleitet, evidenzbasiert, begründet, nachvollziehbar. Das Ziel ist es, das Gegenüber durch das beste Argument zu überzeugen. 

Auch beim Aushandeln von strategisch wichtigen Entscheidungen, also bei der Suche nach politischen Lösungen, geht es um die Überzeugung Andersdenkender. Auch hier profitiert die Argumentation von der Multiperspektivität. Je mehr Ansichten, Bedürfnisse, Befindlichkeiten berücksichtigt werden, desto eher können andere die Argumentation nachvollziehen und ihr zustimmen. 

Und doch gibt es gewichtige Unterschiede zur Logik der Wissenschaft. Dies wird deutlich, wenn eine konsensuale Überzeugung des Gegenübers nicht gelingt. Dann geht es nicht mehr um das beste Argument, sondern um die beste Entscheidung angesichts unterschiedlicher Auffassungen oder unterschiedlicher Interessen. Wenn die konsensuale Überzeugung der anderen nicht gelingt, muss nach dem bestmöglichen Kompromiss gesucht werden. Darin liegt der zentrale Unterschied zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Wissenschaftliche Argumente kennen bezüglich ihres Wahrheitsbezugs keine Kompromisse. Sie können nicht zugleich wahr und falsch sein. Zwar können sich der Abendstern und der Morgenstern dem Betrachter als unterschiedliche Sterne darstellen, aber mithilfe von Diskussionen kann es gelingen herauszufinden, dass sich derselbe Stern je nach Perspektive nur anders darstellt. In der Politik hingegen ist der Kompromiss das Ziel der Verhandlung, wenn eine konsensuale Überzeugung nicht gelingen konnte.

Eine respektvolle Auseinandersetzung gelingt dort, wo die Möglichkeit, das Gegenüber könnte das bessere Argument haben, niemals ganz ausgeschlossen wird. Diese Kompetenz zu vermitteln und in der Praxis zu trainieren, ist ein unersetzlicher Beitrag zur Stärkung der Demokratie. //

Prof. Dr. Angelika Epple

ist seit Oktober 2023 Rektorin der Universität Bielefeld, wo sie zuvor bereits zwei Jahre als Prorektorin für Forschung und Internationales sowie sechs Jahre als Prorektorin für Internationales und Diversität tätig war. Die Historikerin, deren Forschungsschwerpunkte in der Theorie der Geschichte, der Globalisierungs­geschichte seit der Frühen Neuzeit und der Globalen Mikro­geschichte liegen, ist unter anderem seit 2021 Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Foto: U Bielefeld

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