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Das Prekariat ist hier gesichert

Seit 2009 wird daran gearbeitet, in diesem April soll es soweit sein: Dann erscheint die Neuauflage des Bundesberichts für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wer auf gute Botschaften hofft, dürfte enttäuscht werden. In Deutschland bleibt die Lücke zwischen politischen Sonntagsreden und Forschungsrealität riesig.

So weit immerhin hat es der wissenschaftliche Nachwuchs in den vergangenen Jahren geschafft. Er und das Plädoyer zu dessen verstärkter Förderung sind zu Pflichtteilen jeder forschungspolitischen Rede avanciert.
„Mehr denn je sind wir auf die Talente in unserem Land angewiesen, um die Herausforderungen von morgen erfolgreich zu bewältigen“, sagte die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), als im Februar 2008 der erste Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN) vorgelegt wurde. Ihre Nachfolgerin Prof. Dr. Johanna Wanka wollte schon als brandenburgische Landesministerin „ein größeres Interesse junger Eliten an einer wissenschaftlichen Karriere“ fördern. Vielleicht mit einer „Personaloffensive für den wissenschaftlichen Nachwuchs“, wie es der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Dieter Rossmann fordert? „Wissenschaft als Beruf ist nicht immer attraktiv, wenn Laufbahnen wenig planbar sind und sichere Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen“, hieß es im Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2009. Und etliche Hochschulrektoren und -präsidenten mahnen, dem Forschernachwuchs müsse dringend, ganz dringend, geholfen werden, sonst drohten dramatische Standort-Schäden. Das klingt nach einer Riesen-Koalition für mehr und besser ausgestattete Stellen unterhalb der Professur.

Problem erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Als Daniela Hrzán, Referentin für Personalentwicklung an der Uni Konstanz, vergangenes Jahr der Frage nachging, wie aktiv deutsche Hochschulen akademisches Personal suchen und binden, war sie ernüchtert: „Nur sehr wenige Hochschulen praktizieren Strategien für Personalentwicklung, die diesen Namen auch wirklich verdienen“, sagt die Konstanzer Forscherin. Es gebe „zwar einen breiten Konsens bei Parteien, Verbänden und Forscherinnen und Forschern, dass beim akademischen Personal etwas passieren muss, aber trotzdem bekennen sich erst 30 Prozent der Hochschulen in ihren Leitbildern zu Personalentwicklungsmaßnahmen.“

Dabei warnen Kenner der Wissenschaftsszene schon seit über zehn Jahren vor den Problemen: Bereits bei Einführung der Juniorprofessur wurde die Forderung nach berechenbaren Karrierewegen erhoben, doch die Defizite sind geblieben. So haben heute acht von neun wissenschaftlichen Nachwuchskräften nur einen befristeten Vertrag, bei tendenziell sinkenden Laufzeiten: Über die Hälfte der Verträge im Nachwuchsbereich gilt derzeit nur ein Jahr oder noch kürzer. „Das ist eine absurde Situation“, sagt Stefanie Sonntag, wissenschaftliche Personalrätin an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, „bei mehrjährigen Forschungsprojekten müssen sich die Betroffenen schon nach einem halben Jahr um eine Anschlussfinanzierung ihrer Stelle kümmern, statt sich die wissenschaftlichen Fragen vorzunehmen.“ Postdocs berichten, dass die Risiken der Drittmittelfinanzierung auf sie abgewälzt werden: Wenn Fördergelder wegfallen, werden schon mal bereits erstattete Reisekosten zurückgefordert oder betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen. „Das alles ist bekannt, da wird auch der neue BuWiN nichts bringen“, sagt ein 28-jähriger Berliner Biologe. Seinen Namen will er lieber nicht nennen, weil sein aktueller Vertrag in ein paar Monaten ausläuft. „Der neue Bericht“, unkt er, „könnte auch Prekariatsbericht 2.0 heißen. Das ist griffiger und trifft die Situation genau.“

Eine Frage des Geldes und der Kultur

Für den eigentlich nötigen massiven Ausbau der Breitenförderung fehlt Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen jedoch weiterhin das Geld. „Es ist klar, dass nur eine planbare und auskömmliche Grundfinanzierung die Universitäten in die Lage versetzen kann, das größte Defizit in unserem deutschen Wissenschaftssystem zu beheben: attraktive Karrierewege zu eröffnen und ernsthaft Tenure-Track-Modelle einzuführen“, sagt Prof. Dr. Babette Simon, Präsidentin der Oldenburger Carl von Ossietzky Universität und betont zugleich: „Wir müssen den jungen Leuten einen Orientierungsrahmen hinsichtlich der Personalkategorien geben und auch die Kultur der Hochschulen verändern – und da kann die Leitung sehr wohl Einfluss nehmen.“ Als Präsidentin einer mittelgroßen Uni, sagt Simon, müsse sie zusammen mit den Fakultäten „immer wieder sehr sorgfältig und kreativ planen“, um ihren Nachwuchsforschern planbare Perspektiven bieten zu können. Der Tenure Track, also die Chance, nach einer befristeten Bewährungszeit eine Professur auf Lebenszeit zu bekommen, sei der richtige Ansatz, wobei die Qualitätssicherung keinesfalls aufgegeben werden dürfe. „Es gilt auch zu bedenken, dass gerade extrem kurze Vertragslaufzeiten die Qualität und Kontinuität der Forschung und Lehre untergraben“, sagt Simon. Die Dauer der Verträge müsse sich am Qualifizierungsziel orientieren.

Eine ganze Reihe von Universitäten haben begonnen, Spielräume zu suchen und zu nutzen: So beschloss die Universität Bremen für befristete Verträge eine Mindestlaufzeit von drei Jahren. Hochschulen wie die in Bochum oder Konstanz bekennen sich dazu, bei Berufungen auch die Karriere des Partners oder der Partnerin mit in den Blick zu nehmen. Und die TU München hat mit dem „TUM Faculty Tenure Track“ ein 60-seitiges Konzept vorgelegt, das Postdocs bei entsprechenden Leistungen einen garantierten Verbleib an der Uni ermöglicht.
„Der Wettbewerb ist und bleibt entscheidend, um die besten Wissenschaftler zu finden“, sagt Babette Simon, „aber daneben müssen wir mehr Flexibilität und Durchlässigkeit ins System bringen – im Hinblick auf Europa in Bezug auf die Anrechnung von Leistungen, Wechsel zwischen Industrie und Hochschule, zwischen Beruf und Universitäten, Fachhochschulen und Universitäten sowie Familienzeiten und Arbeitszeiten.“ Nicht Klein-Klein-Lösungen der Bundesländer dürften das Ziel sein, „sondern ein gemeinsamer Orientierungsrahmen für eine European Research Career.“ Doch die Initiative einzelner Hochschulen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Attraktivität Deutschlands für exzellente Nachwuchsforscher nicht besonders ausgeprägt ist.

Dr. Henrik Mouritsen etwa, Biologe und international renommierter Zugvogelforscher, wäre wohl nie nach Deutschland gekommen – wenn ihm die VolkswagenStiftung nicht zunächst die Leitung einer Nachwuchsgruppe und später eine Lichtenberg-Professur ermöglicht hätte. „Die haben mir und meiner Arbeit Vertrauen geschenkt und nicht jedes Jahr eine umfangreiche Evaluation gefordert, die nur die Forschung blockiert“, sagt Mouritsen. Wer das „sehr harte Auswahlverfahren“ am Anfang überstehe, bekomme dort die Chance, „mit einem vernünftigen Zeithorizont etwas Großes anzugehen“. Natürlich bestehe dabei das Risiko, nach fünf Jahren zu scheitern. „Aber ein Förderer, der erwartet, dass ich genau sagen kann, was ich an jedem Tag in den kommenden drei Jahren tun werde, hat die Wissenschaft nicht verstanden“, sagt Henrik Mouritsen. Erst eine strenge Auswahl, dann maximale Freiheit und am Ende wieder eine strenge Evaluation der Ergebnisse – das sei der Schlüssel für eine erfolgreich geförderte Forscherkarriere, so der Biologe.
Und die deutsche Wissenschaft hat Glück: Mouritsen ist mittlerweile auf einem Lehrstuhl gelandet, an einer Universität, die er als „offen und mit guter Nachwuchskultur“ erlebt – in Oldenburg.

Online zuletzt aktualisiert am 3. April 2013 

Der Bericht in Kürze

Der Bericht in Kürze

Hintergrund: Der erste Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN) ist 2008 vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Gedacht als Ergänzung zur Bildungsberichterstattung sollte er der Politik Hinweise geben, wie Laufbahnen in der Wissenschaft attraktiver werden können: www.buwin.de

Autoren: Basis des Bundesberichtes ist die Studie mit dem Titel „Wissenschaftlicher Nachwuchs in Deutschland - System, Förderwege, Reformprozesse“, die das Institut für Hochschulforschung Wittenberg, das Internationale Zentrum für Hochschulforschung Kassel und das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung erarbeiteten.

Weitere Informationen: Vor allem die Gewerkschaften haben das Thema „wissenschaftlicher Nachwuchs“ für sich entdeckt. So entwickelte die GEW einen Kodex als freiwillige Selbstverpflichtung für Hochschulen. (www.gew.de/Herrschinger_Kodex.html). Am 18. April findet dazu eine Tagung in Berlin statt. Anmeldungen bis 10. April: www.templiner-manifest.de/4._Follow-up-Kongress.html

Giovanni Galizia

„Die Trägheit der Veränderung“

Schon als Nachwuchsforscher hat sich Giovanni Galizia für den Tenure Track, also planbare Karrieren in der Wissenschaft, stark gemacht. Er sprach mit Staatssekretären und Ministern. Zehn Jahre später leitet der Neurobiologe das Konstanzer Zukunftskolleg. Wie sieht er die Sache heute?

duz: Herr Galizia, vor über zehn Jahren haben Sie als Sprecher der Arbeitsgruppe Wissenschaftspolitik der Jungen Akademie größere Planungssicherheit für Wissenschaftlerkarrieren gefordert. Heute könnten Sie diese Forderung eigentlich wiederholen.

Galizia: Das kann man so pauschal nicht sagen. In Deutschland gibt es ja dieses fast schon klassische Missverständnis, dass der Tenure Track mit einem Automatismus für den eigenen Lehrstuhl gleichgesetzt wird. Diesen Automatismus haben wir nie gefordert, sondern klare Perspektiven und eine frühe Selbstständigkeit für junge Forscherinnen und Forscher. Natürlich muss es in einem kompetitiven System wie der Wissenschaft auch die Möglichkeit geben, Menschen wieder zu entlassen – aber die Frage, ob jemand Professor wird oder nicht, muss berechenbar und die Kriterien müssen transparent sein.

duz: Im duz-Interview vom Sommer 2002 klang das so: „Wir bekommen eine Stelle, wenn wir gut sind und zusätzlich Glück haben. Das bedeutet im Umkehrschluss für den Hochschulstandort Deutschland, dass gute Leute aufgrund von Zufällen verloren gehen.“

Galizia: Das war tatsächlich eines der größten Probleme. Zum Glück kehren seit zehn Jahren wieder mehr deutsche Forscher aus dem Ausland zurück – eine gute Entwicklung. Allerdings fehlen die grundlegenden strukturellen Voraussetzungen, um diesen Trend abzusichern.

duz: Welche wären das?

Galizia: Die Möglichkeiten für Nachwuchsforscher haben sich generell verbessert, weil es viele Wege zur Professur gibt: Assistentenstellen, unabhängige Nachwuchsgruppen, gut und weniger gut ausgestattete Stellen. Wir nutzen das in Deutschland, um zu experimentieren: Wie müssen die Forschungsbedingungen sein, unter denen wir ein Höchstmaß an intellektueller Produktivität erreichen können? Und das, wohlgemerkt, in einem System mit festen, um nicht zu sagen: starren Stellenplänen. Der Tenure Track wäre hier ein Ansatz. Ich bin sehr gespannt, welche Erfahrungen die TU München mit ihrem Modell machen wird.

duz: Sie sind heute Leiter des Konstanzer Zukunftskollegs. Können Sie die Personalpolitik umsetzen, die Sie forderten?

Galizia: Grundsätzlich haben wir in Konstanz durch die Exzellenzinitiative Freiheitsgrade, die andere Hochschulen nicht haben. Das macht es auch etwas leichter, gute Arbeitsbedingungen für den Nachwuchs zu gestalten. Insbesondere können wir im Zukunftskolleg attraktive Stellen bieten: frühe Selbstständigkeit, ohne dass die Leute alleingelassen werden, interdisziplinärer Austausch, starke Unterstützung. Andererseits befreit uns das aber auch nicht von den strukturellen Bremsen wie etwa dem Stellenplan, sodass wir in der Lage sind, die Besten auch in Konstanz zu behalten. Das Problem ist einfach die Trägheit der Veränderung. Der Mentalitätswandel braucht Zeit, und letztlich muss er auch mit zusätzlichen Geldern unterfüttert werden.

duz: Sie fordern mehr Geld?

Galizia: Grundsätzlich besteht die Gefahr eines versteckten Sparprogramms: Wenn freiwerdende Lehrstühle nur noch an Juniorprofessoren mit Tenure Track gehen, könnte das den Lehrstuhlmarkt mit seinem Wechsel der Professoren zwischen den Unis kaputtmachen. Dann bleiben die Kollegen auf dem Posten, den sie einmal erreicht haben – und das System erstarrt. Hier müssten also zusätzliche Stellen eingerichtet werden.

duz: Sie halten Ihr damaliges Ziel größerer Freiheit also für weitgehend erreicht – bei den Perspektiven für junge Forscher hapert es aber noch?

Galizia: Da brauchen wir wahrscheinlich noch einmal zehn Jahre. Aber der Wandel wird kommen, und Tenure Track wird das Karrieremodell der Zukunft sein. Nur wie er kommen wird, weiß ich nicht – ob durch Unis, die als Pilothochschulen wirken und vorangehen oder durch eine breite Bewegung der jungen Forscherinnen und Forscher. Im Endeffekt ist das aber egal: In zehn Jahren müssen wir die Perspektivfrage für den wissenschaftlichen Nachwuchs geklärt haben.

Die Fragen stellte Armin Himmelrath

 

Zur Person: Giovanni Galizia

Geboren 1963 in Rom, promovierte Giovanni Galizia in Zoologie an der University of Cambridge und forschte danach unter anderem am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. 2003 wurde er Associate Professor an der University of California, Riverside. Seit 2005 ist er Professor für Zoologie und Neurobiologie an der Uni Konstanz und dort seit 2009 auch Direktor des Zukunftskollegs.

 

 

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