POLITIK & GESELLSCHAFT

FORSCHUNG & INNOVATION

STUDIUM & LEHRE

KOMMUNIKATION & TRANSPARENZ

ARBEIT & PSYCHOLOGIE

WISSENSCHAFT & MANAGEMENT

75 JAHRE DUZ

 Login

Vom Kampf gegen Windmühlen

Die Energiewende kann nur gelingen, wenn der ländliche Raum auch davon profitiert. Davon ist die Göttinger Protestforscherin Julia Zilles überzeugt. Sie hat Bürgerinitiativen gegen Windkraft untersucht

Sie wehren sich gegen „Windwahn“, „Monstertrassen“ und wollen ihre Heimat schützen. Sie fürchten getötete Vögel, Lärm und „Verspargelung“ der Landschaft. Während die Bundesregierung die Energiewende voranbringen möchte, nimmt die Zahl der Bürgerinitiativen gegen Windkraftprojekte und den Bau von Stromtrassen zu. „Diese Konflikte wollte ich besser verstehen“, sagt Julia Zilles. Als die Göttinger Protestforscherin mit ihren Fallstudien begann, war der Widerstand gegen die Windkraft noch vergleichsweise überschaubar. Ab 2014 verglich sie die Auseinandersetzungen um die Windräder in verschiedenen Regionen Deutschlands. „Damals war die Energie- und Klimapolitik noch nicht so stark politisiert wie heute“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Dagegen könne man heute keinen Windpark mehr bauen, ohne mit einer Bürgerinitiative zu rechnen. Ein Fazit: „Man kann die Konflikte nicht pauschal beurteilen, weil sie sehr unterschiedlich sind“, so Zilles. 

„Das Maß ist Voll“

Intensiv hat sie den Protest um die Windmühlen im Rhein-Hunsrück-Kreis untersucht. Dabei beschränkte sie sich nicht auf qualitative Interviews mit Akteuren der Bürgerinitiative „Windkraftfreier Soonwald“, sondern befragte auch die Gegenseite – Kommunalpolitiker, Windkraftunternehmen, Verwaltung und Unbeteiligte. Der Kreis galt damals als Vorreiter für die gelungene Energiewende. Unter der Ägide eines CDU-Landrats wollte die strukturschwache Region zugleich von den hohen Pachtzahlungen für die Windkraft profitieren. Auf den Höhenkämmen des Kreises wurden mehr als 200 leistungsstarke, weithin sichtbare Windräder errichtet, was von der Bevölkerung jahrelang akzeptiert wurde. Das änderte sich, als überraschend mit den Rodungen für den Windpark Ellern im Soonwald begonnen wurde.

„Das Maß ist voll“, lautete der Slogan der Bürgerinitiative, die vor allem diesen sensiblen Naturpark schützen wollte. Wie viele der frühen Bürgerinitiativen gegen Windkraft konnten die Protestierenden die Windräder im Soonwald nicht mehr verhindern. Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, ihre Erfahrungen weiterzugeben, den übrigen Soonwald von Windmühlen freizuhalten und sich zu vernetzen. Anders lag der Fall in Altentreptow in Mecklenburg-Vorpommern, wo ein großer Windpark gebaut werden sollte. Dort profitierte nur ein privater Investor, der noch dazu aus dem Westen kam. „In solchen Fällen entsteht ein großes Misstrauen“, sagt Zilles. Doch weil ein gültiger Flächennutzungsplan dahinterstand, ließen sich die Windräder nicht verhindern. Eine „Ohnmachtserfahrung“ für die Menschen vor Ort.

Gemeinden verdienen mit

Es gibt deutlich weniger Proteste, wenn die Pachteinnahmen an die Gemeinden gehen, berichtet Zilles. So konnten im Pionier-Landkreis im Hunsrück damit Begegnungscafés, gebührenfreie Kita-Essen, kostenfreie Busse und eine spektakuläre Hängebrücke finanziert werden. In Rheinland-Pfalz gibt es inzwischen „Solidarpakte“, durch die alle Kommunen einer Verbandsgemeinde von Windenergieanlagen in der Region profitieren. Dass diese Anreize nicht immer reichen, um die Bürger zu überzeugen, zeigt der Fall aus dem Odenwald, wo sehr aktive Bürgerinitiativen mit wöchentlichen Demonstrationen gegen Windräder im Wald Sturm liefen. Angesichts der Vehemenz des Protests wurden Pläne für Windräder auf kommunalen Flächen zurückgezogen. 

Besorgt um den Naturschutz

Nach Julia Zilles’ Untersuchung reagieren die Menschen in den Bürgerinitiativen mit großem Unverständnis auf den Vorwurf, nur nach dem Sankt-Florians-Prinzip zu handeln. Sie selbst halten sich gerade nicht für egoistisch, sondern für verantwortungsvoll. Tatsächlich greife die Kritik an den sogenannten Nimbys (not in my back­yard) zu kurz, sagt Zilles: „Viele sind authentisch sehr um den Naturschutz besorgt.“ Da seien auch enttäuschte Grünen-Wähler dabei. Zudem fühlten sich die Engagierten auf dem Land von der Stadtbevölkerung ausgenutzt. Sie hätten den Eindruck, dass bei ihnen der Strom produziert wird, der dann in den Ballungsgebieten verbraucht werde. Das müsse man politisch ernst nehmen, auch wenn Rechtspopulisten und Klimaskeptiker den Protest für sich vereinnahmen wollten. Die Kluft zwischen Stadt und Land stellt Zilles auch bei einem gemeinsam mit einer Kollegin erhobenen Vergleich mit der Klimabewegung Fridays for Future fest. Auf der einen Seite stehen die jungen Aktivistinnen und Aktivisten, die vor allem in den großen Städten auf die Straße gingen. Sie denken eher kosmopolitisch und verstehen sich als Verbündete der Klimawissenschaft. 

Dagegen sind die Gegner von Windkraftprojekten meist älter, männlich und haben eine starke Bindung an ihre zumeist selbst gewählte „Heimat“ auf dem Land. Ihnen geht die Energiewende zu weit. Allerdings beeinträchtigen die Streite um Windkraft auch das soziale Gefüge auf dem Land. Nach Zilles’ Untersuchungen kam es zum Teil zu anhaltenden Spannungen in Familien, Nachbarschaften und Freundeskreisen. Anders ist dies beim Widerstand gegen die Stromtrassen, die meist auch von den Kommunalpolitikern abgelehnt werden. So war es auch im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, wo der Südlink verlaufen sollte, der Strom von Schleswig-Holstein nach Bayern bringt. Dort hat sich die Situation seit der Entscheidung für die Erdverkabelung beruhigt – damit sind die bisherigen Streckenverläufe hinfällig.

Strukturschwache Regionen

Julia Zilles kennt sich gut aus mit strukturschwachen Regionen. Die 36-Jährige ist in einem 1000-Seelen-Dorf im Hunsrück aufgewachsen, bevor sie zum Politik-, Philosophie- und Germanistikstudium an die Universität Koblenz-Landau ging. Sie war die erste Akademikerin ihrer Familie, bekam ihre beiden Kinder schon während des Studiums. Dass die Wissenschaft ein Berufsfeld sein könnte, wurde ihr erst an der Hochschule klar, wo sie sich im Studentenparlament, im Senat und als AStA-Referentin für Hochschulpolitik engagierte. Zunächst für eine unabhängige Liste, dann für die grüne Hochschulgruppe.

Zur Protestforschung kam sie bereits in der Magisterarbeit, die sie über den Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 schrieb. Spannend fand sie den Wandel der Wahrnehmung der Bewegung, die sich im Schlichtungsverfahren mit viel Gegenexpertise profilierte. Nach dem Wechsel als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Göttinger Institut für Demokratieforschung setzte sie sich als Promovierendenvertreterin und Gleichstellungsbeauftragte des Instituts unter anderem für Doktoranden als eigene Statusgruppe und für bessere Bedingungen für Promovierende mit Kindern ein.

Ihr Forschungsfeld sind lokale Konflikte im Kontext der Energiewende. Neben vielen anderen Veröffentlichungen gab sie den Sammelband „Umkämpfte Zukunft“ heraus. Seit 2021 arbeitet sie als wissenschaftliche Koordinatorin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V., wo sie für das Energie-Forschungszentrum Niedersachsen ein Netzwerk mit 70 Forschenden aufgebaut hat. Dahinter steht die Idee, das riesige gesellschaftliche Projekt der Energiewende mit interdisziplinärer Forschung besser voranzubringen. Obwohl ihre eigene kumulative Dissertation noch läuft, bekommt Julia Zilles viele Interviewanfragen, äußert sich auf Podiumsdiskussionen und im Rundfunk. Protestforscher gibt es nicht viele, deshalb wird sie auch zu den Bauernprotesten, zur Blockade des Habeck-Schiffs und zur letzten Generation interviewt. //

MEINE FORSCHUNG

​Julia Zilles



Die Herausforderung

Der Klimawandel stellt Gesellschaften vor große Herausforderungen und setzt sie unter Stress. Durch die drängende Zeitperspektive und die verbindlichen Zielsetzungen, bis 2045 klimaneutral zu sein, verschärfen sich diese Tendenzen. Die notwendige Transformation muss soziale und ökologische Aspekte miteinander verbinden.

Mein Beitrag

Die sozial gerechte Umsetzung der Energietransformation kann nur gelingen, wenn Wissen aus der sozialwissenschaftlichen Erforschung der gesellschaftlichen Dynamiken der Energietransformation berücksichtigt wird. Dazu zählt insbesondere auch Wissen über lokale Konflikte und deren Folgen, weshalb ich zu diesem Themengebiet weiterhin forsche.

Drohende Gefahren

Ausgehend von der Energie- und Klimapolitik polarisiert sich die Gesellschaft zunehmend. Diese Polarisierung gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Offene Fragen 

Wie gelingt eine schnelle Energietransformation, die gleichzeitig sozial gerecht und am Gemeinwohl orientiert ist?

Mein nächstes Projekt

Im Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) bauen wir einmalige interdisziplinäre und transferorientierte Forschungsstrukturen auf, um die sozialen Dynamiken der Energietransformation übergreifend zu analysieren.
Diese Cookie-Richtlinie wurde erstellt und aktualisiert von der Firma CookieFirst.com.

Login

Der Beitragsinhalt ist nur für Abonnenten zugänglich.
Bitte loggen Sie sich ein:
 

Logout

Möchten Sie sich abmelden?

Abo nicht ausreichend

Ihr Abonnement berechtigt Sie nur zum Aufrufen der folgenden Produkt-Inhalte: