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Das Kooperationsverbot ist ein Irrweg

Nicole Gohlke, Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Bildung und Wissenschaft der Linken, über die soziale Lage von Studierenden, Alternativen zur Exzellenzstrategie, die stärkere Einbindung des Bundes in die Hochschulfinanzierung und Wissenschaftsskepsis als Alarmzeichen in einer Demokratie

Frau Gohlke, Die Linke ist nach der Abspaltung des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) seit Februar keine Fraktion mehr im Bundestag, sondern nur noch eine Gruppe. Wie können Sie sich als Sprecherin für Bildung und Wissenschaft hochschulpolitisch noch bemerkbar machen?

Die Abspaltung war in der Tat sehr schmerzlich, weil wir dadurch Einbußen in unserer Oppositionsarbeit als Fraktion im Bundestag hatten. Wir haben als Gruppe zwar weiterhin ein wichtiges Instrument juristisch erstreiten können, nämlich, dass wir über Kleine Anfragen auf Missstände und auf Themen aufmerksam machen können, die von den Regierungsfraktionen nicht angesprochen werden. Aber wir müssen mit der Einschränkung leben, mit Anträgen nicht mehr tagesaktuell im Parlament initiativ zu werden, weil wir eine Vorlauffrist von drei Wochen für Anträge vorgeschrieben bekamen. Vorher gab es diese Frist nicht. Wir haben auch keinen Ausschuss-Vorsitz mehr und ich habe deutlich weniger Redezeit.

Haben Sie Verständnis für diese Einschnitte?

Einerseits verstehe ich die Perspektive der regierungstragenden Fraktionen: Nur weil sich eine Fraktion aufspaltet, können die beiden Gruppen jetzt nicht doppelt so viele Rechte haben, zum Beispiel bei der Benennung von Sachverständigen für öffentliche Anhörungen. Andererseits müssen Oppositionsrechte in der Demokratie gewahrt bleiben. Sinn von Anhörungen im parlamentarischen Verfahren ist es, politische Positionen im gesellschaftlichen Diskurs sichtbar zu machen. Es ist bedenklich, wenn dies nicht mehr möglich ist.

Wenn Sie im Bundestag nicht mehr so agieren können wie zuvor als Fraktionsmitglied: Müssen Sie sich thematisch einschränken?
Ja, klar. Als Fraktion durften wir pro Sitzungswoche zwei Tagesordnungspunkte thematisch selbst aufsetzen, als Gruppe nur noch in drei Sitzungswochen zwei. Das ist ein enormer Einschnitt. Da ich dadurch im Bundestag kaum hochschul- und wissenschaftspolitische Themen setzen und keine Debatten initiieren kann, bin ich darauf angewiesen, dass andere Fraktionen Themen auf die Agenda setzen, zu denen ich reden möchte. Ich merke, wie wichtig es ist, Themen außerparlamentarisch zu setzen, etwa über die Medien und unsere Bündnispartner wie zum Beispiel den fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften e.V.) und die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Auch deshalb arbeite ich viel mit diesen Akteurinnen und Akteuren zusammen.

Mit welchen Themen wollen Sie denn im Bundestag durchdringen?

Ganz oben auf der Agenda stehen bei mir die soziale Lage der Studierenden und der Azubis, genauso wie die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb, und ich möchte aufzeigen, wie wir nachhaltig die Missstände im Bildungs- und Wissenschaftssystem beseitigen können. Aber auch das Thema Wissenschaftskommunikation liegt mir am Herzen.

„Wenn Wissenschaft als etwas Fremdes, Unzugängliches erlebt wird, fallen wissenschaftsskeptische Positionen leichter auf fruchtbaren Boden“

Warum ist Ihnen gerade dieses Thema so wichtig?

Das, was wir die vergangenen vier bis fünf Jahre an Wissenschaftsskepsis und wissenschaftsfeindlichen Einstellungen erlebt haben, sind krasse Alarmzeichen in einer Demokratie. Dies gilt genauso für die Anfeindungen gegenüber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Unter diesen Gesichtspunkten ist Wissenschaftskommunikation sehr wichtig. Gleichzeitig muss man auch den Diskurs genauer unter die Lupe nehmen. Es hilft wenig, einfach jede wissenschaftsskeptische Wortmeldung als abseitig oder rechts zu markieren, mit der ich mich nicht mehr beschäftigen muss. Das Wissenschaftssystem ist nach wie vor ziemlich elitär – infolge von Zugangsbeschränkungen, aber auch durch habituell-kulturelle Schranken. Und man muss immer bedenken, dass man sich ein Studium auch leisten können muss. Wenn Wissenschaft als etwas Fremdes, Unzugängliches erlebt wird, fallen wissenschaftsskeptische Positionen leichter auf fruchtbaren Boden. Das kann gute Kommunikation verändern. Aber deswegen sollte auch das System insgesamt egalitärer werden.

Die Wissenschaftseinrichtungen unternehmen doch schon einiges, etwa lange Nächte der Wissenschaft, Tage der offenen Tür oder sonstige Dialogformen. Das reicht noch nicht aus?

Es geht nicht nur darum, mal die Pforten zu öffnen, und alle dürfen mal reinschauen. Wenn ich parlamentarische Abende von Wissenschaftseinrichtungen besuche, denke selbst ich als Akademikerin, man muss da schon ein bisschen reingeboren sein, um sich hier wohlzufühlen. Das sind die meisten Menschen aber nicht. Deswegen kommt, ähnlich wie beim politischen System, schnell der Vorwurf des Establishments und der Nicht-Zugänglichkeit, dass also Wissenschaft als eine Art Blackbox gilt. Sie muss sich deswegen die Frage stellen, wie es ihr gelingen kann, Leuten, die gar nichts mit der Wissenschaft am Hut haben, Sprache, Codes und auch den Wert der Wissenschaft zu vermitteln. Es braucht gezielt mehr Formate, die sich auch an ein wissenschaftsfernes Publikum wenden und die sie zu Subjekten im Prozess machen. 

Am Herzen liegt Ihnen auch das Thema BAföG, nun steht die nächste Novelle an. Sind Sie zufrieden damit?

Es ist schon dramatisch, dass dies bereits die dritte Novelle in dieser Legislaturperiode ist und es erneut versäumt wird, das BAföG existenzsichernd und armutsfest zu machen. Das ist verrückt, weil das BAföG eine Sozialleistung ist. Derzeit liegt der BAföG-Satz fast 100 Euro unter dem Existenzminimum. Und da sind die Wohnkosten noch gar nicht eingepreist, die vor allem in Hochschulstädten exorbitant hoch sind. Bei anderen Gesetzen gibt es zumindest eine regelmäßige Überprüfung und eventuell eine Anpassung der Bedarfssätze.

Die Unzufriedenheit beim BAföG ist generell hoch. Warum gelingt da nicht der entscheidende Wurf?

Er wäre schlicht teuer. Wenn man die Bedarfssätze für die anspruchsberechtigten Studierenden auf das Existenzminimum heben und die Wohnkostenpauschale anpassen würde, kostet das viele Milliarden Euro. Dies wäre dann die Gretchenfrage für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): Ist man innerhalb der Regierung bereit, dafür einen Budgetkampf zu führen? Gerade in diesen Zeiten, in denen überall die Wichtigkeit des Forschungsstandorts und der Fachkräftemangel beschworen werden, ist es mir völlig unbegreiflich, wieso das BMBF sich nicht stärker engagiert. 

Geld ist dagegen vorhanden für die Exzellenzstrategie. Würden Sie hier streichen?

Wir waren beim Start der Exzellenzinitiative keine großen Fans und hätten eher die Hochschulen bedarfsgerecht nach Anzahl der Studierenden finanziert. Ich will aber die Erfolge gar nicht kleinreden: Es sind tolle Forschungsverbünde und spannende Initiativen entstanden, aber es hat natürlich eine weitere Kurzatmigkeit ins System gebracht.

Inwiefern?

Die Mittel der Exzellenzstrategie sind keine Dauermittel, sondern nur befristete Zusagen zum Beispiel für das Personal, auch wenn die Zeiträume etwas größer sind als in der herkömmlichen Projektförderung. Die Exzellenzstrategie ist kompetitiv und temporär angelegt und damit ist es unklar, wie und ob es nach ein paar Jahren weitergeht. Dies hat in das System eine zusätzliche Variable gebracht, von der ich sagen würde: Wäre das on top geschehen, wäre das super. Da es aber nur den unterfinanzierten Regelbetrieb finanziert, ist das ein Problem.

Wie sähe Ihr Lösungsansatz aus?

Hochschulen sind in hohem Maße von Drittmitteln abhängig, viele Beschäftigten arbeiten in prekären, befristeten Beschäftigungsverhältnissen, die Grundfinanzierung der Hochschulen ist zu gering. Als Linke stellen wir immer wieder den Antrag, dass der Bund zehn Jahre lang mit einer Anreizpauschale von 10000 Euro pro entfristeter Stelle die Einrichtung von 100000 unbefristeten Stellen fördern soll, um knapp der Hälfte des angestellten wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen eine dauerhafte Perspektive zu ermöglichen. Dass diese Idee jahrelang abgeschmettert wird, ist natürlich frustrierend. Insgesamt wäre endlich eine gute Grundfinanzierung der Hochschulen notwendig. Derzeitige Pakte und Programme sind zeitlich begrenzt. Stattdessen brauchen wir eine dauerhafte, umfängliche Finanzierung, die auch die wachsenden Aufgaben der Hochschulen, die aktuelle Unterfinanzierung der Hochschulen und die Preis- und Einkommensentwicklung berücksichtigt.

Würden Sie die Exzellenzstrategie beenden?

Wir wollen die Exzellenzstrategie nicht abrupt beenden, sie aber langfristig auslaufen lassen. Stattdessen würden wir sie umwidmen in die Finanzierung fester Stellen, um zum Beispiel grundständige Aufgaben wie die Lehre zu finanzieren.

Wie reagieren denn die anderen Parteien, wenn Sie mit solchen Ideen um die Ecke kommen?

Die winken natürlich alle erst mal ab. Ich beobachte aber, dass wir diskursiv wirken. Wir haben beispielsweise vor sechs Jahren einen Antrag für einen bundesweiten Sozialindex eingebracht, der den Königsteiner Schlüssel ablösen und die Mittel in der Bildungspolitik dem Sozialstand entsprechend verteilen sollte. Diese Idee wird nun zumindest teilweise mit dem Startchancen-Programm umgesetzt. Generell ist es im parlamentarischen System eher so, dass die Koalition für ihre Ideen stimmt, die Opposition für ihre. Dazwischen gibt es wenig Bewegung. Dieses Verhalten ist aber nicht zuträglich für das System. Ich glaube beispielsweise, wir hätten eigentlich eine Mehrheit für eine andere Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes oder des BAföG, gesellschaftlich, politisch sowie vonseiten der Hochschulakteurinnen und Hochschulakteure. So stellt sich die Politik aber mit diesem Agieren selbst ein Bein.

Ein anderes Hindernis ist das Kooperationsverbot, das eine stärkere finanzielle Einbindung des Bundes in die Hochschulbelange verhindert. Müsste es abgeschafft werden, damit der Bund für eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen sorgen könnte?

Meiner Meinung nach ist das Kooperationsverbot ein einziger Irrweg. Hochschulpolitik geht nur Hand in Hand mit Ländern und Bund gemeinsam. Derzeit schieben sich Bund und Länder gegenseitig die Schuld der Zuständigkeit zu. Und der Bund muss gegenwärtig auf zeitlich begrenzte Programme zurückgreifen. Eine dauerhafte Finanzierung ist nicht möglich.

Was würden Sie ändern, fiele es weg?

Der Bund müsste sich viel stärker finanziell beteiligen beim Hochschulbau. Dort ist der Sanierungsstau enorm und er wird sich auch nicht von selbst abbauen. Nur der Bund – und eben nicht die Länder – hat die Möglichkeit, größere Einnahmen zu erzielen. Und auch beim Thema Lehrkräfte sollte sich der Bund stärker engagieren, auch wenn das in einem föderalen Staat ein sehr sensibles Thema ist. Aber es ist absurd, dass die Länder in einem Wettbewerb untereinander Lehrkräfte ausbilden und sich diese dann auch noch abwerben. 

Nächstes Jahr im September gibt es Wahlen. Was wollen Sie bis dahin noch hochschulpolitisch anstoßen?

Eine armutsfeste und existenzsichernde Ausbildungsförderung steht derzeit auf dem Programm. Und dass die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes nicht nach hinten losgeht. Und wir haben in dieser Legislaturperiode kaum über das Problem des fehlenden studentischen Wohnraums gesprochen. Da ist noch sehr wenig passiert, das muss sich ändern. Und das Thema Lehrkräfte ist mir wichtig. Wir müssen das Lehrkräfteproblem endlich lösen.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Linke im Herbst 2025 wieder als Fraktion im Bundestag vertreten sein wird?

Ich will nicht orakeln, die Zeiten sind sehr volatil. Ich würde mir aber wünschen, dass es eine starke linke Kraft im Bundestag gibt. Das wäre für den demokratischen Diskurs und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sehr wichtig. Wir werden darum kämpfen. //

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