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Sinnfragen im Marketing

Die Studierendenzahlen sinken, die Zahl der Kommunikationskanäle wächst. Das Werben um die Studieninteressierten wird komplizierter und kostet die Hochschulen Zeit und Geld. Dabei bleibt die Frage, ob das alles sinnvoll ist, häufig unbeantwortet.

Was ist ein Seminar, wie unterscheidet es sich von einer Vorlesung und was bedeuten c.t. und s.t.? Solche Fragen beantwortete mit einer Art Glossar die Uni Jena auf ihrem TikTok-Kanal – und erzielte einen Erfolg: „Dieser Post hat erstaunlich viele Menschen erreicht“, sagt Katja Bär, die die Hochschulkommunikation der Universität Jena verantwortet. Wegen des Inhalts? Wurde er empfohlen? Ist der Algorithmus auf etwas Bestimmtes angesprungen? Das kann Bär nicht sagen – und ihre Kollegen andernorts wissen auch nicht genau, welche Botschaften wann und wie bei welchen Studierenden ankommen. Für das Studierendenmarketing ist das eine Herausforderung.

Empfehlungen werden wichtiger 

Im Durchschnitt nutzten Studieninteressierte bei der Studienwahl 20 verschiedene Medien und Informationsmöglichkeiten, sagt Philip Dunkhase vom Hochschulmarketing der Leuphana Universität Lüneburg, der dort das Mediennutzungsverhalten bei der Studienwahl analysiert. Einige recherchieren nur am Handy, andere gehen zu Bildungsmessen und schauen auf Rankings. Manche lesen Erfahrungsberichte auf Facebook und Google. Die Hochschulen lassen sich einiges einfallen, um potenzielle Erstsemester auf sich aufmerksam zu machen. Beispielhaft sei die Universität Bonn genannt: Sie veranstaltet Tage der offenen Tür, hat ein Schnupperprogramm für Schülerinnen und Schüler, beteiligt sich an landesweiten Aktionen zur Studienorientierung wie dem Langen Abend der Studienberatung, präsentiert sich bei Bildungsmessen, Studieninfotagen und Berufsbörsen, Elternveranstaltungen und Lehrerfortbildungen. Für Kinder hat sie neben der Kinder-Uni auch eine Wissenschaftsrallye, ein Frühstudium und Schülerlabore, um sich frühzeitig im Bewusstsein zu verankern. Aus den Fachbereichen gibt es einen Matheclub und eine Physikwerkstatt. Dunkhase berichtet aus der Mediennutzungsanalyse seiner Hochschule zur Studienwahl 2022, dass 56 Prozent der befragten Studierenden angaben, Empfehlungen von ehemaligen Studierenden und noch Studierenden für ihre Fächerwahl zu nutzen. Die Leuphana bietet deshalb einen Podcast mit Alumni an, in dem diese über ihren Berufseinstieg und ihre Studienerfahrungen berichten. Die Universität Jena setzt aus dem gleichen Grund auf die sogenannte Botschafter-Strategie: Wer sich an der Uni wohlfühlt, wird sie weiterempfehlen, wenn jüngere Freunde, Geschwister oder Bekannte nach einem Tipp für ihre Studienwahl fragen. Damit das klappt, lässt die Uni Jena die Zielgruppe selber ran: Auf dem Instagram-Kanal der Uni posten Studierende Einladungen zu Infoveranstaltungen, auf TikTok unterhalten sich Katzen über Prüfungsstress. Zu Ende gedacht, dient eigentlich die gesamte Wissenschaftskommunikation einer Hochschule auch dem Studierendenmarketing: Kinderuni, Ausstellungen, Forschungsergebnisse – alles, womit die Hochschule positive Aufmerksamkeit erzielt und sich im Bewusstsein verankert. Philip Dunkhase warnt allerdings davor, zu werblich zu agieren: Es komme auf Authentizität an. Wer über Erfahrungen im Studium berichte, müsse auch die weniger guten teilen. Nur so lasse sich Vertrauen aufbauen. 

Doch mag man auch noch so gut und geschickt kommunizieren, es löst die Probleme nicht, die die Lage erschweren: Zum einen hat sich die Zahl der Studiengänge in den letzten 20 Jahren ungefähr verdoppelt. Das Angebot ist auch für die Studierenden unübersichtlich geworden. Zum anderen gibt es nicht mehr so viele Studierende. Der Wissenschaftsrat sprach zu Beginn des Jahres vom „Ende des Wachstums“, das die vergangenen 20 Jahre gekennzeichnet hat. Die aktuellen Prognosen sagen eine Konsolidierung für die Gesamtentwicklung voraus – das bedeutet, dass die Zahlen auf dem heutigen Niveau stagnieren werden. Im Detail zeigen sich Unterschiede: Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern sind die Zahlen rückläufig. Hier profitierte man bis 2020 noch vom Zulauf Studierender, die an den westdeutschen Hochschulen keine Studienplätze bekamen. Inzwischen kann auch in vielen westdeutschen Bundesländern von Überfüllung keine Rede mehr sein, nur vereinzelt steigen noch die Zahlen, beispielsweise in Bayern und Berlin. An der Uni Bonn ist die Zahl der Studierenden von rund 33 000 vor zwei Jahren auf aktuell 31 500 gesunken, so Sprecher Prof. Dr. Andreas Archut. 

Private Hochschulen investieren in Marketing

Der Wissenschaftsrat weist auch auf Verlagerungen hin: So haben zwischen 2016 und 2021 die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) in öffentlicher Trägerschaft rund 27 000 Studienanfänger verloren. Die privaten Hochschulen gewannen im selben Zeitraum 28 000 hinzu. Hochschulforscher Prof. Dr. Peer Pasternack vom Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg warnt allerdings vor voreiligen Schlüssen. „Die privaten Hochschulen machen ständig Marktbeobachtung und -anpassung“, sagt er. „So etwas können die staatlichen Hochschulen nur bedingt leisten.“ Die privaten Hochschulen investierten 20 Prozent ihrer Studiengebühren in das Marketing, sagt Philip Dunkhase. Über das Marketingbudget an den staatlichen Hochschulen will niemand sprechen, aber natürlich kostet es Geld, Agenturen mit der Entwicklung von Marketingkonzepten zu beschäftigen, Anzeigen bei Google, Instagram oder in der U-Bahn zu schalten. (Das Bild auf der linken Seite zeigt eine Anzeige, die die Universität der Künste Berlin in Hamburger U-Bahn-Stationen platzierte.) Und wohin sollten zusätzliche Ressourcen führen? Peer Pasternack erinnert sich kopfschüttelnd daran, wie mit den Mitteln des Hochschulpaktes die Fachhochschule Erfurt ihre Werbung in Magdeburg plakatierte, wo es auch eine Uni und eine HAW gibt – sich gegenseitig die Studierenden abzujagen, kann kaum im Sinne des Erfinders sein. Pasternack hält Nachfragebeobachtung für nachhaltiger, die eigentlich auch zum Marketing gehört: Welchen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarf kann eine Hochschule mit ihrem Studienangebot adressieren? 

Standortfaktor spielt eine größere Rolle

Und dann sind da noch die Standortfaktoren, auf die eine Hochschule wenig Einfluss hat. „Die Hochschulen, die in den vergangenen 50 Jahren an anderen Standorten gegründet wurden, extra um eine Region aufzuwerten, werden es schwer haben“, prognostiziert Pasternack. „Die Dynamik verlagert sich in Metropolen.“ Die Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg bestätigt: „Wir haben dieses Jahr so viele Bewerbungen wie noch nie, insgesamt rund 2200“, sagt Sprecherin Beate Anspach. Im vergangenen Jahr wurden 133 Bachelor-Studierende und 76 Master-Studierende aufgenommen, aktuell hat die HFBK insgesamt rund 950 Studierende. Das Marketing ist vergleichsweise schlank, man kommuniziert die Aktivitäten der Hochschule über unterschiedliche Kanäle. Messeauftritte, Anzeigen in einschlägigen Zeitschriften: Fehlanzeige. Nur für den Studieninformationstag im Februar werde auch mal Werbung auf Instagram bezahlt. Anspach führt die Gründe für den Zuspruch unter anderem auf die Attraktivität der Stadt zurück, vor allem im Master auch auf die Lehrenden, und sie sieht in der Digitalisierung der Bewerbungsverfahren einen Pluspunkt: So ist es weniger aufwendig, Bewerbungsunterlagen zu verschicken. Der Erfolg im Verfahren stellt sich ein, wenn die Bewerbenden sich im Falle der Zusage auch für die HFBK Hamburg entscheiden. 

Letzteres ist in Jena, wo die Zahl der Studierenden von 18 000 auf aktuell 17 500 zurückging, genau das Problem. „Die Zahl der Bewerbungen ist hoch, aber die Studierenden entscheiden sich dann nicht für Jena“, sagt Sprecherin Katja Bär. Es könnte, was in Hamburg ein Pluspunkt ist, in Jena ein Negativfaktor sein: die Attraktivität der Stadt – beziehungsweise des Bundeslandes Thüringen mit Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien. Man blickt nervös auf die bevorstehende Landtagswahl. Die Hochschule beteiligt sich an Kampagnen von Stadt und Land zu Weltoffenheit. Unter dem Motto „92 Tage“ rief sie die Studierenden auf, sich rechtzeitig mit Hauptwohnsitz in Jena anzumelden, um an der Landtagswahl teilnehmen zu können und das Kreuz – hoffentlich – an einer für die Hochschule zukunftsträchtigen Stelle zu machen. // 

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