Fit für die Zukunft?
In den vergangenen Jahren schärften viele Hochschulen ihre Profile in Forschung, Lehre und Wissenstransfer, um sich auf zukünftige Aufgaben vorzubereiten. Doch wie gut ist ihnen das gelungen? Seit 2011 befragt der Stifterverband Hochschulleitungen dazu. Die meisten schätzten sich selbst als wettbewerbsfähig ein, doch es warten noch viele Herausforderungen für die Zukunft.
Die Hochschulen in Deutschland stehen im Zentrum vieler gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen. Ob Klimawandel, Künstliche Intelligenz oder demografischer Wandel: Bei der Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen kommt den Hochschulen eine zentrale Rolle zu. In der Lehre bilden sie die in Wissenschaft und Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte von morgen aus. In der Forschung sind sie sowohl bei der Schaffung fundamentaler neuer Erkenntnisse als auch in der Entwicklung von Anwendungswissen maßgebliche Akteure. Und auch den Erkenntnistransfer in Wirtschaft und Gesellschaft nehmen die Hochschulen immer stärker wahr – sichtbar nicht zuletzt in der Rolle der Wissenschaft während der Covid-19-Pandemie.
Seit 2011 begleiten Stifterverband und Heinz Nixdorf Stiftung die Aufgaben der Hochschulen mit der Erhebung des Hochschul-Barometers. Durch die Darstellung von Trends und Aktivitäten der Hochschulen zeichnet es ein Bild der Herausforderungen und Chancen, vor denen die Hochschulen stehen: von der Digitalisierung der Lehre und Forschung über die Internationalisierung der Studierendenschaft bis hin zu Fragen der Finanzierung und des nachhaltigen Campusmanagements.
Die daraus resultierenden Erkenntnisse bieten Hinweise für Politik und Wissenschaftsförderer und tragen dazu bei, die interessierte Öffentlichkeit über die Belange der Hochschulen zu informieren. In diesem Artikel stellen wir einige ausgewählte Ergebnisse aus der aktuellen Befragung und vergangenen Befragungen vor, die einen Eindruck davon geben, wie die Hochschulen selbst auf ihre heutige Situation blicken und als wie zukunftsfest sie ihre Einrichtungen insgesamt ansehen.
Die Hochschulen im Wandel: Von Krisen und neuen Chancen
In den vergangenen zehn Jahren mussten die Hochschulen auf eine Vielzahl von Veränderungen reagieren, die als externe Einflüsse ihre Entwicklung maßgeblich prägten. Dazu zählen neue Schwerpunktsetzungen in der Wissenschaftsförderung, aber auch große gesamtgesellschaftliche Ereignisse.
Zu den wichtigsten Förderinstrumenten für Hochschulen, die in den letzten Jahren eingeführt oder verändert wurden, zählen die Exzellenzinitiative beziehungsweise Exzellenzstrategie und der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“. Beide spielen aus Sicht der Hochschulleitungen eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der eigenen Hochschule und des Hochschulsystems insgesamt. Während die Exzellenzstrategie eine Stärkung der universitären Forschung vorantreibt, zielt der Zukunftsvertrag darauf ab, die Qualität der Lehre und die Studienbedingungen zu verbessern. Beide Programme trugen dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen zu stärken, wenngleich auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Vor allem profitierten die einzelnen Hochschultypen unterschiedlich. So haben die beiden Programme den Hochschulleitungen zufolge unterschiedliche Relevanz für das Hochschulsystem: Während drei Viertel der Leitungen die im Koalitionsvertrag geplante Dynamisierung des Zukunftsvertrages für (eher) relevant halten, so tut dies für die ebenfalls geplante Ausweitung der Exzellenzstrategie nur etwa die Hälfte (Hochschul-Barometer 2023). Unter den nicht antragsberechtigten Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) hält nur etwa ein Drittel die Reform des Exzellenzprogramms für (eher) relevant. Umgekehrt bewerten 86 Prozent der staatlichen Universitäten die Exzellenzstrategie als wichtiges Instrument zur Stärkung des Hochschulstandorts. Doch trotz der beigemessenen Relevanz und der starken wissenschaftspolitischen Debatte um die Ausgestaltung der Förderprogramme lassen sich in den Daten des Hochschul-Barometers kaum Effekte auf die Hochschullandschaft insgesamt feststellen. Signifikante Veränderungen in den relevanten Indikatoren, zum Beispiel zu Finanzierung oder Wettbewerbsfähigkeit jeweils vor und nach Anpassung der Förderinstrumente, sind nicht zu beobachten. Zu vielfältig sind wohl die Finanzierungsquellen und Rahmenbedingungen, als dass einzelne hochschulpolitische Entscheidungen hier größere Ausschläge in Stimmung und Lage der Hochschulen verursachen.
Pandemie beschleunigte die Digitalisierung
Anders sieht es aus für gesamtgesellschaftliche Krisen, die auch die Hochschulen erfassen. Die Covid-19-Pandemie war ohne Zweifel ein einschneidendes Ereignis für die Hochschulen. Wie in den meisten Bereichen des täglichen Lebens fungierte die Pandemie auch an den Hochschulen als Digitalisierungsbeschleuniger. Die Notwendigkeit, Lehr- und Forschungsaktivitäten schnell ins Digitale zu verlagern, führte zu einem Innovationsschub in der digitalen Infrastruktur und Lehrmethodik und stellte die Hochschulen, Lehrende und Studierende insbesondere zu Beginn der Pandemie vor große Herausforderungen. Die Hochschulen haben dies aber schon in einem frühen Stadium als Chance wahrgenommen: Nahezu alle Hochschulleitungen (94 Prozent) gaben in einer Befragung im April 2020 an, in den Auswirkungen der Pandemie langfristig auch eine Chance für die Stärkung der digitalen Lehre zu sehen. Das bestätigten auch spätere Befragungen. Hochschulen geben an, aus der Covid-19-Pandemie gelernt zu haben, die Digitalisierung von Lehr- und Lernprozessen schnell zu adaptieren und zu verbessern, was einen dauerhaften Wandel in der Hochschulbildung eingeleitet hat. Sie haben erkannt, wie wichtig Flexibilität und Resilienz in Bildungsstrukturen sind, um auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können.
Nach den Einschränkungen in den Pandemiewintern standen die Hochschulen im Winter 2022/2023 vor einer neuen Aufgabe: Die Energiekrise konfrontierte viele Hochschulen mit steigenden Betriebskosten. Sie rechneten mit geschätzten Mehrkosten von 13 Milliarden Euro (Schätzung des Stifterverbandes auf Basis von Kostenschätzungen der Hochschulleitungen), was einer Ausgabensteigerung um 14,3 Prozent allein bei den Energiekosten entspricht. Gleichzeitig bestanden große Unsicherheiten über die Übernahme der zusätzlichen Kosten durch die Mittelgeber. Dies führte an den privaten Hochschulen zu Überlegungen, Studiengebühren anzupassen. Hohe Energiepreise stellten eine langfristige Bedrohung für die Wirtschaftlichkeit und den Betrieb der Hochschulen dar. So sahen fast zehn Prozent der Leitungen bei anhaltend hohen Energiepreisen den Weiterbetrieb ihrer Hochschule als gefährdet an, unter den privaten Hochschulen waren es sogar 15 Prozent. Die Hochschulen reagierten darauf mit Maßnahmen zur Kostensenkung, einschließlich optimiertem Energiemanagement und teils temporären Gebäudeschließungen, zum Beispiel einer verlängerten Schließung über die Weihnachtsfeiertage. Sie investierten aber auch gleichzeitig langfristig in die Modernisierung von Gebäuden und erneuerbare Energien. Dennoch: Die Stimmung der Hochschulen sank deutlich. Sorge um steigende Kosten, aber auch um Verschiebungen in den fiskalischen Prioritäten von Bund und Ländern prägten diese Episode und wirken auch aktuell noch nach.
Trotz unruhiger Zeiten bleibt die Lage der Hochschulen erstaunlich stabil
Die seit 2011 erfassten Indikatoren des Hochschul-Barometers zeigen eine differenzierte Entwicklung in den Bereichen Rahmenbedingungen, Kooperationsbeziehungen und Wettbewerbsfähigkeit. Die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Partnern und die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen beziehungsweise des Hochschulstandorts liegen über den gesamten Erhebungszeitraum auf einem ähnlichen Niveau. Die Rahmenbedingungen der Hochschulen werden im Vergleich dazu immer etwas weniger positiv eingeordnet. So lässt sich hier insbesondere in der letzten Erhebung ein Rückgang in der Bewertung feststellen: Mit einem Wert von 4,3 Punkten erreicht der Indikator in der Erhebung von 2022 den niedrigsten Stand seit Beginn der Messungen, was insbesondere auf anhaltende Herausforderungen in der Finanzierung und Infrastruktur der Hochschulen hinweist. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen und des Hochschulstandorts wird ebenfalls kritischer bewertet. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, die internationale Attraktivität und Forschungsstärke weiter zu verbessern, um im globalen Bildungs- und Forschungsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben.
Im Gegensatz dazu blieben die Kooperationsbeziehungen zwischen Hochschulen und externen Partnern über die Jahre hinweg stabil und verzeichneten sogar leichte Zuwächse. Dies unterstreicht die Bedeutung von Netzwerken und strategischen Partnerschaften für die Hochschulentwicklung und den Wissenstransfer.
Aber: Sichtbarer Stimmungsumschwung bei Personal, Finanzierung und Autonomie
Während sich das Stimmungsbild insgesamt stabil entwickelt, zeigen einzelne Bereiche doch deutliche Veränderungen. Die Bewertung der Personalsituation an Hochschulen verschlechtert sich erkennbar, was die zunehmende Relevanz des Fachkräftemangels auch im akademischen Sektor zu verdeutlichen scheint. Die Gewinnung und Bindung qualifizierten Personals bleibt eine zentrale Herausforderung für die Hochschulentwicklung. Ebenfalls rückläufig sind die Bewertungen für Finanzierung und allgemeine Ausstattung, was die finanziellen Bedarfe und die Notwendigkeit einer adäquaten Grundfinanzierung der Hochschulen unterstreicht. Trotz dieser Herausforderungen wird die Autonomie der Hochschulen positiver bewertet als noch im Jahr 2018, was auf erfolgreiche Reformen und eine Stärkung der Selbstverwaltungskompetenzen der Hochschulen hindeutet.
Auf die Hochschulen kommen aufgrund ihrer zentralen Rolle im Bildungs- und Forschungssystem
Aufgaben in Forschung, Lehre und Transfer zu. Im Rahmen der Befragung zum Transferkompass 2021 wurden die Hochschulen nach der Relevanz dieser einzelnen Aufgaben gefragt. Im Schnitt sahen die Hochschulleitungen dabei die Lehre als wichtigste Aufgabe (43,6 von 100 Punkten), die Forschung als zweitwichtigsten Auftrag (25,4 Punkte) während sie den Transfer in Wirtschaft und Gesellschaft mit 15,8 von 100 Punkten als dritte Mission auch in der Gewichtung verstehen. Doch wie wettbewerbsfähig sind die Hochschulen in den einzelnen Bereichen?
Die Ergebnisse des Hochschul-Barometers zeigen eine Entwicklung in der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit von Hochschulen anhand von drei Indikatoren: Lehre und Forschung an der eigenen Hochschule sowie Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandorts insgesamt. Eine Erhebung für den Transfer wird bis dato noch nicht durchgeführt. Die Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit (Abbildung 4) in der Lehre war seit Beginn der Erhebung der Spitzenreiter mit meist über 80 Prozent der Hochschulleitungen, die diesen Indikator als (eher) positiv bewerteten. Insbesondere in den vergangenen beiden Jahren ist hier jedoch ein Rückgang zu beobachten, was wohl auch auf die Erfahrungen mit hybrider Lehre nach der Pandemie zurückzuführen ist. In der Forschung sind die Bewertungen der Hochschulen deutlich differenzierter. Universitäten sehen sich hier in der Regel gut aufgestellt, HAWs und private Hochschulen weniger. Die Mehrheit der Hochschulen sieht sich selbst jedoch im Wettbewerb mit anderen nationalen und internationalen Hochschulen gut aufgestellt – und damit fit für die Zukunft.
Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandorts äußern sich die Hochschulleitungen über den Erhebungszeitraum jedoch deutlich differenzierter. Zwar sieht auch hier eine Mehrheit das deutsche Hochschulsystem im internationalen Wettbewerb eher positiv. Im letzten Jahr hat es dabei jedoch einen bemerkenswerten Abschwung gegeben. Die aktuelle Befragung, mit Ergebnissen im Sommer 2024, wird zeigen, ob dies eine kurzfristige Reaktion auf die gesellschaftlichen Ereignisse rund um den Krieg in der Ukraine oder der Beginn einer (Stimmungs-)Krise des Hochschulstandorts war.
Fazit
Trotz verschiedener wissenschaftspolitischer Impulse und tiefgreifender gesellschaftlicher Einflüsse von außen zeigt sich die deutsche Hochschulwelt in ihren Selbsteinschätzungen zu Lage und Zukunft der Hochschulen erstaunlich stabil. Die Gesamtbewertung der Hochschulleitungen scheint also zu lauten: Unsere Hochschulen sind fit für die Zukunft. Denn auch in Krisenzeiten finden sich keine Stimmungseinbrüche, die etwa mit denen in der Wirtschaft vergleichbar wären. Und trotzdem stellen sich Fragen. Denn Risiken in der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Personal und mögliche Einschränkungen bei internationalen Kooperationen sind Themen, die nicht nur innovationsorientierte Unternehmen, sondern auch die öffentlich finanzierte Wissenschaft betreffen.
Doch wo sehen die Hochschulen selbst die größten Herausforderungen der Zukunft? In der jüngsten Befragung des Hochschul-Barometers im Winter 2023/2024 zeigen sie sich insgesamt zurückhaltend: Nur ein Drittel der Hochschulleitungen erwartet, dass 2024 ein (eher) positives Jahr für die Hochschulen werden wird. Gefragt nach einer Gewichtung und Bewertung aktueller Themen für die Hochschulen in Deutschland (Abbildung 5) sehen die Hochschulleitungen die größte Herausforderung durch mögliche finanzielle Einschnitte aufgrund belasteter öffentlicher Haushalte. Ähnlich bedeutend sehen sie den drohenden Rückgang der Studierendenzahlen, eine Entwicklung, die besonders bei privaten, aber nach aktuellen Finanzierungsschlüsseln auch bei öffentlichen Hochschulen finanzielle Einbußen mit sich bringt. Auch die Auswirkung des Fachkräftemangels auf die eigene Hochschule beschäftigt die Hochschulleitungen. Damit dominieren nicht wissenschaftliche Themen die Rangliste der Sorgenbringer. Die Veränderung von Forschung und Lehre durch die Digitalisierung und die Zukunft der Hochschule als Debattenort in Zeiten starker gesellschaftlicher Kontroversen werden aber durchaus auch als relevante Herausforderungen für die Zukunft beschrieben. Hier zeigt sich die Wechselwirkung von Hochschule und Gesellschaft. So sehr Hochschulen mit Forschung und Lehre die Gesellschaft von morgen beeinflussen, so sehr prägen die gesellschaftlichen Realitäten von heute die Zukunft der Hochschulen. Bisher war dieses Wechselspiel immer fruchtbar. Es ist Aufgabe der Hochschulen, aber auch von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, dass dies so bleibt. //
Dr. Pascal Hetze
ist Programmleiter im Stifterverband. Er leitet das Handlungsfeld Forschung & Innovation und das Fokusthema „MINT-Lücke schließen“.
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Marian Burk
ist wissenschaftlicher Referent im Team „Forschung und Innovation systemisch gestalten“ des Stifterverbandes.
Foto: David Ausserhofer
DUZ Wissenschaft & Management 04/2024 vom 02.05.2024