Gegen reaktionäre Politik
Ohne freie Wissenschaft keine freie Gesellschaft – für den Kommunikationswissenschaftler Bradford Vivian steht fest, dass die sich in den USA abzeichnende Bedrohung der akademischen Freiheit eine Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten aller ist.
Herr Professor Vivian, welches Verständnis von Wissenschaft und Bildung haben Populisten in den USA?
Die derzeit in den USA vorherrschenden Formen des illiberalen Populismus sind sowohl dem wissenschaftlichen als auch dem akademischen Fachwissen gegenüber feindlich eingestellt. Sie wollen unabhängige und faktenbasierte Aussagen untergraben. Wichtige Beispiele sind die Wellen populistischer Empörung gegen Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens, weil deren wissenschaftlich untermauerte Aussagen zur Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen angezweifelt wurden, sowie die seit Langem bestehende populistische Abneigung gegen Klimaforschung und Umweltschutz.
Nach der offiziellen Beendigung der Rassentrennung gibt es populistische Gruppen, die sich der Bewahrung des traditionellen Status quo in der US-Gesellschaft verschrieben haben und die immer weniger Hehl aus ihrer Feindseligkeit gegenüber der Hochschulbildung machen. Denn Menschen an Hochschulen und Universitäten in den USA sind heute diverser und gleichberechtigter als je zuvor – eine Entwicklung, die große Teile der Gesellschaft, die in Bezug auf Rasse, Geschlecht, ökonomische Klasse und so weiter ausgrenzend und hierarchisch bleiben wollen, als Bedrohung empfinden.
Wie wirkt sich dies auf die Politik aus?
Die populistische Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Hochschulbildung in den USA hat zu erheblichen politischen Verwerfungen geführt. Reaktionäre Wortführer haben darauf hingearbeitet, akademisches Fachwissen und akademische Führung zu spaltenden Themen zu machen. Sie haben viele US-Amerikaner dazu ermutigt, Wissenschaft und Forschung als Bedrohung der individuellen Freiheiten zu sehen – oft verstanden als die Freiheit, unwissenschaftliche Verschwörungstheorien zu unterstützen und sich gegen kulturelle Vielfalt oder gesellschaftliche Gleichberechtigung zu stellen – und nicht als öffentliche Güter, die eine breite Unterstützung verdienen.
Welche Konsequenzen hat das für Lehre und Forschung?
Dieser fabrizierte Kulturkampf verdrängt empirisch geleitete Überlegungen zur Hochschulpolitik zunehmend. Er ist von Zynismus bis offener Feindseligkeit geprägt und speist sich aus maßloser Übertreibung und Unwahrheiten. Ich betrachte diese populistische Feindseligkeit gegenüber der Wissenschaft und der Hochschulbildung als Indikator für eine zunehmende illiberale, pro-autoritäre Stimmung in den USA.
Zugegeben, das US-Hochschulwesen hat noch einen langen Weg vor sich, wenn es um die Förderung einer erschwinglichen, gerechten und ausschließlich an Leistung orientierten Bildung geht. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, dass es seit Ende des 20. Jahrhunderts eine der erfolgreichsten öffentlich finanzierten Maßnahmen für eine soziale Mobilität nach oben ist. Ich denke, das ist der Grund, warum Reaktionäre heute, quer durch ein Spektrum von selbst ernannten Liberalen, Zentristen und Konservativen, der Hochschulbildung feindlich gegenüberstehen. Die meisten Universitäten führen zu einer gewissen Unempfänglichkeit gegenüber starren, elitären, vereinfachenden oder gar extremistischen Ideen und wirken als moderierende soziale Einrichtungen.
Was könnte passieren, wenn Trump wieder ins Amt kommt, und was würde das für Studierende, Lehrende und Forschende bedeuten? Wie passt die Politik der Bundesstaaten ins Bild?
Eine der wichtigsten Säulen der reaktionären populistischen Bewegung, die den ehemaligen Präsidenten Trump unterstützt, ist die Ablehnung sozial gerechter, inklusiver und vielfältiger Hochschuleinrichtungen. Diese Bewegung hat sich schon vor den Präsidentschaftswahlen 2016 auf Propaganda über die Hochschulbildung gestützt, und sie hat diese Propaganda in den vergangenen Jahren noch intensiviert. Eine der zentralen ideologischen Überzeugungen, die das Weltbild dieser reaktionären populistischen Bewegung prägen, ist die Unwahrheit, dass die Hoch-schulbildung in den USA heute vor allem junge Menschen in linksradikalen Orthodoxien indoktriniert und die angeblich richtige Ordnung der Gesellschaft bedroht.
Im Allgemeinen verfolgt die reaktionäre populistische Bewegung, die den Ex-Präsidenten Trump unterstützt, ganz offen das Ziel, Hochschuleinrichtungen aus politischen Motiven zu überwachen und Wege zu finden, diese Einrichtungen entweder rechtlich oder finanziell für ihren angeblichen Linksradikalismus zu bestrafen. Ich gehe davon aus, dass diese Bewegung und ihre sichtbarsten Anführer wie Trump sich weiterhin das hochschulfeindliche Modell des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán zum Vorbild nehmen werden. Es ist klar zu erkennen, dass sie Orbán dafür bewundern, wie er sein Amt genutzt hat, um zum Beispiel die Central European University (CEU) in Budapest zu schließen und den Unterricht in verschiedenen Fächern in Ungarn zu zensieren (oft solche, die einen Schwerpunkt auf kulturelle Vielfalt und pluralistische Demokratie legen).
Auch auf Ebene der Bundesstaaten gibt es eine Bewegung gegen vielfältige, gerechte und inklusive Bildung. Es wurden zahlreiche Politiker gewählt, die nicht nur universitäre Lehre und Forschung, sondern auch die schulische Bildung verunglimpfen und fordern, sie müsse eingeschränkt werden. Das Ergebnis war eine historisch bedeutsame Welle von entweder vorgeschlagenen oder ratifizierten Gesetzen in Dutzenden von republikanisch kontrollierten Bundesstaaten, die Bildungsprogramme für ein vielfältiges, sozial gerechtes und inklusives Lernumfeld einschränken.
Was ist schlimmer, die „Woke Culture“ oder ein Populismus im Stil von Trump?
Ich betrachte die „Woke Culture“ und die reaktionäre populistische Empörung, die Trumps Wiederwahl unterstützt, nicht als zwei tatsächlich konkurrierende Kräfte in der amerikanischen Gesellschaft. Erstere ist weitgehend eine propagandistische Erfindung der Letzteren. „Wokeism“ ist eine Schimpfwort, das dazu dient, Ziele wie Rassengleichheit, multikulturelle Demokratie und vollständige Gleichstellung der Geschlechter als radikal, unpatriotisch und sogar gewalttätig erscheinen zu lassen. Die explizite Ablehnung von Gleichberechtigung, Toleranz und Pluralismus ist in den USA immer noch politisch unpopulär. Deshalb wird der Begriff der „Woke Culture“ als Code verwendet, um so die Idee zu verbreiten, dass Bemühungen um Gleichheit, Inklusion und Vielfalt gefährlich sind und eingeschränkt werden sollten. Die „Woke Culture“ ist ein erfundener Vorwand für die Einführung einer illiberalen Demokratie (Demokratie nur dem Namen nach, ohne vollen Schutz der individuellen Rechte) nach dem Vorbild autokratischer, illiberaler Bewegungen im Ausland.
Wie sollten Ihrer Ansicht nach Professorinnen und Professoren mit Populismus auf dem Campus umgehen?
Ich ermutige die Kollegenschaft und Studierende, die künstlich erzeugte populistische Empörung gegen Universitäten zu widerlegen, indem sie auf konstruktivere Formen der Debatte bestehen. Das US-Hochschulwesen wird von einem neuen McCarthyismus angegriffen – eine koordinierte Anstrengung zur politischen Zensur von Lehre und Forschung unter Verwendung weitgehend erfundener Anschuldigungen. Um diesem neuen McCarthyismus entgegenzutreten, ist es von entscheidender Bedeutung, gegen falsche Erzählungen vorzugehen, die darauf abzielen, populistische Empörung zu schüren und die öffentliche Unterstützung für die akademische Freiheit zu verringern.
Ich fordere daher die Mitglieder der Universitätsgemeinschaften auf, die Öffentlichkeit an die folgenden Fakten zu erinnern: Die Hochschulen und Universitäten in den USA schützen die Meinungsfreiheit besser als die meisten anderen Bereiche der Gesellschaft. Die Hochschulbildung ist heute für Angehörige aller sozialen Schichten zugänglicher als je zuvor. Und die Aufhebung der Segregation der Hochschulsysteme ist eines der demokratischsten und für die Allgemeinheit vorteilhaftesten Projekte in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
Die Geschichte lehrt uns immer wieder, dass derartige Anti-Hochschul-Kampagnen Warnzeichen für eine wachsende pro-autoritäre Stimmung sind. Ich ermutige die Mitglieder der Universitäten, darauf zu bestehen, dass die Bedrohung der akademischen Freiheit eine Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten aller ist. Die Verteidigung freier Universitäten ist eine Verteidigung der freien Gesellschaft. //
Bradford Vivian, Ph.D.
ist Professor für Kommunikation an der Pennsylvania State University. Er hat in seinem Buch „Campus Misinformation: The Real Threat to Free Speech in American Higher Education“ (Oxford University Press, 2022) die Taktik von hochschulfeindlichen Populisten untersucht.
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DUZ Magazin 04/2024 vom 19.04.2024