Österreich baut auf das Prinzip Abschreckung
Der Anstieg der Erstsemesterzahlen setzt Österreichs Hochschulen immer stärker zu. Seit Anfang März gibt es deshalb Gebühren für Langzeitstudierende und Nicht-EU-Bürger. Mit Eingangstests soll der Zustrom in Massenfächern gedrosselt werden.
Wien Es gleicht fast einer Sensation: Die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ), die sich stets den völlig freien Uni-Zugang auf ihre Fahnen geheftet hatte, hat Studiengebühren und Aufnahmetests zugestimmt. Seit diesem März gelten die neuen Regelungen: Langzeitstudenten und Studierende aus Nicht-EU-Ländern müssen zahlen. Für ausgewählte Studiengänge wie Medizin sind Aufnahmeprüfungen obligatorisch. In 19 weiteren Studiengängen können Eignungstests eingeführt werden. Mit ihrem Ja zu den neuen Regeln ist die SPÖ ihrem konservativen Regierungspartner ÖPV nach langem Zögern ein Stück entgegengekommen. So versuchen die Politiker jetzt dem Dauerproblem österreichischer Universitäten Herr zu werden: Unterfinanzierung bei gleichzeitigem Anstieg der Studierendenzahl.
Insgesamt studierten im Wintersemester 2012/2013 an den 22 öffentlichen Universitäten nach Angaben des Wissenschaftsministeriums 299.435 Studenten. Das sind 2,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Für Lehre, Forschung und Entwicklung zahlte das Ministerium 2012 an alle Hochschulen 2,8 Milliarden Euro. Zu wenig, klagen die Hochschulen, um die Flut von Studienanfängern ordentlich ausbilden zu können. Ein Blick auf die Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) macht es deutlich: Dort rechnet Rektor Prof. Dr. Christoph Badelt mit Kosten von 6300 Euro pro Jahr für einen Studierenden. Demnach könne die WU angesichts des Gesamtbudgets von rund 100 Millionen Euro, das sie vom Ministerium erhält (plus 20 Millionen Drittmittel), nur 1800 Studierende pro Jahrgang ausbilden. Im vergangenen Studienjahr hätten jedoch 4800 Anfänger seine Uni gestürmt, sagt Badelt. Woher also das Geld für deren qualitative Ausbildung nehmen?
Schon 2011 hatte Badelt vom Ministerium die Zahlung von 194 Millionen Euro für die Jahre 2010 bis 2012 eingeklagt. Die einberufene Schlichtungskommission gab dem Rektor zwar Recht. Doch das Ministerium könne nicht Mittel verteilen, die es nicht hat. Deshalb erhielt die WU zusätzlich nur vier Millionen Euro. Dazu Badelt: „Wir haben im moralischen Sinn gewonnen, weil festgestellt wurde, dass eine Universität nicht unendlich viele Studierende aufnehmen kann, ohne die dafür erforderlichen Mittel zu bekommen.“ Das Problem war jedoch nicht gelöst. Gespart wird nun an Lehraufträgen – der Qualität der Ausbildung ist das nicht gerade zuträglich.
Einige Hochschulen behelfen sich, indem sie die tatsächliche Studierendenzahl so schnell wie möglich an die vorhandenen ausfinanzierten Studienplätze anpassen. Dies geschieht mittels Prüfungen im ersten Orientierungssemester, sagt Badelt. Damit hält in Österreich eine Lernpraxis Einzug, die Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan Hopmann von der Uni Wien mit Bulimie vergleicht: „Alles hineinfressen und im richtigen Moment rauskotzen.“ Prüfungen bekämen Lotteriecharakter, auch begabte junge Menschen könnten versagen. Badelt zufolge könnte eine an der tatsächlichen Kapazität einer Uni orientierte Zulassungspraxis die Studienabbrecher-Quote von derzeit 62 auf zehn bis 15 Prozent senken.
Bisher reagierte die Politik, so gut sie kann – was angesichts der unterschiedlichen Positionen eher schwierig war. 2002 hatte die ÖVP-FPÖ-Regierung Studiengebühren eingeführt, von denen man sich zusätzliche Uni-Mittel sowie einen gebremsten Zugang von Studierenden erwartet hatte. Doch diese wurden eine Woche vor der Nationalratswahl vom Nationalrat wieder aufgehoben. ÖVP und die von ihr stets gestellten Wissenschaftsminister blieben die einzigen Befürworter eines kostenpflichtigen Studiums. Vor diesem Hintergrund könnte die momentane Einigkeit eine Chance sein, das Problem endlich aus der Welt zu schaffen.
Völlig ungenügend findet jedoch die Universitätskonferenz, in der die Rektorinnen und Rektoren der 22 österreichischen Unis sitzen, die neuen Regelungen. Denn die österreichische Regierung hat neben den möglichen Aufnahmeprüfungen gleichzeitig für 19 Studiengänge die Mindestzahl der Studienanfänger fixiert, die aufgenommen werden muss. Badelt sieht ein Vielfaches an Erstsemestern auf die WU zukommen, als es momentan der Fall ist. Für alle Wirtschaftswissenschaften in Österreich fordert die Bundesregierung die Zulassung von insgesamt 10 300 Anfängern pro Jahr. Wieviele davon die WU letztlich aufnehmen muss, muss Badelt noch mit seinen Kollegen anderer Unis mit Wirtschaftswissenschaften aushandeln. Ein kleiner Hoffnungsschimmer bleibt da die ab dem Wintersemester 2013/14 mögliche Eingangsprüfung, um prophylaktisch manche von der Studienanmeldung abhalten zu können.
Die neu eingeführten Studiengebühren – die Regierung erwartet insgesamt 40 Millionen Euro für alle Unis – werden die prekäre Situation jedenfalls nicht entscheidend verbessern. Zumal im vergangenen Semester eine zusätzliche Rechtsunsicherheit hinzukam: Wissenschaftsminister Prof. Dr. Karlheinz Töchterle gestattete den Unis, Gebühren autonom zu erheben. Neun der 22 Unis machten davon Gebrauch und lösten nicht nur den Protest der Studierendenvertretung, sondern auch eine Klage beim Verfassungsgerichtshof aus. Sie legten daraufhin die Gebühren auf ein Konto, bis das Gericht entschieden hat. Jetzt spekulieren sie auf eine nachträgliche Legitimierung der Gebührenerhebung. Der WU hatten die Gebühren 1,5 Millionen Euro eingebracht.
Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
„Zahl der Studienplätze nicht zurückfahren“
Wissenschaftsminister Prof. Dr. Karlheinz Töchterle (ÖVP) fordert eine Mindestzahl an Studienplätzen. Im Interview erklärt er, wie diese finanziert werden sollen.
duz: Herr Töchterle, Sie waren bis vor zwei Jahren Rektor einer Universität. Jetzt laufen Ihre ehemaligen Kollegen Sturm gegen die neuen Zugangsbestimmungen mit den von Ihnen vorgegebenen hohen Aufnahmezahlen: Wären Sie heute noch Rektor, würden Sie dann auch protestieren?
Töchterle: Von einem Sturmlauf merke ich nichts. Es gibt allerdings den Wunsch, die Zahlen niedriger zu halten. Dass sie jetzt so sind, schulden wir zwei Gründen: Der Koalitionspartner hat die auch für mich stimmige Bedingung gestellt, dass es keine Reduktion der Studienplätze geben darf. Zweitens sehe ich ein, dass wir – wenn die ganze Welt in tertiäre Bildung investiert – in Österreich die Zahl der Studienplätze nicht zurückfahren können. Wir können sie limitieren, das tun wir, und dann qualitativ verbessern.
duz: Seit März gibt es Studiengebühren, aber nur für Langzeitstudierende. Sie wollten anderes. Was genau?
Töchterle: Ich habe ein Gesetz mit meinen wichtigsten Anliegen formuliert: Die Unis autonom entscheiden zu lassen, ob sie Studiengebühren erheben wollen oder nicht, eine maximale Höhe der Beiträge und auch gewisse Begleitmaßnahmen, damit es nicht zu einer sozialen Selektion kommt. Das hat die SPÖ abgelehnt, daher nun das vorliegende Gesetz.
duz: Die Gebühren machen 40 Millionen Euro im Jahr aus. Zieht man den Verwaltungsaufwand ab, dann ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.
Töchterle: 40 Millionen soll man nicht kleinreden. Jetzt entfallen davon zum Beispiel auf die Uni Wien neun Millionen, das ist nicht wenig Geld. Mein Modell hätte jährlich rund 200 Millionen gebracht.
Die Fragen stellte Dr. Erich Witzmann.
DUZ Europa 02/2013 vom 08.03.2013