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Katerstimmung an den Universitäten

Der Fall Schavan führt an den Universitäten zu Ratlosigkeit. Vielen wird klar, das Plagiate-Problem ist längst nicht vom Tisch. Während zwei Lager streiten, ob die Uni Düsseldorf alles richtig oder alles falsch gemacht hat, wird die Unsicherheit bei Professoren und Doktoranden größer: Wer ist verantwortlich, nur der Autor oder auch die Uni?

Nach allen prominenten Plagiatsfällen vor Annette Schavan war mit der Aberkennung des Doktortitels Ruhe. Der Gerechtigkeit war Genüge getan. Nur die Betroffenen sahen das anders. Zum Teil klagten sie vor den Verwaltungsgerichten. Der Streitfall zwischen der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin hat Anfang März ein vorläufiges Ende gefunden. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies ihre Klage gegen die Uni Heidelberg zurück. Das Verfahren zwischen Margarita Mathiopoulos und der Uni Bonn läuft noch.

Im Fall der zurückgetretenen Bundesbildungsministerin ist das anders. Die Diskussionen laufen auf Hochtouren. Es gibt zwei Lager. Die einen sagen, die Universität Düsseldorf hat alles richtig gemacht, die anderen werfen ihr Versagen vor. Beide haben womöglich recht. Die einen – zumeist Rechtsexperten – gehen davon aus, Annette Schavan werde vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf keine Chance haben. Manche vermuten, die Universität Düsseldorf habe große Fehler gemacht, die ihr am Ende doch noch auf die Füße fallen könnten.

Alles richtig!

Zu den Vertretern des ersten Lagers gehören Plagiate-Experten wie der Medienwissenschaftler Dr. Stefan Weber von der Universität Wien. Seiner Ansicht nach hatte die Uni Düsseldorf „keine andere Wahl“. Die vielen Plagiatsstellen in Schavans Arbeit sprächen eindeutig für eine Täuschung. Das sieht auch Prof. Dr. Frank Decker so. Er sitzt in dem Promotionsausschuss der Uni Bonn, der die Fälle um die beiden FDP-Politiker Margarita Mathiopoulos und Jorgo Chatzimarkakis mit seinen Kollegen überprüfte und den Entzug der Doktortitel empfahl. „Rechtlich hat der Fakultätsrat der Uni Düsseldorf alles richtig gemacht“, sagt er, „lediglich aus politischer Sicht hätte er klüger handeln und externe Gutachter zulassen können, aber das wird vor Gericht nicht zählen.“ Der Bonner Promotionsexperte Prof. Dr. Wolfgang Löwer sieht das genauso: „Nirgends steht, dass eine Behörde Sachverständige hinzuziehen muss, wenn sie selbst das nötige Sachwissen hat“, sagte er Spiegel Online. Um dieses „wenn“ geht es den Vertretern des anderen Lagers. Sie sprechen dem Fakultätsrat den Sachverstand ab. Schavan hat viele Fürsprecher – vor der Titel-Aberkennung wie danach. Nicht wenige hoffen, dass sie durch alle Instanzen klagt.

Alles falsch!

Nach der Aberkennung des Titels bekräftigen manche die Vorwürfe gegenüber der Uni Düsseldorf. Der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker schrieb in der Süddeutschen Zeitung, die Uni Düsseldorf habe dem deutschen Wissenschaftssystem mit ihrer Entscheidung Schaden zugefügt. Der frühere sächsische Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf warf der Uni in der Zeitung Die Welt vor, dass sie die „leitende Täuschungsabsicht“ von Schavan zwar festgestellt, aber nicht untersucht habe. Weder Schavan noch ihr Doktorvater, Prof. Dr. Gerhard Wehle, seien dazu befragt worden.

Diesen Vorwurf hält Frank Decker für absurd: „Man kann eine Täuschungsabsicht nicht durch eine Befragung der vermeintlich Täuschenden oder ihrer Betreuer beweisen.“ Auch das werde vor Gericht keine Rolle spielen. Die Kölner Rechtsanwältin Dr. Daniela Schröder hat das Thema in einem Beitrag in den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern (Heft 5/2010, S. 176ff.) beleuchtet und festgestellt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung der Einwand, man habe nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet und keinesfalls getäuscht, nutzlos sei. Doktoranden müsse klar sein, dass ihre unredliche Vorgehensweise in wissenschaftlichen Arbeiten unzulässig sei. Punkt.

Rufe nach zentraler Schiedsstelle

Wie verhält es sich mit dem Vorwurf, die Uni hätte externe Gutachter zulassen müssen? Für Decker und Löwer ist der Fall klar: Das liegt in der Entscheidungshoheit der Uni. Zudem habe Schavan selbst zwei externe Gutachten eingeschickt. Dass der Judaist Prof. Dr. Stefan Rohrbacher als Fachfremder in seinem Erstgutachten zu einem vernichtenden Ergebnis über die erziehungswissenschaftliche Arbeit Schavans kam, sei kein Problem, sagt Decker: „Die Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens sind in den Geisteswissenschaften die gleichen. Ich kann als Politikwissenschaftler auch die Doktorarbeit eines Historikers auf Plagiate prüfen“, sagt Decker.

Das sehen manche anders. Etwa der Präsident der Berliner Humboldt-Uni Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz. Er bedauerte, dass die Uni Düsseldorf nicht zwei externe Gutachter zugelassen habe. Prof. Dr. Ernst Theodor Rietschel soll nach Informationen des Tagesspiegels seine Mitgliedschaft im Hochschulrat der Uni Düsseldorf gekündigt haben, weil sein Vorschlag, externe Gutachter heranzuziehen, nicht erhört wurde. Der Philologenverband wirft der Uni „katastrophale Fehler“ vor und fordert ein unabhängiges Gremium, das sich um derart strittige Abschlüsse kümmert. Winnacker schlägt vor, es an der Nationalen Akademie Leopoldina anzusiedeln.
Die massive Kritik von Winnacker und Biedenkopf wertet der Rektor der Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Michael Piper, als „Diffamierungen“. In offenen Briefen forderte Piper Mitte Februar von beiden eine Entschuldigung.

Was ändert sich?

Einige Kommentatoren in den Medien warfen der Uni vor, das Verfahren unprofessionell in die Länge gezogen zu haben. Neun Monate brauchte die Fakultät. Hinzu kam, dass die Öffentlichkeit von den Ergebnissen des Rohrbacher-Gutachtens eher erfuhr als Schavan. Für Stefan Weber sind das die Wege, über die Schavans Anwälte vor Gericht angreifen könnten. Tatsächlich setzen sie auf diese Aspekte.

Als Reaktion auf den Fall Schavan wird die Frage nach der Qualitätssicherung angesichts von 27.000 neuen Promotionen pro Jahr (Stand: 2012) weiter diskutiert. Das Ändern von Promotionsordnungen war nur Makulatur. Das Problem ist größer. Es steckt in der Betreuung. Immer mehr Unis ziehen externe Gutachter hinzu. Vielleicht wird es in Deutschland bald Standard wie in den Niederlanden oder Schweden, dass Betreuung und Benotung personell strikt voneinander getrennt werden. Auch die Notengebung wird diskutiert. Auf der rechtlichen Seite findet die Verjährungsfrist für Plagiate immer mehr Befürworter.

Aus Sicht von Stefan Weber brauchen die Unis vor allem Clearing-Stellen für Plagiatsfragen. „Das Ombudssystem der DFG funktioniert hier leider nicht. Es kann nicht sein, dass auf meinem Schreibtisch oder auf dem von Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder mehr Plagiatsverdachtsfälle landen als bei der DFG“, sagt er. Viele Dozenten seien heillos überfordert. „Vor ihnen liegt eine Arbeit, von der sie wissen, dass sie der Doktorand oder Student nie selbst geschrieben haben kann. Sie rufen nach Hilfe und bekommen sie nicht in ihrer Uni. Darum müssten sich die Leitungen dringend kümmern.“ Aber Weber befürchtet, „dass auch dieses Mal wieder nichts passieren wird“.

Dr. Wolfgang Heuser

Ende der Jagdzeit

von duz-Herausgeber Wolfgang Heuser

Vielleicht wäre es sinnvoll, VroniPlag das Bundesbildungsministerium bestellen zu lassen. Man ersparte sich die unappetitlichen Begleiterscheinungen, die sich an den Fall Schavan knüpfen: Gestern anerkannte Wissenschaftsministerin, heute schamlose Trickserin? Gestern anerkannte Philosophische Fakultät, heute Verräterin wissenschaftlicher Sorgfaltspflicht? Ging es zunächst um teils glamouröse Personen, für die der gesellschaftliche Glanz des Titels und nicht die Wissenschaft im Vordergrund stand, schleicht sich endlich die Diskussion um die Qualität des Verfahrens in das Rampenlicht: Wie war Betrug möglich und wie konnten auch eventuell gutgläubig begangene Fehler unentdeckt bleiben? Kein System ohne Löcher, möchte man lapidar beisteuern, wenn da nicht der hohe Anspruch wäre, den Universitäten an sich selbst anlegen und anlegen müssen. Es ist an der Zeit, das System zum eigentlichen Gegenstand der Diskussion zu machen. Hieraus leiten sich Forderungen ab:

  • Aufrichtiger Dank an alle Plagiatsjäger, die den Weg bereitet haben.
  • Eingeständnis einer aus vielfältigen Gründen teils mangelhaften Betreuung wie auch Begutachtung.
  • Regeln und Kontrollen für die ausreichende Betreuung und objektive Begutachtung einer Promotion – das heterogene mündliche Verfahren eingeschlossen.
  • Begrenzung der Plagiatsjagd, die ihr Ziel erreicht hat.

In diesem Sinne hätte der möglicherweise tragische Fall einer kompetenten Ministerin, die in jungen Jahren vielleicht bewusst, vielleicht auch unbewusst fehlerhaft agiert hat, doch noch etwas Gutes in sich: Weg von der rückwärtsgerichteten Jagd, hin zur zukunftsorientierten Arbeit!

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