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Männlich, weiß und über 50

Die Studierendenschaft wird immer bunter – soviel ist klar. Auch der Stifterverband will die Vielfalt fördern und tagt dazu Ende Juni. Doch wie sieht es in den Führungsetagen der deutschen Hochschulen aus? Diversität hat hier bislang Seltenheitswert. Doch der Mangel an Buntheit kann zum Risiko werden.

Manchmal erweist sich eine Sackgasse als Schnellstraße: Als Prof. Dr. Joybrato Mukherjee 1999 sein erstes Staatsexamen fürs Lehramt ablegte, hatten Absolventen wie er kaum Chancen eingestellt zu werden. „Dabei war Lehrer immer mein Traumberuf“, erzählt Mukherjee. Sein Professor bot ihm damals an, doch zu promovieren. Mukherjee griff zu, machte seinen Doktor in englischer Linguistik, habilitierte sich und wurde 2004 zum Professor in Gießen berufen. Gerade mal 29 Jahre alt war er damals. Dass er fünf Jahre später zum Präsidenten der Hochschule gewählt wurde und damit zum jüngsten Oberhaupt einer staatlichen Universität überhaupt, schien folgerichtig. „Ungewöhnlich war nicht die Wahl, sondern mein Werdegang“, erzählt der Rheinländer mit indischen Wurzeln am Telefon. Mit dem breiten Lächeln und dem schwarzen Studienratsbärtchen, welches seine Jugend eher unterstreicht als kaschiert, sticht der Präsident der Uni Gießen auch heute noch aus der Riege der deutschen Hochschulpräsidenten heraus. In den Präsidien der Universitäten dominiert eher die Farbe grau: Gesetzte Herren jenseits der 50 sind in der Mehrzahl und lenken die Geschicke.

Vielfalt ist kein Selbstläufer

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass Deutschland Nachholbedarf hat. Wie die New York Times berichtete, berief jede fünfte bis sechste Hochschule der Association of American Universities (AAU) in den vergangen Jahren im Ausland geborene Chefs. AAU-Chefin Molly C. Broad begründet dies damit, dass immer mehr im Ausland geborene Studierende an amerikanischen Unis Abschlüsse erwerben und Karriere machen.
Eine Tagung des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft Ende Juni soll den Gedanken der Diversität auch hierzulande befördern. Ungleichheit als Chance lautet das Motto. „Wenn sich eine Hochschule sensibel gegenüber der Vielfalt der Studierenden zeigt, wird sich das auch bald in den Führungsetagen widerspiegeln“, hofft der stellvertretende Generalsekretär des Stifterverbandes, Dr. Volker Meyer-Guckel. Doch das ist kein Selbstläufer. Zwar ist inzwischen jeder zehnte Studierende nicht in Deutschland zur Schule gegangen. Zwar gibt es mehr Frauen als Männer, die ein Studium abschließen. Doch in den Führungsteams der Hochschulen sind Frauen, Ausländer und jüngere Leute immer noch Exoten. Eine Ursache für die homogenen Chefetagen sind die gewundenen und zeitraubenden Karrierewege in Deutschland. Das durchschnittliche Habilitationsalter liegt jenseits der 40. Und mit jeder Karrierestufe steigt die Dominanz der Männer. Nur jede 6. Professur ist von einer Frau besetzt, in den höchsten Besoldungsgruppen beträgt der Frauenanteil nur noch zwölf Prozent.

„Wir befördern in der Tendenz Menschen, die uns ähnlich sind.“

Eine weitere Ursache sehen Wissenschaftler in dem Bedürfnis nach sozialer Identität. „Wir befördern in der Tendenz Menschen, die uns ähnlich sind“, erläutert Prof. Dr. Heike Bruch. Sie erforscht Teamstrukturen und leitet das Institut für Führung und Personalmanagement der Uni St. Gallen. Die Tendenz zur Homogenität verfestige sich, je stärker sie bereits ausgeprägt sei, erläutert Bruch. „Wir gewöhnen uns an die Homogenität“, unterstreicht Prof. Heather Hofmeister Ph.D. Die Prorektorin für Personal und wissenschaftlichen Nachwuchs an der RWTH Aachen ist Expertin für Gender- und Lebenslaufforschung. „Und dann merken wir, wie künstlich und komisch es ist, wenn alle Führungskräfte mit kurzen grauen Haaren und in dunklen Anzügen rumlaufen“, setzt sie nach.

In der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sieht man erste Anzeichen eines Wandels. „Ich kenne kaum eine Hochschule, in der keine Frau im Präsidium sitzt. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders“, berichtet Prof. Dr. Hans-Jürgen Prömel, HRK-Vize für Personalstrukturen und Hochschulmanagement. Eine Statistik des Kompetenzzentrums für Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) zeigt, dass sich der Frauenanteil in Hochschulleitungen – zwar schwankend und mit Einbrüchen – seit 1996 mehr als verdoppelt hat. Jedes fünfte Präsidiumsmitglied war 2009 weiblich, jeder zehnte Hochschulchef eine Frau. Der Druck, auch weibliche und ausländische Wissenschaftler bis zur Spitze zu fördern, werde weiter steigen, prognostiziert Bruch. „Die Hochschulen müssen sich öffnen, sonst verlieren sie im Wettlauf um die besten Köpfe.“ Wer nur ähnliche Menschen fördere, verliere nämlich die Besten aus dem Blick.

Prof. Dr. Liqiu Meng sieht sich selbst als eine Gewinnerin dieser Öffnung. Die in China geborene Ingenieurin kam 1988 mit einem Stipendium nach Hannover. Nach Abschluss ihrer Promotion schien ihre Karriere an einer deutschen Uni jedoch beendet. Eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, war schwierig und so reiste sie nach Schweden aus.
Wie bei Mukherjee erwies sich dieser Abzweig als Chance. Ihre Forschungen am Royal Institute of Technology in Stockholm sorgten in Fachkreisen für Aufsehen und weckten das Interesse der TU München. 1998 berief die Uni Meng als Professorin, 2008 wählt der Hochschulrat sie zur Vizepräsidentin. Meng selbst kommentiert lakonisch: „Ich habe zufälligerweise drei Diversitätsdimensionen im Hochschulpräsidium gleichzeitig erfüllt: jung, weiblich und Ausländerin.“ Dass sie auch eine ausgezeichnete Wissenschaftlerin ist, deren Forschungsergebnisse zu raumbezogenen Daten grundlegend für Navigationssysteme sind, verschweigt sie bescheiden. Sie habe sehr viel gelernt von ihren fünf männlichen Präsidiumskollegen, sagt Meng und sagen diese von ihr. Die Mischung im Team erbringe einen Mehrwert, der zunächst unsichtbar sei. „Ich sehe die Dinge oft anders. Das kann für Irritationen und Missverständnisse sorgen.“ Doch langfristig, sagt Meng, zahle sich das aus. Sie zitiert ein chinesisches Sprichwort: „Kein Fisch überlebt, wenn das Wasser zu sauber ist.“

„In divers besetzten Teams gibt es einen größeren Pool an Ideen und Kreativität.“

Homogene Führungsteams entscheiden unter Umständen effizienter. Das ist ein Vorteil, wenn es um schnelle Entscheidungen geht. Wenn es wie in Hochschulen darum geht, kreativ und innovativ zu sein, können divers zusammengesetzte Teams von Vorteil sein, betont Prof. Dr. Sabine Boerner. Die Lehrstuhlinhaberin für Management an der Uni Konstanz erforscht, wie sich Diversität in der Führungsetage auf die Entscheidungsfindung auswirkt. „Vorteile können sich daraus ergeben, dass es in divers besetzten Teams einen größeren Pool an Ideen und Kreativität gibt“, erläutert sie. Die getroffenen Entscheidungen könnten fundierter und innovativer sein.

Als sich etwa die Uni Gießen daran machte, ihr Zukunftskonzept zu entwerfen, zahlte sich die Mischung im Präsidium aus. Der frischgewählte Uni-Präsident Mukherjee hatte dafür gesorgt, dass erstmals auch zwei Frauen in den Führungsstab gewählt wurden. Die eine, laut Mukherjee eine hervorragende Erziehungswissenschaftlerin, die andere repräsentiere das ganze universitäre Spektrum der Lebenswissenschaften in ihrer Person. Zwei Männer, zwei Frauen, zwei Generationen und mehrere Fachbereiche vereint das Präsidium nun: „Wir ergänzen uns gut, das haben wir gemerkt, als wir die langfristige Strategie unserer Universität erstellt haben“, berichtet Mukherjee. Ein weiterer positiver Nebeneffekt dieser Besetzung sei gewesen, dass sowohl er selbst als auch die beiden Frauen automatisch als Vorbilder dienten.

Den Aufstieg der Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu ermöglichten vor allem Frauen, die es bereits in Führungspositionen geschafft hatten. „Meine akademische Karriere wurde durch weibliche Vorbilder gefördert“, erzählt sie. Die spätere Rektorin der Uni Essen, Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, holte Karakasoglu 1996 an ihren Fachbereich. 2004 wurde Karakasoglu als Professorin nach  Bremen berufen und vor wenigen Wochen als erste Frau mit Migrationshintergrund ins Präsidium der Uni gewählt.

Dass Karakasoglu Karriere machte und dabei Mutter zweier Kinder wurde, bezeichnet sie als ziemliche Herausforderung und verdankt sie dem Rückhalt durch ihren Mann. Auf dem Campus in Bremen gibt es inzwischen eine Krippe, die auch den Nachwuchs der Professoren betreut. Sie sehe sich als Ansprechpartnerin für Diversität im Allgemeinen und kulturelle Diversität im Speziellen, sagt Karakasoglu. In ihrer zweijährigen Amtszeit will sie die internationale Orientierung der Universität betonen. Dazu gehört auch das Ziel, in allen Gremien interkulturell aufgestellt zu sein.

Die Leitungen deutscher Hochschulen haben heute mehr Kompetenzen als je zuvor: sie steuern Institutionen, die im verschärften Wettbewerb stehen, sie entscheiden über Etats und Strategien. Insofern, sagt Mukherjee, sei es für die Legitimität der Entscheidungen wichtig, dass die Gremien, welche sie treffen, die gesamte Breite der Hochschule repräsentieren. „Ein kluges Rektorat setzt auf Diversität, es ist ein ganz natürlicher Trend, dass wir nicht mehr diese homosoziale Kooptation betreiben.“ Das sehen andere Hochschulmanager genauso. Vizepräsidentin Meng wird sich zwar nach Ablauf ihrer Amtszeit aus dem Präsidium zurückziehen. Sie glaubt jedoch nicht, dass die Führung der TUM dann wieder eine Domäne weißer älterer Männer wird. „Eine Universität mit internationaler Ausrichtung ohne eine einzige Frau im Präsidium, das ist nicht mehr glaubwürdig.“

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