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Die Kunst des Delegierens

Mit dem rasanten Anstieg der Studierendenzahlen sind Dozenten gezwungen, Vorlesungen und Seminare für den Massenbetrieb tauglich zu machen. Und nicht nur das: Vielerorts müssen Klausuren im Akkord korrigiert werden. In ihrer Not schließen die ersten Fachbereiche Werkverträge mit externen Kräften.

Die Zahlen sprechen Bände: 200 Prüfungstermine bietet der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Goethe-Universität in Frankfurt am Main in den Bachelor- und Master-Studiengängen pro Semester an. Rund 5000 Studierende schreiben dabei insgesamt etwa 10.000 Klausuren. Sie wollen allesamt korrigiert sein. Und das in möglichst kurzer Zeit.
Das Problem ist bundesweit bekannt. Von Flensburg bis München müssen Klausuren im Akkord korrigiert werden. Wegen der Abschaffung der Wehrpflicht und der doppelten Abiturjahrgänge in Baden-Württemberg, Berlin oder Brandenburg haben sich im Wintersemester mit rund 2,38 Millionen bundesweit so viele junge Menschen an Hochschulen eingeschrieben wie nie zuvor.

„Outsourcing wäre eine Kapitulationserklärung derdeutschen Hochschulen.“

Sie treffen auf ein Studiensystem, in dem durch die Modularisierung der Studiengänge die Anzahl der Klausuren „dramatisch“ gestiegen ist. So zumindest schätzt Professor Dr. Michael Weba, Studiendekan am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Goethe-Universität, die Lage in Frankfurt ein. Insgesamt 50 Professoren zählt der Fachbereich in den sieben Abteilungen. Zu wenig, um noch alle Klausuren korrigieren zu können. Das hält Weba für „völlig ausgeschlossen“.

Also holten sich die Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Hilfe und spannten die studentischen Tutoren ein, die die vorlesungsbegleitende Übungen betreuen. Im Fall einer Grundlagenklausur im Bachelor-Studium ziehen sich dann Professor, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und acht Tutoren mit 500 Arbeiten zu einem mehrtägigen Korrekturmarathon zurück. Den Wirtschaftsprofessoren an der Frankfurter Universität raubt das natürlich Zeit, die sie für Forschung gut gebrauchen könnten.
In den USA gehen Hochschulen sehr pragmatisch mit der Klausurenlast um. Professoren etwa von der University of Houston in Texas schicken Prüfungstexte zur Korrektur Richtung Asien. In Ländern wie Indien, Malaysia oder Singapur sitzen Akademiker, die im Auftrag der US-Firma EduMetry Kommentare und Korrekturen zu Klausuren schreiben. Hiesigen Hochschulen ist das aber offenbar zu anonym und zu weit weg von der deutschen Bildungsrealität. Kunden aus Deutschland, das teilte EduMetry per Mail der duz auf Anfrage mit, hätten sie bislang keine. Studiendekan Weba lehnt das explizit ab: Die Korrekturarbeit auszulagern, also komplett an externe Dienstleiter abzugeben, ist für ihn „absolut undenkbar“.

Die Haltung des Frankfurter Studiendekans entspricht ganz der Linie des Deutschen Hochschulverbands (DHV), dem Lobbyverband der Universitätsprofessoren: „Outsourcing halte ich nicht nur für rechtlich bedenklich, sondern das wäre auch eine Kapitulationserklärung der deutschen Hochschulen“, erklärt Dr. Michael Hartmer. Denn in Deutschland, das mag der DHV-Geschäftsführer im Sinn gehabt haben, gilt das ungeschriebene Gesetz: „Wer prüft, der lehrt.“ Mit anderen Worten: Der Professor trägt die Verantwortung für die Klausuren und die Korrekturen. Auf die Zuarbeiten von Helfern darf er sich dabei jedoch durchaus stützen – selbst wenn diese von außerhalb der Hochschule kommen.

Ein Fall für Start-up-Unternehmen

An einigen Hochschulen wird das dementsprechend bereits praktiziert. So vergibt die Hochschule für Rechtswissenschaft Bucerius Law School in Hamburg seit dem vorigen Jahr Klausuren an die Firma Examiner, die Absolventen der Hochschule gegründet haben. Und die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster beschäftigt schon seit längerem externe Korrekturassistenten per Werkvertrag, die jährlich rund 14.000 Klausuren im Studiengang Rechtswissenschaft mit Staatsexamen korrigieren. Die Assistenten sind Referendare, Doktoranden oder junge Anwälte in neu gegründeten Kanzleien, die den Juraprofessoren Kommentare und Bewertungsvorschläge für die Klausuren liefern. Viel Geld lässt sich damit nicht machen: Zwischen fünf und neun Euro verdienen die Nachwuchskräfte je Klausur. Pro Stunde schaffen sie je nach Umfang und Schwierigkeitsgrad zwei bis vier Klausuren.

„Es ist kein attraktiver Job, ohne Anbindung an Forschung und Lehre nur für Korrekturen zuständig zu sein.“

Mit dem Auslagern der Klausurenkorrektur schaffen sich die Juristen an der Universität Münster Freiräume, die sie für andere Aufgaben in Lehre und Forschung nutzen können. Allerdings hätten sie mittlerweile Schwierigkeiten, ausreichend viele qualifizierte Korrekturassistenten zu finden, sagt der Studiendekan Prof. Dr. Ulrich Stein. „Das Problem wird sich verschärfen, wenn noch mehr Studierende an die Hochschulen kommen.“ Davon wird er in der Tat ausgehen müssen. Nach Angaben der Kultusministerkonferenz werden bis zum Jahr 2020 etwa 750.000 Studierende mehr als ursprünglich geplant an Deutschlands Hochschulen strömen werden. Um die Korrekturlast personell stemmen und damit auch weg von den Professoren delegieren zu können, müsste bei den Hochschulen derzeit eigentlich ausreichend Geld vorhanden sein. Der Bund, der die Bedingungen in der Lehre verbessern will, stellt den Hochschulen in der zweiten Phase des Hochschulpaktes zwischen 2011 und 2015 fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Auch die Bundesländer investieren kräftig in ihre Lehrprogramme: Die Universität Frankfurt schöpft beispielsweise Gelder aus einem hessischen Förderprogramm zur Verbesserung der Qualität der Studienbedingungen und der Lehre ab.

Doch über Forschungsdrittmittel finanziert so manche Hochschule die Korrektur der studentischen Klausuren, zumindest indirekt. An der Fakultät für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München zählt das Korrigieren zum Aufgabenspektrum der wissenschaftlichen Mitarbeiter. „Die haben wir zu einem Gutteil über Drittmittel eigentlich für die Forschung angestellt“, sagt Studiendekan Prof. Dr. Manfred Schwaiger. Die Folge: Forschungsarbeit bleibt liegen, Mitarbeiter klagen über 70-Stunden-Wochen. Und das, obwohl die Fakultät in einigen Fächern schon auf Multiple-Choice-Aufgaben umgestellt hat, um die Klausuren schneller abarbeiten zu lassen.

Die üblichen Verdächtigen

So ruht die Last der Klausurenkorrektur oft auf den üblichen Verdächtigen: Doktoranden, Stipendiaten, wissenschaftliche Mitarbeiter, zusätzliche studentische Hilfskräfte und externe Fachkundige. Personelle Alternativen gibt es bislang dazu nicht, auch nicht unter den sogenannten Neuen Hochschulprofessionen (Hopros), die das Internationale Zentrum für Hochschulforschung (Incher) in Kassel in einem Forschungsprojekt derzeit unter die Lupe nimmt. Die Hopros sind wissenschaftlich qualifizierte Personen, die in der Verwaltung von Forschung und Lehre beschäftigt sind. Doch für Korrekturarbeiten, so fanden die Incher-Forscher heraus, werden die Hopros nicht eingesetzt. „Die Diversifizierung von Hochschulberufen stößt hier an Grenzen“, sagt auch DHV-Geschäftsführer Hartmer. „Es ist schließlich kein attraktiver Job, ohne Anbindung an Forschung und Lehre nur für Korrekturen zuständig zu sein.“

Wie Prüfungen geregelt sind

Wie Prüfungen geregelt sind:

  • Bund: Rahmenprüfungsordnungen, wie sie zum Beispiel für Diplomstudiengänge galten, gibt es seit Einführung des Bachelor- und Master-Studiensystems nicht mehr. Sie wurden durch das Qualitätssicherungssystem im Rahmen der Akkreditierung abgelöst.
  • Land: Die Landeshochschulgesetze enthalten Vorgaben, was die Prüfungsordnungen an den Hochschulen regeln müssen: Dazu zählen Prüfungsablauf und Prüfungstermine, Prüfungsformen, Prüfungsorgane, Bearbeitungszeiten und Grundsätze der Bewertung.
  • Hochschulen: Wie Universitäten und Fachhochschulen die Vorgaben der Landeshochschulgesetze im Detail umsetzen, bleibt ihnen überlassen.
  • Fakultäten: Die Vielfalt der Prüfungsordnungen in den Fakultäten und Fächern ist groß. Während als mögliche Prüfer beispielsweise in Prüfungsordnungen der Rechtswissenschaften in der Regel explizit Korrekturassistenten aufgelistet werden, legen sich andere Fächer nicht fest, wer korrigieren darf und welche Mindestqualifikation die Prüfer besitzen müssen. Allgemein gilt aber: Prüfer müssen mindestens die Prüfung bestanden haben, in die sie selbst eingebunden werden.
  • Korrekturfrist: Die Frist, bis wann Professoren die Korrektur der Arbeiten beendet haben sollten, wird unterschiedlich gehandhabt. Die Sprachregelungen reichen von „unverzüglich“ bis „spätestens zu Beginn des nächsten Semesters“. Strafen für Professoren, die die Frist überziehen, gibt es nicht.
  • Verantwortung: Egal, wie die Details geregelt sind, immer gilt der Grundsatz: Der Professor trägt die Verantwortung für die Prüfung.
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