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Alle Prozesse auf den Kopf stellen

Nachhaltigkeit wird auch für Hochschulen zum gesellschaftlichen Auftrag. Wie Wissenschaftseinrichtungen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können, schildert die Nachhaltigkeitsexpertin Laura Marie Edinger-Schons im Interview, die neuerdings als Chief Sustainability Officer an der Universität Hamburg das Thema voranbringen soll.

Frau Prof. Edinger-Schons, was unternimmt die Universität Hamburg, um zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (UN SDGs) beizutragen?

Nachhaltigkeit gehört zum Profil unserer Universität als „Universität der Nachhaltigkeit“. Ähnlich wie Unternehmen bemühen wir uns, so nachhaltig wie möglich zu wirtschaften, und erarbeiten aktuell ein Klimaschutzkonzept. Anfang nächsten Jahres möchten wir unseren nächsten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Im Gegensatz zu Unternehmen haben wir über unseren Fußabdruck hinaus aber noch die Möglichkeit, durch Forschung, Lehre und Transfer zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Viele sprechen da mittlerweile von dem Handprint oder Brainprint von Unis. In allen Fakultäten gibt es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Themen rund um die Nachhaltigkeit beschäftigen, und eines unserer Exzellenzcluster – Climate, Climatic Change and Society (CLICCS) – ist sogar ganz dem Thema Klima gewidmet. Und auch in der Lehre wird Nachhaltigkeit in allen Fakultäten thematisiert. Dies kann von Lehrformaten zu Geschlechtergleichstellung bis hin zu Armutsreduktion oder Friedenssicherung reichen. Zudem planen wir aktuell, unser Studium Generale um ein interdisziplinäres Zertifikatsprogramm zu Nachhaltigkeit zu erweitern. Und nicht zuletzt beim Transfer ist unsere Universität als „Flagship University“ sehr aktiv und hat Strategien entwickelt, wie sie mit der Gesellschaft interagiert – sprich: Themen aus der Gesellschaft aufnimmt und ihr Wissen in die Praxis und Politik transferiert. 

Als Chief Sustainability Officer (CSO) leiten Sie das im Aufbau befindliche Sustainability Office, das eng am Präsidium angesiedelt ist. Worin sehen Sie Ihre wichtigsten Aufgaben? 

Wir verstehen das Thema Nachhaltigkeit als eine Innovations- und Dialogplattform. Uns geht es um einen Wandel in unserer Universität in Richtung einer Kultur der Nachhaltigkeit. Dazu ist es wichtig, dass alle an einem Strang ziehen und unser Leitmotiv mit Leben füllen. Es lautet: „Innovating and Cooperating for a Sustainable Future“. Unsere Aufgabe als Sustainability Office und meine als CSO ist es, diesen Prozess zu ermöglichen, die unterschiedlichen Gruppen zusammenzubringen und einen agilen Prozess in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu moderieren. Da ich auch zum Thema Nachhaltigkeitsmanagement forsche, ergeben sich daraus Synergieeffekte für meine Tätigkeit als CSO und umgekehrt. 

Was waren Ihre ersten Schritte als CSO und wer sollte unbedingt mit eingebunden werden, um hochschulweit Nachhaltigkeitsprozesse anzustoßen? 

Wir wollen als Sustainability Office niemandem sagen: „Das müsst ihr tun“ oder „Das dürft ihr nicht mehr tun“. Vielmehr verstehen wir uns als koordinierende, vermittelnde und unterstützende Stelle – die aber an vielen Punkten neue Impulse setzen kann. Begonnen haben wir unter anderem mit einem offenen Plenum für alle Universitätsmitglieder, das unser Präsident im Lichthof der Staatsbibliothek eröffnete. Dort haben wir unser Arbeitsprogramm vorgestellt und einige Initiativen, die sich an unserer Universität für Nachhaltigkeit engagieren, eingeladen, sich auf der Bühne vorzustellen. Im zweiten Teil haben wir an zwölf Thementischen mit Gruppen von Studierenden, Mitarbeitenden aus der Administration sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gearbeitet. Daraus sind Arbeitsgruppen entstanden, die jetzt an Themen wie Biodiversität oder Barrierefreiheit arbeiten. Das Interesse war sehr groß und die Teilnehmenden haben es geschätzt, unabhängig von ihren Tätigkeiten an der Universität an Themen zu arbeiten, die sie begeistern. Studierende in den Arbeitsgruppen konnten wir sogar als Mitarbeitende gewinnen. Mit dieser Bottom-up-Strategie versuchen wir, Impulse und Ideen aus der gesamten Universität aufzunehmen – wie etwa den Vorschlag einer Mitarbeiterin aus den Geisteswissenschaften, Möbel, die bei Büroauflösungen entsorgt werden sollen, intern weiterzugeben. Nachhaltigkeit in all ihren Facetten in einer Organisation umzusetzen ist sehr kleinteilig und vielfältig, deshalb braucht es das Mitdenken und Mitwirken aller.

Nachhaltigkeitsmanagement ist also ein Button-up-Prozess, bei dem viele kleine Initiativen miteinander vernetzt und gemanagt werden müssen? 

Einerseits ist es ein Button-up-Prozess, andererseits ist es wichtig, dass ich als CSO Teil des erweiterten Präsidiums bin und dadurch das Nachhaltigkeitsmanagement in der höchsten Entscheidungsebene der Universität verankert ist. Das ist für strategische Entscheidungen wichtig. So gibt es bei uns auch noch einen Chief Digital Officer (CDO), der für die Digitalthemen zuständig ist. Die Idee unseres Präsidenten Hauke Heekeren war, die Twin-Transformation unserer Universität – also die gleichzeitige Transformation in Richtung einer nachhaltigeren und digitaleren Uni – zu forcieren. Das bedeutet: Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden bei allen Entscheidungen des Präsidiums mitgedacht. Denn bei fast jedem Thema ist beides relevant und nicht selten hängen die beiden Themen eng zusammen. Auch die Anliegen und Ideen der Arbeitsgruppen finden über das Sustainability Office und mich als CSO Zugang zum Präsidium und können dadurch zu konkreten Entschlüssen führen. Das ist besonders wichtig, wenn es um Prozessveränderungen oder Budgets geht. Sobald wir eine gute Idee haben, die aus den Arbeitsgruppen kommt, können wir diese zur Diskussion ins Präsidium bringen. Das ist sehr effektiv. 

Nachhaltigkeitsmanagement verändert nicht nur ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Aspekte einer Organisation. Haben diese Veränderungen Einfluss auf die internen Strukturen und Prozesse einer Hochschule? 

Nachhaltigkeitsmanagement ist ein Organisationsentwicklungsprozess, bei dem man eigentlich alle Prozesse auf den Kopf stellen muss. Nachhaltiger zu werden heißt oft, dass man auch digitaler werden muss – zum Beispiel, um Datenverfügbarkeit über Nachhaltigkeitsthemen sicherzustellen. Aktuell arbeiten wir simultan an der Datenerhebung über unsere Emissionen und über unsere SDG-Beiträge in Forschung, Lehre und Transfer. Zudem ist eine nachhaltige Organisation, die sich um die Menschen in ihr kümmert, die Grundvoraussetzung für eine effektive digitale Transformation – denn auch bei diesem Thema sollte man alle mitnehmen. Und ja, dieser Wandel verändert viele interne Strukturen und Prozesse. Insgesamt versuchen wir, weg von starren Hierarchien und komplexen Prozessen hin zu einem agileren, projektbasierten Arbeiten zu kommen. Dazu ist Vertrauen notwendig, damit alle ihre Kreativität entfalten und selbst Verantwortung übernehmen können.

Werden Hochschulen dadurch partizipativer? 

Die Hochschule der Zukunft ist für mich digital, nachhaltig und wirkungsorientiert. Das funktioniert dann, wenn man neue Projekte von den Nutzenden her denkt und sie in die Entwicklung mit einbezieht. Dazu müssen wir miteinander ins Gespräch kommen, etwa in offenen Gesprächsrunden und Workshops, wo möglichst viele relevante Personen zusammenkommen. Wir sollten uns bei der Hochschulentwicklung bewusst machen, dass wir über viele kompetente Köpfe verfügen, deren Potenziale, Ideen und Kreativität wir nutzen können. Insbesondere die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft zur Verbesserung der eigenen Organisation sehe ich als Entwicklungsfeld an vielen Hochschulen.

Wie begeistern Sie Ihre Kollegen für Ihre Ideen zur nachhaltigen Universität Hamburg? 

Indem ich sie mit einbeziehe und frage, was sie tun würden, um ihre Uni nachhaltiger zu machen. Gerade die Mitarbeitenden aus der Administration sehen darin oft ein ganz neues und sinnstiftendes Aktivitätsfeld für ihre alltägliche Arbeit. Natürlich hören wir auch Bedenken wie: „Darf ich das denn und ist das Arbeitszeit?“ Die Antwort lautet: „Natürlich, das ist Arbeitszeit. Ihr entwickelt doch unsere Hochschule weiter.“ In diesem Kontext ist es wichtig, dass die Hochschulleitung ganz klar Position bezieht und erklärt: „Ja, wir wollen das. Wir wollen unsere Uni auf den Kopf stellen. Wir wollen nachhaltiger und digitaler werden. Alle sollen mitmachen und dürfen das auch.“

Nachhaltigkeitsmanagement macht also fit für die Zukunft? 

Im Kontext der digitalen und Nachhaltigkeitstransformation bedarf es teils ganz anderer Kompetenzen in Organisationen als in der Vergangenheit. Die Fähigkeit, mit Ambiguität und Komplexität umzugehen, Dinge infrage zu stellen und eigenverantwortlich zu handeln, wird immer wichtiger. Viele Organisationen sind nicht mehr so rigide strukturiert wie in der Vergangenheit. Gefragt sind Agilität und der Wille, sich und die eigene Organisation weiterzuentwickeln. In unserem Angebot interdisziplinärer Studienangebote soll es bald viele Kurse mit Bezug zu solchen „Future Skills“ geben. Wir möchten die Menschen in unserer Organisation dazu befähigen, zur Weiterentwicklung der Uni und der Gesellschaft beizutragen. Dazu gehört nicht nur Wissen zur Nachhaltigkeit, sondern auch zu Digitalisierung, Innovation oder Entrepreneurship.

Warum soll Ihr Sustainability Office in einem Tiny House Village mitten auf dem Campus zu Hause sein?

Als ich an die UHH kam, wurde ich gefragt, wo ich denn mit meinem Team sitzen möchte. Ich habe vorgeschlagen, dass wir ein Tiny House Village mitten auf dem Campus bauen, das als Begegnungs- und Veranstaltungsort rund um das Thema Nachhaltigkeit dienen kann. Wir möchten einfach direkt mittendrin sein – da, wo das Leben der Studierenden und der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stattfindet. Gleichzeitig soll ein Element mobil sein, sodass wir auch mal andere Standorte besuchen können.

Warum ist die Mobilität des Office für Ihre Arbeit wichtig?

Wir haben einen sehr dezentralen Campus mit verschiedenen Standorten. Oft ist es dabei schwierig, regelmäßig den Kontakt mit allen Fakultäten und Fachbereichen zu halten und zu verstehen, was vor Ort passiert. Durch Besuche an den Standorten möchten wir in einer lockeren Atmosphäre ins Gespräch kommen – ohne, dass man einen Termin vereinbaren muss.

Wer gehört zu Ihrem Team? 

Zu meinem Kernteam gehört die Nachhaltigkeitsreferentin Dr. Stefanie Reustlen, mit der ich schon an der Universität Mannheim zusammengearbeitet habe. Sie leitet das Impact Measurement und Reporting. Das andere Teammitglied ist Uwe Lübbermann, ein Hamburger Original, der vor über 20 Jahren Premium-Cola, ein konsensdemokratisches Getränkeunternehmen, gründete. In unserem Team leitet er das Community Management und ist zuständig für die offenen Gesprächsformate und die Arbeitsgruppen.

Wie bewältigen Sie mit einem so kleinen Team die großen Aufgaben? 

Wir sind natürlich nicht alleine. Wir haben aktuell zwölf studierende Angestellte, die uns unterstützen, und dann gibt es noch die vielen Mitglieder der Arbeitsgruppen. Aber was man sagen muss: In vielen Abteilungen haben wir Arbeitspakete angestoßen, die zusätzlich zum regulären Aufgabenbereich hinzukommen. Beispiele sind neue Zählerkonzepte, Datensammlungen zu Einkäufen und Mobilität oder Zertifizierungsprozesse. Es gibt verschiedene Wege, die man gehen kann, um diese zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen. Der erste Weg ist: Man stellt mehr Menschen ein, was vor dem Hintergrund knapper Ressourcen meist nicht möglich ist. Der zweite Weg ist: Man schaut in den Abteilungen, wer da ist und dafür verantwortlich sein kann. Die entsprechenden Personen müssen dann dafür freigestellt und teils geschult werden. Der dritte Weg ist, und das machen wir jetzt auch vermehrt, dass wir Arbeitspakete in die Wissenschaft geben. Unser Pilotprojekt ist hier das Projekt „Nachhaltige Tagungen“. Eine Doktorandin entwickelt hierzu ein Konzept und einen Leitfaden. Damit nicht wir als Präsidium alleine entscheiden, wie wir diesen Prozess der Aufgabenkoordination organisieren, haben wir einen internen Stakeholder-Workshop angesetzt. Dazu haben wir 30 Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten aus der Uni eingeladen, die gemeinsam mit dem Präsidenten, dem Kanzler, dem CDO und uns über Fragen diskutierten wie: Wie möchten wir in Zukunft Nachhaltigkeit bei uns gestalten? Welche Arbeitspakete kann man durch die Wissenschaft erarbeiten lassen?

Warum ist für unsere Gesellschaft das Nachhaltigkeitsmanagement, wie es an der Hamburger Universität betrieben wird, wichtig? 

Als Universität haben wir eine Vorbildfunktion und können zeigen, dass und wie eine Nachhaltigkeitstransformation möglich ist. Auch die Politik schaut auf uns und tauscht sich gerne mit uns über die vielen unterschiedlichen Wege aus, über die man Nachhaltigkeit in Organisationen verankern kann. Zurzeit schauen wir in alle Forschungs-, Lehr- und Transferaktivitäten unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um zu erfahren, welche Bezüge es dort zur Nachhaltigkeit gibt. Das hilft uns nicht nur für unseren Nachhaltigkeitsbericht, sondern wirkt auch profilbildend für die Universität. Wenn wir nicht nur unseren Footprint reduzieren, sondern unseren Handprint und Brainprint optimieren, können wir für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft viel erreichen. In unserer Forschung wird Wissen generiert, das bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen handlungsleitend ist. Wir bilden in unseren Studienprogrammen diejenigen aus, die in den nächsten Jahren Führungsrollen in Wirtschaft und Politik übernehmen werden. Und durch unsere vielfältigen Transferformate stehen wir in einem direkten Dialog mit der Gesellschaft, kommunizieren über unsere Forschungsergebnisse, nehmen relevante Fragestellungen auf und fördern Innovation und Gründung. //

Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons

ist seit Dezember 2022 Professorin für „BWL, insbesondere nachhaltiges Wirtschaften“ im Fachbereich Sozialökonomie der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg (UHH). Bei der Professur handelt es sich um eine Professur im Rahmen der Exzellenzstrategie der Universität Hamburg, die das Forschungsprofil der Exzellenzuniversität stärken soll. Auf der neu geschaffenen Position Chief Sustainability Officer (CSO) hat sie zudem die Leitung des im Aufbau befindlichen „Sustainability Office“ der UHH übernommen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin forscht unter anderem dazu, wie Organisationen zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beitragen können. Sie ist Expertin für Mitarbeitendenengagement beim Thema Nachhaltigkeit, Social Entre-/Intrapreneurship, digitale soziale Innovation, Unternehmensdemokratie und Neue Arbeit. 

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