Gute Führung in der Wissenschaft
Was zeichnet eine gute Führungskraft für die Wissenschaft aus, welche besonderen Fähigkeiten braucht man dafür und wie lernt man überhaupt gute Führung? Die DUZ hat sechs Personen befragt, die selber Führungsaufgaben innehaben oder Führungskräfte coachen und begleiten.
Selbstreflexion als hilfreiche Kompetenz
Frau Paetz, durch was zeichnet sich für Sie gute Führung im Wissenschaftsbereich aus?
Erfolgreiche Führung schafft (immer wieder) einen gemeinsamen Rahmen, innerhalb dessen sich exzellente Wissenschaft entfalten kann. Dazu gehören das gemeinsame Setzen von Zielen, das Verabreden von Strategien, das Umsetzen in Projekten, das Zusammenwirken in Strukturen und entlang von Prozessen, das Gestalten von Dialogräumen und vieles mehr. Der Fokus liegt auf dem Wort „gemeinsam“, das aber aufgrund der Vielzahl an Stakeholdern in der Wissenschaft eine große Herausforderung birgt. Der wichtigste Stakeholder dabei: der Wissenschaftler beziehungsweise die Wissenschaftlerin, der oder die sich meist vorrangig mit dem eigenen Beruf und eher weniger mit der Institution identifiziert.
Insofern empfinde ich es als Erfolg, wenn es „dennoch“ gelingt, sich hinter einem gemeinsamen Rahmen zu vereinen – immer wieder, denn mit dem einmaligen Verabreden einer Strategie ist es bei Weitem nicht getan. Dass hierfür unter anderem kontinuierliche Kommunikation und die Pflege von Vertrauen in der Zusammenarbeit unerlässlich sind, klingt sicherlich bereits an.
Wessen muss man sich bewusst sein, wenn man eine Führungsaufgabe in der Wissenschaft übernehmen möchte? Was ist da besonders, gar anders als in anderen Arbeitsbereichen?
Wie in anderen Expertenorganisationen auch, wird in der Wissenschaft die Führungsfunktion gern verteilt („distributed leadership“). So übernehmen je nach Kontext jeweils andere Personen für einen spezifischen Zeitraum die Führungsrolle, etwa als Dekanin oder als Sprecherin eines Forschungsvorhabens. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Sektoren. Insofern ist es essenziell, sich bei Führungsaufgaben in der Wissenschaft die eigene Rolle im jeweiligen Kontext bewusst zu machen und entsprechend situativ angemessen zu handeln. Selbstreflexion ist dafür eine hilfreiche Kompetenz. Das wiederum gilt sicherlich auch für Führungskompetenz in anderen Sektoren.
Wo lernt man am besten gute Führung für Wissenschaftsinstitutionen?
Ich bin überzeugt, dass mehr als das Erlernen von Führungsmethoden erforderlich ist. Es ist vor allem eine Entscheidung – eine bewusste Entscheidung, Verantwortung für andere zu übernehmen und dafür sehr vieles (wie etwa die eigene Forschung) hintanzustellen. Sicherlich sind gewisse Persönlichkeitsmerkmale förderlich beim Erlenen von Führungsmethoden – so fällt Konfliktmanagement vermutlich denen leichter, die von ihrem Naturell her nicht versuchen, jedem Konflikt aus dem Weg zu gehen.
Wie haben Sie das gelernt?
Ihre Frage klingt, als ob dieser Lernprozess abgeschlossen sei … auch Führung entwickelt sich immer weiter. Zwar sind bestimmte Führungsgrundsätze gerade in Zeiten von New Work wichtiger denn je, aber die Umsetzung im Berufsalltag ist doch heute für niemanden so wie vor der Corona-Pandemie.
Wenn ich an meinen allerersten Chef in einer Unternehmensberatung denke, kann ich mir kaum vorstellen, dass er heute Erfolg hätte, wenn er in seiner Führung nicht mit der Zeit gegangen wäre. Dieses kleine Beispiel zeigt, wie ich mich dem Lernprozess nähere: durch (Selbst-)Beobachtung. Als Quelle dienen eigene Erfahrungen, die Beobachtung anderer (Negativbeispiele explizit eingeschlossen), Feedbackgespräche mit Vorgesetztwen wie mit Mitarbeitenden und der Austausch mit Mentorinnen und Mentoren wie Mentees.
Alexandra-Gwyn Paetz
ist seit 2022 Geschäftsführerin der Berlin University Alliance. Zuvor hat sie als Leiterin der Strategischen Entwicklung und Kommunikation die erfolgreiche Entwicklung des Karlsruher Instituts für Technologie gestaltet. Die Betriebswirtin hat ihre berufliche Laufbahn in der Unternehmensberatung und Energiewirtschaft begonnen.
Foto: Berlin University Alliance
Führungsakademie besuchen
„Ich verstehe unter guter Führung, Teams zum Erfolg zu führen. Dazu bedarf es in der Wissenschaft der gleichen Kompetenzen wie in anderen Bereichen. Dazu gehören offene Kommunikation, die Bereitschaft zuzuhören, Wertschätzung, Motivation, Eigeninitiative sowie die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Als Führungskraft in der Wissenschaft trifft man auf selbstbewusste Individuen, die die Freiheit von Forschung und Lehre schätzen. Dies kann herausfordernd sein. Insbesondere, wenn man ein Wahlamt auf Zeit innehat, etwa als Dekanin oder Dekan. Es kann andererseits schon ausreichen, den Forschenden Freiräume zu schaffen, damit sie erfolgreich sein können.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen häufig in Führungspositionen, weil sie als Forschende stark sind, und müssen sich Führungskompetenzen erst aneignen. Sie sollten sich nicht zu schade für den Besuch einer Führungsakademie sein. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bietet dies beispielsweise mit dem CHE – Centrum für Hochschulentwicklung für Präsidiumsmitglieder von Hochschulen an.“
Prof. Dr. Walter Rosenthal
ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Mediziner war zuvor unter anderem Direktor des Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie, das heutige Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie, und Vorsitzender des Stiftungsvorstandes sowie wissenschaftlicher Direktor des Max-Delbrück-Centrums in Berlin-Buch, ein Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft. 2022 wurde er zum „Hochschulmanager des Jahres“ gekürt.
Foto: Jürgen Scheere
Authentisch bleiben
„Für mich zeichnet sich gute Führung durch dreierlei aus: Sie ist gekennzeichnet durch ein wertschätzendes Durchsetzungsvermögen, sie fördert Veränderung und gibt Raum für Reflexion und Feedback. Wer eine Führungsaufgabe in der Wissenschaft übernehmen möchte, sollte sich bewusst sein: Auch in der Wissenschaft erfordert Führung Wertschätzung, Vertrauen und gute Kommunikation sowie ein methodisches Informieren, Feedback, Delegieren. Besonders für die Wissenschaft sind eine hohe intrinsische Motivation, wenig Hierarchien, hohe Freiheitsgrade sowie systemtypische Anreize wie beispielsweise Reputationsmechanismen der Disziplinen zu beachten. Diese gilt es, in den Strategien zur Zielerreichung klug zu nutzen.
Wo lernt man am besten ‚gute Führung‘ für Wissenschaftsinstitutionen? Klassische Führungsseminare nehmen die Besonderheiten nicht immer in den Blick. Ich empfehle eine Mischung aus Weiterbildung und Ausprobieren – mit der Bereitschaft zur Reflexion und kontinuierlichen Anpassung. Genau so – und durch Vorbilder mit ganz unterschiedlichen Führungsstilen als Inspiration – habe ich Führung gelernt. Wichtig für mich ist aber auch, dass ich authentisch bleibe – und dann im Zweifel auch nicht jede Führungssituation gelingen kann oder muss.“
Andrea Frank
ist Mitglied der Geschäftsführung im Stifterverband und verantwortet die programmatische Ausrichtung. Sie studierte Regionalwissenschaften Nordamerika, Politische Wissenschaften und Soziologie in Bonn und South Hadley (USA) sowie Public Management an der Hertie School in Berlin. Ihre berufliche Tätigkeit in Bonn, Ungarn und Berlin ist seit über 20 Jahren von Kooperation und Vernetzung mit Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft geprägt. Sie ist Mitglied in zahlreichen Gremien auf Bundes- und Länderebene.
Foto: Damian Gorczany / Stifterverband
Perspektiven aller Teammitglieder beachten
„Grundsätzlich wird Führung bestimmt durch das Profil der Führungsperson, also durch ihre Persönlichkeit und ihre Ambitionen sowie ihre Neigung und Eignung, zu führen. In der Wissenschaft kommen allerdings weitere Faktoren hinzu: Zum einen arbeiten Teams im wissenschaftlichen Umfeld in hohem Maße intrinsisch motiviert für die fachlichen Fragestellungen.
Zum anderen besteht vielfach eine gewisse Aversion gegen ein ‚Zuviel‘ an Struktur. Auch sind die Disziplinen unterschiedlich affin für Führung. Dies stellt insbesondere interdisziplinäre Teams vor zusätzliche Herausforderungen.
‚Gute‘ – im Sinne von ergebnisorientierte – Führung in der Wissenschaft orientiert sich somit am spezifischen fachlichen Kontext, nimmt die Perspektiven aller Teammitglieder in den Blick und setzt den Rahmen für die Kommunikation. So wird für die Akteure ein konsensuales Miteinander mit größtmöglichem Gestaltungsspielraum geschaffen. Einflussnahmen erfolgen immer moderierend als ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘."
Isabell-Carola Zieger
hat Wirtschafts- und Politikwissenschaften, Informatik sowie Hochschul- und Wissenschaftsmanagement in Hannover, Paris und Osnabrück studiert. Sie ist seit 15 Jahren im Wissenschaftsmanagement tätig. Seit 2012 ist sie kaufmännische Geschäftsführerin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an der Universität zu Köln. Als systemische Beraterin berät und coacht sie im Wissenschaftsmanagement unter anderem zu Strategie- und Organisationentwicklung.
Foto: privat
Proaktiv mit der Führungsrolle auseinandersetzen
„Wer eine Spitzenposition in einer Wissenschaftseinrichtung einnimmt, benötigt ein buntes Set an Management- und Leadership-Kompetenzen: Neben visionärem Denken und dem Wissen um die komplexe Gemengelage von Wissenschaftsorganisationen sind es der Wille zur Weiterentwicklung der Organisation sowie wissenschaftspolitisches Fingerspitzengefühl, durch das sich erfolgreiche Führungskräfte im Wissenschaftsbereich charakterisieren. Um diese Fähigkeiten aufzubauen und kontinuierlich weiterzuentwickeln, sind akademische Führungskräfte mehr denn je gefordert, ihren individuellen Lern- und Reflexionsprozess zu gestalten, um sich proaktiv mit der Führungsrolle und dem eigenen Handeln auseinanderzusetzen. Die Formate hierzu sind vielfältig. Ob der moderierte Austausch mit Peers, bilaterales Coaching im Sinne eines Leadership Advisory oder thematische Weiterbildungen – jeder Ansatz trägt dazu bei, ‚gute Führung‘ zu lernen. Ein Quäntchen Begabung gehört sicher auch dazu, wesentlich ist aus meiner Sicht aber die Haltung, die eigene Entwicklung als Führungskraft als einen dynamischen Prozess zu verstehen, den es zu gestalten gilt.“
Patricia Gautschi
ist als Executive-Search-Beraterin Partnerin der Capitalent GmbH in Frankfurt am Main. Sie begleitet Wissenschaftseinrichtungen bei der Auswahl von Führungskräften. Ihr Fokus richtet sich seit über 15 Jahren auf die kontinuierliche Professionalisierung des Wissenschaftsmanagements, was sich in ihren Positionen als Wissenschaftsmanagerin, Weiterbildungsexpertin und in ihrer Arbeit in der Hochschulforschung in der Schweiz und in Deutschland widerspiegelt.
Foto: privat
Vertrauen und Wertschätzung als Grundlage
„Ich leite eine Behörde in der Wissenschaftsverwaltung. Dort, wie überall, sind Respekt, Vertrauen und Wertschätzung die Grundlage jeder guten Führung.
Wenn man eine Führungsaufgabe in der Wissenschaft übernehmen möchte, sollte man sich bewusst machen: Dort geht es zumeist um Wissensarbeit. Diese benötigt große, ungestörte Zeitblöcke, damit man sich in die anstehende Aufgabe vertiefen kann. Ebenfalls elementar ist, die intrinsische Motivation zu unterstützen.
Wo man am besten ‚gute Führung‘ für Wissenschaftsinstitutionen lernt – dazu kann ich keine allgemeingültige Empfehlung abgeben. Ich selber habe Führung gelernt durch Beobachtung als ‚Geführter‘ sowie durch selbst erlebte gute und schlechte Beispiele, Gespräche mit anderen über Führung, Kurse, Lektüre (auch Internet). Ein Klassiker: Peter F. Drucker: The Effective Executive.“
Dr. Olaf Bartz
studierte Chemie (Vordiplom) sowie Geschichte und Philosophie (M.A.) in Köln. In dieser Zeit engagierte er sich in der studentischen und akademischen Selbstverwaltung. Seine Dissertation und Postdoc-Projekte behandelten vornehmlich die Geschichte der deutschen Wissenschaftspolitik und führten ihn nach Dortmund, Köln und Speyer. Von 2008 bis 2012 war er für den Wissenschaftsrat tätig. Seit 2013 ist er Geschäftsführer der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland, 2018 umbenannt in Stiftung Akkreditierungsrat.
Foto: Foto: Bettina Koch
DUZ Magazin 07/2023 vom 21.07.2023