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Das ist Kunst – und kann nicht weg

An den meisten Kunstwerken auf einem Campus laufen Studierende, Lehrende und Gäste täglich vorbei – oft ohne ihnen groß Beachtung zu schenken. Andere Werke wie sozialistisch geprägte Relikte der ehemaligen DDR sorgen für Aufregung und Streit. Die Kunst am Bau und der Umgang damit beschäftigt die Hochschulen – mehr oder weniger.

Moose, Flechten, Sprühfarbe haben auf dem dunkelgrauen Porsche 911 auf dem Parkdeck Süd der Universität Konstanz ihre Spuren hinterlassen. Das Fahrzeug hat wenig von Luxus im Gegensatz zur originären Automarke. Geschaffen hat das skurrile Gefährt der österreichische Künstler Gottfried Bechtold. Er fertigte 1971 einen detailgetreuen Abguss seines Porsches aus Beton an. Seit dem Ankauf 1974 parkt das tonnenschwere Kunstobjekt unverrückbar auf dem Uni-Parkdeck. 

Dass der nagende Zahn der Zeit, die sich ausbreitende Fauna und Graffiti sichtbar sind, ist im Fall des Betonporsches beabsichtigte Patina. Andernorts sorgt Rücksichtslosigkeit gegenüber Kunstwerken für Missmut: So reiht sich beispielsweise Fahrrad an Fahrrad um eine mehrteilige Naturwerkstein-Gruppe am Eingang einer bayerischen Unibibliothek – das Kunstwerk ist kaum als solches zu erkennen, weil ein geeigneter Fahrradabstellplatz fehlt. Auf einem anderen Campus sprudelten einst vier kleine Fontänen in einem von einer Plastik aus Carrara-Marmor überspannten Brunnenbecken. Trocken, ungepflegt und beschädigt fristet das Werk nun sein Dasein. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, die der Bayerische Oberste Rechnungshof im November 2019 in einem Bericht zu Kunst am Bau im Staatlichen Hochbau in Bayern veröffentlicht hat. Zwar sind nicht nur Werke an Hochschulen, sondern auch anderen staatlichen Einrichtungen beschrieben – doch alle fristen in desaströsem Zustand ein vergessenes Dasein. Zu einer ähnlich ernüchternden Bestandsaufnahme kam der Rechnungshof Baden-Württemberg 2015. Das macht deutlich: Zahlreiche Kunstwerke, die aus staatlichen Mitteln aus einem gewissen Prozentsatz der Bausumme von den Bundesländern und vom Bund im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, sind vergessen, übersehen und teils beschmiert oder sogar zerstört.

Mühe, den Bestand zu erfassen 

Dabei liefern die Skulpturen, Wandbilder und Installationen an und vor Universitäten und Hochschulen einen Überblick und Einblick, wie sich Künstlerinnen und Künstler jeweils zu ihrer Zeit mit politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie wissenschaftlicher Lehre und Forschung auseinandergesetzt haben und heute beschäftigen. Ein künstlerischer Schatz, den es zu würdigen gilt – finden einige Universitäten spätestens, wenn es zu Jubiläen darum geht, zum Beispiel einen repräsentativen Bildband in den Händen zu halten.

Den Kunstbestand zu erfassen und zu erhalten, ist gar nicht so einfach – nicht nur, weil in den meisten Hochschulen des Landes enormer Sanierungsstau herrscht (siehe DUZ Magazin 7.2022) und für die Restaurierung von Kunstwerken meistens am allerwenigsten Geld übrig ist. Unklar ist oft auch, welche Kunstwerke es im Bestand der Universitäten und Hochschulen überhaupt gibt und wer dafür zuständig ist. Prof. Dr. Ernst Seidl kennt die Herausforderungen seit Jahrzehnten. Der Kunsthistoriker ist seit 2008 Direktor des Museums der Universität Tübingen (MUT) und erklärt: „Es fängt schon bei der Begrifflichkeit und Klassifizierung von Kunst am Bau an.“ So könne man sich auf die offiziell als Kunst-am-Bau-Werke bezeichneten und staatlich finanzierten Werke beschränken. „Doch das würde schätzungsweise rund 50 Prozent der Kunstwerke an Hochschulen ausklammern, weil sie nicht über das Programm finanziert worden sind, sondern zum Beispiel zu Jubiläen angeschafft oder privat finanziert wurden“, sagt Seidl. „Deshalb befürworte ich die Bezeichnung Kunst an Universitäten oder Kunst auf dem Campus“, sagt er. Diesen gemein ist auf jeden Fall, dass sie an Hochschulgebäuden oder auf dem Campus fest installierte Kunstwerke sind.

Netzwerk schaffen, Tagung organisieren

Darüber, was alles unter Kunst am Bau gefasst werden soll, wer in den Hochschulen für die Dokumentation und die Erhaltung zuständig ist und welchen strukturellen Herausforderungen Universitäten und Hochschulen diesbezüglich begegnen, tauscht sich Ernst Seidl regelmäßig mit Kolleginnen und Kollegen des MUT, aber auch mit Kunstverantwortlichen anderer Hochschulen aus. Um dem Thema innerhalb der deutschen Hochschullandschaft mehr Gewicht zu geben, haben Seidl, sein MUT-Kollege Dr. Michael La Corte, Gwendolin Kremer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kustodie der Technischen Universität (TU) Dresden, und Dr. Christina Kuhli, Kustodin der Kunstsammlung der Humboldt-Universität zu Berlin, im November 2021 die Arbeitsgemeinschaft (AG) Kunst am Bau an Hochschulen gegründet. Mittlerweile ist die AG unter dem Dach der Gesellschaft für Universitätssammlungen e.V. angesiedelt, dessen Vorstandsmitglied Ernst Seidl ist. Ziel der AG ist es, „ein Netzwerk zu schaffen, um Kompetenzbereiche und Akteure zu bündeln, Erfahrungen auszutauschen und Projekte zum Umgang mit fest installierter Kunst an Universitäten anzustoßen“, heißt es in der Einladung zum zweiten Werkstattgespräch im November in Tübingen (siehe Kasten unten). Ende 2021 hatte die Arbeitsgemeinschaft bereits zu einem ersten interdisziplinären Werkstattgespräch geladen. „Das Interesse war groß“, erinnert sich Seidl, und bemerkenswert sei gewesen, dass sowohl Hochschulvertreter, aber auch Mitarbeitende aus Bauämtern, Architekten sowie Restauratoren teilgenommen haben, was verdeutliche, wer alles an Anschaffung, Pflege und Restaurierung von Kunst am Bau beteiligt ist.

Die Voraussetzungen, wer an der Universität oder Hochschule verantwortlich ist, sind sehr unterschiedlich. „Sind die Werke tatsächlich als Kunst-am-Bau-Werke entstanden, ist das jeweilige Bundesland meist Eigentümer, da die Finanzierung aus dem Baukostenvolumen erfolgt ist. Gleichzeitig obliegt die Verantwortlichkeit für die Pflege dem Nutzer der Liegenschaft, womit wiederum die Hochschulen in die Pflicht genommen werden“, erklärt Christina Kuhli von der Humboldt-Universität. Sind die Bauämter zuständig, sind die Kunstwerke im Bauvorhaben verzeichnet. Sind jedoch die Kunstwerke von der Uni und einzelnen Fakultäten angeschafft worden oder sind es Werke aus lange zurückliegender Zeit, sieht es mit einer umfassenden Bestandsdokumentation meist mau aus. „Das Kernproblem ist: Es gibt fast nie klare Zuständigkeiten“, sagt Seidl. Was die Mehrheit seiner Kolleginnen und Kollegen im Austausch bestätigen würden. Ausgenommen die Kustodien, Errungenschaften der ehemaligen DDR, die die Zuständigkeit und Arbeit an den Hochschulen erleichtern. „In diesem Bereich waren die Verantwortlichen in der DDR den westlichen Bundesländern einen großen Schritt voraus“, sagt Seidl. Und auch heute haben die Kustodien ihren Stellenwert behalten. „Wir sind direkt dem Rektorat unterstellt, was die gesamtuniversitäre Relevanz unserer Arbeit betont“, sagt Prof. Dr. Rudolf Hiller von Gaertringen, Kustos der Kunstsammlung und Leiter der Kustodie der Universität Leipzig.

Detektivische Arbeit 

Erst als der Wissenschaftsrat 2011 „Empfehlungen zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen“ gab, seien vielerorts die Kunstsammlungen wieder in den Blick des Interesses sowohl der Hochschulleitungen als auch der Kunsthistorischen Institute gerückt, sagt Ernst Seidl. „In dieses Vakuum der Zuständigkeit müssen wir rein und uns verantwortlich zeigen für die Kunstwerke.“ So haben Seidl und seine Mitarbeitenden zusammen mit Studierenden nach und nach die Kunstwerke auf dem Tübinger Campus erfasst. Viele Kolleginnen und Kollegen der Fakultäten seien begeistert und hilfsbereit gewesen, andere skeptisch und zurückhaltend, „weil sie Bedenken haben, dass wir ihnen ihre Werke wegnehmen– aber das können wir gar nicht“, erklärt Seidl. „Doch in einem ersten Schritt geht es um die Inventarisierung – da kriegt man einen Röntgenblick, wenn man über das Unigelände läuft“, sagt Seidl. „Es ist eine detektivische Arbeit, die spannend ist.“ So soll die jahrelange Detektivarbeit in Tübingen in einem Buch münden, das im Herbst 2023 erscheinen soll.

Kunstsammelbände an Hochschulen entstehen häufig auch im Zuge von Jubiläen, zu denen die Universitäten erkennen, welchen Wert die Kunstwerke haben und welches Aushängeschild sie auf dem Campus darstellen. Manche Kunstsammelbände entstanden in Regie der kunsthistorischen Institute oder Kustodien, manche als Seminarprojekte mit Studierenden. Auch der Bund finanziert Kunst am Bau – unter anderem für Forschungseinrichtungen wie das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Zum 70-jährigen Bestehen der Kulturverordnung von 1950 für Kunst am Bau würdigten 2020 das Bundesbauministerium und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) die Kunst am Bau in einer Ausstellung sowie in den begleitenden Katalogen „70 Jahre Kunst am Bau“ und „Kunst am Bau in der DDR“ und einem Film. Die Ausstellung tourt seit Januar 2021 als Wanderausstellung durch Deutschland – zuletzt war sie vom 3. Mai bis 9. Juni an der Bergischen Universität Wuppertal zu sehen.

So unterschiedlich die Voraussetzungen und Wertschätzung von Kunst am Bau an den einzelnen Universitäten sind, eint wohl die meisten das Ziel, die Kunstwerke zu erhalten. „So ist ein Ziel der Arbeitsgemeinschaft auch, einen Leitfaden zu entwickeln, um innerhalb der jeweiligen Hochschule zu klären, was es braucht, um Kunst am Bau gut zu pflegen“, sagt Christina Kuhli. „Ein Traum wäre, einen eigenen Restaurator an jeder Universität dafür zu haben.“ //

Werkstattgespräch in Tübingen

Die Arbeitsgemeinschaft Kunst am Bau an Hochschulen lädt von 16. bis 18. November 2023 zu ihrem zweiten Werkstattgespräch ins Museum der Universität Tübingen (MUT) ein. Inhalte, Fragen und Ziele der Arbeitsgruppe sowie zukünftige Schwerpunkt sollen diskutiert werden. Anhand von Kunstwerken an und in Institutsgebäuden soll der Umgang mit ihnen exemplarisch untersucht werden. Die Tagung richtet sich sowohl an Mitarbeitende der Hochschulen sowie Bauverwaltungen, die für Kunst am Bau verantwortlich sind, als auch an freiberuflich tätige Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Restauratorinnen und Restauratoren sowie Künstlerinnen und Künstler. Weitere Informationen siehe https://gesellschaft-universitaetssammlungen.de/arbeitsgruppen/ag-kunst-am-bau-an-hochschulen/

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