Diskurslust: politisch neutral?
Politische Debatten machen auch vor den Hochschulen nicht Halt – Beispiel Klimakrise. Doch inwieweit sollten sich Hochschulen überhaupt einmischen, gar positionieren oder eigene Räume für politische Diskurse schaffen? Darüber diskutiert Peter-André Alt mit Hauke Heekeren.
Hauke Heekeren Hochschulen sind als staatliche Institutionen verpflichtet, das Gebot der politischen Neutralität einzuhalten. Sie agieren und kommunizieren auf Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, keineswegs im Interesse einer Partei oder einer partikularen Weltanschauung. Es gilt das Prinzip der Autonomie der Wissenschaft im Sinne von Max Weber. Mit anderen Worten: We are doing science, we are not doing politics – wir betreiben Wissenschaft, wir betreiben keine Parteipolitik. Wir mischen uns mit unserer Expertise in inhaltliche Debatten, nicht aber im engeren Sinne in politische Diskussionen ein.
Hochschulen handeln jedoch nicht im luftleeren Raum. Eine evidenzbasierte Reflexion und Positionierung zu bildungs-, hochschul- und wissenschaftspolitischen Fragen ist daher mit diesem Selbstverständnis vereinbar. Wissenschaft beschäftigt sich mit Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Sie wirkt als Impulsgeber in die Gesellschaft hinein.
Unsere Aufgabe als wissenschaftliche Institutionen ist es dabei, Diskussions- und Austauschräume zu schaffen, in denen diese Fragestellungen in einem wissenschaftsbasierten Rahmen artikuliert werden. Hierfür bringen wir Expertinnen und Experten, politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie gesellschaftliche Akteure miteinander ins Gespräch. Die Wissenschaft kann, will und soll als „Sparring Partner“ für Entscheidungsprozesse in Politik und Gesellschaft mitwirken. Wir wollen die großen Herausforderungen unserer Zeit reflektieren und gemeinsam nach Lösungsansätzen suchen. Das heißt auch, dass wir uns dafür einsetzen, eine offene und inklusive Debattenkultur zu pflegen und uns für demokratische Werte stark machen.
Peter-André Alt Hochschulen arbeiten nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen gesellschaftlicher Verhältnisse. Die von ihnen ermöglichte Wissenschaft kann auf diese Verhältnisse durchaus einwirken, sollte das aber niemals intentional tun. Wissenschaft benötigt Distanz zur Gesellschaft, um ihren sozialen Auftrag zu erfüllen. Das ist nur scheinbar eine Paradoxie, vielmehr ein produktiver Grundsatz. Die Gesellschaft schenkt der Wissenschaft die im Grundgesetz verbürgte Freiheit, damit sie ihren Erkenntnisauftrag bestmöglich erfüllen kann. Im Gegenzug gibt die Wissenschaft der Gesellschaft diese Freiheit zurück, indem sie die Bürgerinnen und Bürger dazu einlädt, neue Denkperspektiven einzunehmen und überkommene Ansichten zu revidieren. Das ist keine politische Mission, sondern ein Akt der Aufklärung. Wissenschaftsfreiheit führt zur Freiheit des Denkens und ermöglicht dadurch eine Dynamisierung der Gesellschaft.
Das alles bedeutet nicht, dass Hochschulen sich von politischen Themen fernzuhalten haben. Durchaus ist es legitim, dass Politikerinnen und Politiker auf ihren Campus sprechen und Studierende politische Debatten führen. Jedoch sollten sie dafür die Formen des wissenschaftlichen Diskurses nutzen, um sich von parteipolitischen Kampagnen und Wahlkampfkalkül zu distanzieren. Wenn das Politische nach den Regeln der Wissenschaft diskutiert wird – also im Rahmen einer dialogischen Auseinandersetzung, rationaler Argumentation und der Absicherung von Thesen durch Belege –, dann findet es zu Recht seinen Platz in der hochschulischen Öffentlichkeit.
Hauke Heekeren Mit weltanschaulichen oder politischen Konflikten auf dem Campus sollten Hochschulen transparent und konstruktiv umgehen. Wir müssen zurück zu einer offenen Debattenkultur getreu dem Motto „hart in der Sache, respektvoll im Ton“, die sich durch Qualität auszeichnet, in der das bessere Argument und die wissenschaftliche Evidenz entscheidet. Hochschulen können anhand ihrer Kompetenzen und der Regeln des wissenschaftlichen Diskurses in ihr gesellschaftliches Umfeld wirken, eine „Öffnung zur Gesellschaft“ findet statt.
Gesamtgesellschaftliche Fragestellungen sind für Hochschulen von großer Bedeutung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich mit den Themen unserer Zeit, tauschen sich in nationalen und internationalen Gremien aus und beraten die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Es ist jedoch nicht die Aufgabe einer unabhängigen Hochschule, bundespolitische Forderungen zu stellen oder sich diesen anzuschließen. Wissenschaft kann sich nur mit dem Ziel in Debatten einbringen, zur Wahrheitsfindung beizutragen und die Informationsbasis zu liefern. Nicht umsonst gibt es eine Gewaltenteilung. Verwischt diese, kann es zu Zuständen wie in Autokratien kommen.
Wissenschaft hat einen „Impact“ und eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Hochschulen müssen aber immer wieder aufs Neue ihre Daseinsberechtigung artikulieren: Sie werden heute anders wahrgenommen und müssen unter Beweis stellen, welchen Beitrag Forschung und Lehre zur Adressierung gesellschaftlich relevanter Fragen leisten. Hier ist die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit eine gänzlich andere als früher. Die Wissenschaft nimmt diese gesellschaftliche Verantwortung wahr und liefert heute andere Lösungen als in der Vergangenheit. Wir haben dazu an der Universität Hamburg einen „Kodex Wissenschaftsfreiheit“.
Peter-André Alt Zwar besteht relativ große Einigkeit darüber, unter welchen Rahmenbedingungen politische Themen auf dem Campus diskutiert werden können. Das verhindert aber nicht den Streit darüber, wo und wann Grenzen überschritten, Regeln verletzt und Normen missachtet wurden. Hochschulen sind heute diverser denn je, weshalb der Dissens über politische Fragen sich nicht mehr nur aus den divergierenden Interessen der unterschiedlichen Statusgruppen ableitet. Heute geht es um Makropolitik wie Klimafragen, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Macht; um Wertfragen wie Rede- und Meinungsfreiheit, Respekt und Toleranz; aber auch verstärkt um Identitätspolitik im Zusammenhang mit Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Andersheit, Minorität und Alterität. Das Politische hat – nicht nur auf unseren Campus – einen weitaus größeren Wirkungskreis als früher und daher taugt es auch für Konfliktmuster aller Art.
Hochschulen stehen vor der Herausforderung, diese Omnipräsenz des Politischen bewältigen und organisieren zu müssen. Im Mikromanagement des Alltags bedeutet das, dass sie Geltungskonflikte zu steuern haben. Wissenschaftsfreiheit steht oft gegen die Interessen einzelner Gruppen und die Ansprüche auf individuelle Anerkennung. In solchen Spannungsfeldern hilft allein ein verbindliches Regelwerk für die wissenschaftskonforme Diskussionskultur auf dem Campus: Die Werte der Toleranz, des Respekts und der Fairness müssen ebenso beachtet werden wie die Grundlagen des wissenschaftlichen Diskurses. Jede Hochschule braucht einen solchen „Code of Conduct“, ohne den politische Debatten nicht organisiert werden können. //
Prof. Dr. Hauke Heekeren
ist seit März 2022 Präsident der Universität Hamburg. Zuvor war der Neurowissenschaftler unter anderem Vizepräsident für Studium und Lehre an der Freien Universität (FU) Berlin.
Foto: Esfandiari / UHH
Prof. Dr. Peter-André Alt
war Präsident der Hochschulrektorenkonferenz und leitet jetzt die Wübben Wissenschaftsstiftung. Er ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der FU Berlin.
Foto: David Ausserhofer
DUZ Magazin 04/2023 vom 20.04.2023