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Zivilisiert streiten

Konflikte sind im Hochschulalltag an der Tagesordnung. Eigentlich sollten alle Beteiligten mit der Zeit gelernt haben, gelassener und konstruktiver mit Auseinandersetzungen umzugehen. Doch weit gefehlt. Mit eigenen Beratungsangeboten versuchen Hochschulen, den Streithähnen Auswege aufzuzeigen.

Überall, wo Menschen aufeinandertreffen und zusammenarbeiten, kommt es hin und wieder zu Unstimmigkeiten und verbalen Auseinandersetzungen. Diskussionen, Streit und Konflikte gehören zum Alltag von jedem von uns dazu. Ob in der Familie, unter Freunden, im Team oder auch innerhalb der Gesellschaft – Konflikte sind Teil unseres Lebens. Indem Meinungen ausgetauscht, Positionen erläutert und Alternativen diskutiert werden, findet sich auf diese Weise eine Lösung. Mit mehr oder weniger guten Argumenten auszuloten, wie weit die Toleranz des Gegenübers reicht, erproben wir von Kindesbeinen an. Geht es im Kindergarten noch um ein Lieblingsspielzeug, streiten Jugendliche mit ihren Eltern etwa um das Smartphone, Schülerinnen und Schüler mit den Lehrkräften um Zensuren. Ein sorgsam ausgeloteter Kompromiss, der unterschiedliche Positionen einbezieht, lässt alle das Gesicht wahren und zeichnet Beziehungen sowie eine Gesellschaft aus. Doch wann kippt ein Disput und verwandelt sich in einen Konflikt, der zu eskalieren droht und den die Kontrahenten kaum noch selbst lösen können?

Auch in Hochschulen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen lauern viele Konfliktfelder, denn diese Institutionen funktionieren nach ganz eigenen Regeln. Das Humboldt’sche Ideal und die Freiheit von Forschung und Lehre prägen Universitäten bis heute. Über die Jahrzehnte etablierten sich hier ganz eigene Riten und Gewohnheiten. Wer dort anfängt, muss sich erst einmal damit vertraut machen. Doch auch wo Wissenschaft, Forschung und Lehre den Takt vorgeben, kommt es zu Streitigkeiten, auch dort lähmen Neid und Missgunst die Arbeit, entstehen Konflikte, die den Betroffenen entgleiten können. 

Neben dem Streit um die beste Idee rückt das Gerangel um Ressourcen in den Mittelpunkt. Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen kämpfen um Fördergelder, sorgen sich um ihr Renommee. Die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte haben Spuren hinterlassen. Mehr junge Menschen entscheiden sich für ein Studium, ohne dass Lehre und Verwaltung im gleichen Umfang ausgebaut wurden. Reformen krempelten den Hochschulalltag um. Es kommt einiges zusammen, denn mit dem stärkeren Wettstreit um Gelder, deutlich mehr Studierenden und mehr Verantwortung für Budgets und Beschäftigte veränderten sich die Aufgaben von Lehrenden und Forschenden. Gleichzeitig nahm die Sensibilität zu, Missstände zu benennen, anstatt sie zu erdulden. Außerdem sind viele Menschen durch die Corona-Pandemie dünnhäutiger geworden. Konflikte waren schon immer auch in höheren Bildungseinrichtungen beheimatet. Schließlich ist es eine einfache Rechnung: Je mehr Menschen an einem Ort aufeinandertreffen, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt.

Dr. Monika Klinkhammer und Dr. Neela Enke beschäftigen sich beruflich mit Problemen und Konflikten im Hochschulumfeld. Sie arbeiten als Coachinnen und Mediatorinnen überwiegend mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie dem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Allerdings kommt der Hilferuf aus diesen Institutionen oft erst dann, wenn Streitigkeiten schon eskaliert sind und „die Hütte brennt“, wie sie salopp formulieren. Klinkhammer und Enke beraten und coachen Einzelpersonen oder Teams, sie schlichten und qualifizieren Betroffene weiter, damit sie lernen, zukünftig schwierige Situationen selbst zu meistern. Sie kennen die typischen Konfliktlinien. „Es gibt strukturelle Konflikte, die mit den Rollen, Aufgaben und der Themenvielfalt an der Hochschule zu tun haben“, sagt Monika Klinkhammer. „Auch die wissenschaftliche Karriere ist ein großes Konfliktfeld“, ergänzt sie. Sprengstoff steckt zudem in der Organisationsstruktur von Wissenschaftseinrichtungen. Konflikte entstehen zwischen Wissenschaft und Verwaltung, Forschung und dem wissenschaftsunterstützenden Personal. Auch das Lehrdeputat und anspruchsvolle Forschung lassen sich nicht immer gut unter einen Hut bringen. „Die Freiheit von Forschung und Wissenschaft ist historisch gewachsen. Mit der Exzellenzstrategie verstärkte sich die Konkurrenz“, hat Neela Enke beobachtet.

Streitpunkt Autorenschaft in einer Publikation

Ein einfaches Beispiel hierfür ist die Publikationsliste. Allein die Frage, wer in einem Paper an welcher Stelle genannt wird, birgt viel Konfliktpotenzial. „In einigen Disziplinen werden alle Namen streng alphabetisch genannt, etwa in Teilen der Physik. In der Biologie gibt es verschiedene Reihenfolgen: Wer an erster Stelle genannt wird, hat die Forschung ausgeführt, wessen Name am Ende steht, hatte die Idee“, erläutert Enke das Procedere. Wessen Name wo steht, kann die Vergabe von Forschungsgeldern beeinflussen und für die persönliche Karriere eine große Rolle spielen. In Berufungsverfahren entscheidet auch die Publikationsliste sowie die Autorenschaft über die berufliche Zukunft. 

Eine weitere Konfliktlinie verläuft in manchen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zwischen den Forschenden, der Verwaltung und dem wissenschaftsunterstützenden Personal. Ausufernde Dokumentationspflichten ärgern viele Wissenschaftler. Wenn sie zusätzlich für die am Lehrstuhl Beschäftigten auch Personalverantwortung tragen, kommen viele Aufgaben zusammen, auf die sie nicht immer vorbereitet werden. Viele wissen nicht, wie sie Mitarbeitergespräche führen oder Probleme innerhalb eines Teams konstruktiv lösen können. Auch die Lehre und Arbeit mit Studierenden und Promovierenden erfordert viel Elan und Fingerspitzengefühl. „Für die Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden gibt es an vielen Universitäten Graduierteneinrichtungen oder Ombudsstellen, um im Konfliktfall die Abhängigkeit der Promovierenden zu relativieren“, sagt Klinkhammer. 

„Jeder kennt jeden“ kann zum Problem werden

Seit einigen Jahren investieren vor allem größere Hochschulen in eigene Teams für die Konfliktberatung. Dort helfen ausgebildete Mediatoren oder auch Psychologinnen den unbefristet Beschäftigten aus Wissenschaft und Administration weiter. „Es ist wichtig, dass die Konfliktberatung unabhängig arbeiten kann und nicht weisungsgebunden ist. Außerdem sollte sie gut vernetzt sein, um Betroffene weiterverweisen zu können“, sagt Enke. Das sei auch nötig, so die Beobachtung von Klinkhammer und Enke, denn Corona habe viele Konflikte sichtbar gemacht. Außerdem sei die Pandemie eine große Belastung gewesen, so Klinkhammer. 

Wenn Studierende oder Promovierende Probleme haben oder Konflikte sich nicht mehr unter vier Augen lösen lassen, dann können sie sich an den meisten Hochschulen an die psychologischen Beratungsstellen wenden. Viele Fakultäten benennen auch ehrenamtlich agierende Ombudspersonen, die ein offenes Ohr für Probleme haben. Schwelende Konflikte möglichst früh zu klären, hilft allen weiter. Allerdings brauchen Betroffene Mut, sich dorthin zu wenden, denn meistens kennen sich alle innerhalb einer Fakultät. Manche Betroffene fürchten um ihre Karriere, andere haben Angst vor bösen Gerüchten. 

Doch selbst wenn es Gespräche gibt, bedeutet das nicht immer, dass sich eine schnelle Lösung für einen lange andauernden Konflikt finden lässt. Freiheit von Forschung und Lehre bedeutet für viele Professorinnen und Professoren auch, dass sie unangreifbar sind. Manche missbrauchen diese Freiheiten. Universitäten lassen einigen Koryphäen freie Hand, selbst wenn das auf Kosten der Beschäftigten geht. Ihr wissenschaftliches Renommee wiegt schwerer als ihre menschlichen Defizite, so das Kalkül. Feudale Machtallüren haben zwar an den Hochschulen des 21. Jahrhunderts nichts verloren, doch die Realität sieht oft anders aus. „Hochschulen haben es schwer, beispielsweise an Professorinnen und Professoren mit narzisstischen Persönlichkeitsfacetten bei Fehlverhalten heranzukommen“, sagt Enke. 

Viele dieser Konflikte bleiben lange ungelöst, obwohl alle wissen, was schiefläuft. Oft traut sich keiner, die Missstände klar zu benennen. Manche stimmen lieber mit den Füßen ab und gehen. Doch solange alle schweigen, lassen sich Konflikte kaum lösen. „Oft holen sich Betroffene erst spät Hilfe“, so die Beobachtung von Klinkhammer. Machtmissbrauch, Streitigkeiten über geistiges Eigentum und auf wessen Idee ein Forschungsprojekt beruht sind klassische Konfliktfelder. Forschungsteams streiten aber auch häufig über die Arbeitsteilung, den Betreuungsschlüssel oder bei Verstößen gegen die wissenschaftliche Praxis miteinander. Auch persönliche Ressentiments und Neid spielen eine Rolle. 

Wenn erst spät Hilfe von außen geholt wird, haben sich manche Konflikte bereits verhärtet, Verletzungen bis hin zum Mobbing die Beteiligten schon zermürbt. „Oft wird ein Coaching angefragt, obwohl es im Hintergrund um Konfliktmanagement geht. Mit einer Coachinganfrage wird weniger Gesichtsverlust verbunden als bei einer Anfrage für Konfliktberatung“, sagt Klinkhammer. Unterdrückte Konflikte können Institute und Forschungsgruppen lähmen und die Beschäftigten krank machen. Schon allein aus Selbstschutz ist es deshalb notwendig, sich so bald wie möglich innerhalb und außerhalb der Hochschule professionelle Hilfe zu suchen. //

Buch- und Filmtipp:

  • Monika Klinkhammer, Neela Enke: Konfliktmanagement. Strategien für Wissenschaft und Hochschule. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2022. 358 Seiten. 35 Euro
  • Wie zerstörerisch Machtmissbrauch und Mobbing in der Kunst wirken können, veranschaulicht der Film „Tár“ (2022) eindrücklich – mit der Schauspielerin Cate Blanchett in der Rolle einer erfolgsverwöhnten Dirigentin, die plötzlich abstürzt.
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