
Transferwissenschaft – Von der Vision zur Praxis
Evidenz und Denkanstösse für das deutsche Wissenschaftssystem
Text: Henriette Ruhrmann, TU Berlin
Bürger:innen nehmen wissenschaftliche Politikberatung mit Sorge als ausgesucht und einseitig wahr. Die Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie haben diese und andere Grenzen in unserer Praxis im Austausch zwischen Wissenschaft und Politik aufgezeigt. Es ist an der Zeit, den Status quo zu evaluieren und Entwicklungsperspektiven für einen zukunsgerechten Austausch zwischen Wissenschaft und Politik zu diskutieren. Das Forschungsprojekt „Transferwissenschaft“ stellt Highlights aus unserer Transferforschung und Denkanstöße zur Diskussion.
Welche Transferkanäle bestehen zwischen Wissenschaft und Politik?
Unser Forschungsteam hat 36 individuelle Transferkanäle zwischen Wissenschaft und Politik in zwölf Clustern identifiziert. Datengrundlage waren die aktuelle Forschungsliteratur, Interviews mit 22 Wissenschaftler:innen und Abgeordneten und zwei Expert:innenfokusgruppen. Unser 1.000xTransfer-Survey mit über 1.000 Wissenschaftler:innen in Deutschland zeigt, welche dieser Kanäle wie oft genutzt werden – und unsere qualitativen Interviews demonstrieren, wie Wissenschaftler:innen sich von niedrigschwelligem Austausch in der Presse und den sozialen Medien zu Einladungen als Sachverständige oder Gremienmitglieder hocharbeiten können.

Welche Wissenschaftler:innen finden Gehör?
Sie sind motiviert, gesellschaliche Probleme zu lösen und ihre Forschung anzuwenden, vertrauen in ihre Kommunikationsfähigkeit, verstehen den politischen Kontext ihrer Forschung und werden von ihren Organisationen unterstützt. Zudem sind sie meist zwischen 45 und 59 Jahre alt, in Leitungsfunktionen, forschen außeruniversitär und ordnen sich den Sozialwissenschaften zu. Diese Merkmale erhöhen statistisch signifikant den Austausch mit der Politik, wie unser 1.000xTransfer-Survey zeigt. Insgesamt stellten wir fest: Wenige „Superstars“ prägen den politischen Diskurs und die Mehrheit findet kaum Gehör. Um vielfältigere Stimmen der Wissenschaft im politischen Diskurs zu fördern, können Forschungsorganisationen mit institutioneller Unterstützung den Austausch mit der Politik signifikant stärken.
Wie können Forschungsorganisationen die Stimme ihrer Wissenschaftler:innen in der Politik stärken?
Die Möglichkeiten sind vielfältig, von Trainingsmaßnahmen zu Netzwerkangeboten, Politikpreisen oder Anreizen in der Leistungsbewertung. Wir haben insgesamt 306 Maßnahmen an den 100 wichtigsten Forschungsorganisationen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich zusammengetragen. Die Ergebnisse stellen wir Transferstrateg:innen an Forschungsorganisationen in Form unseres interaktiven, webbasierten Research-to-Action-Compass Tools zur Verfügung.
Was macht ethisch verantwortliche Politikberatung aus und was müssen Forschungsorganisationen hier Leisten?
Wir haben die Leitlinien für Politikberatung aller deutschen Ressortforschungsinstitute, außeruniversitären Forschungsorganisationen sowie von politischen Stiftungen, Akademien der Wissenschaft und aus der akademischen Fachliteratur zusammengetragen. Aus diesem Datenmaterial konnten wir insgesamt 18 Leitlinien für verantwortungsbewusste wissenschaftliche Politikberatung extrahieren. In einer Infografik stellen wir dar, welche Leitlinien jeweils primär den Verantwortungsbereich welcher Akteur:innen betreffen. Zudem bilden wir ab, welche Leitlinien einen breit akzeptierten Mindeststandard und welche exemplarische Praxis für wissenschaftliche Politikberatung repräsentieren. //